LOU REED, Berlin – OCBs Radiofabrik-Album-der-Woche

Lou Reed, Berlin (VÖ: UKAdW_LR_Berlin_Cover Juli 1973, US September 1973, RCA)

Endlich lief es gut für Lou Reeds Solokarriere. Nach dem Flop seines Solodebüts hatte sich das ehemalige Mastermind der Velvet Underground auf die helfenden Hände von Mick Ronson und David Bowie bei der Produktion seines Zweitlings Transformer verlassen und mit Walk on the Wild Side prompt den ersten (und einzigen) Hitparadenerfolg gelandet. Auf der Modewelle des Glam-Rock reitend, verpasste er sich zudem ein aufreizendes Image und bespielte zahllose Bühnen auf beiden Seiten des Atlantiks. Und so war Lou Reed im Frühjahr 1973 so populär geworden, dass ihn die Leser des NME im Popularitätsranking sogar vor Mick Jagger und David Bowie stellten.

AdW_LR_Berlin_Inlay1 Doch hinter dieser Fassade waren schon wieder dunkle Wolken aufgezogen. Die ausführliche Tournee zehrte an Lou Reeds Nerven und seine Live-Band The Tots erwies sich oftmals als hölzern und in ihren musikalischen Möglichkeiten begrenzt. Zudem wurmte ihn die Tatsache, dass er in fast jedem Interview zu Transformer mehr über David Bowies Rolle dabei erzählen musste, als über seine eigene. Um diesem Ungemach zu entfliehen verfiel Reed zunehmend in die (Selbst-) Zerstörung durch steigenden Alkohol- und Heroinkonsum und ließ in Folge Wut und Zynismus freien Lauf. Musikjournalisten mieden den unberechenbaren Rocker zunehmend.

Und so wurde seine Ehefrau Bettye zum ersten Opfer ihres groben Gatten. Erst seit Jänner 1973 verheiratet ließ Lou keine Gelegenheit aus seine (vermeintliche) geistige Überlegenheit Bettye gegenüber auszuspielen und sie, während sie sich ihm in Ergebenheit und Ehrfurcht immer weiter unterordnete, auch öffentlich zu demütigen und sogar zu misshandeln. Dazu kamen noch das aufreibende Leben auf Tournee und die Begleiterscheinungen von Lous weiterhin steigender Popularität. Im Sommer 1973 hatte Bettye bereits einen Selbstmordversuch hinter sich, dessen Scheitern sie zusätzlichem Spott aussetzte. Lou hingegen hatte den Stoff für sein nächstes Album beisammen.

AdW_LR_Berlin_Inlay2Während die Popwelt hoffnungsfroh auf ein zweites Transformer wartete und RCA darauf vertraute die Label-Kollegen Bowie und Reed würden ihre Zusammenarbeit gewinnbringend fortsetzen, holte Lou überraschend Bob Ezrin, der sich als Partner von Schock-Glam-Rocker Alice Cooper einen Namen gemacht hatte, an Board. Mit dem höchsten Budget, das für ein Lou Reed/Velvet Underground Album jemals zur Verfügung stand, ausgestattet, rief er mit Ezrin eine Band zusammen, die einem Who-is-Who der Musikgeschichte gleicht: Neben den kongenialen Gitarristen Steve Hunter und Dick Wagner fanden sich Jack Bruce (b), Steve Winwood (org), Aynsley Dunbar (dr), Randy und Michael Brecker (sax, tr) und Tony Levin (b) im Studio ein.

Auf dem Plan stand, die düsterste und deprimierende Geschichte eines sich auseinander lebendenden Paares musikalisch umzusetzen, deren Zweisamkeit in Zynismus, Untreue, Gewalt, Drogensucht, Prostitution und Selbstmord endet. Ohne bis dahin jemals dort gewesen zu sein, wählte Reed die geteilte Stadt Berlin als symbolträchtiges Setting für seinen musikalischen film noir. Die Songlist bestand – wie oft auf den 70er-Alben Reeds – zur Hälfte aus bis dahin unveröffentlichten, „übrig gebliebenen“ VU-Songs und neuem Material.

AdW_LR_Berlin_Inlay3 Nach einem feuchtfröhlich gegrölten Happy Birthday bringt der Titelsong/Opener Berlin bereits ein Eigenzitat aus seinem Debütalbum, durch seine Reduktion auf zwei Strophen – die B-Teile/Bridges werden ausgelassen – und Bar-Piano in dunkelgraue Farbe getaucht, lassen die Schlußzeilen „… it was very nice, oh honey, it was paradise“ jedoch nur wenig Gutes erahnen. Die folgenden Lady Day und Men of Good Fortune, das erste eine funkige, zartbittere Hommage an Billie Holiday, das zweite ein ironischer Blick auf die unterschiedlichen Lebenschancen von Arm und Reich, ordnen sich zwar nur schwer in die Geschichte des Albums ein, dienen dafür umso passender als Stimmungsbilder.

AdW_LR_Berlin_Inlay4Nach dem ersten Einblick in die apathische Haltung des Erzählers „But me, I just don’t care at all“ lernt der Hörer mit Caroline Says I die weibliche Hauptperson der Handlung kennen. Nach Candy, Lisa und Stephanie reiht sich Caroline in die Liste des „she says“-Formats in Reeds Songwriting ein und erscheint wie ein Spiegelbild von Reed selbst: Sie ist hartherzig, fordernd und sarkastisch („she wants a man, not just a boy“). Hinter der Bezeichnung „she’s still a German(ic) queen“ wollen Reed-Kenner zudem gerne einen Hinweis auf Reeds Affäre mit Nico sehen, andere wiederum vermuten hinter dem Begriff queen eher Reeds – durch sein neues Image bewusst provoziert – unklare sexuelle Ausrichtung oder vielmehr noch ein Bekenntnis zu bi- oder homosexueller Liebe. Dem druckvollen Beat und üppig arrangierten Rock erwächst dabei ein beinahe bedrohliche Kraft, die sich im ausklingenden Gitarrenduell von How Do You Think It Feels? wiederfindet. How Do You Think It Feels? erkundet die Gefühlslage des Erzählers: Zwischen Alkohol, Schlaflosigkeit, drogenbedingter Isolation und sexueller Gier bewegt er sich auf den Abgrund zu. Untreue, Verlogenheit, Gewalt und (Selbst-)Hass, wie sie Oh Jim zeichnet, verdeutlichen eine Borderline-Situation, die in den Augen vieler Kritiker und Fans ein Spiegelbild von Reeds Gefühlswelt zu diesem Zeitpunkt darstellt.

AdW_LR_Berlin_Inlay5Mit dem Ende der ersten Schallplattenseite/des ersten Teils hat Berlin ein Stimmungsbild erschaffen, das erschütternder kaum sein könnte, und im Gegensatz zu seinem schwul-fröhlichen Vorgänger Transformer kein Lächeln zulässt. Mit der Verdichtung der Handlung auf Seite 2/im zweiten Teil erreicht das Album jedoch eine Intensität und Graustufe, die vielen Hörern und Kritikern zu intensiv wurde.

Caroline Says II – ein gebremstes Remake von Stephanie Says aus VU-Zeiten – zeigt uns die zuvor noch hochmütige Protagonistin am Boden, von Drogen gezeichnet, geschlagen und gebrochen. „Why is it that you beat me?“ fragt sie und wird mit Sarkasmus („all of her friends call her Alaska“) belohnt. Wie sehr dieser Song der Realität des Ehepaars Reed sich nähert, lässt sich erahnen, wenn man einen Interviewbeitrag Lou Reeds aus diesem Jahr kennt: „Ich brauche ein weibliches Arschloch in meiner Nähe, um mich daran zu ergötzen; ich brauche einen ergebenen Arschkriecher, den ich herumstoßen kann.“ „It’s so cold in Alaska„.

AdW_LR_Berlin_Inlay6Als vermeintliche Rechtfertigung und Strafe für Carolines Prostitution –„they say she was making it with sisters and brothers“, ihren Drogenmissbaruch („and all of the drugs she took everyone„) und mangelhaftes mütterliches Verhalten („she was not a good mother„) verliert sie ihre Kinder. The Kids – drei Akkorde in unbeschwerten 3/4–Takt gehüllt – stellt dabei eines der ambivalentesten Stücke der Popmusik dar: Dem betont unterkühlt vorgetragenen Text stellt die Mannschaft um Produzent Bob Ezrin eine bitter-süße Atmosphäre entgegen, die in unvergleichlich eindrucksvoller Weise musikalisches Handwerk, Reduktion und Leichtigkeit vereinen. Nicht zu Unrecht gilt Berlin für viele Musikliebhaber und -kritiker in dieser Hinsicht als Reeds frühes und bis heute unerreichtes Meisterstück.

