Weihnachtsfeuer

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Dezember von 22 bis 00 Uhr (Teil 1) sowie im Anschluss vom Samstag, 10. Dezember von 00 bis 02 Uhr (Teil 2)

Österreich hat sich zu einem Präsidenten gequält – doch zwischen uns beiden muss sich niemand entscheiden! Denn wir machen schon seit 6 Jahren zusammen Radio – und sind dabei mal die Hasen, mal die Festspielpräsidentin, auf jeden Fall immer ein etwas anderes und überhaupst ein geiles Instut. Diesen Umstand wollen wir in Gestalt einer gedeihlichen Weihnachtsfeier würdigen, deren einzelne Stunden wir diversen Anlässen entsprechend mit Anzünden, Aufregen, Abschaffen und Aushalten betiteln. Naturgemäß drängt sich in dieser “stillsten Zeit im Jahr”, die längst konsumistisch zugeplempert ist wie kaum eine zweite, die eine oder andere Assoziation zu allerlei abendländischem Adventbrauchtum auf, die wir aber allesamt in einen Abgrund aus kreativer Vernunft entsorgen werden. Versprochen!

gemuetlichkeit“Den Baum anzünden” zum Beispiel. Wem kämen dazu nicht geradezu katastrophalste Szenarien in den Sinn? Hab ich als Kind auch tatsächlich einmal erleben dürfen, dass der Christbaum exakt zum familiären Heiligabend in Brand geriet. Welch ein jede Weihnachtsfeier zum Weihnachtsfeuer uminterpretierendes Vollspektakel! Der Jahreshöhepunkt des sonst so pflichtfriedlichen Beisammenseins – er zerplatzt zum bloßen Beschwörungsritual und gibt für einen Augenblick die eigentlichen Verwerfungen der hier Versammelten frei: Eine immerwährende Flucht, aus Furcht vor dem Weltenbrand. Einfach großartig – für ein Kind, das zwar alles erspürt, dem aber stets nur die übertünchte Version der Wirklichkeit vermittelt wird. Oder für die Familientherapie. Ob nun Advent oder Event, Kranz oder Krampf – Kerzen sind nicht zum Scherzen, wiewohl es mannigfach Gründe fürs Anzünden geben mag. Und auch fürs Aufregen, in Zeiten wie diesen, wo eine derartige Vollverdodlung um sich greift, dass wohl bald auch die Schneeräumung mit dem Laubbläser erfolgt. Halleluja! Was ganz oben sitzt und allen auf den Kopf scheißt, das ist in jedem Fall ein Arschloch, ganz egal welche Weltanschauklung, Religwution oder Idiotologie es auch immer vertritt. Auf den Kopf scheißen ist niemals gut. No No Keshagesh!

weihnachtsfeuerWas war nun die ursprüngliche Fehlentscheidung des Menschen, die letztendlich zu solch bizarren Blüten der Staatsabsurdität (wie der hier abgebildeten) führte? Etwa der aufrechte Gang oder doch die katholische Kirche, wie manche meinen? Ein Wirtschaftskreislauf, der ca. die Hälfte aller produzierten Lebensmittel wegschmeißt, um den Profit zu maximieren, gilt als legal und wird von uns subventioniert. Das Entnehmen von noch Essbarem aus Müllcontainern hingegen gilt als Diebstahl und wird daher mit Strafe bedroht. Gehts noch? Ein besinnliches Weihnachtsfest zu wünschen, während weltweit täglich 24.000 Menschen verhungern. Das wäre in etwa so, als würde die gesamte Stadt Salzburg in einer Woche komplett aussterben. Vielleicht ist es doch die Idee der Herrschaft (von Menschen über Menschen), gepaart mit der seltsamen Vorstellung, irgendwas Bestimmtes sei speziell verehrenswürdig und somit unhinterfragt zu befolgen. Was auch immer uns allen von oben herab auf den Kopf scheißt … Aber das haben wir ja bereits besprochen. Derlei “herschende Verhältnisse” bringt dieses “Gebet” famos auf den Punkt: “Lieber Gott, wir danken dir, dass die Neger hungern und nicht wir.”

