Mehr als nur …

>> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 6. Oktober – Was wir hier machen ist mehr als nur … eine monatliche Radiosendung. Da steckt viel mehr dahinter als nur … Musikdarbietung, Textgestaltung, Thementiefgang und nicht zuletzt Unterhaltung. Was wir hier machen hat viel mit dem Motto zu tun, das die Radiofabrik anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens gewählt hat. Ein Motto, von dem wir überzeugt sind, weil es dem entspricht, wer wir sind, was wir tun und wie wir das zum Ausdruck bringen. Uns so mitzuteilen, mit euch zu teilen, was uns beschäftigt und wie wir uns dabei über die Jahre entwickeln, das ist nur in einer von kommerziellen, politischen und weltanschaulichen Machtinteressen freien Umgebung möglich. Genau daher machen wir gern mehr als nur Tschinn-Bumm.

Mehr als nur ...Es sind die Geschichten hinter der “Geschichte”, die erkennen lassen, was “unter der Oberfläche” eigentlich geschieht, was “hinter der Fassade” wirklich stattfindet und was “jenseits des Alltäglichen” an Abenteuern zu erleben wäre, wenn wir die Grenzen überschreiten. Wie das gehen soll? Das können wir euch nicht sagen. Wir können euch nur zeigen, wie wir leben. Und das ist schon sehr viel. Dass das überhaupt möglich ist, ist ein großer Verdienst dieser genialen Konstruktion namens “Freies Radio”. Denn was da Tag für Tag von vielen Menschen aus eigenem Antrieb (und meist ohne Bezahlung) hergestellt und “dargelebt” wird, das ist die Essenz dessen, wozu Medien als Mittel zur Mitteilung zwischen einander eigentlich da sein sollten. Da geht es darum, was jemand von sich zu sagen (oder zu zeigen) hat, nicht darum, was jemand von wo auch immer eingerummst bekommt, was dann auswendig aufgesagt wird … nur um eine möglichst große Gruppe dahingehend zu beeinflussen, dass sie sich so verhält, wie das Firma X, Partei Y oder Religion Z zwecks ihres Machtausbaus haben möchten.

Mehr als nur ...And like words together
We can make some sense
Much more than this
Way beyond imagination
Much more than this
Beyond the stars
With my head so full
So full of fractured pictures
And I’m all there
Right next to you
So much more than this
There is something else there

Peter Gabriel – More than this

Im Gespräch mit unserer langjährigen Programmkoordinatorin Eva Schmidhuber kam mir folgendes in den Sinn: “Was wir hier herstellen ist Germ der Gesellschaft.” So wie die Wirkweise eines Enzyms (dass sich die einzelnen Zutaten beim Backen zu einem genießbaren Ganzen verbinden) zunächst eher indirekt bemerkt wird (weil der Teig eben “schön aufgegangen” ist), so lassen sich die feinen Vorgänge zwischen Menschen und ihren Mit-, Um- und Innenwelten zunächst besser indirekt (unbewusst, emotional, atmosphärisch) darstellen, auch um sie vor der Verwurstung im Nutzzweck des großen Geschäfts zu bewahren. Auch das ist etwas, worin wir uns hier versuchen.

Mehr als nur ...Kunst (oder eben “Kunnst”, wie wir im Sinn von “könntest” gern sagen) ist eine Möglichkeitsform. Wie das Gestalten einer Sendung im Freien Radio. Wo wir die Zutaten unserer Erfahrung mit neuen Einfällen und bislang Unbekanntem vermischen, wo wir die Welt, in der wir jeden Tag sind, “mit anderen Augen sehen”, wo wir all das, was in uns auftaucht, zu einem Augenblick verdichten – schaffen wir Gegenwart. Und die ist ebenso unendlich wie verwandelbar. Kunst kann Unsichtbares sichtbar machen. Das nicht gleich auf den ersten Blick sichtbare. Das Dahinter. Das Dazwischen. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung. Eine üblicherweise ausgeblendete ganz leichte Irritation, die meist nur im Vorbeigehen, aus dem Augenwinkel oder beim irgendwie “unscharf Hindurchschauen” wahrgenommen werden kann. Die abgesehen davon bei den meisten Menschen irgendwo im Hinterkopf unbehandelt abgespeichert bleibt, von wo aus sie manchmal unverständliche Botschaften ins Bewusstsein sendet. Uns macht es einfach Spaß, mit den Elementen zu spielen. Und das ist mehr als nur

Arbeit

 

Sowohl als auch mitunter

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. September – Eine Sendung, die der Ambivalenz gewidmet ist. Diesmal noch deutlicher als sonst eh schon meist. “Sowohl als auch” anstatt “entweder oder”, jedenfalls in der Anschauung der Welt, in der wir leben und die wir sind. Wir mögen das flirrende Zwischen im Ineinander von diesem und jenem. Viel seitig, viel fältig, viel schichtig. Viel gestaltig. “Es ist ein multifaktorielles Geschehen, das wir hier beobachten.” Ich erinnere mich in letzter Zeit gern an unsere anregenden Gespräche mit der Kulturanthropologin Elke Mader, die immer wieder bei diesem Satz innehielten, um eine Denkpause einzulegen. Das Luftholen im richtigen Moment, um noch weiter ausholen zu können. Mitunter wäre das lebensfreundlicher als dauernd irgendeiner “Richtigkeit” hintnach zu hecheln …

