Dieser Artikel erschien am 16.04.2012 in einer gekürzten Version in der Wiener Zeitung
„Sei Bluat war so lüftig und leicht wie der Wind. Ja, er war halt: a echt’s Weanakind.“
So endet das berühmte Fiakerlied, das vielen als „heimliche Hymne Wiens“ gilt.
Unter den Nazis war dieses Lied verboten. Nicht jedoch, weil der Ausdruck österreichisch-wienerischen Nationalstolzes dem großdeutschen Anschlussgedanken widersprach. Der Grund: Gustav Pick, der Autor des Fiakerliedes, war Jude.
So wie auch Fritz Spielmann (Schinkenfleckerl), Jimmy Berg (Sperrstund Is) oder Peter Hammerschlag (Krüppellied).
Bis 1938 waren in Wiener Kabarett, Chanson und Revue jüdische Komponisten, Texter und Musiker überdurchschnittlich vertreten.
Unzählige Volkssänger, Komiker und Musiker tummelten sich um die Jahrhundertwende in den Kaffeehäusern und Singspielhallen Wiens. Etablissements wie das Kabarett „Hölle“, oder das „Budapester Orpheum“ waren Talentschmieden für Künstler wie Fritz Grünbaum, Karl Farkas, Hugo Wiener, Armin Berg oder Hans Moser. Letzterer war übrigens kein Jude, aber mit einer Jüdin verheiratet, spielte in der Nazizeit aber trotzdem – oder deshalb? – in fragwürdigen Propagandastreifen mit. Aber das sei hier nur am Rande bemerkt.
Die Identitätsfrage – Jude oder Nicht-Jude – war noch bis in in die Zwischenkriegszeit hinein von geringer Bedeutung, wichtiger war die Einstellung zu Begriffen wie Nation und Heimat.
Im ersten Weltkrieg hatten sich noch viele jüdische Künstler, wie Robert Musil, Stefan Zweig, Franz Werfel, Oskar Kokoschka oder Alfred Kubin für den Krieg freiwillig gemeldet oder ihre Kreativität in den Dienst militaristischer Propaganda gestellt. Damit entsprachen sie dem allgemeinen Zeitgeist.
So auch der berühmte Hermann Leopoldi, einer der meist gefeierten „Klavierhumoristen“ der 20er Jahre, Komponist und Interpret unzähliger Schlager und Wiener Lieder.
Leopoldi hieß eigentlich Hersch Kohn, entstammte einer jüdischen Meidlinger Musikerfamile und wurde 1938 ins KZ Dachau und dann ins Lager Buchenwald deportiert. Er hatte Glück, seine Frau konnte ihn freikaufen, und er emigrierte in die USA.
Weniger Glück hatte Fritz Löhner-Beda, Leopoldis langjähriger Textdichter. Ihr letztes gemeinsames Stück war der Buchenwälder Marsch, den sie auf Anordnung des sadistischen KZ-Leiters komponiert hatten. Löhner-Beda überlebte den Nazi Terror nicht. Genauso wie unzählige andere jüdische Musiker, Komponisten und Schriftsteller. Kein Wunder, dass die meisten Überlebenden im Exil nicht gerade das Bedürfnis hatten, in ihre alte Heimat zurückzukehren.
Hermann Leopoldi kam zurück – und wurde jubelnd in Wien empfangen. Es schien, als hätten die Österreicher vergessen, warum er emigriert war, „Sagen’s Herr Kohn wann kommen’s z’rück“, heisst es denn auch in einer Textzeile des Liedes „An der schönen roten Donau“, in dem Leopoldi mit der anbiedernden Verdrängungsmentalität der Österreicher abrechnet. „Wann kommen’s z’rück?“, als ob er nur mal auf Urlaub gewesen sei. Weiter heisst es in dem Lied: „Wir ham schließlich kan Charakter, doch wir ham ein gold’nes Herz.“
Schon bald schrieb der Leopoldi aber wieder wie gewohnt typisch „Österreichische“ Schlager über Weinseligkeit und Schmähtandlerei und wurde dafür bis zu seinem Tod 1959 vom Österreichischen Publikum gefeiert.
Auch Gerhard Bronner kam nach dem Krieg zurück. Seine gesamte Familie war von den Nazis umgebracht worden, er selbst hatte eine abenteuerliche Fluchtgeschichte nach Palästina hinter sich und wollte eigentlich 1948 nach London, wo er ein Engagement erhalten hatte. Doch seine damalige Frau bestand darauf, noch vorher ihre Eltern in Wien zu besuchen. Er blieb hängen. „Wir dürfen die jungen Menschen hier nicht mit den alten Nazis allein lassen“, war das ausschlaggebende Argument seines Freundes Hans Weigel. Bronner wurde zu einer österreichischen Rundfunk- und Wiener Kabarettkoryphäe, legendär waren seine Programme mit Helmut Qualtinger (dessen Vater übrigens überzeugter Altnazi war), legendär seine „Marietta Bar“, in der unter anderem auch Georg Kreisler seine ersten musikalischen Schritte in Österreich machte.
Kreisler war 1955 aus den USA zurückgekehrt und hatte Zeit seines Lebens ein – milde ausgedrückt – ambivalentes Verhältnis zu Wien und Österreich. „Wie schön wäre Wien ohne die Wiener“, heisst es in einem seiner Lieder. Zu seinem 75. Geburtstag 1996 bat er er gar in einem offenen Brief an die Repräsentanten der Republik, ihm in Zukunft nicht mehr zu seinen Jubiläen zu gratulieren, „weil sich die Republik Österreich in den über vierzig Jahren, seit ich nach Europa zurückgekehrt bin, noch nie um mich geschert hat.“ Die Österreichische Staatsbürgerschaft habe er nie zurückerhalten, stattdessen besäße er immer noch seinen alten Deutschen Pass mit einem großen J Stempel darin.
In seinem Buch „Das böse Wien“ schrieb Kreisler:
„Wien ist ein einziger großer Platsch, schlammig, faulig, wurstig, vielleicht das Einzige in der Welt von dem man sagen kann: „Ein bisschen tot.“
Die Lieder Kreislers, Bronners, Leopoldis und all der anderen unzähligen jüdischen Komponisten, Musiker, Texter und Kabarettisten, werden heute noch gesungen.
Beim Wean Hean Wienerlied Festival vom 19. April bis 23. Mai 2012 zum Beispiel, das dieses Jahr den Schwerpunkt auf jüdische Komponisten und Textdichter setzt.
HIER geht’s zum Programm.