AdW_LR_Berlin_Inlay7 Für den Höhepunkt von The Kids soll – der Legende nach – Bob Ezrin seinen Kindern weiß gemacht haben, ihre Mutter würde nicht mehr zurückkommen. Das dadurch provozierte, auf Band festgehaltene Heulen, Winseln und „Mummy“-Rufen der Kinder am Ende von The Kids ging und geht heute noch nicht nur Eltern durch Mark und Bein. Vielen Hörern wurde und wird es hier zu viel. Der abermals betont unterkühlte Nachsatz des Erzählers „and I am much happier this way“ spiegelt sich im folgenden „Funny thing, I’m not at all sad that it stopped this way“ (The Bed) wider, mit dem Carolines Selbstmord kommentiert wird. Doch in Anbetracht des Betts, wo sie einst ihre Kinder empfing und sich dann die Pulsadern aufschnitt, der kleinen und großen Erinnerungsstücke in dem Haus, das sie sich so mühsam erarbeitet hatten, klingen die Worte nun gebrochen und traurig, der Verlust nagt. Engelschöre markieren Carolines Entschweben aus dem Irdischen. Am Boden geblieben resümiert der Erzähler, wie alles so schön begonnen hatte („she looked like Mary Queen of Scotts“) und doch so daneben lief („just goes to show how wrong you can be“). Sad Song beschließt das emotional aufwühlendste Rock-Album bis dato. Dabei verschafft das große Finale mit deftigen Streichern und einem butterweichen Bläsersatz zum Ausklang dem Zuhörer Erlösung und Erleichterung und setzt der herausragenden Arbeit des Produzenten Bob Ezrins ein Denkmal.

AdW_LR_Berlin_Inlay8Dafür hatte Ezrin allerdings auch seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Im Versuch Lou Reeds Launen, seine Wankelmütigkeit und den Umstand, dass der Rockstar oftmals zu betrunken war um seine (Sprech-) Gesangsparts einzubringen, zu verdauen, griff auch Ezrin häufig zu Heroin. Als RCA kurz vor Ende der Aufnahmen verlauten ließ, sie würden lieber kein Doppelalbum veröffentlichen und Ezrin das fertige Werk um 14 Minuten kürzen musste – die verlorenen Minuten sind entgegen den üblichen Gepflogenheiten seitdem weder auf Bootlegs noch auf Re-releases wieder aufgetaucht – half dem Produzenten nur noch eine mehrmonatige Entziehungskur, um sein Leben wieder unter Kontrolle zu bringen.

Lou Reed hingegen kehrte schon bald wieder auf die Bühne zurück. Während die Musikpresse über Berlin fiel und mit deftigsten Abkanzelungen abtat, zeigten Fans und Musikfreunde nur Unverständnis und Ablehnung für Lous „Anti-Transformer„. Das wiederum nährte Reeds Destruktivität und Hass. Er radikalisierte sein Auftreten weiter, stellte eine nun deutlich kräftiger rockende Band (mit den Berlin-Musikern Hunter und Wagner) zusammen und gab fortan das Rock’n’Roll Animal, wovon das so betitelte Live-Album zeugen sollte. Wenige Monate später löste er auch den zweiten Teil seines Versprechens gegenüber RCA ein, das er abgegeben hatte, um das Label überhaupt erst zur Veröffentlichung von Berlin überreden zu können, und lieferte mit dem Album und der gleichnamigen Single Sally Can’t Dance einen Verkaufsrenner ab, der allerdings den Vergleich mit Berlin in keiner Weise standhält.

AdW_LR_Berlin_Inlay9Die erhoffte Anerkennung wurde Berlin erst im Lauf der frühen 80er-Jahre zuteil, indem Kritiker begannen ihre vernichtenden Erstmeinungen zu revidieren und dem mittlerweile immer mehr im Mittelmaß versinkenden Reed Anerkennung zollten. 2006 brachte Reed mit Steve Hunter in der Band Berlin etwas überraschend zum ersten Mal zur Gänze auf die Bühne und gab sich redlich Mühe seinen über die Jahre immer schlampiger gewordenen Sprechgesang am Original zu orientieren. Der von Julian Schnabel dabei entstandene Konzertfilm ist allerdings entbehrlich.

„Hörenswert – das Radiofabrik-Album der Woche“ präsentiert anlässlich seines 40. Geburtstags Lou Reeds Berlin und bringt als Bonus-Tracks zwei Aufnahmen, die in Paris während der Live-Tournée 1973/74 entstanden sind. Oliver Baumann wünscht gute Unterhaltung mit einem Albumklassiker aus dem Jahre 1973.

Playlist (des Albums)
Berlin
Lady Day
Men Of Good Fortune
Caroline Says I
How Do You Think It Feels
Oh Jim
Caroline Says II
The Kids
The Bed
Sad Song

Bonustracks (der Sendung)
Lady Day
Oh Jim (beide live in Paris, Mai 1974)

Und wer jetzt das Radiofabrik-Album-der-Woche hören will, der ist hier richtig. PW: OCP

DAVID BOWIE, The Next Day – OCBs Radiofabrik-Album-der-Woche

Where Are We Now? oder Bekenntnisse des David-Bowie-Fans Oliver Baumann

db_TheNextDayDie Situation könnte seltsamer kaum sein. Wie so viele da draußen, warte ich seit Jahren auf nichts anderes: Endlich ein neues Bowie-Album in Händen zu halten! Und jetzt, wo es so weit ist, nach fast 10 Jahren Wartezeit, weiß ich nicht, wie ich diesen Text anfangen soll. Es schlichtweg sein zu lassen, wäre ein einfacher Ausweg. Doch nicht in meinem Fall. Denn ich bin Bowie-Fan. Nein da ist eigentlich zu wenig. Es muss Fanatiker heißen! Und dabei bin ich arrogant genug zu behaupten, der größte und glühendste Fanatiker und Kenner in Salzburg zu sein, und ich nehm’s auch mit Vertretern aus anderen Bundesländern auf.

Als ich 2004 in der Radiofabrik anfing auf Sendung zu gehen, sollte dabei nicht nur irgendeine Musiksendung entstehen, sondern eine, bei der in jeder Sendung ein Bowie-Song gespielt würde. Selbst der bis heute nur schwer nachvollziehbare und oftmals falsch ausgesprochene Titel meiner Sendung OCBoddity (sprich OCBoddity, nicht OCBoddity und schon garnicht ozboddity) sollte dem Hörer meine Faszination für mein Idol mehr oder weniger vordergründig verdeutlichen. Zur Erklärung: OCB sind meine Initialen und oddity kommt von Bowies erstem nennenswerten Hitparadenerfolg Space Oddity (1968 bzw. 1969), das ich für einen der großartigsten Popsongs aller Zeiten halte. Bei richtiger Aussprache reimt sich der Sendungstitel sogar!

OCB_diamond_dogAngefangen hatte alles 1983, als Udo Huber „Die Großen Zehn“ live aus irgendwelchen Provinzdiscos präsentierte und wir vor dem Fernseher saßen und hofften, dass nicht ausgerechnet jetzt, wo Bowies China Girl-Video mit der ominösen Nacktszene lief, die gastgebende Mutter hereinkäme. Wenige Zeit später lernten wir die nötigen Instrumente zu spielen um unser eigenes Best-of-Bowie selbst darbieten zu können und wurden dafür in den Spät-80ern Gott-sei-Dank wohlwollend belächelt. Dass ich den Part des charismatischen Frontmanns mim(t)e, versteht sich von selbst, oder? Immerhin war ich doch als einziger in der Band bereit bei Bowie 87-er Konzert in Wien mich als Diamond Dog im Publikum zu inszenieren.

2004 bastelte ich als stolzer Sendungsmacher der Radiofabrik schon nach wenigen OCBoddity-Sendungen mit großer Euphorie an zwei „Special-Editions“ ausschließlich über David Bowie, der sich für Anfang Juli nach Wien und Salzburg zu Konzerten im Rahmen seiner Reality-Tour ankündigte. Bowie in Salzburg – das sollte mein Fan-Karriere-Höhepunkt werden! Doch es kam bekanntermaßen anders. Zuerst der Lolli im Auge, dann die Schulterschmerzen, dann der Krankenhausaufenthalt und dann die Gewissheit: Mein Idol ist schwerer angeschlagen. Und die Konzerte in Österreich wurden abgesagt. Der über die offizielle Website verbreiteten Nachricht, Bowie werde bald wieder fit sein und freue sich schon darauf seine Fans bald wieder zu besuchen, misstraute ich instinktiv.

Dabei hatten wir gerade so eine gute Zeit. Bowie war nach den lauen Früh-90er-Jahren mit 1. Outside fulminant zurückgekehrt. Für mich eines seiner aller besten Alben bis heute. Dass ich ihn damals – gerade zufällig in New York – beim Album-Signieren auf der 5th Avenue nicht persönlich kennen gelernt habe, verzeih‘ ich mir übrigens bis dato nicht wirklich. Dass er bei seinem Konzert Anfang Februar 1996 in Wien Moonage Daydream, einen weiteren meiner Favoriten, als Zugabe spielte, machte mich dagegen sehr glücklich. Und auch die Jahre danach liefen gut. Regelmäßige Alben, regelmäßige Live-Konzerte und OCB mitten drin und voll dabei. Daneben stapelten sich zu Hause Bootlegs, Special Editions, Picture Discs und unzählige T-Shirts. Und der Email-Account auf davidbowie.com war sowieso Ehrensache.

