> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Mai – “Sprache ist eine große Quelle für Missverständnisse.” Diesen Satz, den Saint-Exupéry in “Der kleine Prinz” dem weltweisen Fuchs in den Mund legt, habe ich viele Jahre lang mit einem anderen ergänzt: “Sprache ist auch eine Quelle für viele Verständnisse.” Inzwischen hat sich vieles verändert – man bleibt jedoch für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat. Wollen wir uns also diesmal das Verändern einzelner Bedeutungen anschauen – und uns überlegen, wie und warum es dazu kommen mag. Die großen Leute sind nämlich wirklich sehr sonderbar. Alternativ etwa (aus anderem geboren) galt lange Zeit als positiver Begriff für das Entwickeln neuer Lebensmodelle, die nicht zu den bekannten Ergebnissen wie Weltkrieg und Zerstörung führen sollten.
Heute wird ein politisches System, das Wortgetüme wie zum Beispiel Wachstumsbeschleunigungsgesetz hervorbringt, gern als alternativlos bezeichnet, während extrem rechts von allem und jedem eine “Partei” vorkommt, die sich “Alternative für Deutschland” nennt. Alternativ zur Zerstörung durch den entfesselten Kapitalismus bietet sich somit die Zerstörung durch den entfesselten Nationalismus an. Wie schön! Ein echter Fortschritt – ins ewiggestrige Jahrhundert. Die Querulantenpartie als Ausweg aus dem Untergang – in den Untergang. Und unsereins wird zerquetscht zwischen den Bedeutungen, die einigen einst brauchbaren Begriffen tückisch eingeflößt wurden. Pejorisierung (diese Bedeutungsverschlechterung der Worte im Lauf der Zeit) schön und gut, aber hier scheinen uns allerhand Propagandawichtel mit Brandbeschleunigern zugange zu sein. Wie sonst könnten unschuldige Worte wie “alternativ” oder “quer” in kürzester Zeit zu verdächtigen Begriffen degenerieren? Oder “Utopie”, das im Altgriechischen den Nicht-Ort (Ou-Topos) wie den guten Ort (Eu-Topos) beschreibt, also die Vorstellung von etwas (noch) nicht Vorhandenem, wie es gut, richtig und schön beschaffen sein müsste (die Vorstellung von einer “besseren Welt”) – wie kann dieser an sich positive Begriff dermaßen zum Vorwurf der irrealen Phantasterei entgleist sein? Also, WIE?
Sprache als Dialog zwischen Menschen ist unendlich viel mehr als das Erteilen von Anweisungen zum jeweils gewollten Funktionieren. Und ebenso unendlich viel mehr als das Grunzen von Gefühlsrülpsern zur jeweils herrschenden Befindlichkeit. Und noch einmal unendlich viel mehr als das Ausführen von Kommandozeilenbefehlen zur jeweils programmentsprechenden Vorschriftsgerechtigkeit. Der Mensch wird nie eine Maschine sein, Softpower hin und Socialmedia her. Programmierts euch DAS in eure Weltherrschaft – und schon ist sie abgestürzt. HERRLICH. Wir sind für das verantwortlich, was wir uns vertraut gemacht haben.
Vertrauen wir unserer Sprache?