Allerleih Raunacht

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 13. Dezember (Teil 1) sowie Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 13. Dezember (Teil 2) – Heiliger Bimbam! Was für eine Reise! Quer durch den Gemütsgarten des Adventskrampfs vom Nikolausi bis zum Weinachteln – dann noch nach Silbvesper, nach Neu-Ja und Dreigönning, da verrutscht selbst das rauheste Haus der Nacht in die Allerleih. Denn zu dieser unserer (nun schon) 9. Dezembriade haben wir illustre Gäst*innen aus Wort und Bild eingeladen, uns einige ihrer Werke zur Gestaltung der Sendung anzuvertrauen. Wir leihen uns sozusagen allerlei Kunnst für unsere Themencollage aus – so entsteht Allerleih. Wir lesen Textbeiträge von Salzburger Autor*innen und präsentieren ausgewählte “Glimpfungen” von Helmut Xö. Dafür bedanken wir uns ausgesprochen saftig – speziell bei der SAG sowie bei Helmut Xö (Facebookprofil).

Orkanspende zur Rauhnacht“Here comes two of you. Which one will you choose?” Dieses legendäre Zitat aus dem Velvet-Underground-Cover von Bettie Serveert ist in der diesjährigen Signation gut zu hören. Und auch einige Zitate aus unseren bisherigen adventdezemberischen “Perlentaucher-Nachtfahrereien” seien allhier angefügt. So etwa aus dem Artikel zum Weihnachtsfeuer von 2016: “Ob Advent oder Event, Kranz oder Krampf – Kerzen sind nicht zum Scherzen, wiewohl es mannigfach Gründe fürs Anzünden geben mag. Und fürs Aufregen, in Zeiten wie diesen, wo eine derartige Vollverdodlung um sich greift, dass bald auch die Schneeräumung mit dem Laubbläser erfolgt. Halleluja! Was ganz oben sitzt und allen auf den Kopf scheißt, das ist in jedem Fall ein Arschloch, ganz egal welche Weltanschauklung, Religwution oder Idiotlogie es auch immer vertritt. Auf den Kopf scheißen ist niemals gut.” Oder wie Georg Kreisler sagte: “Jede Macht ist falsch.“

Allerleih Coca-Coala“I have my books and my poetry to protect me.” Von wegen “Niemand ist eine Insel”. Simon & Garfunkel bringen die Selbstverteidigung in Zeiten zwischenmenschlichster Betriebsamkeit auf den Punkt: “I am a rock. I am an island.” Dazu die Gedanken der Inselstifter aus dem Café Unstet (2015) mitten im Mittelmaßmeer der organisierten Durchnittlichkeit: “Gewähren wir einander doch Unterschlupf – an den Ufern unserer einstweilenen Zwischenweltinseln – und wenns nur für heut Nacht ist. Begleitet von Boker Tov Iran sowie No No Keshagesh winken wir euch zum Abschied noch einmal nach und wünschen viel Glück beim Selbstsein – im Wortschwall des Weltblabla!! Doch Augenblick mal – was sind das für verwegene Verrückte, die da am Lampedusa-Lagerfeuer noch lang nach der EU-amtlichen Sperrstund Musik machen und Herz und Hirn für die Freiheit der Verfolgten hinhalten?” Entsetzliche Klischees mit Häschen.

Allerleih Punk Ratius“Ein Faustschlag ins Gesicht der Pietät gehört zu den Taten, ohne welche man nicht von der Schürze der Mutter loskommt.” Meditiert einmal gründlich über diesen Satz von Hermann Hesse, enthalten im Album “Hesse Between Music“. “Hofft eigentlich heute noch wer auf sowas wie eine flächendeckende Volkserleuchtung? Oder befinden wir uns inzwischen alle im Zeitalter individualisierter Erkenntnis? In dem uns zwar noch gelegentlich ein Licht aufgeht, wir aber längst nicht mehr bemerken, dass wir alle Teil einer perfickten Weihnachtsdekoration sind? “So muss Weltherrschaft!” Und der Letzte macht das Licht aus. Nichtsdestodessen oder aber auch hinwiedertrotz: Frieden auf Erden und den Menschenähnlichen was Nettes ohne Konsumzwang. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ruft ja nicht zum heldenhaften Helfen auf, sondern zum sich Hineinversetzen in die Lage des Bedürftigen.” Auf der Suche nach dem Licht (2017)

Allerleih Schal und Rauch“Er wüsste wie er geht, der letzte Beweis. Von oben fliegt die Erde einen elliptischen Kreis.” Diese Passage aus dem lieblichen Lied “Sie mögen sich” (ausgefuchste Animation!) von Shaban & Käptn Peng beschließt nun diese erste Etappe der musikliterarischen Gefühlsweltreise. Die zweite gibts als buntes Allerleih: “Alles schläft, einsam wacht – bist du da? Was wird sein am anderen Ende der Nacht, wenn du dir begegnest, gleichsam beschenkt und entblößt? Hast du Angst vor dem Schweigen des Lärms, vor dem Gähnen des Abgrunds, vor dir selbst? Hast du Lust, dich zu spüren und in ein neues Jahr zu springen, einen neuen Tanz zu vollführen, ein neues Bild anzufangen, mit einer neuen Idee ins Bett zu gehen, die dich liebkost – und die du danach nie mehr vergessen kannst? Was also macht diese Nacht mit dir, was machst du mit ihr? Wer bist du – in deiner eigenen Zeit, wenn du sie dir selbst schenkst?”