2005 aber erfolgte schon bald die Mitteilung, es werde kein neues Bowie-Album in diesem Jahr geben. Stattdessen folgten diverse Gast-Auftritte u.a. bei Arcade Fire, David Gilmour und 2008 auf Scarlett Johansson’s Pop-Debut als Interpretin von Tom Waits-Songs. Doch dann wurde es immer stiller um Bowie. Für mich als Fan galt es die Gerüchte über seinen schlechten Gesundheitszustand, über unbestätigte Aufnahmesessions (in Berlin), bis hin zu angeblichen Plänen, er werde New York in Richtung Burgenland verlassen, abzuwägen und auf ihren Wahrheitsgrad hin zu untersuchen. Die regelmäßige Frage eines guten Freundes „Und was Neues vom Bowiedl?“ stieß vom anmaßend despektierlichen Wortspiel abgesehen auf eine langsam verheilte Wunde. Die Antwort „Der ist in Pension“ tat dennoch weh.

Dass ich am 8. Jänner 2013 aber nicht auf den Kalender sehen musste, um zu wissen, wer denn an diesem Tag Geburtstag haben könnte (Elvis Presley und Ron Sexsmith), muss aber gesagt sein. „66 Jahre sind eh okay für Pension“, dachte ich mir. Was dann, so gegen 9h20 über mich hereinprasselte, war einfach nur mehr schön!bowie02

Daher ist diese meine Situation so … seltsam. Denn ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Das Sprichwort „Vor lauter Bäumen keinen Wald sehen“ trifft’s am besten. Oder „Wer zu viel weiß, weiß gar nichts“. Aber vielleicht halte ich mich einfach an mein Idol, mach’s wie er und schweige zu diesem Album. Das wäre auch am ehrlichsten. Denn neben all‘ den gesammelten Informationen zu The Next Day, den unzähligen Magazinen, die Bowie in ihrer März-Ausgabe von vorne bis hinten beleuchten, dem unergiebigen small talk in den Gazetten, meinem geschulten Fachohr, das bei jedem Track auf The Next Day Ankerpunkte zu hören meint, den Hintergrundinfos, die ich zur eitlen Selbstdarstellung vollmundig auspacken könnte und den Gerüchten über mögliche oder doch wieder undenkbare Konzerte des Meisters überwiegt bei mir einfach nur die Freude über die Gewissheit: Er ist wieder da! „ … and the next, and the next day and another day!“

Und wer jetzt das Radiofabrik-Album-der-Woche hören will, der ist hier richtig. PW: OCP

Playlist (des Albums)
The Next Day
Dirty Boys
The Stars (Are Out Tonight)
Love Is Lost
Where Are We Now?
Valentine’s Day
If You Can See Me
I’d Rather Be High
Boss Of Me
Dancing Out In Space
How Does The Grass Grow?
(You Will) Set The World On Fire
You Feel So Lonely You Could Die
Heat

Bonustracks (des Albums & der Sendung)
So She
Plan
I’ll Take You There

LOU REED, Transformer – OCB’s Radiofabrik-Album-der-Woche

AdW_LRT_CoverIm Sommer 1970 stieg Lou Reed bei The Velvet Underground aus. Trotz dreier – heute als Meilensteine gefeierter, damals weittestgehend ignorierter – Alben und einer ausführlichen Tour, die den größten Teil des Jahres 1969 ausfüllte, sah sich das Mastermind der Velvets in einer Sackgasse. Dass er der verbleibenden Band, die bald kein Originalmitglied mehr aufweisen sollte, mit Sweet Jane und Rock’n’Roll erste Hitnummern hinterließ, war zum Zeitpunkt des Ausstiegs nicht absehbar, doch Reed sollte die Songs sehr bald in sein Repertoire übernehmen.

Der Rückzug Lou Reeds aus dem Musikgeschäft in den Familienbetrieb seines Vaters sollte nicht lange dauern. Bereits im Herbst 1971 brach der New Yorker Musiker, nunmehr ohne fixe Band an seiner Seite, nach London auf, um dort für RCA sein erstes Soloalbum einzuspielen. Trotz namhafter Unterstützung (u. a. durch Tastengenie Rick Wakeman) und zahlreicher in VU-Zeiten bereits erprobter Songs geriet das Debüt zum kommerziellen und künstlerisch Fehlstart.

Doch anstelle dem Album nun durch eine Tour auf die Sprünge zu helfen, entschied sich Reed durchaus überraschend dafür schnellst möglich einen neuen Longplayer aufzunehmen. Unterstützt wurde diese eigenwillige Entscheidung durch den Umstand, dass sich ihm der im Sommer 1972 als „Ziggy Stardust“ zum Superhype aufsteigende David Bowie, seinerseits glühender Verehrer von Reeds Songwriting, als Produzent antrug.

AdW_LRT_Bowie_Reed_Dorchester_Hotel_16_07_72Und so saß Reed im August 1972 wieder in einem Londoner Aufnahmestudio, dieses Mal umgeben von Studiomusikern, die Bowie eiligst zusammengetrommelt hatte. Mit dabei war auch Mick Ronson, der geniale Arrangeur und Gitarrist, an Bowies Seite. Im Gegensatz zum Vorgänger verzichtete Reed dieses Mal auf altes Songmaterial und ließ sich vom Duo Bowie/Ronson auch bei den Arrangements weitestgehend leiten. Die Brücke zu seinem bisherigen Schaffensumfeld wollte Reed wohlweislich aber nicht abbrechen und so wurde Transformer zum eigentlichen Anschlussstück an VU-Zeiten. In etlichen Songs tummeln sich schrille, der New Yorker Szene und speziell dem Umfeld Andy Warhols entnommene Charaktere. Andy’s Chest – ein Track, der dem in VU-Kreisen als „Lost Album“ bezeichneten Werk entnommen ist – bringt Reeds Mentor direkt ins Gespräch. Vicious soll auf einen Wunsch Warhols hin entstanden sein und enthält die grell-homoerotische Zeile „You hit me with a flower!“. New York Telephone Conversation widmet sich der Szene-Sucht nach Small Talk und Oberflächlichem. Eine farbenkräftige Portion an schwulem Kitsch und Glamour serviert Make Up.

Das größte Denkmal für Warhol’s Clique setzte Reed allerdings mit seinem ersten echten Single-Durchbruch: Walk on the Wild Side. Ohne Umschweife und Worthülsen gewährt  Reed Einblicke in das bunte Treiben in und um Warhols „Factory“: Transsexualität, Drogenmissbrauch und Oralverkehr. Musikalisch unverwechselbar wurde Walk on the Wild Side vor allem durch Herbie Flowers‘ doppelten Bass – Kontra- und E-Bass, wodurch Flowers auch seine Studiogage verdoppeln konnte – und das abschließende Saxophon-Solo, das gerne fälschlicherweise David Bowie zugeschrieben wird, tatsächlich aber von dessen Sax-Lehrer Ronnie Ross eingespielt wurde.

Hangin‘ ‚Round erinnert an Wild Child aus dem Vorgängeralbum und etabliert Reed als „New Dylan“, verdankt seinen locker treibenden Groove Mick Ronson’s Gitarre, ähnlich wie I’m So Free und Wagon Wheel, das Bowie zugeschrieben wird. Stimmlich hörbar wird das Produzentenduo in der Coda zu Satellite of Love, einem eigentlich für das letzte VU-Album Loaded aufgenommenen Song. Als Arrangement-Meisterstück bezeichnet Reed selbst Ronsons Streichersatz zu Perfect Day, einem romantischen Kleinod in ¾-Takt, das 25 Jahre später mit einem veritablen Who’s-Who der Rockbranche als Line-Up dem Wohltätigkeitsfonds BBC Children in Need über 2 Mio. £ einspielte.

Als perfekte Sperrstunden- bzw. Schlussnummer erweist sich Goodnight Ladies. Herbie Flowers (an der Tuba) hatte auf Bowies Geheiß kurzerhand eine Dixieland-Band zusammengetrommelt, die der traurigen Schilderung eines einsamen Fernsehabends einen bizarr amüsanten Kontrapunkt schenkt.

AdW_LRT_Bowie_Reed_Ronson_live_Royal_Festival_Hall_08_07_72Transformer und Walk on the Wild Side verschafften Lou Reed auf beiden Seiten des Kontinents Top-20-Platzierungen in den Hitparaden und so heuerte er The Tots, eine weitestgehend unbekannte Bar-Rock-Kombo an, um ihn durch die USA und nach Europa zu begleiten. Auch wenn etliche aufwendig und facettenreich arrangierten Songs von Transformer nicht ins live-Repertoire passten, stellten Satellite of Love, Vicious, später auch Perfect Day und vor allem Walk on the Wild Side jahr(zehnt)elang Show-Höhepunkte dar. Reed selbst erläuterte in einem 11-minütigen Monolog auf dem Live-Album Take No Prisoners Herkunft und Entstehung des Songs.

