LOU REED, Transformer – OCB’s Radiofabrik-Album-der-Woche

AdW_LRT_CoverIm Sommer 1970 stieg Lou Reed bei The Velvet Underground aus. Trotz dreier – heute als Meilensteine gefeierter, damals weittestgehend ignorierter – Alben und einer ausführlichen Tour, die den größten Teil des Jahres 1969 ausfüllte, sah sich das Mastermind der Velvets in einer Sackgasse. Dass er der verbleibenden Band, die bald kein Originalmitglied mehr aufweisen sollte, mit Sweet Jane und Rock’n’Roll erste Hitnummern hinterließ, war zum Zeitpunkt des Ausstiegs nicht absehbar, doch Reed sollte die Songs sehr bald in sein Repertoire übernehmen.

Der Rückzug Lou Reeds aus dem Musikgeschäft in den Familienbetrieb seines Vaters sollte nicht lange dauern. Bereits im Herbst 1971 brach der New Yorker Musiker, nunmehr ohne fixe Band an seiner Seite, nach London auf, um dort für RCA sein erstes Soloalbum einzuspielen. Trotz namhafter Unterstützung (u. a. durch Tastengenie Rick Wakeman) und zahlreicher in VU-Zeiten bereits erprobter Songs geriet das Debüt zum kommerziellen und künstlerisch Fehlstart.

Doch anstelle dem Album nun durch eine Tour auf die Sprünge zu helfen, entschied sich Reed durchaus überraschend dafür schnellst möglich einen neuen Longplayer aufzunehmen. Unterstützt wurde diese eigenwillige Entscheidung durch den Umstand, dass sich ihm der im Sommer 1972 als „Ziggy Stardust“ zum Superhype aufsteigende David Bowie, seinerseits glühender Verehrer von Reeds Songwriting, als Produzent antrug.

AdW_LRT_Bowie_Reed_Dorchester_Hotel_16_07_72Und so saß Reed im August 1972 wieder in einem Londoner Aufnahmestudio, dieses Mal umgeben von Studiomusikern, die Bowie eiligst zusammengetrommelt hatte. Mit dabei war auch Mick Ronson, der geniale Arrangeur und Gitarrist, an Bowies Seite. Im Gegensatz zum Vorgänger verzichtete Reed dieses Mal auf altes Songmaterial und ließ sich vom Duo Bowie/Ronson auch bei den Arrangements weitestgehend leiten. Die Brücke zu seinem bisherigen Schaffensumfeld wollte Reed wohlweislich aber nicht abbrechen und so wurde Transformer zum eigentlichen Anschlussstück an VU-Zeiten. In etlichen Songs tummeln sich schrille, der New Yorker Szene und speziell dem Umfeld Andy Warhols entnommene Charaktere. Andy’s Chest – ein Track, der dem in VU-Kreisen als „Lost Album“ bezeichneten Werk entnommen ist – bringt Reeds Mentor direkt ins Gespräch. Vicious soll auf einen Wunsch Warhols hin entstanden sein und enthält die grell-homoerotische Zeile „You hit me with a flower!“. New York Telephone Conversation widmet sich der Szene-Sucht nach Small Talk und Oberflächlichem. Eine farbenkräftige Portion an schwulem Kitsch und Glamour serviert Make Up.

Das größte Denkmal für Warhol’s Clique setzte Reed allerdings mit seinem ersten echten Single-Durchbruch: Walk on the Wild Side. Ohne Umschweife und Worthülsen gewährt  Reed Einblicke in das bunte Treiben in und um Warhols „Factory“: Transsexualität, Drogenmissbrauch und Oralverkehr. Musikalisch unverwechselbar wurde Walk on the Wild Side vor allem durch Herbie Flowers‘ doppelten Bass – Kontra- und E-Bass, wodurch Flowers auch seine Studiogage verdoppeln konnte – und das abschließende Saxophon-Solo, das gerne fälschlicherweise David Bowie zugeschrieben wird, tatsächlich aber von dessen Sax-Lehrer Ronnie Ross eingespielt wurde.