Christgsindlmarkt (2012)

Und jetzt? Allerleih Rausch!

 

Bemannte Traumfahrt

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Oktober – Der Traum ein Leben oder Das Leben ein Traum? Wer Visionen hat, soll halt zum Arzt gehen. Echt? Bei den meisten Ärzten wird das heut nix mehr. Fragen sie den Ethnobotaniker ihres Vertrauens. Raumfahrt, Traumfahrt, ist das nicht ein höchst flacher Wortwitz? Dessen Entdeckung geht auf meinen Jugendfreund Martin Wilflingseder zurück, mit dem ich auch einmal kurz das Aufbaugymnasium zu Horn teilte. Seine Eigenart, in Gedanken versunken über die Stiege zu schweben, trug ihm den Ausruf: “Heast, do kummt da Traumfoara!” ein. Damals wirkte das wie ein hilfloses Bespötteln des Andersartigen. Doch heute, viele Reisen danach, kann ich dem Begriff des “Psychonauten” einiges mehr an Bedeutung abgewinnen. Das ist auch der Ausgangspunkt dieser Sendung…

Bemannte Traumfahrt 1Beginnen wir also am Anfang. Doch wo ist der? Und was fängt wann an – und für wen? Ein Mensch beginnt womöglich genau dort seine Reise, wo sie für einen anderen endet. Und für einen dritten gibt es diese Reise überhaupt nicht. Wie bereits Fred Sinowatz bemerkte: “Das alles ist sehr kompliziert.” Apropos Watz, der weltbekannte österreichische Philosoph und Psychologe Paul Watzlawick erklärt (als radikaler Konstruktivist) das Entstehen von verschiedenen Wirklichkeiten durch Kommunikation. Auch das alles ist sehr kompliziert. Ich habe mich vor Jahren damit beschäftigt – und dabei immer so ein ungutes Gefühl gehabt. Die Ergebnisse seiner Grundlagenforschung dienen mittlerweile (wie vieles andere auch) der weltweiten Massenpsychose einer gefickt eingeschädelten “Realität”. Das muss man dem Mann nicht vorwerfen – aber er soll seinen Hammer behalten!

TraumfahrtLassen wir die von den Realitätern (und -innen!) der Macht hergestellte “objektive Wirklichkeit” einmal beiseite, dann öffnen sich uns unendliche Welten, Seinsweisen, Möglichkeitsformen – und Phantasien. Bei der Kunnst gibt es kein Richtig oder Falsch, bestenfalls Geld oder nicht, doch darauf sei geschissen. “I have a dream!” rief Martin Luther King – und ließ sich sogleich seine berühmte Rede urheberrechtlich schützen. Seis drum, es geht zuerst um einen Traum. Es geht um eine Vision, es geht um eine Vorstellung davon, wie etwas sein könnte. Das ist Kunnst, wenn man sie mit zwei N schreibt. Das ist Kreativität, Perspektive, TraumfahrtDas ist Ziegenfisch. Zeitlose Momentaufnahme einer Schöpfung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich. Lyrik und Poesie. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Ein roter Faden. Viele rote Fäden. Der springende Punkt – eine Linie. Viele Linien. Klänge, Gedichte, Musik. Weltbeschreibung. Gefühl. Das reißt einen aus dem Alltag. Das flirrt, wirbelt, sprudelt. Das befreit, erlöst, enthebt einen (und eine, und *). Das belebt. Und macht Mut, anders zu sein als allgemein.

Bemannte Traumfahrt 3Es gibt zahllose Wirklichkeiten und doch eine Menge Menschenleute, die einfach glauben, was ihnen “von oben” vorgesetzt wird. Dass es aber überhaupt (in der Gesellschaft, nicht in der Geographie) ein Oben und ein Unten gibt, ist das ein Naturgesetz? Oder sollte man das nicht zumindest hinterfragen? Wenn man es nämlich zu Ende denkt, dann kommt etwas unheimlich Vertrautes heraus: “Die da oben werden immer reicher – und wir müssen dafür arbeiten.” Oder noch schlimmer: “Die da oben regieren die Welt – und wir müssen den ganzen Dreck fressen, den sie verursachen.” Und die vielfach beklagte Gestaltungsimpotenz dieser Regierenden führt zwangsläufig dazu, dass alles so weiter geht wie bisher. Worauf wir alle (die da oben und die da unten) an Ressourcenkrieg UND Weltzerstörung zugrunde gehen. Sollten da nicht diejenigen, die KEINE Visionen haben, dringend zum Arzt gehen?

Die Bühnenfotos vom Traumzeitprediger Peter Garrett (Midnight Oil) stammen sämtlich von Thesupermat, der sie lieberweise unter CC BY-SA 4.0 veröffentlicht hat.

