Das Leben im syrischen Überwachungsstaat Teil 3: Der Kunst ihre Freiheit?

Syrien 2009
Bietet nicht wenigstens die Kunst den Syrern eine Nische für Kritik und Unangepasstheit
Diese Frage kann ich nur mit einem Gähnen beantworten und einer Anekdote von der Abschlussprüfung der Malereiklasse der Kunstuniversität Damaskus. Die Absolventen mussten bei einer öffentlichen Begehung ihre Arbeiten präsentieren. Der Großteil der Werke war fades, angepasstes Zeug, Stadtansichten bespielsweise, die vielleicht ein schönes Souvenier für Touristen wären oder abstrakte Malerei ohne persönliche Handschrift. Zwei Künstler stachen aber hervor. Sie malten mit technischem Können eindringliche Bilder, bei denen man das Gefühl hatte, da habe jemand wirklich sein Herzblut investiert und seine Seele nach außen gekehrt – und das ganz ohne ins Kitschige zu kippen. Ich erwartete dementsprechend gute Noten seitens der Professoren. Doch die jungen Künstler wurden wahrlich auseinandergenommen und erhielten den schlechtesten Abschluss des ganzen Jahrgangs. Ebenfalls hervorstachen die Arbeiten einer jungen Dame. Abstrakt zwar, aber mit unglaublich tollen Formen und Farben. Es stellte sich jedoch als höchst unwahrscheinich heraus, dass diese Studentin ihre Abschlusswerke selbst gemalt hatte. Denn während ihrer ganzen Studienzeit hatte sie nichts vergleichbares produziert. Die reichen Eltern hatten also jemanden bezahlt, für ihr Töchterchen die Abschlussarbeiten zu malen. Doch wie konnte man das beweisen? Wo doch vermutlich eine nicht geringe zusätzliche Geldspende für die Universität zu erwarten war? So nahm die junge Frau mit perfekt manikürten Fingernägeln ihr Malereidiplom entgegen ohne je einen Pinsel in der Hand gehabt zu haben.

Und wie stehts mit der Musik?
Wie für die meisten arabischen Länder gilt auch in Syrien: Der Retorten-Mainstream dominiert den Musikmarkt. Rockmusik ist eher noch eine Sache der jungen gebildeten westlich orientierten Mittelschicht, elektronische Musik ist so gut wie nicht existent.
Unter dem „Alten“ (Hafez) war sämtliche Rockmusik verboten und man musste diese auf unbeschrifteten Kassetten teuer aus dem Libanon ins Land schmuggeln. Heute stehen nur noch einige wenige Bands auf der Liste der staatszersetzenden und somit verbotenen Elemente.
Trotzdem ist es ratsam, als Liebhaber harter Gitarrenmusik auf sein Äußeres zu achten. So sind lange Haare und schwarze Kleidung unerwünscht und es kann dem Träger schon passieren, von einem netten Herrn der Polizei nahegelegt zu bekommen, diese abzulegen. Hierzu eine kuriose Geschichte, die davon zeugt, wie sehr die Beamten der syrischen Geheimpolizei etwas von Jugendkultur verstehen: Die Mitglieder einer Heavy-Metalband wurden allesamt verhaftet und im Verhör dazu gedrängt ein vorgefasstes Geständnis zu unterschreiben, in welchem sie sich selbst satanistischer Praktiken bezichtigen würden. Darin beinhaltet waren nächtliche schwarze Messen, Grab- und Jungfernschändung, Tieropfer und das Trinken von menschlichem Blut. Ein Mitglied der Band wurde dazu angehalten, eine Vorführung der magischen Rituale abzuhalten, was er nach tagelangem Druck dann auch tat. Die erzwungene Spontaneität ließ ihn hierbei unglaublich erfindungsreich werden in der Konstruktion magischer Kreidekreise und Symbole. Als alle schließlich doch das Geständnis unterschrieben, konnten sie ohne weitere Behelligungen gehen, abgesehen von der Untersagung ihrer musikalischen Aktivitäten.
Rockmusik spielt eine zu geringe Rolle in Syrien, als dass sich das Regime darum wirklich kümmern müsste.

Das Leben im syrischen Überwachungsstaat Teil 2: Nur nicht auffällig hinsehen!

Syrien 2009
Was ist im Alltag eines „normalen Bürgers“ zu spüren von der Existenz der Geheimdienste?