Hangin‘ ‚Round erinnert an Wild Child aus dem Vorgängeralbum und etabliert Reed als „New Dylan“, verdankt seinen locker treibenden Groove Mick Ronson’s Gitarre, ähnlich wie I’m So Free und Wagon Wheel, das Bowie zugeschrieben wird. Stimmlich hörbar wird das Produzentenduo in der Coda zu Satellite of Love, einem eigentlich für das letzte VU-Album Loaded aufgenommenen Song. Als Arrangement-Meisterstück bezeichnet Reed selbst Ronsons Streichersatz zu Perfect Day, einem romantischen Kleinod in ¾-Takt, das 25 Jahre später mit einem veritablen Who’s-Who der Rockbranche als Line-Up dem Wohltätigkeitsfonds BBC Children in Need über 2 Mio. £ einspielte.

Als perfekte Sperrstunden- bzw. Schlussnummer erweist sich Goodnight Ladies. Herbie Flowers (an der Tuba) hatte auf Bowies Geheiß kurzerhand eine Dixieland-Band zusammengetrommelt, die der traurigen Schilderung eines einsamen Fernsehabends einen bizarr amüsanten Kontrapunkt schenkt.

AdW_LRT_Bowie_Reed_Ronson_live_Royal_Festival_Hall_08_07_72Transformer und Walk on the Wild Side verschafften Lou Reed auf beiden Seiten des Kontinents Top-20-Platzierungen in den Hitparaden und so heuerte er The Tots, eine weitestgehend unbekannte Bar-Rock-Kombo an, um ihn durch die USA und nach Europa zu begleiten. Auch wenn etliche aufwendig und facettenreich arrangierten Songs von Transformer nicht ins live-Repertoire passten, stellten Satellite of Love, Vicious, später auch Perfect Day und vor allem Walk on the Wild Side jahr(zehnt)elang Show-Höhepunkte dar. Reed selbst erläuterte in einem 11-minütigen Monolog auf dem Live-Album Take No Prisoners Herkunft und Entstehung des Songs.

Selbst wenn Transformer nach wie vor als Reeds bestes Album gilt und von zahlreichen Rockmagazinen zu den Top-Rock-Alben aller Zeiten gewählt wurde, fällt das Urteil des Künstlers selbst zurückhaltend aus und schon damals war Lou Reed offenbar mit dem Ergebnis, nicht restlos zufrieden. Auch der Umstand, dass Bowies Namen allzu stark mit Transformer verknüpft wurde, schmeckte dem egozentrischen Songwriter nicht. So fand sich, als Reed schon ein Jahr nach der Veröffentlichung von Transformer wieder im Aufnahmestudio stand, niemand aus dem „Erfolgsteam“ wieder.

„Hörenswert – das Radiofabrik-Album der Woche“ präsentiert anlässlich seines 40. Geburtstags Lou Reeds Transformer und bringt als Bonus-Tracks zwei Demo-Versionen, drei live-Nummern, die wenige Tage nach der Veröffentlichung in New York entstanden sind, und die Radio-Werbung zu Transformer.

OCB wünscht viel Spaß mit einem Albumklassiker aus dem Jahre 1972.

PLAYLIST (des Albums)
Vicious
Andy’s Chest
Perfect Day
Hangin‘ ‚Round
Walk on the Wild Side
Make Up
Satellite of Love
Wagon Wheel
New York Telephone Conversation
I’m So Free
Goodnight Ladies
Bonustracks (der Sendung)AdW_LRT_back
Radio-Ad
Hangin‘ ‚Round (Acoustic demo)
Perfect Day (Acoustic demo)
Vicious
Satellite of Love
Walk On The Wild Side (alle live NYC, December 1972)

Zum Nachhören PW: OCP

OCBoddity 231 & 232 (November 2012)

Im November 2012 widmete sich OCBoddity bei der Auswahl der Neuerscheinungen einerseits den Old Boys des Rock (Ausgabe 231, 12.11.), andrerseits den Helden von Americana und Folk (Ausgabe 232, 26.11.). Als ältester Vertreter trat – nein, nicht Lou Reed oder Bob Dylan –  sondern Ian Hunter (*1939), einstmals Leadsänger vom Mott The Hoople, auf! Dazu gab’s wie gewohnt brandaktuelle Songs, Stories und Konzerthinweise – Rock, Pop und Indie at its Best – von und mit Oliver Baumann! Wer das versäumt hat, kann hier nachlesen bzw. nachhören!