 

Im Seppdämmer

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. September – Und um es gleich vorweg zu sagen, auch wir haben das Heilkraut gegen die Dummheit noch nicht entdeckt. Womöglich aber ein Sprachspiel gegen die Langeweile, das hilft ja immerhin, wenn das Land dauerhaft im Seppdämmer versinkt. Denn wer die Wahl hat, hat fürwahr die Qual, liebe privilegierte Demokradings. Bumms! Der Vorschlag war ursprünglich, eine Sendung “über die Depperten” zu machen, doch dem wollte ich meine Zeit nicht auch noch im Radio widmen, wo sowieso schon von überallher die Verflachbildung in unsere Sinne streamt. Da wollte ich mich eher stimmungsvoll dem Herbstdämmern zuwenden als der Nationalratswahl, dem Rupertikirtag oder sonst einer bizarren Manifestation unserer deppokratischen Seppublik

Im Seppdämmer BimbamUnlängst prägte ich eine nette Metapher für brutales Kopfweh: “Wie wenn dir drei blecherne Duracellaffen dauernd auf die Glocken hauen.” Und wenn ich dem ansonst genialen Gerhard Bronner eins nachtragen muss, dann dieses furchtbare Bimbam mit der Marianne Mendt. Pop ist eben oft auch Lärmbelästigung. Der Easy-Listening-Sound fürs “breite Publikum” kombiniert mit leicht angederbtem Schlagertext – so macht man Kohle im Regionalprogramm. Oder im Bierzelt. Es ist dieselbe Methode, mit der auch sonst Politik gemacht und Gewinn erzielt wird, wenn die Marketingstrategen “dem Volk aufs Maul schauen” um ihre Trottelwerbung zu verkaufen. Masse und Matsch. Was kommt dabei heraus? “Eimer, der unsere Sprache spricht” oder der Präsident der U.S.A. Derartige manipulative Volksverblödung ist inzwischen ein weltweites Phänomen und seine Zielgruppe Bevölkerung wächst und wächst und…

Eimer der unsere Sprache sprichtDie Depperten geben mir einfach keine Ruh – und werden auch nicht weniger. Im September beginnt der Herbst mit all seiner Schönheit und Depression. Im Seppdämmer der Zustand des Weiterwurstelns trotz besseren Wissens. Und wie meine Fußpflegerin zu sagen pflegt: “Die meisten Leute wollen nichts wissen, die wollen lieber an etwas glauben.” Oder wie es die Erste Allgemeine Verunsicherung in Dummheit an die Macht!” hellsichtig ausdrückt: “Die Dummheit die tut weh – im Reich der Idioten ist blöd sein zwar erlaubt – doch Rauchen verboten.” Aber auch dieses Klangbeispiel zum Thema angewandter Schwachsinn werden wir in unserer Sendung NICHT spielen. Es soll ja wenigstens zum Trost und immerhin auch um den Übergang von der Helligkeit zur Düsternis gehen. “Out of the Light – Into the Dark” kann man das zur Jahreszeit passend nennen. Und dazu gibt es in unserer Soundauswahl einiges an Erhörtem

Im Seppdämmer Verwirrung“Niemand hat die Absicht, das Volk zu verwirren.” Das ist aber schön! Da können wir ja jetzt eine ganz entspannte Sendung über den Wechsel der Lichtverhältnisse machen, aus wohliger Distanz dem Sepp beim Dämmern beiwohnen und auch sonst den Herrgott einen guten Hampelmann sein lassen… Kasperl eini, Kasperl außi, wenn niemand unlautere Absichten hegt, dann wird alles gut ausgehen und wir müssen uns keine Sorgen über den Fortbestand des Lebens machen. Je oben, desto gut meint man es mit uns, wunderbar! Es lebe die uns in den Kopf gemachte Füllung, egal ob Schaumstoff, Werbung oder Religion. Hinterhalt wird zum Inhalt und wir zerfreuen uns platzend, wenn sich was tut. Quadratisch, praktisch, gut. Im Glasperlenspiel spiegelnd verweilen wir inmitten der letzten Reste Natur. Im Schutz unserer Schutzgebiete. Und draußen versinkt röchelnd das Licht im Seppdämmer

 

Wallfahrt nach St. Moloch

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. August – Einmal frei nach Sven Regener: Am Fenster fliegt eine Präsidentin vorbei – da kommt jede Hilfe zu spät.” Es ist wieder soweit, draußen vor der Tür wüten die Salzburger Festspiele, diese alljährliche Heimsuchung der ohnehin schon unter Massentourismus und Kommerztrotteltum ächzenden Einwohnerschaft. Diese perverse Wallfahrt von Wohlstand und Wichtigsein zum Hochamt ihrer vorgeblichen Bedeutsamkeit… Wer schafft das Unrecht auf der Welt? Eben. Wir schaffen da lieber unsere eigenes. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurück gefestspielt. Drei Stunden Möglichkeitsform und kritische Phantasie gegen das Hergebrachte, scheinbar Gottgegebene und zum Überobertum Aufgeblasene. Und auch wenns wehtut: Jedermann muss sterben!

Wallfahrt nach St. Moloch - Die schwarze EminenzNicht, dass wir uns falsch verstehen: Theaterkunst auf höchstem Niveau ist eine schöne Sache, die wir sehr zu schätzen wissen. Vielleicht ganz besonders, wenn sie dort stattfindet, wo wir zuhause sind. Unerträglich ist nur die übersteigerte Dominanz, mit der die Kriegsgewinnler ihres Kulturmarkts diese Stadt Jahr für Jahr zernutzen. Dann gibts hier nur noch selbstfahrende PR-Roboter, rechtgläubige Prediger sowie öde Hofberichterstatter eines hochfürstlichen Staatsspektakels in einem zeitgemäßen demokratischen Kostüm. Es ist dieser totale Absolutheitsanspruch, der aufgrund seiner Verwandtschaft mit religiösem Fanatismus und staatlicher Willkürherrschaft so dermaßen schlecht riecht. Es ist diese unhinterfragbare Selbstverständlichkeit, mit der sämtliche Lebensbereiche des Stadtsommers dem heiligen Zweckfestival untergeordnet werden, die in ihrer angemaßten Allmächtigkeit so sehr nach Diktatur stinkt, dass einem als außenstehendem Beobachter schlicht schlecht werden muss.

