Die Entwicklung unserer Demokratie ist eines der Themen für Gegenwart und Zukunft. Demokratie in Frage zu stellen und Versuche, sie teilweise außer Kraft zu setzen, werden in der Mitte Europas in diesem Jahrtausend leider wieder salonfähig. Zumindest in einigen Nachbarländern sind sie sogar schon erfolgreich.
Ein lesenswerter Kommentar Haftgrund „deppert reden“von Peter Pilz* im Online-Standard vom 12. März 2019 und eine Headline im gleichen Medium zum tagesaktuellen BVT-U-Ausschuss: Ermittlerin hielt Aufwand im Tierschützerprozess für übertrieben sind für mich Anlass, am Tag der Ausstrahlung der Radio Bob-Sendung zum Gender Gap (17:00 Uhr, Radiofabrik) — mehr dazu zuvor schon am 11. März in diesem Blog — bereits die nächste Sendung am 27. März anzukündigen: da geht’s um „Gemeinsam die Demokratie retten“.
*Zitat Pilz:Den Haftgrund „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ durch Asylwerber gibt es längst. Trotzdem will ihn der Innenminister in der Verfassung verankern. Etwa um ihn auf andere Personengruppen auszuweiten?
… Einfache Regierungsmehrheiten beschließen, wer in Schutzhaft genommen werden kann: heute einzelne Asylwerber, morgen Fußballfans, übermorgen Tierschützer, und bald darauf die, die gegen die Regierung auf die Straße gehen und die öffentliche Regierungsordnung stören…
… Aber was ist die „öffentliche Ordnung“, und wer stört sie? Ein Haftgrund dürfte Kickls ÖVP-Staatssekretärin in der ORF-Pressestunde einfach herausgerutscht sein: „wenn jemand durch besondere Gewaltbereitschaft auch in der Kommunikation mit Behörden auftritt“. Anderer Meinung sein und die lautstark und vielleicht sogar auf unhöfliche Art vertreten. Schutzhaft für „deppert reden“.
Am 27. März auf Radio Bob: „Eine freundliche Revolution – Gemeinsam die Demokratie retten“
Dieses Anliegen vertritt Philippe Narval in seinem 2018 erschienen gleichnamigen Buch. Darin berichtet er über gelungene Bürgerbeteiligung und konkrete Lösungswegen aus der Demokratiekrise: vom demokratischen Kindergarten über das Büro für Zukunftsfragen in Vorarlberg bis zur irischen Bürgerversammlung.
Stefan Wally hat Narval in die Robert Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen eingeladen. Beim Europäischen Forum Alpbach, bei dem er seit 2012 Geschäftsführer ist, werden [nebst dem legendären peinlichen Auftritt von Peter Pilz. SCNR ;)] wichtige Zukunftsthemen wie eine Bürgerbeteiligung zusätzlich zu den periodischen Wahlen diskutiert, genauso wie in der JBZ.
Radio Bob ist live jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat um 17:00 Uhr live auf der Frequenz der Radiofabrik in Salzburg hören, als Wiederholung jeweils am Samstag darauf um 9 Uhr. Auf Radio Proton in Vorarlberg jeden zweiten Samstag mittags um 12:30.
Und im Internet jederzeit auf radiofabrik.at und auf der Website der JBZ.
Eine Dissenting Opinion zu Stephan Schulmeisters Standpunkt, Europa möge sich ein Vorbild an der einst (von Konservativen wie Franz Josef Strauß) getroffenen Entscheidung nehmen, der US-Dominanz im Flugzeugbau mit der Gründung und staatlichen Unterstützung des Airbus Konsortiums zu begegnen:
After getting knocked back on Alstom-Siemens, France and Germany are eager to back the cobbling together of European champions. It’s a recipe for disaster.
France and Germany want to make more Airbus-style European industrial champions. But what happens when they start fighting over jobs and strategy?
Einige Links zum Thema Airbus, insbesondere dem möglichen Aus für den A380 und den Folgen für SteuerzahlerInnen wie Umwelt. Die entstanden allerdings großteils bereits vor dem und durch den Bau des Supervogels durch massive Eingriffe in die Natur rund Hamburg.
Volkswirtschaft kann spannend sein. Und einiges zum Verständnis der Welt und unserer aktuellen Lage beitragen.