Jahrzehnte der Überwachung haben sicherlich Spuren in der syrischen Psyche hinterlassen. Je nachdem liegt der persönliche Geisteszustand zwischen paranoider Angst und lethargischer Gelassenheit. Ausserdem lieben die Syrer Verschwörungstheorien. Die Führungselite gibt dafür Stoff genug. Nach Basil al-Asads Unfalltod beipielsweise gab es, trotz offiziellem Statement, viele Spekulationen, wer ihn getötet habe, vom israelischen und amerikanischen bis zum syrischen Geheimdienst und zur Assadfamilie selbst. Vor allem Rifaat al-Asad wird gern als Drahtzieher des Mordes genannt. Der Bruder von Hafez, der selber gerne Präsident geworden wäre, musste nach einem Putschversuch 1983 ins Exil und gibt sich dort, jetzt reicher Geschäftsmann, als Regimekritiker. Immer wieder hört man von Rivalitäten, Schießereien und mysteriösen Selbstmorden innerhalb der Führungselite, über die das Volk mit einer Mischung aus Sensationslust und der Vorliebe für Gerüchte, wird über alles und jeden geklatscht, getratscht und Intrigen gesponnen.
Weniger harmlos sind die zu jeder Tages und Nachtzeit hinter allen Ecken herumschleichenden Geheimpolizisten, in zivil gekleidet sind, mit geübtem Auge jedoch leicht am einheitlichen Schnurrbart und den Schuhen erkennbar. Sogar am Hausberg von Damaskus, dem Qasyun, begegnet man diesen Herren – als Müllsammler getarnt Sorge tragend, dass die Leute sich nicht an die falschen Stellen setzen, über die falschen Themen reden oder die Dinge beobachtet, die einen nichts angehen.

In der Nähe der Präsidentenvilla oder ähnlich delikaten Objekten stehen dezent in schwarze Anzüge gekleidete unauffällige Männer. Als Passant sollte man nicht zu viel Interesse für die Gebäude der Mächtigen zeigen. Ein Syrischer Freund merkte einmal an, dass wir nun am Haus des Präsidenten vorbeifahren würden. Nichtsahnend zeigte ich mit dem Finger und fragte „meint du dieses Gebäude da?“ Er zuckte zusammen und schrie mich an: „Bist du wahnsinnig? Nur nicht auffällig hinsehen, sonst schnappen sie uns!“

Ähnliche Reaktionen löst es aus, auf offener Straße das Wort Israel oder den Namen mancher Staatsführer zu laut auszusprechen. Misstrauische Blicke und ein ängstliches „Pssst“ des Gesprächspartners lassen spüren, dass Politik nur im privaten Rahmen erlaubt ist.

Doch auch dieser private Raum wird zensuriert. Diverse Internetseiten, z.B. von vielen ausländischen Zeitungen, unterliegen einer staatlichen Sperre. Nach welchen Kriterien die zu sperrenden Webseiten ausgewählt werden bleibt allerdings ein Rätsel. So ist Beispielsweise Facebook gesperrt, auf die Seite von Amnesty International und der anderer Menschenrechtsorganisationen kann man hingegen ganz frei zugreifen.
Und der Grund, warum youtube gesperrt sein soll, ist amüsant: Dort kursiert ein Video, auf dem zu sehen ist, wie ein Windstoß den Rock der Präsidentengattin lüftet.
In den meisten Internetcafes kann man aber sowieso auf alle Webseiten zugreifen, da diese die Sperre mit speziellen Programmen umgehen. (Stand 2009)

Vorsichtig hingegen sind die Syrer bei e-Mail Kontakt. Hier wird nur Belangloses geschrieben, wie Kettenbriefe oder lustige Geschichten.
Wer im Netz unvorsichtig ist, riskiert Gefängnis. So wurde auch mein guter Freund xxx aufgrund seiner kritischen Beiträge in seinem Webblog ins Gefängnis gesteckt. Dort saß er mit Mitgliedern von Al-Quaida in einer Zelle. Aber das ist eine andere Geschichte…

Das Leben im syrischen Überwachungsstaat Teil 1: Die Dreifaltigkeit

Syrien 2009.