Wallfahrt nach St. Moloch - Jedermann reloadedDemgemäß unser Titel “Wallfahrt nach St. Moloch”, in welchem die katholische Unterwürfigkeit mit dem herrschenden Gottesdienst des Menschenopfers verschmilzt. Wir basteln uns selbst Festspiele, nicht nach verordnetem Geschmack oder bildungsbürgerlichem Kanon des Herzigen und Putzigen. Scheiß doch auf die Programmwichtel der Mussbarkeit! Was wäre nicht alles vorstellbar – allein schon mit dem im Fundus längst Vorhandenen? Jedermann Reloaded – von Philipp Hochmair und der Elektrohand Gottes. “Der aberwitzigste Dreck” (Karl Kraus) hier einmal nicht als Cash-Cow der Festspiele sondern als Rockperformance. Endlich eine Erlösung aus dem bereits 99-mal wiedergekäuten Knüttelgevers vom Domplatz der Eitelkeiten. Sogar die (inzwischen wieder abgesetzte, warum wohl?) Crouch-Mertes-Inszenierung hätte ja gewisse (wenn auch zaghafte) Innovationen angedeutet. Aber nichts da, bei uns in Salzklappersdorf bleibt alles so, wie man glaubt, es am besten verkaufen zu können.

Wallfahrt nach St. Moloch - Sound Of MusicWomit wir beim ungeschriebensten aller Glaubens-Gesätze angelangt wären: Der nie ausgesprochenen Verpflichtung, alles diese Stadt und vor allem ihre Festspiele betreffende immer und überall beeindruckend und großartig und konkurrenzlos wunderbar zu finden, selbst wenn dies tatsächlich nicht der Fall sein sollte. Jede Zuwiderhandlung wird mit Ausschluss aus der Anstalt bestraftmit Ignoriertwerden bis der soziale Tod eintritt. Ein durch und durch menschenverachtendes Bigott-Kompott. Doch die weltweite Wallfahrt fährt ungestört fort – und Eliten wie Hordioten pilgern nach Salzburg, der Stadt der falschen Fassaden und des “schönen” Scheins. Und die Chefpropagandistin der fetten Fetzenspiele sagt dazu brav ihr Sprüchlein auf: “Der Sinn der Festspiele – der Gründungsmythos war ein Friedensprojekt nach dem ersten Weltkrieg – schöner und gleichzeitig aktueller gehts nicht.” Damit fliegt sie auch tatsächlich am Fenster vorbei, denn wir haben dazu noch ganz was anderes gehört:

“Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die den Krieg führt, und wir gewinnen ihn auch.” Sagt immerhin Warren Buffett, der weltweit drittreichste Milliardär. Die Festspiele mögen beginnen. Jeedeermaaann!

 

Das große Rauschen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli – Ringsum nichts als Rauschen und im Kopf der Tinnitus. Die Summe aller Signale und Informationen, die sich zunehmend gleichzeits ins Gehirn multiplizieren und in ihrer gegenseitigen Überlagerung einen undurchdringbaren Brei bilden. Lärm, Logorrhoe, semantischer Gatsch, Marketingdong, Bejinglegebell, Radio BILLA – in meinem Kopf toben zwölf blecherne Duracellaffen – und hören nimmermehr auf. Das mentale Zustandsbild des durchschnittlichen Konsumdeppen (und der Deppin selbstauch) entspricht so ziemlich der Zugeschissenheit des Planeten. Das gilt leider nicht nur für die Mithupfer und Gernknödel, sondern auch für alle Ruhebedürftigen und Verweiglinge. Denn in uns und um uns lagern sich der Industriemüll und seine Zerfallsprodukte gnadenlos ab.

Rauschen kann tödlich seinIn unseren Sendungen geht es dabei meist nicht um den Abfall in der Außenwelt, also die Zerstörung der uns umgebenden Natur durch rücksichtsloses und profitgieriges Ausplündern der Erde, was für sich genommen schon lebensgefährlich genug ist. “Die Menschheit schafft sich ab” heißt es demgemäß auch bei Harald Lesch. Wir jedoch sind Trüffelhasen hier im Medienwald und widmen unser Gespür mehr den Innenwelten und deren Zuständen. Weil wir ja “nach Perlen tauchen” in diesen trüben Gewässern des Konsum-, Leistungs- und Wegwerfschwindels. Genau da zeigt sich das wahre Unwesen dieser Zuvielisation, die sich zwar Kultur nennt, in Wirklichkeit jedoch nichts anderes ist als Verstopfung. Die sogenannte “Informationsgesellschaft” erzeugt eine fortwährende Anhäufung von immer noch mehr nicht mehr abbaubaren Überresten ihrer eigenen Behauptung. Meinungsvielflat, Übelforderung und Wahlfeilheit. Flächendeckendes Rauschen