[Manche wussten das bereits vor den Wahlen zum Bundespräsidenten.] Vor allem dann, wenn uns Persönlichkeiten wie Stephan Schulmeister die Welt erklären. In der Kunstbox Seekirchen sorgte das Ende Februar für ein volles Haus.
„Was ist los mit Europa? 20 Millionen Menschen sind arbeitslos, 100 Millionen – ein Drittel aller Beschäftigten – müssen sich mit atypischen Jobs zufriedengeben, die Staatsverschuldung steigt seit vierzig Jahren, ‚wir‘ können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten.“ Damit beginnt Stephan Schulmeisters aktuelle Buch mit dem schlichten Titel „Der Weg zur Prosperität“. Ein gewichtiges Werk, das die Glaubensätze des Neoliberalismus widerlegt und Vorschläge für einen Kurswechsel darlegt.
Bis in die 1970er Jahre herrschte in Europa Vollbeschäftigung. Der Sozialstaat wurde ausgebaut, die Staatsverschuldung sank. Grundlage dafür waren Erkenntnisse aus der Weltwirtschaftskrise und dem darauffolgenden II. Weltkrieg. „Die Spielanordnung lenkte das Gewinnstreben systematisch auf realwirtschaftliche Aktivitäten und zielte im Rahmen des Europäischen Sozialmodells auf eine Integration traditioneller Gegensätze ab“. Mit der Entfesselung der Finanzmärkte in der Ära von Ronald Reagan und Margaret Thatcher begann laut Schulmeister der lange Weg in die gegenwärtige Krise Europas. Sie äußert sich nicht zuletzt im Aufstieg populistischer Bewegungen, neuen „Sündenböcken“, in zunehmendem Nationalismus und einer politischen Desintegration des Kontinents.
Für einen gründlichen Lerneffekt sei die Bedrohung der Eliten jetzt noch nicht groß genug, diagnostiziert der langjährige Mitarbeiter des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO. Die nächste Finanzkrise eröffne dann jedoch die Chance für einen grundlegenden Kurswechsel in Europa, kann Schulmeister dem nächsten drohenden Crash etwas Positives abgewinnen. Seine wichtigsten Leitlinien sind eine radikale Besserstellung von unternehmerischen Aktivitäten in der Realwirtschaft im Vergleich zur „Finanzalchemie“, sowie die Erneuerung des Europäischen Sozialmodells. Die dafür nötigen Maßnahmen sollten schon jetzt konzipiert werden.
Schulmeister hat sich mit Untersuchungen zu den Finanzmärkten einen Namen gemacht, er scheut auch nicht die Einmischung in politische und gesellschaftliche Debatten. So kritisiert er das Programm der aktuellen österreichischen Bundesregierung, da es den sozialen Zusammenhalt schwäche. Er rechnet nicht nur mit dem Neoliberalismus ab, er entwirft auch die Navigationskarte für den Weg aus der Finanzkrise. In seinen Vorträgen und seinen Publikationen beleuchtet er den marktreligiösen Charakter der neoliberalen Theorien und kritisiert den Neoliberalismus als Ideologie im Interesse des Finanzkapitals: In dieser Form des Kapitalismus werden keine realen Werte produziert; es wird nur noch versucht, Geldwerte zu vermehren. In der neoliberalistischen Weltordnung erscheint Arbeit allein als Kostenfaktor, den es zu senken gilt. Dies führt zu einem Teufelskreis zunehmender Arbeitslosigkeit, Staatsschulden und Sozialabbau.
Sein Buch rechnet zunächst mit der neoliberalen Theorie freier Finanzmärkte ab, um dann Erklärungen für die Wirtschafts- und Politikkrise Europas, vor allem aber auch Therapievorschläge zu liefern. Er sieht sich einer realistischen Schule der Ökonomie verpflichtet, die von empirischen Befunden ausgeht, anders als die Denkschule des Neoliberalismus, die er als idealistisch, da allein von abstrakten Modellen ausgehend, bezeichnet. Der Autor spricht von Theorieproduktion als sozialem Prozess – Wissenschaft ist immer in gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet und nie wertfrei. Dies legt er auch in einer kurzen Geschichte der wichtigsten ökonomischen Theorien dar – vom „missbrauchten Adam Smith“ über Karl Marx, die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise und dem Entstehen des Keynesianismus bis hin zu Friedman, Hayek und der Durchsetzung des Neoliberalismus ab den 1970-Jahren.
