Im Buchstabensumpf

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. AprilSprache und Sumpf bilden ohnehin längst einen Themenkreis, dem wir uns immer wieder hingebungsvoll widmen Masse und Matsch einen weiteren, Morast und Musik, Schleim, Schlamm und Schlaues aus den unendlichen Weiten der Hoch-, Huch-, sowie Popkultur. Das mag eine gewisse Nähe zu Sendungen wie “Im Sumpf” (auf FM4) nahelegen, zumal die wackeren Kollegen dortselbst schon des längeren den Untertitel “Im Morast nach popkulturellen Perlen tauchen” im Schilde führen. Was uns verbindet, das ist wohl das Prinzip des Strandpiratentums und das aus diesem entstehende Sammelsurium an Angeschwemmtem, Aufgetauchtem und zu gefälligem Gebrauch Entschlammtem. Im Buchstabensumpf allerdings wird jedes Sprach zur Schreibeund umgekehrt.

Buchstabensumpf 1Denn wovon sein wird ein Reden, dafür genügt des Mutters Sprach. Und wie verschieden sie dann sind. Wem gehört Gehörtes? Damit kann Oral Hysterie (oder wie das heißt) betrieben werden, bis die Münder wund sind und die Ohren klingeln. Doch um auf das zu schreiben (das aufzuschreiben), braucht das Volk der Alphabeten einen Setzkasten. Oder halt ein Sackerl Buchstaben. Wohin uns das diesmal führen wird? In den Buchstabensumpf, in dem wir alle sitzen und schwitzen, wenn wir sprechen und schreiben. Vor allem aber, wenn wir achtsam darauf hören, was da ringsumher so alles geblökt, gegrunzt, gemöamelt und gehupfdudelt wird. Mussen wir also dem Deutschen Sprach schutzen vor dem schleichenden Niedergack? Wer selbige etwa zu umpfen Parolen wie “Daham statt Islam” erniedrigt, hat sich jedenfalls zum Thema “Deutsche Kultur” für immer selbst disqualifiziert. Im Namen des Guten, Wahren und Schönen ergeht folgendes Urteil: Lebenslänglich nur mehr Buchstabennudelsuppe.

Buchstabensumpf 2Viel lieblicher geht es in unserem Nachbarland Schweiz zur Sprachsache. Dort empfindet man beispielsweise das sogenannte Hochdeutsch (speziell seit den zwei Weltkriegen) als eine Art unangenehme Einmischung von außen. Statt dessen pflegt man die zahllosen Unterarten des gemeinhin als Schwyzerdütsch bezeichneten Dialektkonglomerats bis sehr weit hinein in die Musikindustrie und die öffentlich-rechtlichen Medien. Und man schreibt das alles dann auch noch so, wie man es spricht! Und zwar mit (fast genau) denselben Buchstaben wie unsereins. Das von uns geliebte “ß” kommt dort nicht vor. Aber sonst… Spüren wir doch einmal hinein in diese Wortwelt und Mundart, die wir oft kaum verstehen (und die bei SRF-Nachrichten oft zu “schriftdeutschen” Untertiteln führt). Und auch zum schönen Umstand, dass Hip-Hop aus der Schweiz nur im seltensten Fall so scheiße klingt wie irgendein amerikanoider Aufguss. Dies vorzuführen haben wir die schweizweit bekannte Rapperin Steff la Cheffe in unsere Playlist eingestreut. Da macht bei weitem nicht nur der Dialekt den Unterschied, sondern auch ihre Beats!

Buchstabensumpf 3So ein Buchstabensumpf ohne “Himbeergschtrüpp” ist vorstellbar – aber nicht zielführend. So wie eine Buchstabennudelsuppe ohne eine zugehörige Suppenkopfexploision zwar irgendwie schon möglich, aber keinesfalls lustig oder interessant ist. Daher werden wir, bei aller Volks- und Sprachkritik von PeterLicht oder Rainald Grebe, auch diesmal wieder eigene und andere Texte zu Gehör und Gespür bringen. Denn wie schrieb schon der von uns höchst geschätzte Ernst Jandl in “Die Humanisten”:

sein viel schmutzen
kunst schmutzen
sein viel viel schmutzen
viel viel kunst-schmutzen
sein ich kunst schutzen
du sein und ich sein kunst schutzen

 

Religwution

> Sendung: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Karfreitag, 14. AprilTraum, Trauma, Traubensalat oder Ein Karfreitag im Kapitalismus. Eine real existierende Märchenstunde für Aufgeschreckte und Davonlaufende, denn: “Mein Name ist Hase, ich verneine die Generalfragen, ich weiß von nichts.” Nur als ein solcher kann man tief genug eintauchen in die Nacht der christlichen Mythen, um sein Sein vom Schein zu befreien – oder zumindest einmal laut zu schreien: Religwution! Willkommen in der Nacht des schreienden Hasen, wenn die Glocken schweigen und das Abendland fadenscheinig wird. Und wenn Joseph Beuys und Christoph Schlingensief endlich verschmelzen. Das hieße dann, bezogen auf unseren Sendungstitel sowie dessen Nebenebenen: Wie man dem gekreuzigten Hasen die Götterdämmerung erklärt.