PLAYLIST OCBoddity 231
Ian Hunter, When I’m President
Hot Pants Road Club, Uhlala
Jason Collett, You’re Not The One And Only Lonely One
Johnny Dowd, Billie
David Byrne & St. Vincent, Weekend In The Dust
John Cale, Nookie Wood
Dexy’s, You
The Andrew Oldham Orchestra, (I Can’t Get No) Satisfaction
Lou Reed, Hangin’ Round
John Hiatt, We’re Alright Now
Neil Young, Born in Ontario
Van Morrison, Open The Door (To Your Heart)
Bob Dylan, Duquesne Whistle

PLAYLIST OCBoddity 232
David Wax Museum, Harder Before It Gets Easier
Benjamin Gibbard, Dream Song
Mumford & Sons, Broken Crown
Jalapeno Compadres, Give Me Peace
Ben Harper, Diamonds On The Inside
Joseph Arthur, Bill Wilson
Cat Power, Peace & Love
Regina Spektor, All The Rowboats
Me & My Drummer, You’re A Runner
Calexico, Maybe On Monday
Joshua James, Queen Of The City
John Butler, Better Than

Zum Nachhören: OCBoddity 231 (29.10.2012) PW: OCBoddity
Zum Nachhören: OCBoddity 232 (22.10.2012) PW: OCBoddity

GENESIS, Foxtrot – OCB’s Radiofabrik-Album-der-Woche

Als sich das heute legendäre Genesis-Line-up Tony Banks, Phil Collins, Peter Gabriel, Steve Hackett und Mike Rutherford im August 1972 in den Londoner Island Studios niederließ, blickte die Band auf bescheidene Erfolge zurück: Das Vorgängeralbum Nursery Cryme schaffte es nur in Italien in die Höhen der Albumcharts und auch live schien alleine das Publikum im Aylesbury Friars Zeuge ihrer furiosen Darbietungen sein zu wollen. Dennoch hatte Peter Gabriel mit seiner Maske des alten Mannes erstmals mutig mit Theatralik und Verfremdung experimentiert und auch einige Songs des bevorstehenden Albums waren bereits erprobt und zurechtgeschliffen: Watcher of the Skies eröffnete schon seit einiger Zeit das live-Set, Can-Utility and the Coastliners war einige Änderungen in Titel, Ablauf und Länge durchwandert und das Instrumentalstück Horizons erwies sich live mehrmals als passender Übergang.

Zudem hatte sich Phil Collins stampfend-rockiges Schlagzeugspiel hörbar stilprägend entwickelt. Was auf Nursery Cryme oftmals nur angedeutet blieb, sollte Foxtrot markant Wucht und Prägnanz verleihen. Bereits das sich beängstigend anschleichende Stakkato zu den eröffnenden Mellotron-Akkorden von Watcher of the Skies vertreibt die vermeintliche Lieblichkeit früherer Genesis-Tage. Desillusionierung und Realitätsverlust beherrschen zudem die Texte auf Foxtrot, Verlust und Scheitern als Kontinuum der Menschheit („Watcher of the skies, watcher of all – his is a world alone, no world is his own.“) Auch Time Table – „Why can we never be sure till we die?“ – setzt da fort, ehe Get ‘Em Out By Friday eine zornig, sarkastische Anklage gegen Bauspekulantentum auffährt, an deren Spitze sich Politik und Wissenschaft gewinnbringend verbrüdern, um eine wohnungsfreundliche Maximalgröße von Menschen festzusetzen. Mit Can-Utility and the Coastliners frönt das Quintett seinem Hang zu Legenden und Mythen und erzählt von König Knuts missglücktem Versuch das Meer zu befehligen.