Schulmeister macht deutlich, dass an den Börsen psychologische Faktoren, insbesondere Herdenverhalten sowie eine „manisch-depressive“ Grundstimmung eine viel größere Rolle spielen als neoliberale Ökonomen wahrhaben wollen – mit bedenklichen Folgen für die Realwirtschaft. Dies führt zu einer zweiten zentralen – auch unter Linken umstrittenen – These von Schulmeister, nämlich der Abspaltung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft. Der Ökonom kritisiert nicht den Kapitalismus an sich, sondern die Behinderung einer prosperierenden Marktwirtschaft durch instabile und Eigeninteressen verfolgende Finanzmärkte. Kapital sei vom „Mittel zum Zweck“ zum „Mittel zum Selbstzweck“ mutiert.
Die Krise Europas – zugespitzt an der Schuldenkrise Griechenlands – macht Schulmeister demnach insbesondere in der Austeritätspolitik seit Einführung der Maastricht-Kriterien sowie des Fiskal-Paktes aus. Da trifft er sich mit anderen Keynesianern, wenn er von der „Therapie als Krankheit“ spricht, die Länder in die Depression treibe. An Langzeituntersuchungen zeigt Schulmeister, dass Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit immer gleichzeitig auftreten, da eben der Staat mehr Kosten bei gleichzeitig sinkenden Steuereinnahmen aufgebürdet bekommt. Der Ausweg könne daher nur in der Stimulierung von Wachstum der Realwirtschaft sein.
Schulmeister plädiert nicht einfach für noch mehr Konsumwachstum für alle, sondern für Investitionen in eine sozial-ökologische Wende. Dafür unterbreitet er zahlreiche Vorschläge, von einer thermischen Sanierungsoffensive über Investitionen in erneuerbare Energieträger bei gleichzeitiger höherer Besteuerung fossiler Energie bis hin zu Umverteilungsmaßnahmen, die den Basiskonsum aller Bürger und Bürgerinnen ermöglichen.
Ein wichtiges Werk, das die Glaubensätze des Neoliberalismus dekonstruiert und pragmatische Vorschläge eines Kurswechsels darlegt. Ein „Lebenswerk“, schreibt Ulrike Herrmann in ihrer Rezension für die taz.
Ab 13. März zum Nachhören aufRadio Bob (und auch archiviert im cba)
Der Weltfrauentag ist abgehakt.
Mitsamt den eigens dazu angebotenen Bildungsveranstaltungen: „Profis zur Fortbewegung in High Heels“ und „Seminarbäuerinnen übers Herstellen von Butter“, wie einem Blatt aus unserem Nachbarbundesland zu entnehmen war.
Aber keine Sorge, Shopaholics!
Der Countdown zum ersten „Woman Day“ des Jahres (in weniger als einem Monat), mit Sonderangeboten für Reizwäsche, Gehwerk, Leckerli und Appetitzügler läuft bereits.
Der 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts in Österreich ist ebenfalls abgefeiert,
Ein Kuriosum zur künftigen Stadtregierung: Das sog. „Stadtratskollegium“ der Landeshauptstadt setzt sich zusammen aus dem neuen Bürgermeister und seinem Stellvertreter (Preuner [ÖVP] /Auinger [SPÖ] oder Auinger/Preuner, die Reihenfolge entscheidet sich bei der Stichwahl am 24.3.), der 2. Vizebürgermeisterin Unterkofler [ÖVP], und den Stadträtinnen Hagenauer [SPÖ] und Berthold [GRÜNE]. Damit sind die Frauen erstmals in der Überzahl!
Was wenig an der grundlegenden Frage ändert: Wer vertritt dich und mich im Parlament – besonders dann, wenn du kein Mann bist.
Darum gehts am Mittwoch, 13. März ab 17:00 Uhr in Radio Bob.
Frauen machen eine knappe Mehrheit der Bevölkerung aus. Aber nicht im heimischen Nationalrat, nicht in den neun Landtagen, nicht in den meisten Gemeindevertretungen oder in den Regierungen (von Ländern und Bund).