Von der Wand blickt die Dreifaltigkeit auf die Untertanen herab. Der Vater ist Hafez al-Asad, Präsident Syriens von 1971 bis zu seinem Tod 2000. Der Sohn ist Bashar al-Asad, Nachfolger „des Alten“, der heilige Geist sein älterer Bruder Basil, der 1994 bei einem Autounfall ums Leben kam. Dass so ein Ende nicht ohne Mordgerüchte von statten gehen kann, versteht sich von selbst, wenn man bedenkt, dass eigentlich er dem Vater hätte nachfolgen sollen. Jahrelang wurde das Volk darauf propagandistisch vorbereitet, während der kleine Bruder in England Augenmedizin studierte. Nach dem Tod Basils wurde er eiligst zurückgeholt und zum Nachfolger aufgebaut. Im Jahr 2000 war es dann soweit, doch bis heute schmücken neben seinen Fotos die des Vaters und des Bruders die Wände Damaskus´.

Die syrische Dreifaltigkeit Basil - Bashar - Hafez

Soweit zur politische Ikonographie. Dahinter stehen eine ganze Reihe von Institutionen, Personen und Familien, auf denen das Regime aufbaut.

Hafez stützte seine Macht auf die Armee und die 4 Geheimdienste, die ihm direkt unterstanden. Mittels ihnen sorgte er für die Stabilität seiner Macht und des Landes, griff, wenn notwendig, extrem hart durch. So zum Beispiel als er 1982 Hama, damals ein Zentrum der Muslimbrüder, bombardieren ließ und dabei 20 – 30 000 Menschen ums Leben kamen.

Alle Bereiche, die die Sicherheitsbedürfnisse des Systems nicht direkt tangierten, wurden vernachlässigt. Bildungswesen, technischer Fortschritt, Bevölkerungsexplosion, Wirtschaft.

Als Bashar an die Macht kam, war die Hoffnung auf politische und wirtschaftliche Öffnung des Landes groß. Im sogenannten „Damaszener Frühling“ wurden viele politische Gefangene amnestiert, Diskussionen und Versammlungen oppositioneller Gruppen erlaubt. Im Zuge einer gut gemeinten Kampagne gegen die Korruption wurden einige Ex-Minister, Offiziere und Parteifunktionäre suspendiert oder verhaftet. Bauernopfer – denn die alte Garde um den verstorbenen Präsidenten wurde nicht wirklich angetastet. Und 2001, nach dem 11. September, war es schon wieder vorbei mit der politischen Freiheit. Eine Verhaftungswelle folgte. Was blieb, war eine gewisse wirtschaftliche Öffnung. Erstmals wurden ausländische und syrische Privatunternehmen erlaubt.

Das Land veränderte sich von einer Autokratie zu einer Oligarchie, kontrolliert von Militär und hohen Parteifunktionären, viele noch aus den alten Tagen des Vaters Hafez. Die Geheimdienste spielen nach wie vor eine wichtige Rolle. Sei es im Ausland, beispielsweise bei der Ermordung des libanesischen Politikers Rafik al-Hariri 2005, oder im Inland bei der Bespitzelung und Verhaftung unangenehmer Bürger.

Dass dabei nicht zimperlicher umgegangen wird als früher, zeigten die Geschehnisse 2004 in Qamishli, als es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen arabischen und kurdischen Fußballfans kam, bei denen syrische Sicherheitskräfte gegen die Kurden exzessiv Gewalt anwendeten und Massenverhaftungen durchführten.

Nach wie vor sitzen hunderte politische Gefangene in Haft, es gibt zahlreiche Berichte über Folterungen und Misshandlungen.

Ein gefährlicher Mann

Chuck D

Das D steht für Dangerous. Gefährlich ist dieser Mann aber nicht, wie so viele im HipHop Geschäft wegen der Knarre in seiner Hose und der Vorstrafen in seiner Akte. Gefährlich ist er wegen der Worte auf seiner Zunge und der Ideen in seinem Kopf.
Die Rede ist von Chuck D, gemeinsam mit Flavor Flav und Professor Griff, Gründer und Leadrapper von Public Enemy. Read more…

Als Babylon brannte

Malcolm Owen and Segs of the Ruts, Alexandra Palace, London UK 1979

Die erste Welle der britischen Punkbewegung ging Ende der 70er zu Ende und es schien, als hätten sich die Möglichkeiten, drei Akkorde immer wieder neu zu kombinieren, erschöpft.
The Ruts fanden einen möglichen Weg aus der Sackgasse. Sie ließen Elemente des Reggae und Dub in ihre Musik einfließen. Read more…