Sowohl als auch mitunter 1Genau wie bei diesem seltsamen Schild erschließt sich der tiefere Sinn erst bei näherer Betrachtung – oder aber erstmal auch nicht. So ist das mit der Unverfügbarkeit, und zwar von allem, was da ist, war – und sein wird. Willkommen im (in der Zwischenwelt mehrdeutigen) Gleichnis vom Vatermutterkind, unserer einstweiligen Utopie rund um die Uhr – und darüber hinaus. Bitte. Danke. Guten Nachmittag. Dem Paradoxen ist kein Naturgesetz heilig und zugleich jedes einzelne. Mehr als nur sowohl als auch. In diesem Sinn versammeln wir auch diesmal wieder Beiträge und Themen, die auf den ersten Blick (ihre Ohren werden Augen machen) nicht wirklich zusammen zu passen scheinen. Doch bei näherer Betrachtung (genau) werden sich durchaus Gemeinsamkeiten erschließen – und die sind eigentlich auch mehr als nur naheliegend. Das Lachen und das Weinen haben mehr gemeinsam als man glaubt. Im üblichen Vollzug des Alltags fällt das halt nicht so leicht auf. Wohingegen hier

Sowohl als auch mitunter 2Ein einfaches Beispiel soll Licht ins Dunkel bringen: Maria Muhar treibt mit ihren Satiren die zu beobachtende Wirklichkeit geradezu grenzenauflösend “über die Spitze hinaus”. Sie wird übrigens im Oktober in der ARGE auch live zu erleben sein, empfehlenswert! Wir lassen zwei Beiträge aus “Cat-Calling, sehr unangenehm” mit einer Lesung aus Andreas Woldrichs “Requiem für Mama” (in dem er seiner kürzlich verstorbenen Mutter gedenkt) zusammen treffen – und schauen, was sich daraus entwickelt. Wenn die von uns angestrebte Resonanz dieser beiden aufs erste doch sehr verschieden anmutenden Darbietungen zustande kommt, werden sich daraus zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit zu erkennen geben. Liebe und Tod, Bitter und Süß, Wahnsinn und Methode – es ist ohnehin schon längst alles in allem enthalten. Unsere Musikauswahl, unsere dazu mitgebrachten Texte und überhaupt unsere hoch ambivalente Grundhaltung bei diesem Sendungskonzept, all das sollte zum Erfolg dieses Experiments beitragen. Vor allem aber die Beschaffenheit des genannten Ausgangsmaterials, dem jeweils das Zugleich von Abgrund und Euphorie, also “sowohl als auch”, innewohnt …

Sowohl als auch mitunter 3Mischlingswesen Welpentier

Im Namen des Noned
willkommen im Land der Unfertigen Buntbedruckten
Hupfkasperln
Gleichschneckigen
und Sommerbrauen
Grüngestreifen
Vergießmeinnichtse
und Lebensüberdürstenden
Wolkenwelt-Weitentwürfe

Wunder
das Leben
inmitten von Schleim
Scherben und Schmerz

Chaos
Keine Ahnung
doch immer
aus dem Unten
von innen
überrascht

ein Nasenkitzeln
ein Lichtblinzeln
ein Fünkchen Gelächter

Die Eigenschaftswohnung
der Dauernhof am Großrotzner
das flutschernde Blechlein
Papiergoldmarie
Diplomnatur
und Stundium
Urherberts Ächzschutz
Pirateigentum Schundraub und Mutz

Unfertiges

Werdenleben

Übersteh mich nicht falsch

 

Maibam Oida

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 5. MaiWir vorverlegen uns diesmal um eine Woche, weil die Radiofabrik zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai 2023 eine “Lange Nacht der Pflege” der Pflegestützpunkt-Redaktion von Radio Helsinki übernimmt/ausstrahlt. Da stellen wir keinen Bam auf – das werden wir auf jeden Fall unterstützen. Abgesehen davon – Maibam oder mei Bam? Oder hängt das nicht eh alles unentwirrbar zusammen mit der allgemeinen Selbstermächtigung des Frühlings? “Des is mei Bam”, rief ich aus, als ich ihm unlängst wieder begegnete. Ich hatte ihn nämlich in den 60ern (da waren wir beide noch sehr klein) gemeinsam mit meinem Vater aus einer entlegenen Fichtenplantage befreit und ihn danach in den Garten meiner Tante verpflanzt. Dort steht er noch heute: Lebendiges Trotz alledem.

Maibam Oida KirchenturmOb Bam, Bimbam oder Maibam – wir spüren jener Lebenskraft nach, die allfrühlinglich das Wachsen, Werden und Wiederauferstehen in der Natur (auch in der Natur des Menschen!) bewirkt. Und jenen Kräften, die dem Austrieb entgegen wirken und die uns vom fröhlichen Erigieren himmliger Fruchtbarkeitssymbole abzubringen trachten. Das wird ein Reigen der widersprüchlichen Gefühlszustände, jedoch mit Betonung auf dem Kraftvollen, das eher nicht in äußerlichem Protz besteht (hihi), viel mehr in innerer Bewegung. Oder – was macht das Gras wachsen? Was genau? Eben. Und in diesem Sinn einer Hinwendung zum Kern der Kulturgeschicht’ kannvom Penis bis zum Glockenturm – alles vorkommen, was zu einer ordentlichen Emanzipation von den erfundenen Beherrschvereinen taugt. Hoch die internationale Maibamfeier und Freundschaft dem Frühlingserwachen! Keine noch so perfekte Weltausbeutung kann das Leben an sich zerstören. Doch sie kann es für uns unerträglich machen – und dagegen gilt es nicht enden wollend anzusenden – was wir hiermit wieder tun.