Selbst wenn Transformer nach wie vor als Reeds bestes Album gilt und von zahlreichen Rockmagazinen zu den Top-Rock-Alben aller Zeiten gewählt wurde, fällt das Urteil des Künstlers selbst zurückhaltend aus und schon damals war Lou Reed offenbar mit dem Ergebnis, nicht restlos zufrieden. Auch der Umstand, dass Bowies Namen allzu stark mit Transformer verknüpft wurde, schmeckte dem egozentrischen Songwriter nicht. So fand sich, als Reed schon ein Jahr nach der Veröffentlichung von Transformer wieder im Aufnahmestudio stand, niemand aus dem „Erfolgsteam“ wieder.

„Hörenswert – das Radiofabrik-Album der Woche“ präsentiert anlässlich seines 40. Geburtstags Lou Reeds Transformer und bringt als Bonus-Tracks zwei Demo-Versionen, drei live-Nummern, die wenige Tage nach der Veröffentlichung in New York entstanden sind, und die Radio-Werbung zu Transformer.

OCB wünscht viel Spaß mit einem Albumklassiker aus dem Jahre 1972.

PLAYLIST (des Albums)
Vicious
Andy’s Chest
Perfect Day
Hangin‘ ‚Round
Walk on the Wild Side
Make Up
Satellite of Love
Wagon Wheel
New York Telephone Conversation
I’m So Free
Goodnight Ladies
Bonustracks (der Sendung)AdW_LRT_back
Radio-Ad
Hangin‘ ‚Round (Acoustic demo)
Perfect Day (Acoustic demo)
Vicious
Satellite of Love
Walk On The Wild Side (alle live NYC, December 1972)

Zum Nachhören PW: OCP

OCBoddity 228 – 230 (Oktober 2012)

Drei Sendungen OCBoddity gab’s im Oktober und jede davon war gefüllt mit brandaktuellen Songs, Stories und Konzerthinweisen: Rock, Pop und Indie at its Best – von und mit Oliver Baumann, wie gewohnt. Mit dabei unter anderen Placebo, Calexico, Admiral Fallow, Jens Lekman, Paul Banks, Ben Gibbard, Jason Lytle, Me & My Drummer, Bonaparte und John Cale! Und wer’s versäumt hat, bekommt eine zweite Chance, auch ohne Prolo-Attitüde!

PLAYLIST OCBoddity 230
Morning Parade, Blue Winter
The Vaccines, I Always Knew
Ben Folds Five, Michael Praytor – Five Years Later
Get Well Soon, A Gallows
Bonaparte, Manana Forever
Animal Collective, Today’s Supernatural
Band of Horses, Knock Knock
Artmagic, You
Beach House, Myth
Me & My Drummer, Down My Couch
Sun Kil Moon, Among The Leaves
Woven Hand, Long Horn

PLAYLIST OCBoddity 229
The Gaslight Anthem, Blue Dahlia
The Killers, The Way It Was
Placebo, B 3
Keane, Souvereign Light Cafe
Paul Banks, Over My Shoulder
Admiral Fallow, Old Fools
Ben Kweller, Mean To Me
Benjamin Gibbard, A Hard One To Know
Jason Lytle, Department of Disappearance
Cat Power, Ruin
Bat For Lashes, All Your Gold
Mel, Slowly Sinking

PLAYLIST OCBoddity 228
John Cale, Scotland Yard
Calexico, Splitter
R.E.M., Try Not To Breathe
Jason Collet, I Wanna Rob A Bank
Admiral Fallow, Isn’t This World Enough
David Wax Museum, Unfruitful
The Tallest Man On Earth, 1904
High And Low, Tell Me The Meaning Of Things
Stubnblues, Da Wind Vom Meer
Jens Lekman, I Know What Love Isn’t
Glen Hansard, High Hope
Richard Hawley, Leave Your Body Behind You

Zum Nachhören: OCBoddity 230 (29.10.2012) PW: OCBoddity
Zum Nachhören: OCBoddity 229 (22.10.2012) PW: OCBoddity
Zum Nachhören: OCBoddity 228 (22.10.2012) PW: OCBoddity

GENESIS, Foxtrot – OCB’s Radiofabrik-Album-der-Woche

Als sich das heute legendäre Genesis-Line-up Tony Banks, Phil Collins, Peter Gabriel, Steve Hackett und Mike Rutherford im August 1972 in den Londoner Island Studios niederließ, blickte die Band auf bescheidene Erfolge zurück: Das Vorgängeralbum Nursery Cryme schaffte es nur in Italien in die Höhen der Albumcharts und auch live schien alleine das Publikum im Aylesbury Friars Zeuge ihrer furiosen Darbietungen sein zu wollen. Dennoch hatte Peter Gabriel mit seiner Maske des alten Mannes erstmals mutig mit Theatralik und Verfremdung experimentiert und auch einige Songs des bevorstehenden Albums waren bereits erprobt und zurechtgeschliffen: Watcher of the Skies eröffnete schon seit einiger Zeit das live-Set, Can-Utility and the Coastliners war einige Änderungen in Titel, Ablauf und Länge durchwandert und das Instrumentalstück Horizons erwies sich live mehrmals als passender Übergang.

Zudem hatte sich Phil Collins stampfend-rockiges Schlagzeugspiel hörbar stilprägend entwickelt. Was auf Nursery Cryme oftmals nur angedeutet blieb, sollte Foxtrot markant Wucht und Prägnanz verleihen. Bereits das sich beängstigend anschleichende Stakkato zu den eröffnenden Mellotron-Akkorden von Watcher of the Skies vertreibt die vermeintliche Lieblichkeit früherer Genesis-Tage. Desillusionierung und Realitätsverlust beherrschen zudem die Texte auf Foxtrot, Verlust und Scheitern als Kontinuum der Menschheit („Watcher of the skies, watcher of all – his is a world alone, no world is his own.“) Auch Time Table – „Why can we never be sure till we die?“ – setzt da fort, ehe Get ‘Em Out By Friday eine zornig, sarkastische Anklage gegen Bauspekulantentum auffährt, an deren Spitze sich Politik und Wissenschaft gewinnbringend verbrüdern, um eine wohnungsfreundliche Maximalgröße von Menschen festzusetzen. Mit Can-Utility and the Coastliners frönt das Quintett seinem Hang zu Legenden und Mythen und erzählt von König Knuts missglücktem Versuch das Meer zu befehligen.

Mit dem an eine Bach-Suite angelehnten Instrumental Horizons gönnt Steven Hackett dem Hörer eine Verschnaufpause, ehe mit Supper‘s Ready das längste, verschlungenste und zugleich wuchtigste Stück nicht nur dieses Albums hereinbrechen sollte. Einer angeblich realen  übersinnlichen Wahrnehmung Peter Gabriels zugrunde liegend erzählt die Rock-Sonate in sieben Abschnitten die Geschichte zweier Liebender auf deren wechselhaftem Weg zu Friede und Erlösung. Inhaltlich bisweilen schwer zu erfassen, bedient sich Gabriels Text zahlreicher biblischer und mythologischer Motive, vom Ägyptischen Pharao Ikhnaton über Narcissus hin zum Neuen Jerusalem. Nicht weniger facettenreich sind die musikalischen Landschaften gestaltet: Neben wiederkehrenden (Leit-)Motiven und internen Textzitaten prägen Tempo- und Taktwechsel, dynamische Hakenschläge und wechselnde Instrumentierung das monströse Stück.

Am Ende der fast 23 Minuten, die Supper’s Ready umfasst, darf sich auch der Hörer erlöst fühlen. In seiner Dichte kaum beim ersten Mal zu erfassen, sollte Supper’s Ready die größte musikalische Herausforderung im Oevre von Genesis bleiben. Nicht zuletzt aufgrund dieses konzeptionellen Kraftakts attestiert Musikkritiker Stephen Thomas Erlewine (allmusic) sehr treffend, Foxtrot sei eines der wenigen Art-Rock-Alben, das tatsächlich sowohl art als auch rock biete.

Bei ihren live-Shows waren sich Banks und co. der Aussagewucht und Komplexität der neuen Stücke durchaus bewusst: Aufwändigeres Instrumentarium und ein inhaltlicher Leitfaden durch Supper‘s Ready in den Programmheften für das Publikum mussten her. In der Aufführung selbst aber wurde Peter Gabriel nun endgültig zum Frontman der Band. Er nützte die immer länger werdenden Erzählungen zwischen den Songs um die notwendigen Pausen zu überbrücken und sponn reichlich entrückte Geschichten. Seine Verkleidungen – vom fluoreszierendem Make-Up über Fledermausflügeln und Fuchsmaske hin zum Blumen-Kostüm – loteten gezielt provokant die Grenzen zwischen Überraschung und Verstörung aus.