„Kein Engel, der uns die Reggae-Musik vom Himmel brachte“

Stascha Bader - Regisseur von "Rocksteady-The Roots Of Reggae"

Sonne, Strand, Meer, leuchtende Farben, lachende Menschen, eine karibische Insel und ein Haufen alter Musikerlegenden, die sich nach langer Zeit wiedertreffen, um noch einmal die Hits von damals aufzunehmen. Das Sujet kommt einem irgendwie bekannnt vor, aber Stascha Baders Film „Rocksteady“, will mehr sein als eine bloße Kopie vom „Buena Vista Social Club“.
Der Schweizer Regisseur gilt als Reggae-Experte, seine Dissertation über „Elektro Orale Poesie in Jamaika und England“ ist heute noch ein Standardwerk. Nach über 20 Jahren ist er wieder nach Jamaika gereist, um einen Film über Rocksteady, die Wurzeln des Reggae, zu drehen.

Rocksteady wird die Musik genannt, die Mitte der 60er den schnellen Beat des Ska verlangsamte, und aus der sich in fließendem Übergang der Reggae entwickelte. In nur wenigen Jahren entstanden unzählige Hits wie „By the Rivers Of Babylo“n, „You Don‘t Love Me Nonono“, „The Tide Is High“, die vielen heute nur noch als Coverversionen bekannt sind.
Die Originale und deren Interpreten hingegen sind ein wenig in Vergessenheit geraten. Das will Stascha Bader mit seinem Film nun ändern.

Selina Nowak hat den Regisseur getroffen und mit ihm über seinen Film geplaudert.

Machst Du selbst Musik?
Ich habe lange Musik gemacht und auch Musik studiert, aber ich bin kein Musiker, sondern spiele einfach zu meinem Vergnügen ein bisschen E-Bass.

Hast Du während der Dreharbeiten mit den Musikern gejammt?
Nein, mein Job war, die Bienen im Korb zu behalten und nicht noch mehr Unruhe zu stiften (lacht) ich war “nur” Regisseur.

Nach Deiner Dissertation hast Du Dich lange nicht mit Reggae beschäftigt. Warum?
Irgendwie hatte ich eine Overdose und ab den 80er Jahren hat sich auch gar nicht mehr so viel getan im Reggae. Die heutige jamaikanische Musik höre ich ehrlich gesagt selten, denn entweder ist es einfach Reggae – und den kenn ich jetzt schon seit vielen Jahrzehnten, weshalb er mich langweilt – oder es ist sogenannter Dancehall. Der ist unglaublich knallhart elektronisch, Soca und HipHop inspiriert, den finde ich auch nicht sehr schön.

Wie kam Dir dann die Idee zum Film?
Die kam mir beim Ausräumen meiner Plattensammlung. Ich musste mich entscheiden, was ich behalte und was ich wegschmeiße. Und so hab ich mich durchgehört und bin beim Rocksteady einfach hängen geblieben. Ich dachte „wow, so ein Schatz, der noch zu heben ist, so viele Sänger, so viele Bands, so viele unglaublich gute Musiker, wie wäre es, wenn man die nochmal zusammen bringen würde, um ein Album aufzunehmen?“

Warum geriet Rocksteady ein wenig in Vergessenheit?
Rocksteady war eine kurze Periode, die sehr charmant und kammermusikalisch tönte, eine Musik, die sehr herzlich war. Die Zeiten wurden dann in den 70er Jahren sehr viel härter in Jamaika und auch die Musik wurde härter. So waren die goldenen süßen Tage des Rocksteady gezählt.

Ist es nicht ein bißchen nostalgisch, all die alten Hits wieder aufzuwärmen?
Der wichtigste Grund, warum ich diesen Film gemacht habe, ist weil Rocksteady ein für mich ein Weltkulturerbe ist. Aber im Gegensatz zu den Pyramiden oder dem Taj Mahal, die aus Stein gebaut sind, ist die Musik etwas das sich in Luft auflöst. Ich wollte diesen Musikerinnen und Musikern ein Denkmal setzen. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun, sondern viel mehr mit historischer Gerechtigkeit.