Maibam Oida ÖtscherpenisIm Freien Radio – was ja schon insofern sympathisch ist, als es demokratische Entscheidungen ermöglicht, die sich einer falsch verstandenen Sprachhygiene (“Dirty Words”) verweigern und uns so genügend Freiraum für den legendären Schwanz aus der “Alt-Wiener Futoper” bereitstellen. Es geht hier um Lebenskraft, auch im Widerstand gegen die drohende Auslöschung. Und angesichts des schon bald bevorstehenden 100. Geburtstags von Ernst Jandl müssen wir uns mit aller Entschiedenheit seiner eigenen Forderung anschließen: “Ich will, dass meine Sprechgedichte weiter ertönen, auch über die kurze Dauer meiner Stimme hinaus.” Dabei meinte er die “kurze Dauer” seiner Lebenszeit. Entschuldigen sie hin oder her – es muss weiter gejandelt werden! Wesentliches auch jenseits des “kommerziellen Mainstream” wieder beleben – und bewahren, das ist unser subjektives Interesse. Ähnlich gestaltete derlei Brita Steinwendtner

Maibam Oida PhantasieDie Welt der Kunst, Musik, Literatur bietet sich darüber hinaus zur freien Entnahme in Gestalt einer inneren Zeitreise an. Du wanderst durch dein Leben und nimmst, je nachdem, was dich gerade anspricht, etwas aus den Regalen der unendlichen Möglichkeit, eine Geschichte, ein Lied, eine Lesung, ein Gedicht, ein Stück, ein Bild, ein Erlebnis … Und du nimmst es in dich auf, spiegelst dich darin, erkennst dich selbst wieder in etwas, das jemand ganz anderer vor langer Zeit, oder erst unlängst, aufgenommen, aufgeschrieben, aufgezeichnet hat. Ziemlich zufällig und ohne vorherigen Plan entdeckst du deine Welt in der Welt vieler Welten und wirst dadurch immer reicher an Erfahrung, die du mit ihnen allen teilst. Du hast Gefühle (sind es deine oder sind es ihre?) und willst sie ausdrücken (so wie die anderen oder so, wie es für dich stimmig ist?). Du sprichst vom Zauber der Verwandlung und vollführst (ist es dir bewusst oder ereignet es sich einfach so?) magische Phantasie. Denn in der Imagination steckt schon die Magie. Und in der Vorstellungswelt der Vielen, wie auch in deiner eigenen, warten längst viele Ausdrucksformensprungbereit wie die Knospen der Bäume im Frühling.

Alles was du siehst gehört dir.

 

Far more in common

> Sendungen: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. April“We have far more in common than that which divides us.” (Zitat von Jo Cox) Ich kann mir ja auch nie sicher sein, ob man rinks und lechts wirklich so schwel velwechsern kann – und ob das da auf dem Bild noch ein Baum ist oder schon ein Witz, den diese Stadt über sich selbst erzählt. Wir wagen einen Versuch wie immer mit kontrastierender Musik und kontroversen Texten, doch ohne ­“Moral von der Geschicht”. Die ist und bleibt ein offenes Ende und der eigenen Phantasie überlassen. Das Schöpferische in uns will nämlich zur Geltung kommen und soll dabei schön zweckfrei bleiben dürfen! Es geht ums Herzeigen und ums Verstecken, aber gleichzeitig und ausgewogen. Da kann ich mich verbinden ohne zu verschwinden. Das beglückt und schmerzt zugleich.

Far more in common (Hase 1)Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut – ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen … Vom Wesen des Hasen inspiriert zu einem friedvolleren und gewaltfreieren Menschendasein – auf einer Welt voller Verbrecher und folgsamer Idioten. Gefängnis fürs bloße Äußern der eigenen Meinung. Majestätsbeleidigung! Zugegeben, die real existierenden Nazis waren viel brutaler – der geistige Stoff aber, aus dem ihre Terrorherrschaft bestand, war schon längst vorhanden (er ist es immer noch): Obrigkeitsglaube, Gehorsamkeit und gewissenloses Nachplappern der vorgeschriebenen Parolen (jetzt denkt mal selbst, welche das heutzutage sind). Willkommen im Zwischen und auch hinter den Zeilen!

Far more in common (Hase 2)Denn dieser Text besteht fast ausschließlich aus Ausschnitten unserer begleitenden Artikel aus 12 Jahren gemeinsamer Kunnst. Und die Auswahl der einzelnen Passagen wie auch die Zusammenstellung erfolgt möglichst spontan, unter Umgehung der bewussten Kontrolle und Berechnung – soweit nur irgend möglich, wenn man einen Artikel zu einer Sendung verfasst. Könnten nicht noch spannendere Einblicke ins üblicherweise Unerkannte, Unerforschte, Unaussprechbare zum Vorschein kommen, wenn man Bücher an einer völlig beliebigen Stelle aufschlüge, das so Gefundene daraus vorläse – und sich auf diese Weise eine noch nie zuvor gefundene Geschichte – erzählte? Eine Technik, die wir aus dem uralten Brauch des “Bibelstechens” ableiten und die wir heute als “erweitertes Bücherstechen” bezeichnen – und auch anwenden wollen. Es macht nämlich großen Spaß, das zu ergründen, was da in und um uns wirksam und immer vorhanden ist und was wir gemeinhin nicht bewusst wahrnehmen oder erkennen können. Nicht, dass wir dem, was sich da ereignet, einen Namen geben oder sonstwie eine Definition überstülpen müssten. Nein, es mag, wie wirklich es auch immer sei, im Unverfügbaren verbleiben – und uns auf seine Art begegnen.