Auch in Österreich wird schon lange darüber diskutiert, dass sich das ändern soll. Immer wieder wurde versprochen, die Listen der KandidatInnen und Kandidaten würden nach dem Reißverschluss-Prinzip erstellt. (Das würde nach der selben Logik funktionieren wie im Straßenverkehr.) Damit sollten dann jeweils eine Hälfte Frauen und Männer in die Parlamente kommen.
Aber selbst dort, wo sich die Parteien an den Reißverschluss gehalten haben: Der Anteil der Frauen in den gesetzgebenden Körperschaften beträgt nur ein gutes Drittel. Er ist damit noch immer weit weg von den angestrebten 50 Prozent.
Der Anteil der Frauen im österreichischen Parlament liegt aktuell bei 34%. EU-Spitzenreiter sind die skandinavischen Länder Schweden mit knapp 44 Prozent, vor Finnland mit 42 und Norwegen mit 41,4 Prozent. Am unteren Ende befindet sich Ungarn mit nur 10% Frauenanteil.
Wo Frauen im Nationalrat stark vertreten sind: in den Ausschüssen zu Familie oder Bildung, aber kaum in Ausschüssen zu Themen wie Verkehr, Finanzen oder Wirtschaft. Obwohl die Frauenagenden davon wesentlich betroffen sind: von Öffentlichen Verkehrsmitteln bis zu Geldern für Frauenförderung oder Arbeitsmarktmaßnahmen. Nur ein Viertel der Ausschüsse im österreichischen Parlament werden von Frauen geleitet.
Mehr Frauen in politischen Positionen sind wichtig, sagt die Politikwissenschaft: sie könnten dort ihre Erfahrungen einbringen. Internationale Studien belegen, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie in jenen Ländern am höchsten ist, die einen hohen Frauenanteil in der Politik aufweise
Politische Ambitionen sind in der Bevölkerung generell schwach vorhanden, bei Frauen noch geringer.
Frauen haben häufig weniger Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Sie stellen Aspekte wie Familie und Kindererziehung in den Vordergrund.
Der geringe Anteil von Frauen in der Gemeindepolitik — ein wichtiges Rekrutierungsfeld für höhere Funktionen — führt dazu, dass diese auch in den Parlamenten geringer vertreten sind.
Das Reißverschluß-Prinzip hilft nur bedingt: in vielen Wahlkreisen kommen nur die Listenersten zum Zug – das sind in der Regel meist die Männer. Wirksamer wäre eine Frauenquote bei den „realistischen Listenplätzen“ – dort, wo eine Partei bereits in der Vergangenheit ein Mandat erreicht hat.
Kröber (Juniorprofessorin an der Uni Greifswald) und Dingler, die nach Abschluss ihres Doktoratsstudiums in Salzburg an der Uni München forschen wird, plädieren für Mentoringprogramme. Dort werden Frauen ermutigt und unterstützt, in die Politik zu gehen. Zudem fordern sie ein weiteres Umdenken in den Parteien: Frauen müssten mehr eingeladen werden, sich politisch zu engagieren.
Die Partizipationsexpertinnen – beide Co-Autorinnen des Blogs COUNTING COUNTS – waren Interviewgäste von Stefan Wally in der JBZ. Ihr Arbeitspapier heißt „Warum sich der Gender Gap durch den Reißverschluss nicht schließen lässt – Eine Analyse der Repräsentation von Frauen im österreichischen Nationalrat“ und ist über die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen zu beziehen. Gedruckt oder als pdf-File.
Terminhinweise
Stichwahl Die Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg, einiger Bezirkshauptstädte wie Hallein, Hallein, St. Johann im Pongau, Zell am See und der Gemeinden Bad Hofgastein, Elsbethen, Mattsee, Oberalm, Oberndorf, Seekirchen und Straßwalchen: Sonntag, 24. März 2019
Die nächsten überregionalen Wahlen:
Die Europawahlfindet in Österreich am Sonntag, 26. Mai 2019 statt.
Radio Bob ist live jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat um 17:00 Uhr live auf der Frequenz der Radiofabrik in Salzburg hören, als Wiederholung jeweils am Samstag darauf um 9 Uhr. Auf Radio Proton in Vorarlberg jeden zweiten Samstag mittags um 12:30.
Und im Internet jederzeit auf radiofabrik.at und auf der Website der JBZ.