weihnachtshaseAbschaffen oder Aushalten? Wärmen wir uns doch am inwendigen Weihnachtsfeuer – und zünden wir einander ein Licht des Lächelns an. Advent, Advent, der Hase rennt. Wir sind doch Verfechter des Weihnachtshasen und des Wintersonnwendfeuers, da bleibt kein Ros entsprungen und kein Zusammenhang logisch. Die Poesie vermag die Dinge dieser Welt so auf den Kopf zu stellen, dass sie auch noch in den verdrehtesten Epochen der Zivilisationskultur als richtigrum erahnt werden können. Wir sind entlegene Ursassen des Immerdaren – und uns ist nichts heilig außer dem Leben an sich. Daher verdichten wir auch diesmal wieder den ganzen Sauhaufen angeschwemmter Gesternreste zu einer Trotzdemzukunft aus Leidenschaft und Wortspielerei, der nichts Allzumenschliches fremd ist außer der industriellen Unmenschlichkeit. Dicht ins Dunkel sozusagen, mit Wortspenden von Tom Liwa, Karl Merkatz, Ernst Jandl, Josef Hader, Loriot, Helmut Qualtinger, Arno Gruen, Jochen Distelmeyer sowie Aufgezeichnetem von Werner Schwab, Konrad Bayer, Robert Adler, Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter – nebst Live Gelesenem aus unserer eigenen Textwerkstatt. Kurz und gut, wir setzen uns zusammen, auch als Hoffnung inmitten der Trümmer, feiern das Leben – und erinnern uns an unserer Anfänge. (Ein Kurzfilm)

Sehr zum Wohlsein!

 

Spätlese

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. OktoberSpätlese mit Winzer heißt ein Gedicht von Anna Breitenbach, welches speziell für die heurigen (sic) Literaturtage in Weinstadt (sicsic) entstanden ist. In der unseren Untertiteln ziemlich artverwandten TV-Sendung “Kunscht” berichtete seine unstillbare Umtriebigkeit Denis Scheck über diverse Dichterlesungen, für welche zuvor die Autor_innen beim Lesen und Keltern des Weins mitgewirkt und so ihre Eindrücke in wohlvergorenes Wortwerk verwandelt haben. Auf diesem poetischen Terroir kommt es zu allerlei Assoziationen mit Fachbegriffen wie etwa Trockenstress, Süßfäule oder Geschein. Und ich dachte, dass es bei Wein, Wort und Gesang um Stoned Poets (Dichte Dichter) geht im Sinne des trunkenen H. C. Artmann, dem man nach seinem Vortrag vom Podium helfen musste.

herbsthasenWas also können wir Herbsthasen als Spätlese aufbereiten? Vor allem, ohne allzu wortwörtlich ins Weinfass zu fallen. Es ist spät und wir lesen? Vielleicht Handverlesenes aus dem Fetzenspiel mit dem Mozartstaat? Die Essenz des Rosinenweins aus Georg Trakls Drogentopf? Eigenes oder Fremdes, Angeeignetes oder Befremdliches, Übersetztes oder Vorletztes oder längst Zerfetztes? Über Oderhaupt ins Restdeutsch des Ostens dichteren Grobschnitt?

Ein Häschen von alledem, damits ausgewogen und nährwert bleibt. Und zudem noch, was uns ein-, ab- und zufällt, damits nicht fad wird, so ganz ohne Weltrum und Kugel. Es ist ja immer ein Zwischenraum jenseits der Definitionen, den es genau deshalb zu bewohnen gilt. Nüchtern betrachtet kann auch der Rausch verhandelt werden, ohne ihn zu verteufeln – oder ihm zu verfallen. – Im Hinblick darauf Georg Trakls Briefzitat:

“Dass es Winter und kalt wird, spüre ich an der abendlichen Weinheizung. Vorgestern habe ich 10 (sage! Zehn) Viertel Roten getrunken. Um vier Uhr morgens habe ich auf meinem Balkon ein Mond und Frostbad genommen und am Morgen endlich ein herrliches Gedicht geschrieben, das vor Kälte schebbert.”

mozart-spaetleseSpätlese kann in unserem Fall aber auch Nachlese, Protestsongperlen– oder gar Torkelbärenauslese bedeuten. Der uns nicht ganz ungeläufige Herr Blumenau ergeht sich nämlich im Nachfeld der diesjährigen Kür von Sarah Leschs “Testament” in eigenwilligen Argumenten, warum er diesem Lied genau null Punkte zugestand und warum es ihn auch nicht wundert, dass es inzwischen von rechtsrechten Gruppen für deren Weltsicht vereinnahmt wird. Das läge, so der tägliche Blumenau in seinem Artikel, von vornherein an Text und Haltung des Songs. Darob mag man sich ein Bild machen.

Während wir uns wiederum einen ureigenen (und etwas anderen) Contest schneidern, in dem es um genau nichts geht, außer um unsere gemeinsame Lust an der Freud. Küren wir halt das aushängigste Kürzesthörspiel des heurigen (hic) Weinherbsts! Mit einem vollen Radio ist laut stinken.Dazu Georg Trakls Wienverkostung:

“In Wien aber “strahlt” die Sonne am “heiteren” Himmel und die “weiche Melancholie” des Wienerwaldes ist auch nicht “ohne”. Beim Heurigen freut sich das “goldene” Herz und wenn dort die “schmachtenden Weisen” erklingen, so denke o Mensch daran, dass es bei den “wackeren Älplern” schneit und grimmig kalt ist. O! wie weh ist die Welt, wie wahnig das Weh, wie weltlich der Wahn.”

 

Mondfallsüchtig – Nachwort

Ein Nachwort zur Nachtfahrt vom Freitag, 10. Juni

Angst vor dem Tod hatte ich eigentlich nie. Angst vor dem Sterben, meine ich, die Straße löst sich, auf unbestimmte Zeit verborgt euer Schöpfen, von Wasser oder betrittst fremde Welt, zum ersten Mal, unbekannt noch, unbefleckt; da hört man das Singen des Schreibens und Pausen wie Perlen aufgefädelt, Korallenkette viel feiner als gedacht, ein Hauch nur / Wimperntäuschung, du schreitest Samt

moonchildkaramellisiertes Schweigen. Vanaprastham. Trommelnde Morgensucht während Radierungen, hier zeigt sich auch wieder meine Liebe : nocturnales Verhalten, vielleicht mehr als Lebensgewohnheit, vielleicht ja Instinkte der Nacht, die sich ergießen, über mich strömen, so glänzend Rabenfedern in erfundenen Gassen. Nicht nur Realität lässt sich biegen, keucht die alternde Entendame, der Kronkorken nickt, als ich mich nähernd : nahtloser Bruch, dass Bäume schweben, Mondhase oh wach über uns! Mein Herz dargeboten auf dem Altar der Sprache, noch schlägt es, vernarbt, zart, wer wiegt mir das Wohl, die Freude, wer die Last, das Fallen? Möglich, dass Schatten hinter mir grinsen, mit wilden Augen; Kopf gehoben und zurück in ein anderes Ich oder wie viele Leben kann ein Mensch füllen? Aufgehört mit dem Denken während des Denkens, so stiehlt sich Zeit, so durch die Finger, bald läuten die Glöckner; angeregt, beschleunigt durch leuchtende Stunden, welch Sturz in den Himmel! Diese stille Sucht, gar mondfallsüchtig, erinnernd an Haikus durch winterliche Flusslande