Far more in common (Hase 3)… zurück zur Versenkung in den Abgrund des Endlichen und zu der restlos unguten Stimmung, die beim Betrachten der eigenen Ausweglosigkeit aufkommt. Noch dazu inmitten einer Welt, die an allen Ecken und Enden von Betrügern und Berserkern zugrunde gerichtet wird, dass es nur so kracht. Wie heilsam wäre in dieser Situation ein herzhaftes Lachenkönnen und das Gefühl, sich mit Sprachwitz und Verstand zumindest gegen ein paar Erscheinungsformen der allumbrodelnden Verblödungsindustrie eloquent zur Wehr zu setzen. Wer klopfet an? Asylsuchende Assoziationen auf ihrer Fluchtfahrt durch die Dunkelheit ans Licht. Die etwas andere Betrachtungsweise der uns interpretiert überlieferten Geschichte(n). Gruslig schön lustig und freischwebend. Frohgemute Verwurstung von Kulturstrandgut entgegen jeglicher Marktlogik. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird, aber irgendeinen dramaturgischen roten Faden braucht es immer …

Wir sind ein geiles Institut.

 

Zu den drei Hasen

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 9. September um 22:06 UhrZu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Hasen … Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein Mensch einen anderen “Hase” nennt – und es sind mindestens so viele Bedeutungen dabei möglich, wie es Hasen auf der Welt gibt. Die vermehren sich nämlich auch wie die Karnickel. Jedenfalls dort, wo ihre Wiese noch nicht von Maschinen planiert ist, damit sich die Überbevölkerung einfacher ausbreiten kann. Von der Hasenjagd (und es muss auch nicht die Mühlviertler sein) wollen wir hier gar nicht erst anfangen. Der Hasenwerdung des Menschen und/oder umgekehrt haben wir einst in der Sendung “Hasen wie wir” nachgespürt. Heute wollen wir jene Menschen würdigen, zu denen wir gern “Hase” sagen, sowie all das, was mit diesem Begriff mitschwingen kann…

Zu den drei HasenNun ist ja der Hase, wie wir ihn aus freier Wildbahn kennen, seiner Natur nach ein sehr scheues Wesen, das wir zwar aus der Ferne beobachten, dem wir jedoch nicht nahekommen können, auch nicht als junger Hund. Wenn aber jetzt so ein Hase auf ein Mal stehen bliebe – und sich zu uns umdrehte, dann wäre das schon ein erster Einbruch von etwas gänzlich Unerwartetem, das sich allerdings wesentlich “richtiger, stimmiger und auch zusammenhängender” anfühlen könnte als vieles, was wir bisher zu wissen geglaubt haben. Und wenn dieser Hase jetzt auch noch auf uns zu käme (anstatt wie üblich von uns weg zu laufen), dann stünden wir bereits mitten in etwas, das wir als “wundersame Erscheinung” einzuordnen gelernt haben. Als etwas, das es eigentlich nicht geben kann (von dem aber wiederum in vielen Geschichten berichtet wird). Ja, was denn jetzt? Gibt es mehr als nur eine Wirklichkeit? Und wenn ja, warum? Zu Hilfe, ich werde von freundlichen Hasen verfolgt! Halt, nein, andersrum: Zu Hilfe, ich werde von unfreundlichen Jägern verfolgt, weil ich mir freundliche Hasen vorstellen kann.

Zu den drei HasenWenn uns besagter Hase darüber hinaus noch freundlich begrüßt, uns zum Verweilen auf seiner Wiese und zum Abendessen einlädt, und wir mit Erstaunen feststellen, dass wir seine Sprache verstehen, dann sind wir endgültig in einer anderen Welt gelandet, von der wir bis vor kurzem noch nicht geglaubt hätten, dass es sie überhaupt geben kann. Oder wissen wir es längst, dass es auch noch weitere “andere Welten” gibt, wenn wir nur unserem inneren Sinn für den Zusammenhang allen Lebens vertrauen? Möge der Hase mit uns sein, denn bei der nun unweigerlich bevorstehenden Kollision zwischen den Wirklichkeiten kann es schon einigermaßen ungemütlich werden. Es sei denn, wir beschränkten unsere Phantasien auf eine sogenannte Freizeitbeschäftigung und verhielten uns ansonsten entsprechend der allgemeinen Übereinkunft als folgsame Bewohner der einen Wirklichkeit aus dem Realitäterbüro zum Weltbeherrsch. Die Trennung zwischen Mensch und Kunstperson wäre somit das Kriterium geistiger Gesundheitnicht die Stimmigkeit mit den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen?

Zu den drei HasenSind sprechende Hasen also ein Fall fürs Kinderbuch – und damit für die Geringschätzung all dessen, was als “kindlich” oder “kindisch” abqualifiziert wird in unserer “dem Erfolg um jeden Preis gewidmeten” Gesellschaft? Oder ist es geradezu Gesellschaftsgerm (der locker und fest zugleich macht), wenn Mensch einen Menschen “Hase” nennt, weil er/sie plötzlich dessen Sprache und “andere Welt” versteht? Weil er/sie statt der logisch erwartbaren Flucht freundliches Zutrauen erfährt? Weil etwas/jemand wie ein wildes Tier mit einem Mal “zähme mich” sagt und dieser Vorgang zur “gegenseitigen Zähmung” wird? Muss denn des Menschen Versuch, die bekannte mit der unerwarteten Welt zu verbinden, so dass beide in eine Wechselbeziehung eintreten können, von vornherein als Spinnerei abgetan und in weiterer Folge aus der Erwachsenenwelt weggemacht werden? Nun, wenn man (wer auch immer das ist) den “Status Quo” auch “um jeden Preis” aufrecht erhalten muss… Apropos, seit Christi Geburt (dem Jahr 0) gab es auf der gesamten Welt etwa eineinhalb Jahre Frieden. Da sind mir die Hasen lieber

PS. Ein Gasthaus namens “Zu den drei Hasen” gibt es übrigens auch. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Stootsie

 

Wie viele bist du?

