Über die Pflicht, die Stimme zu erheben: El Général im Interview

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Dieses Interview ist am 15.Oktober 2011 in der Wiener Zeitung erschienen For an English version click HERE

Im Arabischen Frühling stürzten nicht nur Diktatoren sondern es wurde im Orient auch ein Musikgenre wiederbelebt, das im Westen schon fast vergessen war: Der Protestsong.

Von Marokko bis Syrien singen und rappen mutige junge Menschen für oder gegen ihre Anliegen. Einige fanden dabei den Tod, wie zum Beispiel der syrische Sänger Ibrahim Qashoush, den man mit aufgeschlitzter Kehle im Orontesfluss fand, oder der Ägyptische Künstler Ahmed Bassiouni, der in Kairo bei einer Demonstration von der Polizei erschossen wurde.

Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien haben aber auch viele neue Hits produziert und so manchen zuvor völlig unbekannten Musiker zum Symbol des Widerstands gemacht. Einige dieser Lieder finden sich zum Beispiel auf dem Sampler „Our Dreams Are Our Weapons – Soundtracks of the Revolutions in Tunisia and Egypt“, der auf dem Label „Network“ erschienen ist.

Keiner steht so für die derzeitige musikalische Protestkultur, wie der 23-jährige tunesische Rapper El Général, sein Lied „Rayis le-Blad“ gilt als „Hymne der arabischen Revolution“. Zwar gab es in Tunesien schon seit langem eine lebendige sozialkritische Singer-Songwriterszene, doch erst El Général traf mit seinem direkten Angriff auf den Präsidenten, untermalt von schweren HipHop Beats, den Nerv einer jungen wütenden Generation, die sich ihrer Chancen beraubt sah. Seine vorüberhegende Verhaftung Anfang Jänner steigerte El Général Popularität nur noch, vom Time Magazin wurde er unter die 100 einflussreichsten Personen des Jahres 2011 gewählt.

Gewählt wird am 23. Oktober  auch in Tunesien – Hamada Ben Amr, El Général mit bürgerlichem Namen heisst – kandidiert aber nicht, sondern arbeitet an seinem ersten Album. Selina Nowak hat ihn vor seinem Konzert beim Salam.Orient Festival (13.10.05.11.2011) in Wien getroffen.

Siehst du dich mehr als Musiker oder politischen Aktivisten?
Mein Rap spricht sowohl politische wie gesellschaftliche Themen an, die für die Menschen interessant sind. Die Musik ist mein Transportmedium. Ich habe es gewählt, da es der einzige Weg ist, den ich kenne. Ich habe keine anderen Mittel, um meine Themen zu transportieren.
Ich bin ein ganz normaler Typ, aber in meiner Rolle als MC sehe ich es als meine Pflicht, meine Stimme zu erheben. Ich bin ein Musiker, der eine Botschaft hat.

Wer sind deine Vorbilder?
Privat kann ich das schwer sagen. Künstlerisch gibt es einige Vorbilder – ist da auf jeden Fall der französische Rapper Kery James. Er rappt nicht über persönliche Dinge sondern über Themen wie Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Rassismus. Er trägt somit etwas zur Gesellschaft bei.

Wie hat sich dein Leben in den letzten Monaten verändert?
Die Verantwortung ist größer geworden, ich muss mehr auf meine Worte und mein Handeln achten. Denn meine Musik ist nun keine rein regionale Angelegenheit mehr sondern hat größere Dimensionen bekommen. Das macht es auch viel schwieriger, das was ich erreicht habe, zu halten, was gewissermaßen auch eine Bürde bedeutet. Aber ich habe mich nun mal für den Rap entschieden, was anderes will ich nicht machen. Ob und wie lange ich davon leben kann? Das wird sich zeigen. Manche Rapper schaffen es, viele schaffen es nicht. Je nach Ziel und der Fähigkeit, seinen Status als Rapper in der HipHop-Welt zu platzieren.

Wie hat sich die tunesische Musikszene durch die Revolution verändert?
Vor allem für den Rap hat sich viel geändert. Zuvor war es verboten Konzerte zu veranstalten und CDs zu verkaufen, die nicht zuvor die Zensur durchlaufen haben.
Nun hat das Kulturministerium die Rapmusik sogar offiziell als Kunstrichtung anerkannt. Die Musik wird viel im Fernsehen gespielt und was im Fernsehen läuft verkauft sich auch am Markt besser. Die Revolution hat dem HipHop einen Platz in der tunesischen Gesellschaft gebracht.

Viele junge Männer deiner Generation streben nach Europa. Hast du je darüber nachgedacht, Tunesien Richtung Norden zu verlassen?
Darüber habe ich oft nachgedacht. Warum? Wegen der Unterdrückung in einem Lande, das einem nicht einmal ein Minimum an Möglichkeiten bot um in Würde zu leben. Keine Redefreiheit, Gefängnis, Repression – bei dem Wunsch das Land zu verlassen ging es nicht um mehr Geld sondern um mehr Freiheit.

Hast du eine Botschaft an diejenigen, die Tunesien verlassen haben oder die vielleicht darüber nachdenken?
Vieles ist derzeit in einem Umwandlungsprozess. Wir jungen Menschen müssen uns selbst und unserem Land eine Chance geben. Aus uns kann noch viel werden und gottseidank gibt es in Tunesien eine Menge junge Leute. Wenn jemand sich aber dafür entscheidet auszuwandern, so muss man das auch akzeptieren, denn letztendlich entscheidet jeder Mensch für sich selbst.

Hast du dich entschieden, in am 23. Oktober zur Wahl zu gehen?
Nein, ich gehe nicht zur Wahl.
Ich habe kein Vertrauen in die politischen Parteien. Wie kann ich zur Wahl gehen, wenn ich kein Vertrauen in die Politiker habe. Wie kann ich eine Partei wählen, an die ich nicht glaube?
Ich sehe mich selbst als Kritiker der politischen Szene und nicht als Wähler.

Was würdest du dir von einem Politiker wünschen, damit du ihn wählst?
Dass er dem Lande dient wie ein Mann!

El Général’s Album „La Voix Du Peuple“  (Die Stimme des Volkes) erscheint 2012. Er rappt darauf über tunesische, Nahost- und Weltpolitik, die Freimaurer  sowie über Gott und den Lauf der Welt.

 Apropos Freimaurer: Die Verschwörungstheorie, dass diese Geheimvereinigung – gemeinsam mit den USA und Israel –  die Weltherrschaft anstrebt, ist in der arabischen Welt relativ verbreitet. El Général rappt auch darüber, was man aber nicht mit Antisemitismus alter deutscher Schule verwechseln darf. Ebenso unpassend ist es, El Général als „Islamisten“ hinzustellen, wenn er über Religion rappt. Der 23-jährige ist nun mal kein linker intellektueller Friedensaktivist, der Musik für den Westen macht, sondern ein wütender Pseudogangster, den man sehr wohl hinterfragen, gleichzeitig auch als beispielgebend verstehen muss.

Mehr dazu bald in der Sendung Frau Nowaks Transorientalischer Musikexpress zur Tunesischen Wahl: Die Revolution und ihre Kinder.

Seid gespannt!