birthund all das Vergessen, all den Vergessenen, den Verstummten, den Geächteten : was da wuchert in meinem Kopf, neben Lichtmandalas gestreifte Farbandeutung rosé reifblau, das Knistern der Stille vor dem Schlaf, in der Früh vor dem Schlaf, sieben / siegen über Schlafkunst, Versuch einer Feststellung, zu Asche, zu Wasser, kaum saugt man die Gräser, die gläsernen Strahlen, die Schalen in Spiegelung, wohl metallische Klänge sinken ins Ohr … ihre Worte berühren etwas ganz tief in mir, wie Dunkel, das schon wieder strahlend … ich werde bald ruhen, es wandelt sich viel, halbfeuchter Asphalt unter den Kronen der Stadt, der knöcherne Traumfänger in perpetuierendem Kreisen, von Geisterhauch; so manches in regen Zuständen, ein Umwenden und -wälzen bis sich die Wellen dann glätten unter geblümten Himmeln, in Poesie verbunden

– Christopher Schmall

 

Alles neu, vorläufig (Chriss)

also Regenschritte nächtens, ein zaghafter Fall, eine Barriere imagniert, Nebelmauer zwischen mir, entbeinter Anzug, ist es nicht wie eine stille Sucht, ist es nicht wie Kreisen, ist es Bedingung, ist es Muss, ist es Befehl, ist es dies Wimmern der Knospen bei Morgengrauen?

dämmerndMetallisch, acryl, was für eine Farbe, ich tische dem toten Teddy Datteln auf, ein Schluck weißen Tee, du nimmst bloß Zucker, während der gefaltete Kranich die Schwingen hebt; auch das Betrachten der Entwicklung, des Stils, der Stille zwischen der Werbung, das Bestaunen der Wiederholung, Geschichtsstunde schwänzen, dafür um 10 unter der Klostereiche Bier trinken, wir wurden photographiert von einem amerikanischen Paar, das unseren Anblick wunderschön und entgegen der Sonne, es war wohl auch die Baustelle unten vis à vis unserer Schule in kreischenden Stößen oder eine Schwester hinter den salzburgbraunen Mauern.

Während Kugelschreiberbilder gefunden Erik Satie, wie man Musik entdeckt immer wieder wundersam, während Papierschwärzung erneuter Versuch das Sujet, erweiterter Genuß wird Asche, hierhin, bis hierhin zu denken, so blaubeerversüßt, pianogeweht, scheint trivial, fast obsolet, jetzt um 3 und auch berauscht, und all der Rauch in meinem Kopf…

gedämpftes Licht wäre angenehmer, es verrännen Buchstaben zu umbrenartigen Verästelungen auf Karmesinkaramell; so fällst du also durch die Nacht und hältst Ausschau nach Augenblicken, Beiläufigkeiten, ein Festhalten der Vergänglichkeit, und flüchten vor dem Schwachsinn, in Gedanken, geh bald um Essen, demnächst wieder Stille, füllst du sie?

 

Alles neu, vorläufig

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 13. Mai – Kinder, was sind das für Zeiten! Alles scheint im Wandel zu sein, doch macht der Mai wirklich alles neu? Oder handelt es sich nur um den üblichen Handel, der eben gefälligst frei zu sein hat? Ein neuer Anstrich macht noch lang keine SPÖ. Und ein neurolinguistisch tefloniertes Fieberzapferl noch lang kein schöneres Wetter für unsere Heimat. Freimat, Reimat, Seimat? Gedeihmat! Guten Morgen, wir sind die Festspielpräsidentin und alles wird schön. Aber Schurz beiseite, wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man jetzt nicht unbedingt auch noch eine Sendung machen. Aber muss man schweigen – oder soll man als Verdichter und Gestalter nicht doch versuchen, dem Unsagbaren einen Ausdruck zu verleihen? Wir hätten da schon eine entsprechende Bedürfnislage

allesMan kann ein Leben lang gegen die Hohlphrasen der Schwarzpädagogik im eigenen Kopf ankämpfen – und dann doch mit Entsetzen feststellen, dass die zubetonierte Wirklichkeit des umgebenden Weltgeschehens noch die schlimmsten Horrorvisionen in den (eigenen?) Schatten stellt. Denn das Unterbewusstsein der in Fernsehbildern und Nachrichten so genannten Realität ist voll von all den Gespenstern aus der eigenen Kindheit, die man längst auf dem Abfallhaufen der Ur- und Frühgeschichte entsorgt zu haben glaubt. Und wenn man sich dann einmal so umspürt in der “Welt” genannten Unterdrückung des Lebendigen, da kanns einem schon ordentlich schrugel werden, wie im Schlumperwald. Sollte es zumindest, sofern man sich noch irgendwie anfühlt. Da bekommt gleich auch unserer mundartiger Ausdruck “Heast, gspiast di nu?” seine eigentliche Bedeutung zurück! Das Leben, ein Traum!