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 12. August um 22:06 UhrWir sind viele. Und Anlässe gibt es auch. Ilija Trojanow etwa fordert uns in seiner Festspielrede auf, zu desertieren“aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst.” “Ciao, ciao, Commandante!” Ein Chor aus verschiedenen Stimmen vereint – gegen die Befehlsgewalt der Gleichmacherei. Staatsbürgerstaatsbesitz abkommandiert zum Opfergang gehorcht lieber der inneren Stimme: “Ich bin des Menschen Kind.” Doch in jeder und jedem streiten sich mehrere – ja, sogar viele. Wie viele bist du? Auch nur ein Trottel, der glaubt, Stimmenhören sei eine Krankheit oder ein Album von André Heller? Kunnst dir vorstellen, die Dramen der Welt spielen sich auch in dir und in mir ab? In uns allen? Hiermit erklären wir diese Vorstellung für eröffnet…

Wie viele bist du?Eine der wirkmächtigsten Fragen meiner Therapeutin (wenn ich etwa verdächtig Unterwürfiges äußere) lautete: “Wer spricht da?” Im Lauf der Zeit nahmen diese Stimmen, aus denen mein Gedankenfluss wohl offenbar besteht, in meiner Vorstellung Gestalt an – und es wurde mir möglich, je nach meinen Bedürfnissen, mit ihnen inwendig ins Zwiegespräch zu kommen, sie auszulachen – oder mich von ihnen zu verabschieden. Wohin das führen wird, bleibt offen. Das Drama findet nach wie vor statt. Nur werde ich zunehmend zu dessen Autor und Regisseur – statt lediglich eine mir vorgeschrieben vorkommende Rolle darin auszufüllen. Wenn weniger mehr ist, dann ist auch mehr weniger. Kommt darauf an, wovon. Wenn ich in dem Stück, das sich in mir abspielt, mehr zu bestellen habe, dann brauch ich mir in dem Drama, das da draußen vor sich geht, bestimmt weniger zu bestellen. Nicht, dass ich nicht atmete oder weiterhin äßenur aufgeblasene Wichtigkeiten werden mir immer wurschter.

Wie viele bist du?Einfalt und Vielflat, Kulturtod und Kunnst?, Konsumismus und die Digitale Diktatur. Wenn sich zwei oder drei Stimmen gemeinsam im Namen des Lebens erheben, wird ein Freiraum erschaffen. Gelebte Ambivalenz gegen die auferlegte Eindeutigkeit, die Interessen der Machtausübung. Mehrdeutigkeit, Vielstimmigkeit. Schichten von Gedichten jenseits gefühlsarmer Gebrauchsmusik. Wir basteln uns Festspiele außerhalb der verwalteten Welt und Teodor Currentzis erklärt uns ein System, das perfekte Maschinen ohne Phantasie und Emotion hervorbringt. Au! Toren, die den Menschen im Namen der Entrüstung vorauseilend schlechtschreiben, sind im besten Kreislerschen Sinn “Musikkritiker”, also zutiefst unmusikalisch und zudem noch existenziell frustriert. Schriftstehler, zwischen deren Zeilen nichts als Leere herauszulesen ist – wenn man sich die vergebliche Liebesmüh sinnloserweise antun will. “Zeigen sie dem Orchester, was nicht in der Partitur steht.” Eben.

Wie viele bist du?Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen und Gegen Blödheit hilft auch keine künstliche Intelligenz. Wir haben die Vorstellung, all das zu spielen, was sonst nirgedwo in dieser Form zusammen klingt und dessen Geist und Gefühl zwischen seinen vielen Stimmen andernfalls abgehen würde im Chaosmos der Möglichkeitsformen. Zutritt nur für Verrückte! Hermann Hesse hat in “Klein und Wagner” die Vielheit der Stimmen im Universum sprachlich atemberaubend dargestellt (und zwar lang bevor LSD entdeckt war) und die Instrumentalgruppe Between hat diesen Höhepunkt der Wortgewalt gemeinsam mit Gert Westphal 1974 zu einem eindrucksvollen Hörstück namens “Suicide” verbearbeitet, dass es einem die Weltreligionen und Philosophien nur so durcheinanderhaut. Und Chorleiter Cyprien Sadek hat die 40-stimmige Motette “Spem in alium” von Thomas Tallis mit seinem Choeur Altitude lustvoll wiederbelebt (nach alter Aufführungspraxis, mit den Sänger_innen rund ums Publikum stehend).

“Hören sie genau hin!” – Dieses Mal zwischen die Töne und hinter das Gefühl

 

Unvollendete Symphonie …

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. JuniFertig ist man nie. Das Unvollendete bleibt noch in der stimmigsten Schnittmenge der Zweisamkeit. Wer da behauptet, fertig zu sein – mit seiner Entwicklung, mit seinen Arbeiten, mit seinem Leben – der ist nichts anderes als genau das: “Du bist voll fertig, Oida.” Fix und fertig im Sinn von erledigt, erschöpft, verbraucht. Das Leben an sich ist immer unterwegs und erschafft sich selbst ständig wiederkehrend in jeweils neuer Gestalt. Das Lebendige, das diesem immer unfertigen Vorgang innewohnt, ist seinem Wesen nach unendlich. Vielleicht vollkommen vollendet. Unsere Aussagen darüber sind hingegen immer vorläufig. Einstweilige Verfügungen zur Herstellung eines fragilen Gleichgewichts mit uns selbst. Unvollendete Kompositionen, ständig im Entstehen.