Was haben die Musiker nach der Rocksteady Ära gemacht?
Viele Rocksteady-Musiker sind ins Ausland gegangen um Geld zu verdienen. Einige haben es geschafft, auf die Reggae-Welle aufzuspringen, andere haben einfach aufgehört, Musik zu machen. Die hatten dann Brotjobs als Verkäufer, Maler, Bauarbeiter, LehrerIn…

Und wie werden die Musiker heute in Jamaika angesehen? Sind sie dort auch in Vergessenheit geraten?
Jamaika ist ein Ort, wo Musiker sehr hoch geehrt werden, vielleicht wie bei uns die Schriftsteller. Jedesmal, wenn ich mit irgendeinem der Musiker durch die Straßen von Kingston spazierte, wurden wir angehalten und von allen Seiten tönte es „Hallo, wie geht‘s“.
Man kann mit Stranger Cole oder Ken Boothe zu jeder Tages- und Nachtzeit durch das Ghetto gehen, ohne angegriffen zu werden. Sie sind Autoritäten, die jeder kennt, fast schon Halbgötter.

Wie wichtig war es, im legendären Federal Records Studio aufzunehmen und zu drehen?
Zur Zeit des Rocksteady gab es drei Studios in Jamaika: Treasure Isle, Federal Records und Studio One. Von diesen ist heute nur noch das Federal Record Studio aktiv. Das hat Bob Marley gekauft und umgetauft in Tuff Gong Studio. Studio One funktioniert nicht und Treasure Island gibt’s auch nicht mehr.
Es gibt also nur noch ein Studio aus dieser alten Zeit. Und ich wollte es unbedingt in einem alten Studio aufnehmen, weil das garantierte, dass man auch so arbeiten kann, wie es damals war. Dass man alle 12-15 Musiker reinstopfen kann, plus mehrere Sänger und in einem Take den ganzen Song aufnehmen kann. Denn die modernen Studios sind alle klitzeklein, man stellt nie eine ganze Band rein.

Wie nahmst du Kontakt zu den Musikern auf, kanntest du einige schon vorher persönlich?
Es war eine Heidenarbeit, alle MusikerInnen aufzustöbern. Viele Freunde haben mir geholfen. Chuck Foster, der die Sendung „Reggae Central“ von KPFK in Los Angeles macht, und Mossman Raxlen aus Montreal, der ein DJ und Reggaeproduzent ist. Die beiden haben mir sehr geholfen, Kontakt zu vielen Leuten aufzunehmen, die sie persönlich kennen. Aber dann ging für mich das Klinkenputzen los. Ich musste jeden Einzelnen persönlich treffen, bitten, und zum Teil auch beknien.

Einige haben nicht mitgemacht. John Holt von den Paragons hätte ich sehr gern dabei gehabt, weil er Klassiker („The Tide Is High“) geschrieben hat. Wir haben dutzende Male versucht, ihn und seinen Produzenten anzurufen, aber es hat leider nie geklappt. Dito mit dem legendären Rocksteady-Sänger Alton Ellis.

Judy Mowatt wollte anfänglich nicht mitsingen, sie sagte, dass Rocksteady für sie Schlagerkitsch sei. Sie ist Christin geworden und singt heute ausschließlich Gospels. Ich musste zweimal zu ihr nach Jamaika reisen. Das erste mal mit Schweizer Schokolade, das hat nichts genutzt, das zweite Mal mit „Basler Läckerli“, das hat sie dann gemocht.
Aber die alle anderen haben sehr gerne mitgemacht

Wie stark hat Dich „Buena Vista Social Club“ beeinflusst?
„Rocksteady – The Roots Of Reggae“ ist ähnlich aufgebaut. Bloß hab ich in meinem Film auch noch die historische Komponente mit einbauen wollen. Das heißt, darin ist sehr viel historisches Archivmaterial und auch die Songs folgen einer ganz starken historischen Entwicklung. Es geht darin um Arbeitslosigkeit, um Auswanderung, um Kriminalität, natürlich auch um die Liebe und die Hoffnung und den Geist der Rebellion. Denn das hat mir ein bisschen gefehlt in „Buena Vista Social Club“ und deswegen wollt ich‘s ein bisschen besser machen.