Foxtrot – dessen Namensgebung von seinen Schöpfern nie erläutert wurde und sich nur vage aus einer Textzeile aus Willow Farm (Teil V von Supper’s Ready) erschließen lässt – erreichte Platz 12 der britischen Albumcharts. Die anschließende Tournee etablierte Genesis als feste Größe im europäischen Musikschaffen und brachte die Band zum ersten Mal auch in die USA. So bescheiden ihr Eindruck auf das amerikanische Publikum dabei noch war, so stark sollten die amerikanischen Großstädte, allen voran New York City, auf die Band wirken. Musikkenner und -kritiker sehen gerne in Supper‘s Ready das Präludium zum opus grande The Lamb Lies Down on Broadway.

„Hörenswert – das Radiofabrik-Album der Woche“ präsentiert anlässlich seines 40. Geburtstags Genesis Foxtrot und bringt als Bonus-Tracks die auch aufgrund ihrer kleinen Pannen legendäre live-Intro-Geschichte zu Supper’s Ready aus dem Rainbow Theatre 1973 und die zeitgleich mit dem Album veröffentlichte Single Happy The Man, die auf kuriose Weise musikalisch eher an Cat Stevens erinnert, als für das Album repräsentativ zu wirken und keinen Einzug in die Hitparaden fand.

OCB wünscht viel Spaß mit einem Albumklassiker aus dem Jahre 1972.

PLAYLIST (des Albums)
Watcher of the Skies
Time Table
Get ‘em out by Friday
Can-Utility and the Coastliners
Horizons
Intro to Supper’s Ready (Bonus Track der Sendung)
Supper’s Ready
I. „Lover’s Leap“
II. „The Guaranteed Eternal Sanctuary Man“
III. „Ikhnaton and Itsacon and Their Band of Merry Men“
IV. „How Dare I Be So Beautiful?“
V. „Willow Farm“
VI. „Apocalypse in 9/8 (Co-Starring the Delicious Talents of Gabble Ratchet)“
VII. „As Sure As Eggs Is Eggs (Aching Men’s Feet)“
Happy The Man (Bonus Track der Sendung)

Zum Nachhören PW: OCP

DAVID BOWIE, The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars – OCB’s Radiofabrik-Album-der-Woche

David Bowie
The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders from Mars
(VÖ 6. Juni 1972, RCA)

So klar, wie an diesem regnerischen Abend des Jänner 1972, als David Bowie in seinen gelb-schwarzen Overall gehüllt und mit einer Les Paul über den Schultern an den Hausmauern der Heddon Street für sein nächstes Album-Cover posierte, waren Pläne und Zielsetzung des extravaganten Musikers selten zuvor gewesen: Jetzt war er dran mit einer Handvoll schnittiger Songs, sexueller Provokation und dem Konzept eines ausgeflippten Rockstars die Pop-Welt zu erobern!

Name und Idee für Bowies in Hinkunft prägendes Alter Ego Ziggy Stardust entstammen den (musikalischen) Erzeugnissen zweier von bescheidenem Ansehen und mäßigem Erfolg gezeichneter Rocker: Der seltsam tönende Rockabilly The Legendary Stardust Cowboy, aus Texas, spendete den Namen und Vince Taylor, ein unberechenbarer Rock’n’Roller aus London, lieferte die Geschichte des Rock-Musikers, der in Selbstüberschätzung die Bodenhaftung verliert und schließlich von seinen Fans ermordet wird.

Die Story allein, die außerhalb des Titelsongs auf The Rise And Fall Of Ziggy Stardust … ohnehin kaum erzählt wird, war Bowie aber zu wenig. Schon Jahre zuvor erkannte er, dass vor allem das Spiel mit der Sexualität weitaus größere Aufmerksamkeit erregen konnte. 1971 war sein Cover zu The Man Who Sold The World, das ihn in einem langen Kleid zeigte, in den USA verboten worden. Auch die zugeknöpfte britische Presse ließ sich durch so manche Textzeile Bowies irritieren, fand aber in der Verwirrung der Post-Beatles-Zeit neben den Rolling Stones kaum spannendere Interviewpartner als den anfangs überaus schüchternen Bowie. Dieser verstand es das Interesse für seine Person mit zunehmendem Geschick zu nutzen und erklärte im Jänner 72 Michael Watts vom Melody Maker: „Ich glaube, ich bin schwul und bin es immer gewesen.“ Und spätestens, als Bowie während seines Top-of-the-Pops-Auftritt im folgenden April seinem kongenialen musikalischen Partner und Gitarristen Mick Ronson den Arm lässig über die Schultern legte, begann das Spiel mit der (Homo-)Sexualität zu wirken.

Vor diesem grell angelegten Hintergrund befand sich Bowie zudem in einer bemerkenswerten Blütezeit seiner Schaffenskraft. Hunky Dory, das zu dieser Zeit sträflich unterschätzte Vorgängeralbum zu Ziggy Stardust, war gerade erst veröffentlicht, da stand Bowie mit seiner Band The Spiders From MarsMick Ronson (Gitarre), Mick „Woody“ Woodmansey (Drums) und Trevor Bolder (Bass) – bereits wieder im Studio und nahm Song um Song auf, dieses Mal mit deutlich rockigerer Ausrichtung als auf dem Vorgänger. Aufgrund dieses veritablen Songschwalls wurde die Play-List für The Rise And Fall Of … gute fünf Mal umgeschrieben und stand im März 1972 fest.

Und es konnte kaum perfekter klingen: Das langsam anschwellende Herzklopfen von Five Years zieht den Hörer gleich zu Beginn magisch in seinen Bann und berichtet vom hysterischen Treiben der Menschen, nachdem der Bericht vom bevorstehenden Weltuntergang in fünf Jahren verbreitet war. Die Spannung aus einem der besten Songs Bowies überhaupt löst sich erst im swingenden Soul Love auf, ehe Moonage Daydream Sci-Fi-Gefilde durchpflügt und verschlungen auf Stanley Kubricks Film 2001 verweist, den Bowie gerne als seine Hauptinspiration in diesen Tagen anführt („I’m a space invader, I’m a rock’n’rollin‘ bitch for you!“). Dessen ungeachtet stellt Moonage Daydream mit seinem schleppendem Groove und den sphärischen Klanggebäuden ein weiteres Highlight in Bowies Songwriting dar und im ausklingenden Solo stellt Mick Ronson sein Talent zur Schau! Mit Starman, dem Single-Vorboten und einer in seiner Mach-Art klassischen Bowie-Nummer, bleibt der interstellare Kontext erhalten. Erwartet wird einer, der durch seine Landung allen den Verstand rauben wird – eine Thematik wie man sie von den Vorgängeralben Bowies durchaus kannte, doch wird der negative Grundton auf The Rise And Fall Of Ziggy Stardust … durch ein positiveres Stimmungsbild ersetzt.

Diesem unwiderstehlichen Eröffnungsquartett bleibt durch den Ray Davies-Song I Ain‘t Easy das Krönende verwehrt. In Anbetracht der „ausgemisteten“ Nummern – „Hörenswert“ bietet sie als Bonustracks auf – stellt sich seit 40 Jahren Fans und Kritikern gleichermaßen die Frage, warum das halblustige It Ain’t Easy bleiben durfte. Umso zielsicherer eröffnet Lady Stardust – zwei Jahre zuvor für Marc Bolan geschrieben – die zweite Album-Hälfte und verlagert den inhaltlichen Fokus auf das eigentliche Thema des Albums („And he was alright, the band was all together“). Mit Star karikiert Bowie seinen eigenen Anspruch – ebenfalls Tage zuvor dem Melody Maker offenbart – bald ein ganz großer zu sein: „I could do with the money […] and I could fall asleep at night as a Rock’n’Roll Star“.

Ähnlich dem Eröffnungsfeuerwerk stellt auch das finale Quartett des Albums eine bemerkenswerte Einheit dar. Das (ebenso wie Moonage Dayfream) bereits mit Freddy Buretti als Arnold Corns aufgenommene Hang On To Yourself erfuhr ein kräftigeres Arrangement und diente Bowie während der folgenden Tour als unwiderstehlich rockender Opener, gefolgt vom Titelsong Ziggy Stardust mit seinem unverkennbaren, knarzenden Riff und der Kurzfassung des inhaltlichen Konzepts („Making love with his ego …“).

Als „last-minute-songs“ hatte Bowie Suffragette City – von Mott The Hoople zugunsten von All The Young Dudes verschmäht – und Rock’n’Roll Suicide geschrieben. Während das eine zu sattem Rock frech den Konflikt zwischen Männer- und Frauenliebe thematisiert  – „Wam bam thank you,  ma’am“ bleibt unvergleichlich – zelebriert der Schlusssong in Ronsons deftiges Streicherarrangement gebettet das scheinbar logische Ende des Rockstars.

So kraftvoll und schwerelos das Album auch heute nach 40 Jahren noch erscheint, so sehr nagten Bowies Arbeitseifer – er griff in den Folgemonaten Iggy Pop, Mott The Hoople und Lou Reed unter die Arme – und vor allem die Figur von Ziggy Stardust an ihrem Schöpfer, der immer tiefer in seine Rolle verfiel. Zudem zehrte die ausführliche 15-monatige Tournee, die David Bowie zum Superstar in Großbritannien und in den USA werden ließ, an Körper und Seele und er verfiel trotz des finalen Rock’n’Roll Suicide am 3. Juli 1973 im Hammersmith Odeon in den Folgejahren dem Kokainkonsum, der ihn mehrmals an den Rand des Lebens führten.