Unvollendete AssoziationenEin wunderbares Beispiel für dieses dauerhaft Einstweilige in seinem Leben und Werk ist der Komponist Anton Bruckner. Der hat nicht nur eine unvollendete 9. Symphonie hinterlassen, nein, er bearbeitete seine Schöpfungen sogar nach ihrer Veröffentlichung beständig weiter, so dass man heute oft gar nicht mehr sagen kann, “welche” Fassung man da gerade serviert bekommt. Was für ein grandioser Lebenswitz! Das würdigen wir mit einer ebenso unvollendeten Geschichte, die nie aufgeschrieben wurde und die sich daher immer wieder vollkommen neu erzählen kann, nämlich mit “Bruckners Buchtel”. Naturgemäß wollen wir danach auch einen Ausschnitt aus dem rekonstruierten Finale der 9. Symphonie anhören. Überhaupt war Anton Bruckner viel lustiger, als uns das die “offizielle Geschichtsschreibung” weismachen will, die ihn allgemein als einen verklemmt katholischen Bierernst voll staatsamtlicher Gottesschau darstellt. Aber das ist eben auch nur eine Möglichkeit.

Unvollendete OrientierungNicht weniger unvollendet ist das Lebenswerk von Hans Hölzl aka Falco, den Christian Ide Hintze einst als Lehrer fürs Songtexten zur Wiener Schule für Dichtung holte. Letzterer lebte einen derart “weit gefassten Poesiebegriff”, dass ihm noch die versammelten Gesichtsausdrücke von Pierluigi Collina ein Gedichtzyklus waren. Jedenfalls hat er Falcos Texte als das verstanden, was sie zutiefst sind: Sehr ernst zu nehmende Dichtkunst in vollendet unvollendeter Konstruktion. Und – wie jede gute Kunst – zeitlos. Daher ebenfalls prophetisch, wie wir am Beispiel “Europa” erfahren können. Was da beschrieben wird, die unvollendete Integration, sehen wir heute um vieles deutlicher als 1995. Wie Falco es damals beschrieben hat, das erscheint uns heute hellsichtig, vorausblickend, visionär. Vergleichen wir das mit der 2014 erschienenen “Eurovision” von Laibach, so entstehen Assoziationen und Zusammenhänge, die für Personen ohne eigenes Denken nicht geeignet sind.

Unvollendeter RomanWenn wir schon mit Dichtung und Wahrheit umgehen, dann soll hier auch der unvollendete Roman von Wolfgang Herrndorf gewiss nicht unempfohlen sein: “Bilder deiner großen Liebe” heißt das posthum veröffentliche Fragmentarium des legendären Autors von “Tschick”, dem wir an dieser Stelle Dirk von Lowtzow einen passenden Song nachrufen lassen. Und weil wir uns ganz absichtlich “Musikliterarische Gefühlsweltreise” nennen, wird diese Sendung in viel mehr Musik gebettet sein, als das die angeführten Empfehlungen vermuten lassen. Wobei, da wäre noch PeterLicht zu erwähnen, der auf seinem jüngsten Album “Beton und Ibuprofen” wieder ein sehr spezielles Stück “Spoken Word over Music” mit dem Titel “Lost Lost Lost World” dargereicht hat. Zu Riesen und Nebenwirkungen fragen sie ihre Maria – oder werfen sie sich ihr durch die Wand. Jetzt müsste man sich nur noch einen “weit gefassten Symphoniebegriff” zulegen – und schon geht es um jedweden “Zusammenklang”.

Sind wir nicht alle irgendwie unvollendete Menschen?

 

1001 Nachtfahrt

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Dezember (in 3 Teilen): Erster Teil (Einstimmung), Zweiter Teil (“Deutsche Krieger”), Dritter Teil (Schluss).

Kriegsweihnacht, Coronaweihnacht, Weltuntergangsweihnacht – oder wie es einst Roger Waters auf den springenden Punkt brachte: “Each small Candle lights a Corner of the Dark.” Norbert K.Hund & Christopher Schmall feiern 10 Jahre gemeinsames Sendungsmachen in Gestalt einer Collage aus Text, Musik und Assoziationen. Wie etwa jener zu 1001 (in Worten tausendundeiner) Nacht. Geschichten, die angesichts der täglichen Todesdrohung immer wieder aufs Neue weiter gesponnen werden – bis ins unendlich Schöpferische. “Mein Reich ist nicht von dieser Welt.” Denn nichts von all dem, aus dem unsere gewohnten Ordnungen bestehen, wird unser Weiterleben sichern. Das kann nur das bislang Unverwirklichteetwas aus unserer Phantasie.

1001 Nachtfahrt KriseEtwas, das nicht nach Macht über andere Menschen strebt. Macht in Form von Herrschaft über die Welt. Herrschaft IST Gewalt und deshalb ist Gewaltherrschaft sowieso schon ein Pleonasmus. Wir phantasieren Regie statt Regierung und wollen auch Gewinn anders als allgemein üblich begreifen. Ein Kind ist uns geboren – und das sind wir selbst! Gibt es überhaupt ein Christentum – oder ist “jesusinspiriert” der viel treffendere Ausdruck? Wir sind hochschwanger auf Herbergsuche und werden mit dem Gewaltsprech der Gastronomen ins ewige Abseits vertrieben. Kann man ohne Beseitigung des weltweit herrschenden Unrechts Gewalt aus der Sprache heraus reformieren – und was für einen Sinn hätte das eigentlich? Das klingelnde Plemplem des missionarischen Marketings – wer hats erfunden? Edward Bernays oder Paulus oder doch viel früher die hohepriesterliche PR-Abteilung von König Großprotz dem Grausligen? Es ist alles so dermaßen OASCH ringsumher auf dem Globus, dass man oberhaupt nicht so viel fressen kann wie man scheißen möchte. Lokuspokus, Bäh!