Mit dem an eine Bach-Suite angelehnten Instrumental Horizons gönnt Steven Hackett dem Hörer eine Verschnaufpause, ehe mit Supper‘s Ready das längste, verschlungenste und zugleich wuchtigste Stück nicht nur dieses Albums hereinbrechen sollte. Einer angeblich realen  übersinnlichen Wahrnehmung Peter Gabriels zugrunde liegend erzählt die Rock-Sonate in sieben Abschnitten die Geschichte zweier Liebender auf deren wechselhaftem Weg zu Friede und Erlösung. Inhaltlich bisweilen schwer zu erfassen, bedient sich Gabriels Text zahlreicher biblischer und mythologischer Motive, vom Ägyptischen Pharao Ikhnaton über Narcissus hin zum Neuen Jerusalem. Nicht weniger facettenreich sind die musikalischen Landschaften gestaltet: Neben wiederkehrenden (Leit-)Motiven und internen Textzitaten prägen Tempo- und Taktwechsel, dynamische Hakenschläge und wechselnde Instrumentierung das monströse Stück.

Am Ende der fast 23 Minuten, die Supper’s Ready umfasst, darf sich auch der Hörer erlöst fühlen. In seiner Dichte kaum beim ersten Mal zu erfassen, sollte Supper’s Ready die größte musikalische Herausforderung im Oevre von Genesis bleiben. Nicht zuletzt aufgrund dieses konzeptionellen Kraftakts attestiert Musikkritiker Stephen Thomas Erlewine (allmusic) sehr treffend, Foxtrot sei eines der wenigen Art-Rock-Alben, das tatsächlich sowohl art als auch rock biete.

Bei ihren live-Shows waren sich Banks und co. der Aussagewucht und Komplexität der neuen Stücke durchaus bewusst: Aufwändigeres Instrumentarium und ein inhaltlicher Leitfaden durch Supper‘s Ready in den Programmheften für das Publikum mussten her. In der Aufführung selbst aber wurde Peter Gabriel nun endgültig zum Frontman der Band. Er nützte die immer länger werdenden Erzählungen zwischen den Songs um die notwendigen Pausen zu überbrücken und sponn reichlich entrückte Geschichten. Seine Verkleidungen – vom fluoreszierendem Make-Up über Fledermausflügeln und Fuchsmaske hin zum Blumen-Kostüm – loteten gezielt provokant die Grenzen zwischen Überraschung und Verstörung aus.

Foxtrot – dessen Namensgebung von seinen Schöpfern nie erläutert wurde und sich nur vage aus einer Textzeile aus Willow Farm (Teil V von Supper’s Ready) erschließen lässt – erreichte Platz 12 der britischen Albumcharts. Die anschließende Tournee etablierte Genesis als feste Größe im europäischen Musikschaffen und brachte die Band zum ersten Mal auch in die USA. So bescheiden ihr Eindruck auf das amerikanische Publikum dabei noch war, so stark sollten die amerikanischen Großstädte, allen voran New York City, auf die Band wirken. Musikkenner und -kritiker sehen gerne in Supper‘s Ready das Präludium zum opus grande The Lamb Lies Down on Broadway.

„Hörenswert – das Radiofabrik-Album der Woche“ präsentiert anlässlich seines 40. Geburtstags Genesis Foxtrot und bringt als Bonus-Tracks die auch aufgrund ihrer kleinen Pannen legendäre live-Intro-Geschichte zu Supper’s Ready aus dem Rainbow Theatre 1973 und die zeitgleich mit dem Album veröffentlichte Single Happy The Man, die auf kuriose Weise musikalisch eher an Cat Stevens erinnert, als für das Album repräsentativ zu wirken und keinen Einzug in die Hitparaden fand.

OCB wünscht viel Spaß mit einem Albumklassiker aus dem Jahre 1972.

PLAYLIST (des Albums)
Watcher of the Skies
Time Table
Get ‘em out by Friday
Can-Utility and the Coastliners
Horizons
Intro to Supper’s Ready (Bonus Track der Sendung)
Supper’s Ready
I. „Lover’s Leap“
II. „The Guaranteed Eternal Sanctuary Man“
III. „Ikhnaton and Itsacon and Their Band of Merry Men“
IV. „How Dare I Be So Beautiful?“
V. „Willow Farm“
VI. „Apocalypse in 9/8 (Co-Starring the Delicious Talents of Gabble Ratchet)“
VII. „As Sure As Eggs Is Eggs (Aching Men’s Feet)“
Happy The Man (Bonus Track der Sendung)