Religwution 1 Beginnen wir den Scherbentanz des guten Gewissens gleich passend und stimmungsvoll mit einer recht katholischen Fastenpredigt, wie sie in dem legendären Pophörspiel “Augustin” von Ambros, Tauchen, Prokopetz (1980) dargebracht wird. Die kirchliche Zweckwidmung des Volks zum fronpflichtigen Untertan des Gottesgnadentums prägt eben unsere geistigen Reflexe seit jeher: “Ei, Ihr Mägen! Ihr Ludermägen! Ihr Faschingmägen! Ihr zarten und heiklichen Mägen! Ihr Brätelgoschen! Ihr Kapaunergoschn! Ihr Pastetengoschn! Ihr Wildbretgoschn! Muss man solche Mahlzeiten halten, dass Kaiser Vitellius selbst könnt Vorlieb nehmen, von dem doch glaubwürdig ausgesprengt wird, dass er ganze Gerichte von Vogelhirn, ganze Schüsseln von indianischen Spatzenzungen und ganze Trachten von asiatischem Fischrogen hab aufsezten lassen, und, nachdem er genug die Wampe wie einen Wanderranzen angefüllt, hab er mit dem Finger dem Magen die Wiedergab anbefohlen und so eine Staffette nach Speyer geschickt, damit er nochmals fressen mög? Ein solch feister Mensch ist halt eine recht batzerte Butternudel!” (Abraham a Sancta Clara)

Religwution 2 Was für einen Zustand erzeugt nun der quasi-ewige Unterdruck nach innen? Oder soll ich besser sagen, der inwendige Duck nach unten? Führt die Entwicklungsreise des braven Allgemeingläublings vom angepassten Duckmäuserl über den rebellischen Individualzornpinkel sogleich direkt und unweigerlich zum hasskaspernden Wutbürger? Gibt es denn keine anderen Turnübungen? “Was habt ihr nur verbrochen? Was für eine absolut lebensfremde und feindliche Welt in die Zeit gezeugt, geboren, ausgeworfen, hervor gewürgt, hingespieben, aus eurem Hirn geschissen, uns auf die Seele gequetscht, in unser Empfinden gefickt wie eine triumphale Errungenschaft, uns angedreht als Erleuchtung, als Antwort, als Lebenskonzept? Ihr hirnreduzierten Glaubenskrümmlinge und fortschrittsverliebten Immerallesbesserwisser! Ihr dummgewaschenen und heillos überforderten Mitmacher und Stammwähler! Ihr Weltzergrunzungshilfstruppen in einem voll globalisierten Zweckzwangs-KZ zur nutzbaren Ausbeutung von einfach Allemundjedem! Ihr ewigen Quatschorgeln…” (Norbert K.Hund, 2007)

Religwution XDoch hoffnungslos ist anderswo und jedweder Zauberei wohnt eben auch ein Zauber inne. Deshalb lasst euch lieber von uns verführen zum Zuhören und Mitschwelgen. Und zum Umträumen der Albtraumata. Amen. Was hier nicht gesagt werden kann, und was uns in der Sendung ebenfalls nicht einfällt, das meinen wir nichtsdestotrotz ganz genau so, wie wir es sprachlos ausdrücken! “Ich habe einen Traum: Wer bei uns etwas produzieren will, muss anständige Löhne zahlen. Das beschließen alle Regierungen. Und wenn einer kommt mit „freier Markt“, dann sagen die dem, dass der Markt halt schon unter gewissen Bedingungen stattfindet und dass nicht nur der Markt Bedingungen herstellt, sondern dass das auch andere machen. Und es ist nicht die Welt im Markt – sondern es ist immer noch der Markt in der Welt. Und die Bedingungen in der Welt sind so, dass die Leute von ihrer Arbeit leben können wollen. Ein Traum halt… In Wahrheit schaut das so aus: Wenn der freie Markt sich aufs Hösentürl greift, bückt sich die Politik, schmeißt das Rockerl in die Höh und sagt auch noch artig danke, dass sie sich vorher noch kurz einschmieren darf, damits nicht so quietscht, wenns g’wetzt wird.” (Transkribiert nach Günther Paal oder eben auch Gunkl)

 