1001 Nachtfahrt KriegerDa kommt uns nichts gelegener als die legendäre Trilogie “Deutsche Krieger” von Andreas Ammer und FM Einheit, die wir ab ca. 23:20 Uhr vollständig zu Gehör bringen, quasi als Collage innerhalb der Collage. Die 1001 Originalaufnahmen und Geräusche, die hier nebst eigenen Musikstücken zu einem ungeheuer vielschichtigen Hörerlebnistheater verdichtet, verknüpft und verwoben sind (das übrigens auch livehaftig aufgeführt wird), erzeugen in ihrer Gesamtkomposition eine beachtliche zeit- und mediengeschichtliche Erfahrung, deren eigentliche Aussagen (wie zumeist in der Tonkunst) zwischen den Zeilen und hinter den Klängen stecken, von wo aus sie sich zusammen mit dem tatsächlich Wahrgenommenen in den Köpfen des Publikums zu sich selbst als etwas Lebendigem zusammenfinden. Wer sich für die Gründe und Hintergründe dieser Produktion interessiert, möge sich hier im Hotel Discipline näher einlesen (ein ganz hervorragender Artikel). Darüber hinaus passt das experimentelle Gewaltwerk auch ausgezeichnet in den Kontext unserer eigenen Collagen-Arbeiten.

1001 Nachtfahrt KreativWomit können wir dann im dritten Akt unserer Advents-Andacht den erwünschten heiter-besinnlichen Ausklang erzeugen? Vielleicht mit einer dritten Steigerungsstufe der Dichtheit, der Collage aus Texten, Musik und weiteren Collagen, die alle zusammen zur Feierstunde gemeinsamer Kreativität werden. Das zwischen den Zeilen, neben den Klängen, unter den Collagen und vor allem hinter den Kulissen immer schon Daseiende, Lebendige, Schöpferische, das allüberraschende kreative Vakuum, das alles noch zu Gestaltende in uns herbeilockt und dem Erschaffen die Fanfare läutet, dass einem ganz anders wird und schwindlig und warm ums Herz. Das eine Fünkchen Hoffnung, aus dem jederzeit ein Traumtanz der Leidenschaft entstehen kann, der noch das allerverfaulteste Gehtnimmermehr in einem einzigen Augenblick lebender Gegenwart verwandelnd verzehrt. Ach, Sprach! Ach, Hasen! Sie sind frisch, sie sind zappelig – und …

sie mögen sich.

 

Harlekinese und Kasperliade

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. FebruarAchtung Achtung, Klasse! Nachdem wir uns jetzt alle gegenseitig an unsere eigenen Nasen gefasst haben, atmen wir einmal tief durch die selbige ein und schreien drei mal laut: Hurra – ich bin ein fröhlicher Homo Sapiens!“  Genauso gut könnte man da sagen: “Demokratie ist, wenn wir alle paar Jahre diejenigen wählen, die uns am lustigsten auf den Kopf scheißen.” Oder: “Großvati, Großvati, es hat geschneit!” – Wie dem auch sei, im nunmehrigen Februar findet vielerorts Fasching, Fastnacht oder Karneval statt, und wir haben beschlossen, diesem Zustand in unserer Sendung Rechnung zu tragen (solang es nicht allzuviel kostet). Und so hoppeln wir fröhlichfeucht durch eine ganze Kasperliade aus Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutungmit Gefühl.

Kasperliade 1Da das assoziative Gestrüpp zum Thema ebenso unübersichtlich wie reichhaltig ist, müssen wir uns, bei aller Vielheit, auf eine Hauptperson ausrichten – den Kasper. Reisen wir also ohne Stress quer durch alle möglichen Manifestationen dieser multiplen Personalunion mit sich selbst. Sozusagen mit Casper ins Kasperltheater, und gleich weiter zum Joker, zum Kaspar Hauser, überhaupt zum traurigen Clown und seiner genau deshalb entlarvenden Weltsicht. Der Titel der Sendung müsste eigentlich “Harlekinese, Kasperliade und Clownerie” heißen, aber wo ist heute noch Platz für so abgerundete Triologien? Oder Songtitel wie zum Beispiel “Die Verfolgung und Ermordung des Rockundroll, dargestellt durch die Musikertruppe des Hospizes zu Vicht unter der Anleitung des Herrn von Schroeder, Teil I” Hä? Eine rheinrhetorische Frage – also auf Kölsch. “Die Musik ist tot – gefoltert, gequält, der Unschuld beraubt. Die Musik ist tot – und mit ihr all das, woran wir geglaubt. – Rock’n’Roll ist tot.” Aber sicher nicht bei uns. Gut zu hören!

Kasperliade 2Nicht, dass wir zwei nicht lustig wären (siehe Bild), für den Höhepunkt des Rumkasperns (in der zweiten Stunde) haben wir uns dennoch kompetente Unterstützung vom Institut für Battle & Hum besorgt. Der Master of Cerebrity Randy Andy wird uns livehaftig die Rumkugel geben – und sich wie euch mit Kleinodien des etwas abgedrehteren Humors behupfdudeln. Oder der etwas abgründigeren Musik, etwa aus dem Soundtrack zu “Joker” von Hildur Ingveldardóttir Guðnadóttir. Wenn auch der zuvor zitierte Text von Schroeder Roadshow den Tod des Rock’n’Roll betrauert und dabei durchaus eine prophetische (1980) Kritik am Unwesen der Untenhaltung darstellt (ich sag nur Autotune), so gibt der darin angesprochene Mythos (vielleicht eh posthum) laute Lebenszeichen von sich. Im (definitiv posthumen) Michael-Glawogger-Film “Hotel Rock’n’Roll” jedenfalls, den wir hiermit aufs allerschärfste empfehlen (und der uns auch durch die Sendung begleiten wird), nebst weiteren Dopfencollagen aus Audio.