Zum Nachhören PW: OCP

OCBoddity 219 & 220 (11. & 25.06.2012)

Stressige Zeiten – Teil 2, aber noch bevor die 221. Ausgabe durch den Äther schwebt, sollen die jüngsten beiden Ausgaben von OCBoddity zum Nachhören da sein. Geboten wird wie gewohnt Rock, Pop & Indie at its Best, dabei sind jede Menge Neuerscheinungen, Sentimentales und unzählige Konzertipps, allen voran für’s Stuck Festival im Rockhouse und für‘s Frequency, auch wenn’s nicht mehr heimisch ist.

PLAYLIST OCBoddity 219
Keane, Silenced By The Night
Maximo Park, The National Health
The Hives, Wait A Minute
The Shins, No Way Down
Roxy Music, Re-Make / Re-Model
David Bowie, Moonage Daydream (New Mix)
Snow Patrol, The Garden Rules
Ben Folds Five, Do It Anyway
Conor Oberst & The Mystic Valley Band, Gentleman’s Pact
Ernst Molden, Weiße Frau
Betty’s Apartement, Wie hält man fest
The Tallest Man On Earth, There’s No Leaving Now

PLAYLIST OCBoddity 220
Fletcher C. Johnson, Messing Up My Mind
Soul Asylum, Into The Light
Neil Young & Crazy Horse, Clementine
Wilco, I Might
The Dandy Warhols, Autumn Carnival
Brendan Benson, Pretty Baby (ft. Ashlyn Monroe)
Boy, Little Numbers
Norah Jones, Little Broken Hearts
Neneh Cherry & The Thing, Accordion
Regina Spektor, The Party
Mel, After You Comes Another (live at Götterfunk)
Lana Del Rey, Summertime Sadness

Zum Nachhören

OCBoddity 217 & 218 (14. & 28.05.2012)

Stressige Zeiten und eine beachtliche Menge Output in den letzten Wochen haben Kapitän OCB seine Mutterschiff vernachlässigen lassen: Das darf nicht sein, richtig. Und daher gibt’s hier jetzt endlich OCBoddity-Stoff zum Nachhören. Und zudem fuhren OCBoddity 217 & 218 mit unüberhörbaren Geschützen auf: Viel Neues, ein paar Comebacks, Geburtstage und Andenken. Die Playlists sprechen für sich. So let the ship come in!

 

PLAYLIST OCBoddity 217
Keane, Silenced By The Night
Garbage, Blood For Poppies
Dale Earnhardt Jr. Jr., We Almost Lost Detroit
Get Cape Wear Cape Fly, The Real McCoy
Beastie Boys, So What’cha Want
The Dandy Warhols, Enjoy Yourself
Paul Weller, That Dangerous Age
Rotifer, Aberdeen Marine Lab
M Ward, Primitive Girl
Brendan Benson, What Kind Of Girl
David Byrne & Caetano Veloso, Road To Nowhere
Great Lake Swimmers, The Great Exhale
Dr. Dog, Big Girl

PLAYLIST OCBoddity 218
The Rolling Stones, Rocks Off
Young The Giant, 12 Fingers
Lee Ranaldo, Waiting On A Dream
David Wax Museum, Yes Maria Yes
John Butler, Johnny’s Gone
Train, You Can Finally Meet My Mom
Boy, Little Numbers
Norah Jones, Say Goodbye
Chris Riffle, And I Love Him
The Civil Wars, I’ve Got This Friend
Elton John, Mona Lisas & Mad Hatters
Richard Hawley, Time Will Bring You Winter

Zum Nachhören

DAVID BOWIE, The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars – OCB’s Radiofabrik-Album-der-Woche

David Bowie
The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders from Mars
(VÖ 6. Juni 1972, RCA)

So klar, wie an diesem regnerischen Abend des Jänner 1972, als David Bowie in seinen gelb-schwarzen Overall gehüllt und mit einer Les Paul über den Schultern an den Hausmauern der Heddon Street für sein nächstes Album-Cover posierte, waren Pläne und Zielsetzung des extravaganten Musikers selten zuvor gewesen: Jetzt war er dran mit einer Handvoll schnittiger Songs, sexueller Provokation und dem Konzept eines ausgeflippten Rockstars die Pop-Welt zu erobern!