Rauschen verbotenInmitten dieser Schlammlawine an Reizüberflut und Signalstörerei, ganz zu schweigen vom stetigen Beschwallertwerden mit Umpfz und lauthalsem Schas, stiften wir eine Insel, die dem Untergang im Kommerz nach wie vor widersteht. Erhört, erlesen und erbaulich sind unsere Beutestücke des täg- und nächtlichen Überlebens im Sumpf umbrandender Zergrunzung. Wir mögen ihm nicht entrinnen, dem Technolügietsunami der depperten Massenzucht, aaaber wir geben niemals auf, ein kleines gallisches Dorf zu sein, mit unserer ganz eigenen Weltsicht und Lebensart. Zaubertrank hin oder her, soviel steht für uns fest: Die spinnen, die Römer! Und deshalb laden wir auch alle Menschen guten Willens auf unsere Überlebensinsel ein, denn wie schon der bekannte Druide Peter Gabriel einst vorhersah: “If again the seas are silent, in any still alive – it’ll be those who gave their island to survive.” Here comes the Flood – und wir basteln uns eine Hoffnung.

Rauschen vermindert ihre FurchtbarkeitVerklebt, verschleimt, verschroben, beplempert, waach, zerschleunigt, Zeitraffer, Zeitlupe, Zeiz, zeränderte Geschwindligkeit, YouTuba, Masse und Matsch, Mein Krampf, döppelte der Gottelbock, Wien : Hendlplatz, Volkszornbrot, Unz, Untenhaltung, Untengack, unzerm Wetterbercht, Börsendoofer, Red ned so an Bull, Fußbad, Fußblah, panta rhei, Quod licet Jovi non olet – oder einfach nur Bestelln

Baby lass uns was zusamm bestelln
Baby lass uns zusamm was bestelln
Baby lass uns was bestelln zusamm
dass wir dann hinterher was zusamm bestellt ham

Hörst du es schon rauschen?

 

Peter Gabriel Message

> Sendung(en): Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Juni (Erster Teil) UND Perlentaucher Nachtfahrt vom Samstag, 15. Juni (Zweiter Teil) – Es begann alles damit, dass der Hase dem Hund ein Stöckchen zuwarf: “Machen wir doch mal eine Nachtfahrt-Sendung NUR über Peter Gabriel.” Anfangs war ich darob eher reserviert, zumal wir just diesem Künstler bereits einige Stunden an Sendezeit gewidmet hatten (so etwa im Artarium oder auch in der Nachtfahrt in Gestalt eines ganzen Konzerts). Doch dann packte mich schleichend die Neugier, ob es denn möglich sein könnte, ein musikalisches Lebenswerk, das immerhin 5 Jahrzehnte umfasst, in chronologischer Form so unterhaltsam aufzubereiten, dass es in unser spontanistisches Livekonzept passt. Als ich dann noch vom Anlass dieses Zuwurfs erfuhr (ein Kollege meinte: “Ja, Peter Gabriel, das ist so 80er-Jahre-Pop.”), gab es kein Halten mehr. Also, nimm das:

Peter Gabriel 1978Im Jahr 1967 gründete der damals 17-jährige Gabriel zusammen mit einigen Schulfreunden jene Band, die bald schon unter dem Namen Genesis bekannt werden und das Genre des Progressive Rock in den frühen 70ern entscheidend mitprägen sollte. Allerdings waren ihre ersten Veröffentlichungen noch einfache Beat-Nummern im Stil der damaligen Zeit, so wie man das auf ihrem Debutalbum “From Genesis to Revelation” deutlich hören kann. Doch schon bald vertiefte sich das (damals noch) Quintett in sehr viel komplexere Arrangements und experimentierte mit Tontechnik und Bühnenshow, wozu 1970 der Einstieg von Phil Collins (als herausragender Schlagzeuger) einiges beitrug. Der Höhepunkt ihres gemeinsamen Schaffens war sicher das Konzeptalbum “The Lamb lies down on Broadway”, das speziell durch seine Livedarbietungen als progressiv-psychedelisches Opus Magnum der Peter-Gabriel-Ära von Genesis in die Geschichte einging. Nach diesem Welterfolg kam es (aus diversen persönlichen Gründen) zur Trennung und der nunmehr Ex-Frontman begann seine Solokarriere.

Peter Gabriel 1983Naturgemäß produzierte er in den darauffolgenden Jahrzehnten auch einiges an gefälligem Pop (damit ließ sich das nötige Geld verdienen), doch war das eben bei weitem nicht alles, was der als Slow-Worker und Soundtüftler berüchtigte Meister des Surrealen auf die Welt brachte. Unbestreitbar bleibt, dass es zwei seiner Hervorbringungen waren, die das Phänomen des 80er Jahre Pop nachhaltig prägten: Zum einen die (ziemlich zufällige) Entdeckung des Gated Reverb, der schließlich den charakteristischen Sound der ganzen Dekade begründete. Ein Beispiel aus dem kommerziellen Mainstream ist der James-Bond-Titelsong “A View to a Kill” von Duran Duran, ein weiteres aus Peter Gabriels eigenem Werk (als Vergleich) ist “Intruder” (vom 3. Soloalbum). Und zum anderen die äußerst innovative Ästhetik seines Hit-Videos“Sledgehammer”, das von MTV damals rauf und runter gespielt wurde und (unter anderem dadurch) inzwischen schon sowas von totgerumpelt ist. Doch vertraut uns – wir spielen es (wahrscheinlich) nicht – wir holen lieber Raritäten aus dem Musikfundus, die man so nicht so kennt…