Abschied vom Heimatfilm“Der Wald ist die Frisur des Berges, Schorschi.” – “Dem gehn oba sche longsom de Hoa aus.” Eben. Viele wunderbare Szenenbilder und noch mehr verdanken wir übrigens dem Luna-Filmverleih. Da bleibt keine Heimat trocken & Kebapaufstrich. Wenn schon das Wort eine Waffe ist … dann ist die E-Gitarre eine Abschussvorrichtung für noch erheblichere Auswirkungen. Und erst das Schlagzeug – bitte, im Italienischen heißt es eh “Batteria”. Im Anfang war die Wucht. Und die Wucht war bei sich. Die Wucht aber sprach – und siehe, es ward. “Let there be Rock” Wie find ich den Notausgang? Vielleicht wenn die Kasperliade selbst-systemkritisch rotzt: “Scharfe Waffen griffbereit im Handschuhfach, auf dem Müllplatz liegt ein letztes Stoßgebet. Verzweiflung, Angst und Wahnsinn halten uns in Schach, im Fernsehen spricht der Papst von Humanität. Schon wieder so ein Tag, so wunderschön wie heut. Und tatsächlich schon wieder all die furchtbar netten Leut. Massenmörder, Henker, Diktatooor – kommen eben nur im Märchen vor!”

Schroeder Roadshow – So ein Tag

 

Herbstzeitlotterie

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Oktober – Nun haben also auch wir einen Radioschorsch erhalten, und zwar für unseren Jingle mit dem Gunkl (zur Frage: “Was soll das?”), noch dazu hochanständig per Onlinevoting. Ein ganz ehrenwerter Weg zu einem Publikumspreis, fragt doch mal die Stefanie Sargnagel. “Die Bundes-SPÖ würde bei einem Wahlergebnis von annähernd 40% wohl ziemlich lang nicht wieder aus ihrem Glücksrausch auftauchen“, freut sich die Perlentaucher-Redaktion. Denn seit immerhin fast 8 Jahren verwursten Christopher Schmall und Norbert K.Hund “ringsum angespültes Treibgut der Kulturgeschichte” kongenial zu stets unterhaltsamen “Denkanstößen, Gefühlsräumen und Stimmungsbildern”. Im Sumpf von Salzburg – die etwas andere Collage aus Musik, Text und Themen

Herbstzeitlotterie 1Also feiern wir eine “lange Nacht der Preisträger_innen”, umgeben von Elfriede Jelinek, Bob Dylan, oder Thomas Bernhard… Warum heißt es dann Herbstzeitlotterie? Das ist wohl eine etwas längere Geschichte, abgesehen davon handelt es sich aber um ein recht passables Wortspiel, also in sich selbst sozusagen. Demokratische Prozesse und Zufallsereignisse, das wäre ein paar Betrachtungen wert, in diesen Zeiten der Zeitumstellung sowie ihrer geplanten Abschaffenwollung aufgrund einer merkwürdigen europäischen Online-Befragung, an der ungefähr 0,9% der Gesamtbevölkerung teilgenommen hat. Sommerzeitlotterie, Winterzeitlotterie, kauft Herbstzeitlose für die kommende Herbstzeitlotterie, im Gackpot befinden sich bereits XYZ Millionen – oder wie ich längst zu sagen pflege: “Je Geld desto Oasch” Womit sich der Kreis zwar nicht schließt, allerdings eine Andeutung gemacht wäre.

Herbstzeitlotterie 2Was die Radiofabrik als Freies Medium auszeichnet, ist dagegen das völlige Nichvorhandensein von kommerziellen Interessen – und dem ganzen damit einhergehenden Lobbyistengsindel. “Journalism is publishing what someone else does not want published. Everything else is public relations.” (Nach George Orwell zitiert). Seit über 20 Jahren bewahrt sich der Sender mit dem Schorsch unsere Unabhängigkeit von allen wirtschaftlichen und weltanschaulichen Sachzwänger_innen. Und das ist gut so. Zwanzig Jahre sind noch lange nicht genug. Wir gratulieren, jetzt erst recht! Bei all den hochfliegenden Plänen für die nähere Zukunft – Stichwort Lehrredaktion – soll dieses Zitat von Pippi Langstrumpf immer mit dabei sein: “Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.” Ein weises Wort, das zudem auch ausgezeichnet zur Gestalt der heurigen Auszeichnung passt.

Herbstzeitlotterie 3Weshalb es bei uns diesmal eher beschwingt als besinnlich zugeht. Wobei, ZeiT. von Wortfront kann ja durchaus als nachdenkenmachend angesehen werden: Gewinnen oder verlierenHerbstzeitlotterie halt. Die Uhrzeit ist ohnehin ein soziales Konstruktnur die Jahreszeiten sind (noch) nicht menschgemacht. Stellen wir die Uhren halt wieder um eine Stunde vor (oder doch zurück), bevor uns alle die Hysterie einholt. Im Zweifel mit dem Gunkl: “Es muss die Möglichkeit bestehen. Eine Gesellschaft ist dann stark, wenn sie sich etwas leisten kann. Eine Gesellschaft, die sich Querdenker oder lautradikal Nichtdenker nicht leisten kann – also, wenn man das nicht abfedern kann, dann ist das ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Davon abgesehen passiert in diesen Freien Radios auch etwas, was ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen.”

Abfedern – da ist der springende Punkt.