Anlässlich seines 40. Geburtstags präsentiert „Hörenswert – Das Radiofabrik-Album der Woche“ David Bowies The Rise And Fall OF Ziggy Stardust And The Spiders From Mars und bringt als Bonus-Tracks eine Handvoll Aufnahmen, die zum Teil in letzter Minute noch aus der Playlist des Albums genommen wurden, darunter Songperlen wie das entzückende Velvet Goldmine oder der Kracher Sweet Head, der thematisch in das Ziggy-Konzept gepasst hätte. John, I’m Only Dancing – Bowies zweifellos schwulster Song – und Mott The Hooples All The Young Dudes, mit dem Bowie der bereits aufgegebenen Band ihren größten Hit schenkte, entstanden wenige Tage nach der Veröffentlichung von Ziggy Stardust. OCB wünscht viel Spaß dabei!

Playlist (des Albums)
Five Years
Soul Love
Moonage Daydream
Starman
It Ain’t Easy
Lady Stardust
Star
Hang On To Yourself
Ziggy Stardust
Suffragette City
Rock’n’Roll Suicide

Bonus Tracks (der Sendung)
Velvet Goldmine
John I’m Only Dancing
Mott The Hoople, All The Young Dudes (Bowie On Backing Vocals)
Holy Holy
Sweet Head
Round’n’Round
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The More Or The Less, Keep Calm – OCBs Radiofabrik-Album der Woche

„Es war wirklich viel los in den letzten drei Jahren“, meint Tobias Pötzelsberger – Headmaster von The More Or The Less – auf die Frage, warum das neue Album, so viel Zeit in Anspruch genommen habe, „und außerdem sind wir Perfektionisten!“ Dass sich diese Zeit gelohnt habe, davon ist der Sänger und Songschreiber überzeugt und ein ausverkaufter ARGE-Saal zur Release-Show zeigt, dass ihm sein Publikum die Wartezeit zugestand.
In der Tat enthüllt „Keep Calm“ auf jedem seiner 11 Songs eine Fülle an ausgereiften musikalischen Ideen. Schon der Opener „Oh, Santiago“ überrascht mit deftigem Einstieg: die einst bescheidene Kombo rund um Pötzelsberger ist kräftiger und reicher an Instrumenten geworden. Auch inhaltlich gibt „Oh Santiago“, das die Angstzustände Pötzelsbergers während des Erdbebens in der Hauptstadt Chiles 2010 aufarbeitet, einen Ausblick auf die konstrastreiche Fülle der Themen: Neben sommerlicher Entspanntheit („When We Happen to Collide“), Vorfreude auf daheim („Home“) und innigster Liebe („Seven Wonders“) stehen Trennungssschmerz („Odyssey“), Krankheit („The Best (That You Can Do Now)“) und Trauer („Long Live The Queen“).
Durch hörbare Liebe zum Detail gelingt es The More Or The Less den weitgefächerten Themen im Stürmischen wie im Introspektiven feine Melodien zu entlocken. Sparsam und mit vorsichtiger Sorgfalt kleiden The More Or The Less ihre Songs in passende Arrangements. Vorbilder wie Ron Sexsmith, Teitur, Ben Gibbard (Death Cab For Cutie) und Feist sind bisweilen erkennbar. Neben traditionellem Singer/Songwritertum ist auch Platz für breite flirrende Sounds.
Selbstbewusst bietet „Keep Calm“ ein Abbild des Lebens, spiegelt das Wechselspiel von Freude und Trauer, die Gegensätze von Lust und Leiden wider, und trägt in seinem Titel auch schon das Idealrezept zur Lebensbewältigung. Dieser unprätentiösen Unmittelbarkeit des Täglichen ist auch die optische Umsetzung verhaftet: Die Panoramaaufnahme des Tennengebirges auf dem Albumcover, die an Familienfotos erinnernden Konzertplakate und das beim Baden am See von Pötzelsberger selbst gedrehte Video zu „When We Happen To Collide“ sprechen dieselbe bescheidene Sprache, wie „Keep Calm“, ein Album an dem nicht nur das österreichische Popjahr 2012 schwer vorbeikommt.

Playlist (des Albums)
Oh, Santiago
When We Happen To Collide
I Won’t Let You Down
Show Me Where Your Heart Is
Home
Mr. Undertaker
Seven Wonders
Long Live The Queen
Odyssey
Poetry And Farmer Chords
The Best (That You Can Do Now)

BonusTracks der Sendung
When We Happen To Collide
Home (beide unplugged im Götterfunk 2012)
Odyssey (unplugged 2009 bei OCBoddity)
I Will Follow You Into The Dark (Ben Gibbard, unplugged im Götterfunk 2012)

Hier zum Nachhören

PRINCE, Sign O‘ The Times – OCBs Radiofabrik-Album der Woche

Das Meisterwerk des Prinzen!
Plattenlabels sind nur selten Freunde selbstherrlicher Vielschreiber. Warner Bros. machte da bei Prince keine Ausnahme. Und so zogen sich die Meinungsverschiedenheiten und Friktionen der beiden Seiten als parallele Konstante zu Prince’ fabulösem Aufstieg durch die 80er-Jahre.

1986 rückte der umtriebige Ausnahmekönner aus Minneapolis nach dem Riesenerfolg von Purple Rain (Film und Album) und dem Riesenflop Under the Cherry Moon (der Film – das Album verkaufte sich auch durch den Superhit Kiss durchwegs gut) mit einem dreifach-Album an, das Chrystal Ball heißen sollte. Hatte Warner 1982 mit 1999 als Doppelalbum schon Bauchweh und bot kurzerhand auch eine auf eine Scheibe reduzierte Version an, war nun klar, dass sechs Albumseiten zu viel seien, um relevante Absätze erzielen zu können. Es sollte nicht die letzte Enttäuschung für Prince bleiben.
Doch er machte das Beste daraus. Fans und Kritik sind sich bis heute darin einig, dass das auf vier LP-Seiten reduzierte Album, das nun den Titel Sign O‘ The Times trägt, alles vereint, was Prince ausmachte und immer noch ausmacht. Ohne seiner bewährten Kombo The Revolution kreierte Roger Prince Nelson – so sein bürgerlicher Name – im Alleingang eine Mischung aus Funk, Rap, Pop, Jazz, Disco, Soul und Rock, die weder davor noch danach so gelungen verschmolz wie auf Sign O’ The Times und so zum Höhepunkt seiner Karriere wurde.
Schon der Titeltrack als Single-Vorbote stellt(e) mit seinem prägnanten Bass-Riff und dem dazu gehörigen Video, das in der Frühzeit der computergesteuerten Animation die  wenigen, unterkühlt vorgetragenen Textzeilen über den Bildschirm gleiten ließ, einen „Eye- and Earcatcher“ besonderer Klasse dar. Überhaupt gefällt Sign O’ The Times durch seine trockenen wuchtigen Mid-Tempo-Beats und seine oftmals angenehm sparsamen Arrangements (eine Kunst, die Prince in den folgenden Jahren zunehmend vernachlässigen sollte). Den wenigen überschwänglichen Songs (Play In The Sunshine, Slow Love, U Got The Look, I Could Never Take The Place Of Your Man) stehen die stampfenden Grooves von Housequake, It, Hot Thing, Strange Relationship) gegenüber. Zudem ragen die gedämpften Balladen (The Ballad Of Dorothy Parker, Forever In My Life) hervor.
Einige Nummern, wie das bestechende If I Was Your Girfriend, sind mit beschleunigtem Gesang aufgenommen, ein Überbleibsel des als selbständiges Album geplanten, dann von Prince selbst fallen gelassenen Projekts Camille. Als androgynes Alter Ego von Prince durch die Stimme Camilles jedoch noch ein Zeitlang herhalten. Dem Konzept entgleitend stellt das überlange It’s Gonna Be A Beautiful Night eine Reminiszenz an die ehemalige Begleitband The Revolution, aber auch den einzigen Schwachpunkt des Albums dar, ehe Prince zum Ausklang seines opus grande mit Adore quasi den Prototyp für seine zukünftigen R’n’B-Soul-Balladen ablieferte.