Könnte Dein Film einen Jamaika-Boom auslösen, ähnlich wie es damals nach „Buena Vista“ einen Kuba-Boom gab?
Ich würde mir sehr wünschen, dass mein Film ähnlich wie „Buena Vista Social Club“ ein Revival auslöst und, dass die Musiker wieder im Scheinwerferlicht stehen. Sie waren die Schöpfer einer wunderbaren Musik, die zu einer Weltmusik wurde. Dies wurde noch nie richtig anerkannt.

Im Film wird auch die Ehefrau von Bob Marley interviewt. Wie groß ist sein Einfluss auf die Reggae Musik tatsächlich?
Mein Film könnte auch heißen: „Standing In The Shadow Of Bob Marley“. Es ist ein Film, der zeigen will, dass es eben kein Engel namens Bob Marley war, der uns die Reggaemusik vom Himmel gebracht hat, sondern, dass es eine Volksmusik ist, die von unten entstanden ist und Bob eigentlich ein Teil davon war.

In Jamaika ist er nicht mehr wirklich relevant, weil er schlichtweg nicht mehr da ist. Man hört seine Musik ab und zu im Radio, aber er sagt nicht so viel zur heutigen Zeit. Für die Jamaikaner ist er eine verblassende Ikone.

Und die politische Ikone Bob Marley?
Niemand glaubt in Jamaika daran, politisch etwas bewegen zu können. Bob Marley hat es versucht und ist international zu einer Politikone geworden, man sieht ihn auf T-Shirts, vorne Bob, hinten Che Guevara. Aber in Jamaika ist sein Einfluss minimal.

Gibt es weitere Musikthemen, die Dich reizen?
Der Balkan birgt für mich ein unheimlich interessantes Reservoir an musikalischen Entdeckungen. Vielleicht mach ich auch eine Fortsetzung von „Rocksteady“, einen Film über den heutigen Reggae international. Oder ein Musical in Jamaika – wer weiss.

Wird es eine Europatour mit den Rocksteady Musikern geben?
Ich würde mir wünschen, dass alle Rocksteady Allstars mit Band durch Europa und die Welt touren, denn sie sind ein Knüller. Das Internationale Jazzfestival Montreal, Kanada, hat sie letztes Jahr eingeladen. Da bewies unsere Rocksteady All Star-Band vor 125 000 Leuten, dass sie in Topform sind! Es war ein wahnsinnig schönes Konzert und ich würde mir wünschen, dass sie auch in Europa auftreten – möglichst bald!

„Der Film Rocksteady – The Roots Of Reggae“ läuft momentan deutschlandweit in den Kinos und ist, genau wie der dazugehörige Soundtrack im Handel erhältlich.

DIE KÖNIGSMACHER

Viel wurde dieser Tage wieder geschrieben und geredet über Michael Jackson, der am 25. Juni vor einem Jahr an einem von seinem Arzt verabreichten Medikamentencocktail starb.
Kaum ein Aspekt seines Lebens, der nicht schon 1000 Fach von der Presse durchgekaut worden wäre.
Dabei reichen die Darstellungen vom kleine Jungs vernaschenden Wacko Jacko bis unantastbaren King Of Pop.

Seine Fans verehren ihn als musikalisches Genie, seine Feinde sehen in ihm eine Marionette der Musikindustrie und kreiden ihm an, dass man ihn nie ein Instrument spielen sah und er ab den 90ern einen großen Teil seiner Bühnenauftritte Playback sang. Im Selben Atemzug wird oft Prince als positives Gegenbeispiel genannt, der all seine Musik selber kompomiert, produziert und live auf der Bühne performt.

Unbestritten konnte Michael Jackson gut singen und tanzen, wie aber entstand seine Musik?

Fakt ist, in seiner Karriere arbeitete er mit den verschiedensten Produzenten und Songschreibern, die seine Musik und seinen Erfolg maßgeblich prägten. Einige dieser Königsmacher sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Die großen  Hits der Jackson 5 in den Anfangsjahren beim Label Mo Town schrieb ein vier- köpfiges Songschreiber-Team namens „The Corporation“, eigens engagiert um einen Sound zu kreieren, der gemeinhin als Bubblegum Soul bezeichnet wird. Mit Hits wie „ABC“, „Sugar Daddy“ und „I want You Back“ machten sie die Gebrüder Jackson berühmt.

Denen war es untersagt eigene Songs zu veröffentlichen und, obwohl sie auf der Bühne mit Instrumenten auftraten, wurden alle Aufnahmen im Studio mit Profimusikern eingespielt.