Name und Idee für Bowies in Hinkunft prägendes Alter Ego Ziggy Stardust entstammen den (musikalischen) Erzeugnissen zweier von bescheidenem Ansehen und mäßigem Erfolg gezeichneter Rocker: Der seltsam tönende Rockabilly The Legendary Stardust Cowboy, aus Texas, spendete den Namen und Vince Taylor, ein unberechenbarer Rock’n’Roller aus London, lieferte die Geschichte des Rock-Musikers, der in Selbstüberschätzung die Bodenhaftung verliert und schließlich von seinen Fans ermordet wird.

Die Story allein, die außerhalb des Titelsongs auf The Rise And Fall Of Ziggy Stardust … ohnehin kaum erzählt wird, war Bowie aber zu wenig. Schon Jahre zuvor erkannte er, dass vor allem das Spiel mit der Sexualität weitaus größere Aufmerksamkeit erregen konnte. 1971 war sein Cover zu The Man Who Sold The World, das ihn in einem langen Kleid zeigte, in den USA verboten worden. Auch die zugeknöpfte britische Presse ließ sich durch so manche Textzeile Bowies irritieren, fand aber in der Verwirrung der Post-Beatles-Zeit neben den Rolling Stones kaum spannendere Interviewpartner als den anfangs überaus schüchternen Bowie. Dieser verstand es das Interesse für seine Person mit zunehmendem Geschick zu nutzen und erklärte im Jänner 72 Michael Watts vom Melody Maker: „Ich glaube, ich bin schwul und bin es immer gewesen.“ Und spätestens, als Bowie während seines Top-of-the-Pops-Auftritt im folgenden April seinem kongenialen musikalischen Partner und Gitarristen Mick Ronson den Arm lässig über die Schultern legte, begann das Spiel mit der (Homo-)Sexualität zu wirken.

Vor diesem grell angelegten Hintergrund befand sich Bowie zudem in einer bemerkenswerten Blütezeit seiner Schaffenskraft. Hunky Dory, das zu dieser Zeit sträflich unterschätzte Vorgängeralbum zu Ziggy Stardust, war gerade erst veröffentlicht, da stand Bowie mit seiner Band The Spiders From MarsMick Ronson (Gitarre), Mick „Woody“ Woodmansey (Drums) und Trevor Bolder (Bass) – bereits wieder im Studio und nahm Song um Song auf, dieses Mal mit deutlich rockigerer Ausrichtung als auf dem Vorgänger. Aufgrund dieses veritablen Songschwalls wurde die Play-List für The Rise And Fall Of … gute fünf Mal umgeschrieben und stand im März 1972 fest.

Und es konnte kaum perfekter klingen: Das langsam anschwellende Herzklopfen von Five Years zieht den Hörer gleich zu Beginn magisch in seinen Bann und berichtet vom hysterischen Treiben der Menschen, nachdem der Bericht vom bevorstehenden Weltuntergang in fünf Jahren verbreitet war. Die Spannung aus einem der besten Songs Bowies überhaupt löst sich erst im swingenden Soul Love auf, ehe Moonage Daydream Sci-Fi-Gefilde durchpflügt und verschlungen auf Stanley Kubricks Film 2001 verweist, den Bowie gerne als seine Hauptinspiration in diesen Tagen anführt („I’m a space invader, I’m a rock’n’rollin‘ bitch for you!“). Dessen ungeachtet stellt Moonage Daydream mit seinem schleppendem Groove und den sphärischen Klanggebäuden ein weiteres Highlight in Bowies Songwriting dar und im ausklingenden Solo stellt Mick Ronson sein Talent zur Schau! Mit Starman, dem Single-Vorboten und einer in seiner Mach-Art klassischen Bowie-Nummer, bleibt der interstellare Kontext erhalten. Erwartet wird einer, der durch seine Landung allen den Verstand rauben wird – eine Thematik wie man sie von den Vorgängeralben Bowies durchaus kannte, doch wird der negative Grundton auf The Rise And Fall Of Ziggy Stardust … durch ein positiveres Stimmungsbild ersetzt.