Peter Gabriel 1994Dazu werden wir Songtexte und Passagen aus Interviews in dem Deutsch übersetzen sowie einige Anekdoten erzählen. So wie die hier, die ich unlängst im Rolling Stone Magazine aufstöberte – und die etwas über sein Verhältnis zu Drogenkonsum und Phantasie ausdrückt. Unter vielem anderen. Ein Künstler, der etwas schaffen MUSS, weil es ihn sonst zerreißt. Ein Mensch, der so lebhaft träumt, dass er lieber kein LSD nimmt, weil es ihm sonst zuviel werden könnte. Ein kreativer Geist, der einerseits von allem um ihn herum angeregt und begeistert sein kann und daraus spontan eine Idee nach der anderen gebiert – und der zum anderen an einzelnen Werkstücken wie Sounds, Songs oder Inszenierungen über Jahre hinweg herumfeilt, bis daraus wieder ganz neue Arbeiten entstehen. Wir sind jedenfalls ungemein dankbar für diesen so reichhaltigen, überbordenden und vielschichtigen Kosmos an Erscheinungsformen, den uns Meister Musentanz da über die Zeitalter hinweg zur Verfügung gestellt hat – und bedienen uns gern hemmungslos daraus, ganz im Sinne seines Schöpfers, Amen.

Peter Gabriel 2010Es überrascht uns auch nicht, dass sein jüngster Soundtrack-Beitrag ausgerechnet zum Oliver-Stone-Film “Snowden” erfolgte, nämlich das Lied “The Veil”. Gut zu hören:

Let it all go set it all free
You let the whole wide world see
Exactly what is going on
Exactly who was looking on
Theres no safe place to go
Now you’ve let that whistle blow
Show exactly what is going on
Show exactly who was looking on
Some say youre a patriot
Some call you a sile
An American hero
Or a traitor that deserves to die
In the heart of the free world
In the home of the brave
You gave up everything
To bring down the veil

Hier gibts noch eine gute dokumentarische Zusammenfassung seiner Arbeitsweise.

 

Auf den Kopf geschissen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. MaiMüssen wir den Umstand des “von oben herab bestoffwechselt werdens” denn wirklich so drastisch darstellen? Ja, unbedingt müssen wir das! Wo sich Thomas Bernhard noch vornehm zurückgehalten (der alte Untertreibungskünstler) und sich etwa in Wittgensteins Neffe “auf den Kopf machen lassen hat”, da können wir angeriechs derzeitigen politischen Würsteltums nicht anders, als explizit von beschissen, geschissen und verschissen ein Reden zu sein. Wollten wir die herrschenden Zuständ weiter be- und verdichten, so müssten wir wohl bald auch zerschissen sagen. Der auslösende Anlass zu dieser Sendung und ihrem Titelen war jedoch die Kreuzigungsgruppe von Alfred Hrdlicka, welche inzwischen auf sehr spezielle Weise diesen Grundgedanken versinnbildlicht.

Auf den Kopf geschissen 1Ein Künstler ist eben immer auch Prophet, der weithin unbemerkte gesellschaftliche Entwicklungen feinfühlig vorweg wahrnimmt und diese in seiner Arbeit ausdrückt. Ursprünglich waren die Skulpturen für einen Neubau der Salzburger Polizeidirektion gedacht gewesen, doch der damalige Polizeidirektor verhinderte solch eine Zumutung des hinterfragenden Denkens im Weichbild “seiner” Behörde. Dafür steht dort heute ein wirrer Haufen mutmaßlicher Mikadostäbchen herum. Was uns der Künstler wohl damit sagen will? “Wer sich zuerst bewegt hat verloren” vielleicht. Die Kreuzigungsgruppe jedenfalls wurde hinter der Naturwissenschaftlichen Fakultät aufgestellt, wo auch sehr viele Vögel unterwegs sind. Und die haben den drei Figuren in all den Jahren ordentlich auf den Kopf geschissen, was unserem Sendungstitel ja nur recht sein kann. Denn von oben herab kommt meist Scheißdreck übers Volk…

Küssdiehandke!

Auf den Kopf geschissen 2Und wie verschissen sie dann sind. Kunst dient nicht der Verklärung von Herrschaft und Hierarchie. Da wäre sie ja bloßes behübschendes Auftragshandwerk. Vielmehr muss Kunst der Anstiftung zum Denken und Empfinden dienen, und das all jenen gegenüber, die ihr ausgesetzt sind. Womit wir auch geklärt hätten, was Kunst ist – und was weg kann. Folglich wollen wir wieder einmal die Sprachkunst von Ernst Jandl feiern, aus der mannigfache Anregungen zum kreativen Umgang mit der eigenen herrühren: neunzehnscheißhundertsiebenundsiebzigscheiß
scheißneunzehnhundertscheißachtundscheißsiebzigscheiß
so es sein aufbauen sich der scheißen leben
schrittenweizen hären von den den geburten
und sein es doch wahrlich zum tot-scheißen

aus Ernst Jandl – Von Zeiten

Auf den Kopf geschissen 3“Gehns doch hin und lernens aus der Geschichte!“ Was könnten wir aus einer Geschichtsschreibung der jeweiligen Sieger denn lernen? Dass jedwede “Herrschaft” ihren Untertanen immer von oben herab auf den Kopf scheißt zum Beispiel. Manche dieser “Herrschaften” sind dabei so niveaulos, dass man meint, sie hätten einem von unten herab auf den Kopf geschissen. Wie man es auch dreht und wendet, es fällt doch auf, dass sich Regierung und Schwerkraft nicht zum Wohl aller auswirken. Das erkennt jedes Kind, das schon einmal eine Dokumentation über in Bäumen brütende Vögel gesehen hat. Da sind auch immer die in den unteren Etagen die Bekleckerten. Es kichert leis der Attentäter,
noch unentdeckt sind all die Toten,
das ist die Zeit der Irren und Idioten.