Später, lösten sich die Jacksons von Mo Town, um von nun an ihre eigenen Songs zu produzieren. Es entstand eine Reihe seichter Disco-Pop Alben, für die Michael, der nun auch als Solokünstler unterwegs war, einen Großteil der Songs schrieb.

Seine Musikalische Mentorin dieser Zeit soll Diana Ross gewesen sein, zu der ihn Zeit seines Lebens eine enge Freundschaft verband. Ihr und ihren Affairen ist gerüchteweise auch der Song „Dirty Diana“ gewidmet.

Die vielleicht wichtigste Begegnung seines Lebens machte er aber am Rande der Dreharbeiten des Kinomusicals „The Wiz“, in dem er an der Seite von Diana Ross eine Vogelscheuche, die sich ein Hirn wünscht, spielte: Er traf auf den Produzenten und  Quincy Jones, in dessen Lebenslauf sich alle wichtigen Jazzmusiker seiner Zeit versammeln. Sarah Vaughan, Count Basie, Ray Charles und Frank Sinatra, um nur einige zu nennen.Mit Michael Jackson landete er seinen größten Coup.

Jones produzierte die drei legendären Alben Off The Wall, Thriller und Bad.Er lud dazu hochkarätige Hochkarätige Musiker und Songschreiber ins Studio, unter anderem, Stevie Wonder, Paul McCartney und Eddie Van HalenAber auch Michael Jackson erwies sich als engagierter Songschreiber. Von ihm sind Dancefloorburner wie Dont Stop till You Get Enough, Wanna Be Starting Something, Beat It und Billie Jean.

Stammten auf „Off The Wall“ noch drei von zehn und auf „Thriller“ vier von neun Songs aus seiner Feder, so schrieb Michael für „Bad“ fast alle Songs selbst. Den kommerziellen Erfolg von „Thriller“, das bis heute das meistverkaufte Album aller Zeiten ist, konnte er jedoch nicht toppen.

Da Bad nicht so erfolgreich wurde wie Thriller, trennte sich Michael Jackson von Quincy Jones und wechselte zu  Teddy Riley.
Der damals erst 23 jährige Produzent war eine Koriphäe des sogenannten New Jack Swing, einer Mischung aus Hip Hop, Dance und RnB. Er gab Jacksons Musik eine neue Stilrichtung.

Auf dem Album Dangerous fungierte der King Of Pop meist nur noch als Co-Writer. Die einzigen Songs, die Jackson allein schrieb waren Weltrettungsschnulzen, wie Heal The World und Will You Be There, vom Soundtrack zum Film Free Willy.  Diese sind aus Jackson Feder und weitere dieser Art sollten folgen.

Zur Entstehung des Earth Songs, der auf dem Doppelalbum History erschien sagte er:

„Ich erinnere mich, wie ich „Earth Song“ in einem Hotel in Österreich schrieb. Und ich fühlte solche Pein und so viel Schmerzen angesichts der Not des Planeten Erde. Dies ist meine Chance, möglichst viele Menschen, die Stimme des Planeten hören zu lassen. Das ist es, wodurch es inspiriert wurde. Es fiel mir gleichsam in den Schoß“.

Ab den 90er Jahren, also der Zeit in die die Mißbrauchsvorwürfe fallen, begann der King Of Pop einen immer größeren Hofstaat an namhaften Produzenten um sich zu scharen. Darunter Größen des Hip Hop und RnB Geschäfts wie Babyface oder  R. Kelly, der für ihn die Kitschballade „You Are Not Alone“ schrieb

Sage und schreibe 8 Produzenten und 5 Gaststars waren an seinem letzten 2001 erschienenen Album Invincible beteiligt. Heraus kam ein Produkt, das genauso von Britney Spears oder jedem anderen Retorten-Star hätte sein können. Nur einen Song darauf hat Michael selbst geschrieben. Er heisst Lost Children.

Auf die Frage, wie seine Songs denn entstehen würden, antwortete Jackson 2001:

„Es ist wirklich in Gottes Hand, und es ist, als sei es schon geschrieben bevor wir geboren werden, und du bist wirklich nur die Quelle, durch die die Lieder kommen. Sie fallen dir einfach in ihrer Gänze in den Schoß. Es ist eine Arbeit Gottes.“

Bei Ebendiesem sitzt er jetzt. Rest In Peace Michael Jackson.