Podcast/Download: Die Nachtfahrt vom Freitag, 14. September macht sich in einer 4-stündigen Reise auf ins Herz der Finsternis, durch die Urwälder der menschlichen Seele, hinab in die tiefen Wasser des Geistes und hinein in die Ruinen der eigenen Furcht, dem eigenen Schatten… Ein Unterfangen inspiriert von Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse Now“ und initiiert von Laurie Andersons Spokenword „The soul is a bird“. Mein Artikel wird ein Gedicht. Ein literarische Annäherung zum Thema. Eine poetische Auseinandersetzung mit mir selbst, euch, der Sendung und…
„Ich fühle etwas. Ganz tief unten, in mir. Ich kann es nicht wirklich einordnen. Ein unbekanntes, mir völlig fremdes Gefühl. Wie ein Lichtstrahl der aufblüht und in sich, um sich und mit allem eine sich drehende und pulsierende Kette aus Licht und mehr Licht bildet. Es dreht sich in mir. Es steigt auf. Durch meinen Magen, hinauf in meine Lungen, in mein Herz. Ich bebe- ganz in weiß gekleidet, hinter mir eine mit Scheiße beschmierte Stadt, ein mit Scheiße beschmiertes Leben und ich- starr, benommen. Die Wolken werden sich schwarz färben, Regen wird fallen, doch die Scheiße – klebrig, mit der Zeit hart geworden wie Stein – wird bleiben. Ich nicht. Ich werde fort gehen. Ein Land suchen, das nicht so derbe stinkt. Ich werde mich aufmachen, etwas, jemanden suchen! Und finden! Ich werde groß sein! Ich werde Gott sein! Ich werde Alles sein! Und Nichts! Gleichzeitig! Ich steige hinab vom Hügel der Kinderleichen, die diese Stadt ausgeworfen hat und mache mich auf. Wohin weiß ich noch nicht. Aber weg! Weg von dieser Stadt, diesem Leben, diesen Schmerzen, dieser Verzweiflung. Ich werde dem Flusslauf folgen oder den Stimmen der Wälder. Den Sternen am dunklen Morgen oder dem Licht…
Da bin ich also… Allein auf der Straße ins Nichts auf der ich mein Leben lang schon war, die mich vorran trägt und meinen müden Geist. Meine Gedanken sind Nebelschwaden und Rattennester, mein Atem ein verfaultes Stück Holz, meine Beine und Arme nur Auswüchse eines Geschwürs das sich Körper nennt. Meine Lippen vermögen es nicht einen anständigen Satz zu formen und meine Augen sind erlöschende Flammen. Ich sehe nichts. Ich schmecke nichts. Ich fühle nichts. Nur meinen Herzschlag – immer weiter trommelnd. Ich höre Stimmen in den Baumwipfeln die mir flüstern: „Jeder trägt ein Totes mit sich.“ Ich verstehe. Aber ich will nicht verstehen, ich will be-greifen! Ich möchte jedes Wort, jede Silbe mit meinen verdorrenden Händen fühlen, zerlegen, neu zusammensetzten, einen neuen Sinn stiften, eine neue Sprache finden… ICH will NEU sein! Das ist wohl der Grund wieso ich mich auf diese Reise begeben habe… Aber der Grund verändert sich, verwandelt sich, schwebt vor meinen Augen als Licht – so nahe und doch so weit entfernt. Ich versuche es zu berühren, doch greife ich ins Nichts. Ich taumle, falle zu Boden, stehe wieder auf, gehe weiter. Ich sehe Tempel – alt, überwuchert – gepfählte Fratzen die mich auslachen, einen Mann gekleidet in schwarze Seide. Er reicht mir die Hand. Er reicht mir seine Stimme. Er reicht mir sein Herz. Er reicht mir seine Seele. Ich nehme an und erkenne…
Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut- ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen… Ich fühle die Schwärze die aufkeimt- ein Schatten des Waldes. Traumfänger. Wolfkind. Bärensohn. Rabenzauber. Trommeln. Trommeln. Trommeln. Schritte. Flügelschlagen der Nacht, der Bäume. Ein Vogel- eingesperrt in einen Käfig aus Knochen. Ich atme die Kälte. Einen dunklen Mund. Ein Kuss auf meiner Stirn. Ein Feuer brennt. Seltsame kosmische Trauer. Ich spüre mein Herz. Ich höre meine Stimme. Ich sehe mich selbst- vor mir stehend. Nur schemenhaft. Ein Schatten. Ich stehe auf. Ich sehe mir in die Augen. Hohle Löcher. Ich greife hinein. Ich küsse mich auf den Mund. Ich taste nach Leben, nach einem Grund. Finde nur Rauch. Ich stehe am Abgrund. Unter mir das tosende Meer. Wolken und Donner. Da sehe ich in der Ferne ein Gesicht, einen Lichtstrahl. Ich rufe einen Namen. Ich falle hinab. Sinke auf den Grund meiner Seele. Dort wo nichts ist und alles…“
Und von dort kannst du nur alleine zurückkehren. Jede Reise ist eine Reise zu dir selbst. Jede Schicht simplen menschlichen Daseins fällt weiter und weiter ab, bis du zu deinem eigenen Schatten kommst und mit ihm verschmilzt. Dann entsteht eine neue Sprache, eine neue Wahrnehmung. Dann be-greifst du dich und die Welt um dich herum. Wir sind nichts weiter als leere Hüllen, aus Kot geformt, die sich verkleiden um überhaupt existieren zu können. Und begreifst du das, erfährst du dich selbst – in dir selbst, dann kann dein eigener Geist, dein eigener Gott, dein eigenes Herz wieder atmen. Und zwar frei von allen Giften und Waffen dieser Welt. Wir müssen uns lediglich fragen: „Wer sind wir. In Uns? Eigentlich?“
Und diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Ganz allein. Man muss sich trauen ins Herz der Finsternis zu gehen, den Fluss aufwärts, dorthin wo der eigene Schatten, der eigene Abgrund lebt und ihm gegenüber treten und – be-greifen!