In starkem Kontrast zum musikalischen Füllhorn von Sign O’ The Times stehen Texte und Inhalte. Prince galt und gilt als kein großer Wortakrobat und auch auf seinem Meisterwerk drehen sich nur wenige Nummern nicht um Liebe, Lust, Begehren und Sex in all‘ seinen Schattierungen, vom One-Night-Stand (I Could Never Take The Place …) über intime Phantasien (If I Was Your Girlfriend), allgegenwärtigen Sexhunger (It) zu Treueschwur (Forever in My Life) und klischeereichen Liebesbeweisen (Adore).
Weniger variabel und facettenreich vermögen die politisch motivierten Inhalte – neben dem Titeltrack das religiös untermauerte The Cross – gewisse naiv anmutende Verkürzungen nicht zu verhehlen.
Dessen ungeachtet erreichte Sign O’ The Times rund um den Globus die obersten Platzierungen in den Albumcharts (in Österreich Nr. 2) und dem Aufruf ganz in Pfirsichfarbe und Schwarz (nach einer Zeile aus U Got The Look) zu erscheinen, folgten zahlreiche Besucher während der folgenden zweimonatigen Europatournee, wovon ein wenig später in den USA veröffentlichter Konzertfilm (sinnigerweise ebenfalls Sign O‘ The Times betitelt) zeugt.
Anlässlich seines 25. Geburtstags präsentiert „Hörenswert – Das Radiofabrik-Album der Woche“ Prince‘ Sign O‘ The Times, wobei aufgrund seiner Überlänge (ca. 80 Minuten) nicht alles Songs in der Sendung Platz finden bzw. in gekürzter Version auftauchen (siehe unten). OCB wünscht viel Spaß dabei!


PLAYLIST (des Albums)

Sign O‘ The Times
Play In The Sunshine
Housequake
The Ballad Of Dorothy Parker
It
Starfish & Coffee
Slow Love
Hot Thing
Forever In My Life
U Got The Look
If I Was Your Girlfriend
Strange Relationship
I Could Never Take The Place Of Your Man
The Cross
It’s Gonna Be A Beautiful Night
Adore

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DAVID BOWIE, Hunky Dory – OCBs Radiofabrik-Album der Woche

Als John Peel 1970 im Rahmen einer BBC-Session David Bowie bat, er möge ein paar Worte zu Space Oddity, seinem bislang größten Erfolg, sagen, korrigierte Bowie den Moderator schüchtern mit den Worten „meinem einzigen Erfolg“. Daran sollte sich auch in den nächsten Monaten nichts ändern. Bowies Alben und Singles – mit der oben erwähnten Ausnahme – waren durchgehend Flopps. Und dennoch nahm ihn RCA im Frühjahr 1971 unter Vertrag und diese Chance wollte sich der 24-jährige Bowie nicht entgehen lassen. Er stürzte sich in die Arbeit, um endlich seinen Durchbruch zu schaffen.
Nachdem er mit zwei Side-Projects unterschiedliche Erfolge erzielt hatte – Herman’s Hermits-Sänger Peter Noone erreichte mit Bowies Oh! You Pretty Things immerhin die Nr. 12 der britischen Charts, während die mit Freddi Buretti als Co-Sänger künstlich ins Leben gerufene Band Arnold Corns, der bereits sämtliche Bandmitglieder der späteren Spider From Mars angehörten, floppte – war der Fundus an aufnahmewürdigen Songs für das vierte Bowie-Album bereits im Sommer 1971 übervoll. Mit Ken Scott als Produzent und Mick Ronson als kongenialen Partner und Arrangeur begab sich Bowie ins Studio um ein für seine Verhältnisse konventionelles Album aufzunehmen. Einfache, harmonische Melodien, der verstärkte Einsatz der zwölf-saitigen Gitarre, während Ronsons kratzende Les Paul beinahe unbenutzt blieb, und das virtuose Klavierspiel Rick Wakemans, der sich wenig später gegen die Spider From Mars und für Yes entscheiden sollte, prägen das schließlich im Dezember 1971 veröffentlichte Hunky Dory.
Thematisch pendelt das Album zwischen geläufigen Bowie-Themen: Wo einerseits ein beträchtliches Maß an (vermeintlicher) Selbstsicherheit aufgetischt wird (Changes eröffnet mit „Still don‘t know what I was waiting for“ das Album), treten dahinter „Übermensch“-Phantasien hervor, wie sie schon das Vorgänger-Album The Man Who Sold The World grässlich zeichnete („You gotta make way for the homo superior“ (Oh! You Pretty Things)). Einsamkeit (Eight Line Poem), Weltvergessenheit ((Is There) Life On Mars?), Selbstzweifel („I’m sinking in the the Quicksand of my thoughts“) bis hin zu völliger seelischer Orientierungslosigkeit (The Bewlay Brothers) bilden den Gegenpol. Dazwischen stehen das freudige Kooks, das Bowie für seinen frisch geborenen Sohn Zowie – heute der umjubelte Filmemacher Duncan Jones – geschrieben hatte, das etwas übertrieben wirkende Biff-Rose-Cover Fill Your Heart und eine Menge Verneigungen vor prägenden Persönlichkeiten (Andy Warhol, Song For Bob Dylan) und großen Vorbildern: Queen Bitch als Tribut an The Velvet Underground und Lou Reed, den er als Produzent schon wenige Monate später mit dem Album Transformer und der Single Walk On The Wild Side wieder ins Rampenlicht zurückschieben sollte.
Der wohl herausragende Track auf Hunky Dory, was im amerikanischen Slang so viel heißt wie „alles paletti“, ist aber wohl das großartige Life On Mars?, das Bowie in den folgenden Jahrzehnten regelmäßig in seine Live-Programme aufnahm. Mit seiner als Auftrag erhaltenen Übersetzung des Chansons Comme d’habitude gescheitert – Paul Anka machte mit My Way das Rennen – behielt sich Bowie zumindest die Akkordfolge des Sinatra-Klassikers im Kopf und kreierte damit seine Geschichte vom traurigen „girl with the mousy hair“, das sich ins Kino begibt („… and she‘s hooked to the silver screen“) um der Trostlosigkeit des Lebens zu entkommen („Is there life on Mars?“). Ronsons stimmungsvolle Streicher-Arrangements komplettieren dabei die Erhabenheit des Songs. (Ein ähnlicher Geniestreich des bereits verstorbenen Gitarristen ist übrigens auf Lou Reeds Perfect Day zu hören.)
Aufgrund seiner Schlichtheit und der hier noch bescheidenen Attitüde Bowies zählt Hunky Dory heute zweifellos zu den Top-Alben des Pop-Genies, vielen durchaus namhaften Künstlern gilt es sogar als sein Bestes. Als es kurz vor 1972 die Läden erreichte ohne große Aufmerksamkeit zu erregen, war Bowie mit seinen Mitmusikern, die er nun Spider from Mars getauft hatte, schon längst wieder im Studio, bastelte in seiner Gedankenwelt am androgynen Superstar Ziggy Stardust und hatte daher keine Zeit Hunky Dory zu promoten. Erst im Sog des bahnbrechenden Nachfolgers (The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars) wurde auch Hunky Dory zum Top-Seller (Nr. 3 der britischen Albumcharts) und Life on Mars? 1973 von RCA, die bemerkte, dass sie nun auf ihre Rechnung kommen könnte, als Single auf den Markt geworfen (Nr. 13 der Carts).
Anlässlich seines 40. Geburtstags präsentiert „Hörenswert – Das Radiofabrik-Album der Woche“ David Bowies Hunky Dory und bringt als Bonus-Tracks eine Handvoll Aufnahmen, die es nichts auf das Album schafften, darunter das in letzter Minute noch herausgenommene Bombers, das Jacques Brèl-Cover Amsterdam und die Neuaufnahme des The Man Who Sold The World-Titels The Supermen. Und OCB wünscht viel Spaß dabei!

Playlist (des Albums)
Changes
Oh! You Pretty Things
Eight Line Poem
Life on Mars?
Kooks
Quicksand
Fill Your Heart
Andy Warhol
Song for Bob Dylan
Queen Bitch
The Bewlay Brothers

Bonus Tracks (der Sendung)
The Supermen
Bombers
Amsterdam
Looking For A Friend (Live at the Beeb)
Shadow Man (Original Version of 1971)