Zwischen Leben und Überleben

-> Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Februar – Eine Sound-Themen-Text- und überhaupst Rundumcollage, dass es uns und euch schwindlig werden wird. Versprochen! Eine Nachtwanderung durchs Hochgebirge der Eingebungen und die Abgründe der assoziativen Vielfalt. Bring erst einmal Jello Biafra mit Hermann Hesse, Gunkl und Käptn Peng auf einen Spoken-Word-Nenner! Oder entwickle einen roten Faden – noch besser gleich ein ganzes Knäuel – rund um so verschiedenartige Musikbeiträge wie zum Beispiel von Lehnen, Jefferson Airplane, Hans Zimmer, Chrystal Castles, Xavier Rudd, Steaming Satellites, Arik Brauer, Romy Schneider in Berlin, Tocotronic, Loungepaket, Rainald Grebe und Deadnote.Danse! Werte Hörgemüse und Ohrrüben, an die Empfängnisgeräte, denn derlei verspricht Vielfalt vom Feinsten! Wir schmeißen einfach eins aufs andere und rühren genüsslich darin herum – mit unseren eigenen Gedanken. Was hat übrigens Peter Gabriel zur dräuenden Gemeinderatswahl beizutragen? Richtig, „Moribund the Bürgermeister“ 😀 In diesem Sinne – zum Wohl!

Dunkel. Recht haben.Seltsames, Schräges, Symphonisches, Filmsoundtrack, Acid-Rock, Electronica, Liedermacher (pardon, Singer-Songwriter) Musikkabarett, Dark-Wave, Worldmusic, jede Menge sich jeder Genrebezeichnung entziehendes Klangsubstrat mit und ohne immanenter Botschaft, Fundstücke aus dem fluktuierenden Fundus von 50 Jahren Rock-, Pop- oder auch sonst Geschichte. Wie war das nochmal mit der Philosophie des Perlentauchens? Wir schwimmen rings in schlammigen Gewässern, wir fischen tagein, tagaus im Trüben, in den Kanälen und Kloaken der Zivilisationskultur. Wir stecken bis zum Halsansatz im modern(d)en Sumpf marketingfeiler Wortüberreste, bis über beide Ohren in einem stinkenden Brei aus Billaradio, Dancefloorschasen und Warteschleifengeklingel. Und auch wenn uns das Herumtauchen in all dem merkantilen Dreck bis zur Erschöpfung anfäult – es gibt noch zwischen den unnötigsten Trümmern des enttäuschten Zukunftsglaubens der Staatslemminge das eine oder andere Kleinod zu finden und hervor zu holen. Eine Perle des Beschenkens, ein Ring der Begegnungen oder auch ein Schlüssel des Begreifens und Hinterfragens. Egal was – es gehört uns!

Nachttrafik. Sehr wichtig.Wir sind also quasi die letzte Nachttrafik vor der Ausfahrt in die Sackgasse. Deckt euch mit Mut und Spezereien ein, Freunde und Innen des Überlebens in arschkalten Sozialzeiten wie diesen! Was zwischenmenschlich noch nicht aus Pressplastik ist, das wird es demnächst werden. Schön, wenn man sich noch berührt fühlen und verstanden wissen kann, abseits der längst ausgetrampelten Massenpfade. Und dafür wollen wir auch diesmal wieder sorgen – dass euch mitten in der Nacht eine unerwartete Idee anspringt, ein plötzliches Fünkchen Wärme anschmunzelt, ein grimmiges „jetzt reichts mir aber“ auskommt oder einfach dieses so dringend notwendige Gefühl überfällt, doch nicht ganz und gar allein auf der Welt zu sein. So wie bei einem guten Gespräch in einer gescheiten Trafik halt 😉 Wir bleiben die Radio-Nahversorger wider die Einsamkeit.

Glaube. Unfreiwillig.Interessant sind noch Buchhandlungen, deren Schaufenstergestaltung uns kleine Geschichten zu erzählen vermag. So wie wir ja auch unsere Fundstücke aus dem Gesellschaftsmüll benennen, sie mit Bedeutung versehen und in immer neuen Kombinationen zueinander in Beziehung stellen, auf dass sich im Geist ihrer jeweiligen Betrachter möglichst viele verschiedene Geschichten entwickeln. Im Unterschied zu den Weltbildern jeglicher Faschisten und Fundamentalisten (und da gehören auch die alltagsuniformierenden Zwangsneurotiker und Normsoziopathen in ihrer ständigen Anständigkeit allesamt mit dazu) wird Information keineswegs „von oben nach unten“ verordnet – sondern sie entsteht durch Interpretation der Wahrnehmung in den Gehirnen der Empfänger. Und zwar immer wieder neu und auch immer wieder anders. Genau so wie in der abgebildeten Auslage wollen wir im Radio Geschichten erzählen – damit in jedem einzelnen Kopfempfänger ein ganz eigenes phantastisches wahres Abenteuer entstehen kann. Kunst ist all das, was du kunnst (könntest) und damit herum zu spielen. Sei also eingeladen, uns diesmal zuzuspüren