Diesem unwiderstehlichen Eröffnungsquartett bleibt durch den Ray Davies-Song I Ain‘t Easy das Krönende verwehrt. In Anbetracht der „ausgemisteten“ Nummern – „Hörenswert“ bietet sie als Bonustracks auf – stellt sich seit 40 Jahren Fans und Kritikern gleichermaßen die Frage, warum das halblustige It Ain’t Easy bleiben durfte. Umso zielsicherer eröffnet Lady Stardust – zwei Jahre zuvor für Marc Bolan geschrieben – die zweite Album-Hälfte und verlagert den inhaltlichen Fokus auf das eigentliche Thema des Albums („And he was alright, the band was all together“). Mit Star karikiert Bowie seinen eigenen Anspruch – ebenfalls Tage zuvor dem Melody Maker offenbart – bald ein ganz großer zu sein: „I could do with the money […] and I could fall asleep at night as a Rock’n’Roll Star“.

Ähnlich dem Eröffnungsfeuerwerk stellt auch das finale Quartett des Albums eine bemerkenswerte Einheit dar. Das (ebenso wie Moonage Dayfream) bereits mit Freddy Buretti als Arnold Corns aufgenommene Hang On To Yourself erfuhr ein kräftigeres Arrangement und diente Bowie während der folgenden Tour als unwiderstehlich rockender Opener, gefolgt vom Titelsong Ziggy Stardust mit seinem unverkennbaren, knarzenden Riff und der Kurzfassung des inhaltlichen Konzepts („Making love with his ego …“).

Als „last-minute-songs“ hatte Bowie Suffragette City – von Mott The Hoople zugunsten von All The Young Dudes verschmäht – und Rock’n’Roll Suicide geschrieben. Während das eine zu sattem Rock frech den Konflikt zwischen Männer- und Frauenliebe thematisiert  – „Wam bam thank you,  ma’am“ bleibt unvergleichlich – zelebriert der Schlusssong in Ronsons deftiges Streicherarrangement gebettet das scheinbar logische Ende des Rockstars.

So kraftvoll und schwerelos das Album auch heute nach 40 Jahren noch erscheint, so sehr nagten Bowies Arbeitseifer – er griff in den Folgemonaten Iggy Pop, Mott The Hoople und Lou Reed unter die Arme – und vor allem die Figur von Ziggy Stardust an ihrem Schöpfer, der immer tiefer in seine Rolle verfiel. Zudem zehrte die ausführliche 15-monatige Tournee, die David Bowie zum Superstar in Großbritannien und in den USA werden ließ, an Körper und Seele und er verfiel trotz des finalen Rock’n’Roll Suicide am 3. Juli 1973 im Hammersmith Odeon in den Folgejahren dem Kokainkonsum, der ihn mehrmals an den Rand des Lebens führten.

Anlässlich seines 40. Geburtstags präsentiert „Hörenswert – Das Radiofabrik-Album der Woche“ David Bowies The Rise And Fall OF Ziggy Stardust And The Spiders From Mars und bringt als Bonus-Tracks eine Handvoll Aufnahmen, die zum Teil in letzter Minute noch aus der Playlist des Albums genommen wurden, darunter Songperlen wie das entzückende Velvet Goldmine oder der Kracher Sweet Head, der thematisch in das Ziggy-Konzept gepasst hätte. John, I’m Only Dancing – Bowies zweifellos schwulster Song – und Mott The Hooples All The Young Dudes, mit dem Bowie der bereits aufgegebenen Band ihren größten Hit schenkte, entstanden wenige Tage nach der Veröffentlichung von Ziggy Stardust. OCB wünscht viel Spaß dabei!

Playlist (des Albums)
Five Years
Soul Love
Moonage Daydream
Starman
It Ain’t Easy
Lady Stardust
Star
Hang On To Yourself
Ziggy Stardust
Suffragette City
Rock’n’Roll Suicide

Bonus Tracks (der Sendung)
Velvet Goldmine
John I’m Only Dancing
Mott The Hoople, All The Young Dudes (Bowie On Backing Vocals)
Holy Holy
Sweet Head
Round’n’Round
Und wer’s hören will … klickt hier