Artarium am Sonntag, 14. Dezember um 17:00 Uhr – Die Vorstellung dieses Albums entsprang zunächst einem internen Auffassungsunterschied: Unentrinnbar deutlich sind Wut und Verzweiflung und damit einhergehend zornige Aggression und brutale Gewalt in der Stimme von Florence Welch wahrzunehmen, was die einen erschreckt, verängstigt und verstört – andere hingegen anzieht, neugierig macht und fasziniert. Nur eine Wendung weiter, gleich hinter den sich allzu leicht anbietenden Urteilen über Gut und Böse wohnt erfreulicherweise die Weisheit des Werdens und ermöglicht uns eine umfassendere Perspektive auf das Menschsein in seinen Zusammenhängen. Weil uns die Opulenz von “Everybody Scream” hier wenig Zeit gewährt, erzählen wir uns die Geschichte(n) dahinter in der Perlentaucher Nachtfahrt “Lost and Found”.
Everybody Scream
tanzfiebrig
bühnenekstatisch entgrenzt
geplatzter eileiter
dosenvoll blut in dir
spürst du nicht im rausch der musik
bist frei und mächtig
brauchst nichts zu verbergen
der tod küsst dich
seine brombeerlippen
beflecken dein kleid
er schmeckt nach leben
unter deiner zunge
ätzt wut aus schmerz
fleisch für stückchen fleisch entfernt
zellhaufen unbenannt
im garten vergräbst einen schrei
siehst zu wie er wächst
zu einem roten baum
er strahlt mit schartigen ästen
zerklüfteten blättern die jaulen im wind
zehn tage später wieder im rampenlicht
selbstprophetisches märchen
du folgst dem hexenlied meilenweit
den schreienden frauen hinter dem vorhang
sturm und donner und schlamm
wo kommst du an? kommst du denn an?
vielleicht in einem haus am waldrand
und suchst dort trost in der wortlosen sprache
der blumen und tiere und siehst zu wie das weltenrad
sich dreht und wie dein körper die jahreszeiten
mimt und fühlst nach und nach etwas an dir ziehen
einen sog ins chaos oder bloß einen hauch
der dich lockt mit fremdvertauten düften?
egal denn du rennst schon los
bist getrieben getragen von chören
jammergeheul gekreische flüstergesängen
anrufungen alter gewissheiten
sie lallen und torkeln
und verpuffen als rauch
gebete sind zaubersprüche
und liebe ist nicht was du glaubst
ist nicht wie in mythen und märchen
nicht wie in filmen und büchern
nicht wie dir beigebracht wurde und
nicht wie du dir selbst weismachen wolltest
du hältst inne umzüngelt von stimmen
willst schrumpfen verschwinden
in der menge dich auflösen
im rauschen verwehen
und bist doch himmelweit
unzähmbar gewaltig
voll der hingabe bringst du dar
opfer für opfer am altar der kunst
trinkst leer den kelch aus deinen knochen geschnitzt
trinkst leer den kelch mit deinen tränen gefüllt
trinkst leer den kelch und brichst deinen leib
verteilst ihn unter uns hungrigen seelen
rufst uns den tod ins gedächtnis
in bunten blüten ist er gewandet
samtig schmiegt er sich an uns
umfasst uns liebkost uns
schweigt mit uns
schreit mit uns
blickt uns aus
den augen
du singst
und alle
schreien
dir zu alle
schreien deinen
namen alle schreien
mit dir gemeinsam singschreien
deine lieder gemeinsam du nimmst anlauf
und springst ins händemeer lässt dich treiben
vielleicht trägt es dich durch die stadt
die hauptstraße runter über den platz vorm gericht
an deinem haus deinen träumen vorstellungen
selbstlügen und verzerrten spiegelbildern vorbei
weiter am fluss entlang und durch
die vergessenen viertel schließlich
hinaus auf die schlachtfelder
und du fragst: „Did I get it right?
Do I win the price? Do you regret
bringing me back to life?“
das meer kreischt
und versiegt
nun liegst du im gras
hörst nichts als das säuseln der halme
die sterne schwingen der mond zwinkert dir zu
„A shimmering landscape, widen my eyes
Can I keep all this beauty forever inside?
du weißt wir alle verlieren den verstand
fliegen hoch übers kuckucksnest
dein lachen schallt durch die nacht
du krümmst dich und trommelst auf erde
und entflammst einen rhythmus
lachst in dem rhythmus deine laute
melodisch fängst an zu singen und
spürst das keimen der nächsten idee
dem kreativen fluss widerstehen kannst du nicht
dir selbst entkommen kannst du nicht
am ende am anfang bleibt nichts
als ein tanz auf messers schneide
oder haben wir vergessen wie
man auf der ganzen klinge tanzt?
du streifst deine schichten ab
steckst dir zweige und blumen ins haar
webst einen mantel aus nebel mit knöpfen
aus silbernem licht und wanderst den hügel hinauf
es dämmert allmählich
du wartest noch
wegbereitverwegen
verwandelnd verzaubernd verheilend