Erich Schmeckenbecher (Zupfgeigenhansel) – Wahnsinn im Mai (H. E. Wenzel)

 

Im Buchstabensumpf

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. AprilSprache und Sumpf bilden ohnehin längst einen Themenkreis, dem wir uns immer wieder hingebungsvoll widmen Masse und Matsch einen weiteren, Morast und Musik, Schleim, Schlamm und Schlaues aus den unendlichen Weiten der Hoch-, Huch-, sowie Popkultur. Das mag eine gewisse Nähe zu Sendungen wie “Im Sumpf” (auf FM4) nahelegen, zumal die wackeren Kollegen dortselbst schon des längeren den Untertitel “Im Morast nach popkulturellen Perlen tauchen” im Schilde führen. Was uns verbindet, das ist wohl das Prinzip des Strandpiratentums und das aus diesem entstehende Sammelsurium an Angeschwemmtem, Aufgetauchtem und zu gefälligem Gebrauch Entschlammtem. Im Buchstabensumpf allerdings wird jedes Sprach zur Schreibeund umgekehrt.

Buchstabensumpf 1Denn wovon sein wird ein Reden, dafür genügt des Mutters Sprach. Und wie verschieden sie dann sind. Wem gehört Gehörtes? Damit kann Oral Hysterie (oder wie das heißt) betrieben werden, bis die Münder wund sind und die Ohren klingeln. Doch um auf das zu schreiben (das aufzuschreiben), braucht das Volk der Alphabeten einen Setzkasten. Oder halt ein Sackerl Buchstaben. Wohin uns das diesmal führen wird? In den Buchstabensumpf, in dem wir alle sitzen und schwitzen, wenn wir sprechen und schreiben. Vor allem aber, wenn wir achtsam darauf hören, was da ringsumher so alles geblökt, gegrunzt, gemöamelt und gehupfdudelt wird. Mussen wir also dem Deutschen Sprach schutzen vor dem schleichenden Niedergack? Wer selbige etwa zu umpfen Parolen wie “Daham statt Islam” erniedrigt, hat sich jedenfalls zum Thema “Deutsche Kultur” für immer selbst disqualifiziert. Im Namen des Guten, Wahren und Schönen ergeht folgendes Urteil: Lebenslänglich nur mehr Buchstabennudelsuppe.

Buchstabensumpf 2Viel lieblicher geht es in unserem Nachbarland Schweiz zur Sprachsache. Dort empfindet man beispielsweise das sogenannte Hochdeutsch (speziell seit den zwei Weltkriegen) als eine Art unangenehme Einmischung von außen. Statt dessen pflegt man die zahllosen Unterarten des gemeinhin als Schwyzerdütsch bezeichneten Dialektkonglomerats bis sehr weit hinein in die Musikindustrie und die öffentlich-rechtlichen Medien. Und man schreibt das alles dann auch noch so, wie man es spricht! Und zwar mit (fast genau) denselben Buchstaben wie unsereins. Das von uns geliebte “ß” kommt dort nicht vor. Aber sonst… Spüren wir doch einmal hinein in diese Wortwelt und Mundart, die wir oft kaum verstehen (und die bei SRF-Nachrichten oft zu “schriftdeutschen” Untertiteln führt). Und auch zum schönen Umstand, dass Hip-Hop aus der Schweiz nur im seltensten Fall so scheiße klingt wie irgendein amerikanoider Aufguss. Dies vorzuführen haben wir die schweizweit bekannte Rapperin Steff la Cheffe in unsere Playlist eingestreut. Da macht bei weitem nicht nur der Dialekt den Unterschied, sondern auch ihre Beats!

Buchstabensumpf 3So ein Buchstabensumpf ohne “Himbeergschtrüpp” ist vorstellbar – aber nicht zielführend. So wie eine Buchstabennudelsuppe ohne eine zugehörige Suppenkopfexploision zwar irgendwie schon möglich, aber keinesfalls lustig oder interessant ist. Daher werden wir, bei aller Volks- und Sprachkritik von PeterLicht oder Rainald Grebe, auch diesmal wieder eigene und andere Texte zu Gehör und Gespür bringen. Denn wie schrieb schon der von uns höchst geschätzte Ernst Jandl in “Die Humanisten”:

sein viel schmutzen
kunst schmutzen
sein viel viel schmutzen
viel viel kunst-schmutzen
sein ich kunst schutzen
du sein und ich sein kunst schutzen

 

Das Kritische

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. März – “Das kritische Salzburgbuch”, als welches “Die Ursache” von Thomas Bernhard des öfteren gern bezeichnet wird, ist nunmehr auch als Graphic Novel erschienen. Lukas Kummer hat dafür einige wesentliche Erzählstränge eindrucksvoll (nach)gezeichnet. Und der tapfere Residenz-Verlag, bei dem 1975 schon das vielfach umstrittene Original “Die Ursache. Eine Andeutung” herauskam, hat die sehr spezielle Text-Bild-Version jetzt produziert. Auf deren Präsentation im Salzburger Literaturhaus haben wir in unserer Sendung “Die Ursuppe” hingewiesen, wie ja überhaupt dieser “kritische Geist aus Salzburg” (und das muss nicht immer der “Skandalautor” selbst sein) in unserem Radioschaffen stets eine Hauptrolle spielt, sei es im Artarium oder in der Nachtfahrt, naturgemäß.