DAVID BOWIE: Station To Station – OCB’s Radiofabrik-Album der Woche

Station To StationZerrütteter hat man den Magischen nie gesehen als im Herbst 1975: David Bowie war zum Superstar geworden, hatte mit „Fame“ seine erste Nummer 1 in den USA abgeliefert, mit dem Bestseller-Album „Young Americans“ seine Plattenfirma glücklich gemacht und nicht weniger als sieben Studioalben in fünf Jahren fertiggestellt.
Doch zugleich mit dem großen Erfolg kamen auch die großen Verirrungen: Sein Kokain-Konsum fraß seinen bescheidenen Reichtum auf, den Rest verschlang sein Management-Unternehmen „MainMan“ um Tony DeFries und in seinem wachsenden Interesse für Okkultes und Fernöstliches war der einstmals schillernde Bowie zum blassen Dürrling verkommen, der anstelle zu schlafen lieber den verborgenen Dämonen in seinem unterkühlten Anwesen in den Hollywood Hills nachstellte, noch bevor er eine diffuse Begeisterung für Faschismus und Führerkult entwickelte.
In diesem Sumpf trieb Bowie seinem eigenen Untergang entgegen, ehe ihn Nicolas Roeg als Hauptdarsteller für sein „Außerirdischer-kommt-auf-die-Erde-und-scheitert“-Drama „The Man Who Fell To Earth“ engagierte. Damit verbunden war die Verpflichtung sich während der Dreharbeiten vom Kokain fernzuhalten. Diese Drogen-Pause sollte Bowie einerseits einen klareren Kopf ermöglichen, ihm aber auch seine Isolation und Einsamkeit im selbst gebauten Goldkäfig offenbaren: Stoff genug um sich wenig später ins Studio zu begeben und seine Begleitband mit Sätzen wie „Now I’d like to record a song [that] I haven’t written yet!“ zu konfrontieren. Und so gestalteten sich die Aufnahmearbeiten zu Station To Station. Stückwerk aus Bowies Kopf wurden zusammengesetzt bis – im Gegensatz zu bisherigen Aufnahmearbeiten – nach Wochen des Überarbeitens das heute als Meisterwerk gepriesene Album fertig war.
Station To Station“ zeigt den „Thin White Duke“, wie sich Bowie nun selbst nannte, an einer musikalischen Wegkreuzung: Der über 10-Minuten lange Titeltrack als Opener nimmt den Hörer zunächst auf eine Zugreise, bringt trocken stampfende Rhythmen, sich empor arbeitende Songteile und spricht offen an, was sich im Inneren des Meisters abspielte: „It’s not the side-effects of the cocaine, I’m thinking that it must be love – it‘s too late to be hateful!“ „Golden Years“ – schon Monate vorher als Single veröffentlicht – nimmt Anleihen am Plastic Soul des Vorgänger-Albums „Young Americans“ (1975), ehe „Word On A Wing“ in christlich-religiösem Rahmen Bowies Verlorenheit und Sehnsüchte thematisiert „Oh Lord, I’m trying hard to fit among your scheme of things!“.
TVC 15“ bringt in Honky-Tonk-Piano und „Doo-Wap“-Feeling getränkt eine Liebesgeschichte zwischen Frau und Fernseher und stellt nicht zuletzt aufgrund des verbremsten Tempos den schwächsten Track des Albums dar. Dem entgegen kracht der Funk-Rocker „Stay“ mit Killer-Riff und furiosem Gitarrensolo herein, um abermals die Liebessehnsucht des Isolierten zu untermauern. Abgeschlossen wird das nur sechs Tracks umspannende Album mit Bowies zweifellos bester Coverversion, die ihrerseits etliche Covers nach sich ziehen sollte (u.a. von Cat Power und George Michael): „Wild Is The Wind“ nimmt Nina Simones Interpretation einer alten Country-Ballade und hebt sie auf eine romantisch-erotische Ebene, zeigt Bowies zu diesem Zeitpunkt bemerkenswert ausgereifte Stimme und setzt dem Album so einen unwiderstehlichen Schlusspunkt.
Mit dem frischgepressten Album im Gepäck begab sich Bowie mit seiner genialen Band (mit Carlos Alomar, George Murray, Dennis Davis), die er für die Tour „Raw Moon“ taufte, auf die Isolar“-Tour. Im Gegensatz zu den Jahren zuvor ließ er jegliche Kostümierung und anderen Schnickschnack weg, kleidete sich in schwarz-weiß und konzentrierte sich auf der Bühne allein auf seinen Gesang. Die Reaktionen in Amerika und Europa waren ungeteilt: Der beste Bowie!
EMI legte Station To Station 2010 in verschiedensten Formaten (1 oder 3 oder 5 CDs) neu auf und ergänzte zudem das zigfach gebootlegte Konzert im Nassau Coliseum (Uniondale, NY). „Hörenswert – Das Radiofabrik-Album der Woche“ bringt sowohl Station To Station als auch einige Hörproben aus dem Live-Programm der Isolar-Tour und OCB wünscht viel Spaß dabei!


PLAYLIST des Albums

Station To Station
Golden Years
Word On A Wing
TVC 15
Stay
Wild Is The Wind
BONUSTRACKS der Sendung
Panic In Detroit
Band Intro / Changes
Word On A Wing
Stay (alle live Nassau Coliseum 1976)

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ELBOW: Build A Rocket Boys! – OCB’s Radiofabrik-Album der Woche

Insidern galten sie schon lange als die besseren Coldplay, doch mit „Build A Rocket Boys!“, dem brandaktuellen Longplayer von Elbow, dürfte es der immer mehr zur Kultband avancierenden Softrock-Kombo aus Manchester nun endgültig gelingen, ihre Position auch in kommerzieller Hinsicht zu untermauern. Das fünfte Studioalbum der Band bietet eine reizvolle Mischung aus introspektiven Texten, die Sänger und Songwriter Guy Garvey aus Kindheitserinnerungen zusammengesetzt hat, und den für Elbow typischem Wechselspiel aus kraftvollen Beats und minimalistisch, fein gesponnenen Melodien.

Auf den Spuren von Talk Talk und Radiohead verlassen Elbow die Wege des schablonenhaften Pop, leuchten Licht und Schatten aus und geben jedem Song Zeit und Raum sich zu entfalten. Schon der Opener „The Birds“ verheißt mit einer Laufzeit von über acht Minuten eine besondere Herausforderung! Highlights wie das betuliche „Lippy Kids“ – ursprünglich auch als Namensgeber des Albums gedacht – der Single-Kracher „Neat Little Row“, das wunderschöne „Jesus Is A Rochdale Girl“ oder das hymnenhafte „Open Arms“ machen „Build A Rocket Boys!“ zu einer reizvollen Reise durch postmodernes Songschaffen.

Bei all‘ dem passt es durchaus ins Bild, das Guy Garvey Mastermind Peter Gabriel zu seinen Freunden und musikalischen Mentoren zählt. Dieser hatte sich auf seinem jüngsten Coverversionen-Album „Scratch My Back“ mit zurückhaltenden Orchester-Arrangements unter anderen großen Namen auch an Elbows „Mirrorball“ versucht. Als Antwort darauf haben Elbow für das Nachfolge-Album „I Scratch Yours“ – das wohl kaum als physikalisches Album jemals erscheinen wird, da etliche Künstler u.a. David Bowie und Radiohead keine „Retourkutsche“ aufnehmen werden – den Gabriel-Klassiker „Mercy Street“ aufgenommen. Und dieses rare Zuckerl gibt es als Bonustrack bei „Hörenswert – das Radiofabrik der Woche“!

Wer sich von der Bühnenpräsenz von Elbow ein Bild machen will …
17.06.2010, Hurricane Festival (D)
18.06.2010, Southside Festival (D)
19.08.2010, FreQuency Festival

Playlist (des Albums)
The Birds
Lippy Kids
With Love
Neat Little Rows
Jesus Is A Rochdale Girl
The Night Will Always Win
High Ideals
The River
Open Arms
The Birds (reprise)
Dear Friends

BonusTrack (der Sendung)
Mercy Street (Peter Gabriel Cover for I Scratch Yours)

TALK TALK: The Colour Of Spring – OCB’s Radiofabrik Album der Woche

1986 wird zum Wendejahr der Londoner Band Talk Talk. Das sympathische Quartett um Sänger und Songschreiber Mark Hollis war in den Jahren zuvor sowohl national wie international als große Entdeckung und Hoffnung für die Pop-Zukunft gehandelt worden. Also wurden für das dritte Album zahlreiche Gastmusiker (u.a. Stevie Winwood und David Rhodes) im Studio versammelt um den hohen Erwartungen gerecht werden zu können. Und tatsächlich kann The Colour Of Spring mit einer beachtlichen Dichte an elegant produzierten Hits aufwarten.
Doch es sind die Zwischentöne und weniger vordergründigen Botschaften auf dem Album, die den weiteren Weg von Talk Talk bestimmen sollten. Schon der Opener „Happiness Is Easy“ setzt dem eröffnenden druckvollen Schlagzeugbeat spärliche Klavierbegleitung, schüchternen Kinderchorgesang und einen tief religiösen Text entgegen. Hollis‘ Stimme ist kraftvoll und weich zugleich. Aufbrausend und angriffslustig klingt sie im unwiderstehlich schnittigen „Life‘s What You Make It“, um im düster-traurigen „April 5th“ in sich zusammenzubrechen. Spätestens da wird dem Hörer klar, dass Talk Talks oder zumindest Hollis‘ Weg zum Ziel durch Tiefe, Stille und Enthaltung führt.
Die zweite Hälfte des Albums folgt einem ähnlichen Konzept, wieder bäumt sich die Musik erhaben auf („Living In Another World“), gibt klare Botschaften aus („Give It Up“), um in Zurückhaltung und Mäßigung („Chameleon Day“) zu verweilen. Der Schluss gehört dem vielschichtigen „Time It’s Time“, dessen eindrucksvolles Chorarrangement und beschwingte Flöten den Zuhörer zu versöhnen versuchen. Intensität und Ambivalenz prägen „The Colour Of Spring“, bleiben am stärksten im Gedächtnis und der Popmeilenstein hat auch 25 Jahre später noch nichts von seiner wegweisenden Aussage verloren


PLAYLIST des Albums

Happiness Is Easy
I Don’t believe In You
Life’s What You Make It
April 5th
Living In Another World
Give It Up
Chameleon Day
Time It’s Time
BONUSTRACKS der Sendung
Pictures Of Bernadette
What It’s Worth
It’s Getting Late In The Evening

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