Die UrsacheDas Idee zum Tittel (nicht unser Hausarzt, leider) kam jedoch diesmal von Ernst Jandl und seinen autobiographischen Anmerkungen zu Sprach und Kunst, von denen hier noch sein wird ein Reden. Des weiteren auch aus dem kulturkritischen Buch “Musik = Müll” von Hans Platzgumer und Didi Neidhart, in welchem erfrischend zum Ausdruck kommt, was eine “kritische Würdigung” jenseits von bipolarem Schwarzweißdenken (oder besser -glauben) noch sein könnte. Und so haben wir die Musik/Text-Dramaturgie dieser Sendung in drei Stufen (vom Wort zum Buch zum Leben und auch wieder zurück) gegliedert, allerdings ohne uns allzusehr einzugliedern in den Erwartungsmarkt.

Eine AndeutungDie scheußlichste Entwicklung der sogenannten Marktwirtschaft ist nämlich das Befriedigenwollen der zuvor berechneten oder künstlich erzeugten Erwartungshaltungen von immer noch mehr und immer noch größeren Käuferschichten. Also der Mainstream oder das Statistik-Zerbrauchertum, die Degeneration der Gauß’schen Durchschnitte zum vollendeten Konsumwichtel der Industrie. Gepriesen sei hingegen der Residenz-Verlag, der seine Position am Markt mit der Produktion von kritischer Individualkunst zu verbinden versteht. Und uns entsprechendes Rezensionsmaterial für die 2. Stunde unserer Nachtreise bescheret hat. Die Verhandlung darüber sei hierohrs eröffnet…

Das kritische Salzburg-BuchDie einen werden über “Die Ursache als Graphic Novel” frohlocken – die anderen werden das Wort Werkzertrümmerung in den Mund nehmen. Was aber meint der Sprachenkunstler als Experte?

“Dass diese Sachen, die gemacht werden um hergezeigt zu werden, Sachen sind, die die einen freuen und die anderen ärgern, und dass sie gewollt so gemacht sind, dass sie die einen freuen und die anderen ärgern, dass es also Sachen, die alle freuen, gar nicht sein sollen, selbst wenn irgendwelche es könnten (so wie es Sachen, die alle ärgern, gar nicht sein sollen, selbst wenn irgendwelche es könnten), das ist das Kritische daran.” (Ernst Jandl – “Ich mit Umwelt”, 1970)

 

Neuer Ordner

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Februar – Wer kennt das Phänomen nicht, dass ein neuer Ordner in jeglichem Computerdings zunächst immer “Neuer Ordner” heißt? Wenn er nicht leer bleibt (wie so oft) – was könnte drin sein? Wir machen diesmal, anlässlich der 100. Ausgabe unserer Perlentauchereien, einen neuen Ordner auf, um uns von (selbst)hergebrachten Ordnungstrukturen (und den damit verbundenen Erwartungen) zu befreien. Klingt einigermaßen pathetisch – ist aber auch so. Denn es gibt kaum Verwegeneres, als etwas vom eigenen Ordnungssystem in Frage zu stellen, aufzulösen, neu zu gestalten. Und zu schauen, was dann passiert… Es ist wohl weithin gebräuchlich, den Ordner zuerst zu benennen, und ihn danach mit “zum Thema passenden Inhalten” zu befüllen. Doch es funktioniert auch andersrum.

Neuer OrdnerWir sind alle damit aufgewachsen worden, dass wir Themen gestellt bekamen – und diese dann gemäß den Erwartungen unsrer jeweiligen Erziehungspersonen zu bearbeiten hatten. Wenn wir das nicht erfüllten, war es eine “Themenverfehlung” und wurde mit “nicht genügend” entwertet. Vielleicht gab es da und dort in einem Freigegenstand wie “Kreatives Schreiben” einmal ein entgegengesetztes Herangehen, indem “das, was einem gerade so durch den Kopf geht” formuliert und verdichtet wurde – und erst dann (vielleicht) ein entsprechender Titel darüber gesetzt. Kunnst also bei unserer heutigen Sendung genauso machen: Wir senden “das, was uns in den letzten Wochen so durch den Kopf gegangen ist”, reichern es damit an, “was uns spontan dazu einfällt” – und ihr könnt diesen “neuen Ordner” so umbenennen, wie es zu eurem Hörerlebnis passt. Ein erster Schritt zu einer Ordnung”, die nicht von oben herab verordnet wird, sondern die von unten herauf entstehen kann…

PS. Kaum jemand weiß, dass Pjotrek Popolski aus Zabrze dereinst “der gesamte Popmusik erfunden” hat, weshalb man auch sagt: “Dieter Bohlen hat gestohlen alle seine Hits in Polen.” (Zitat von Enkelsohn Pawel Popolski). Wir grüßen ihn freundlich!