neuWas gibt es Neues? Immerhin eignet sich die eigenartige Herangehensweise dieser Sendung ganz vorzüglich dafür, die Wechselbeziehung von Dichtung und Realität oder Phantasie und Wahrheit darzustellen. Wobei zwischen Wahn und Wirklichkeit zwar ein Gegensatz bestehen mag, nur das Gegenteil voneinander sind sie deswegen noch lange nicht! Vielmehr wohl eher zwei Facetten ein und desselben Phänomens: einer unendlich vielschichtigen Wahrnehmung dessen, was ist, war, sein wird, sein könnte, etc. Also die Gesamtheit aller Geschehnisse in den inneren und äußeren Welten unseres Daseins. Doch genug philosophiert jetzt. Her mit den Beiträgen, die wir auch diesmal wieder drei Stunden lang aus der Situation heraus zu einem noch unbekannten Gebilde verschmelzen wollen. Noch besser, mit den Elementen, in denen wir dergestalt umrühren werden, dass aus ihrer spontanen Verbindung wiederum etwas ganz Neues entsteht, wobei dieses Neue naturgemäß auch viel Altes enthält. Oder wie es der als Dichter unterschätzte Der Nino aus Wien meisterlich bernhardesk in einem Lied formuliert hat “Es geht immer ums Vollenden”

vorläufig

Aber hinter dir und vor dir,
doch am meisten noch daneben,
steht der Himmel, stehen die Wolken,
steht die Stadt nur deinetwegen.
Still, versäume nicht zu sagen,
was dir wirklich viel bedeutet
es gibt Menschen, es gibt Freunde,
aber meistens sind es Leute.
Manche sprechen oft von Schönheit,
viel zu oft um wahr zu sein.
Schöne Bücher, oder Tücher,
oder auch ein schöner Reim.
Du willst wissen, suchst die Wahrheit, in dem Buch das einst hier lag,
zwischen Nettigkeit und Schönheit steckt oft mehr als nur ein Tag.

Im Museum siehst du das Bild, in dem mehreres vereint ist,
in dem jeder Strich gemeint ist und nichts einzelnes allein ist.
Und es fließt alles zusammen und erzeugt ein Feuerwerk,
aus der Arbeit der Gedanken und der Farbe, die sie färbt.

 

Wir wiederholen uns.

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 8. Januar von 22 bis 01 Uhr – Wegen eines technischen Gebrechens meiner Luftpumpe (Lunge) sowie der seltsamen Eingebung diverser „praktischer“ Ärzte, mich in diesem Kontext tagelang auf Expeditionen in die antibiotische Todeszone von über 40° Fieber zu schicken – und weil die damit verbundene Hirnerweichung sowas von kein geeigneter Zustand zum Livesenden ist (jetzt hab ich diesen Satz dreimal gelesen und versteh ihn immer noch nicht), wiederholen wir also heute die Hippie-Nachtfahrt vom August 2014 Turn on, tune in, drop out…

Ein Summer of Love oder Von der freien Liebe zum freien Radio. Die Strandpiraten der spontanen Assoziation plündern kulturelle Überbleibsel aus fast 50 Jahren und suchen nach lebendigen Spuren des einstmals die ganze Welt verändern wollenden Hippie-Spirit. Vom psychedelischen Bewusstseinserweitern übers künstlerische Grenzensprengen bis zum sozialrevolutionären Engagement der 68er-Generation reichen unsere Fundstücke – doch wo verorten wir deren Auswirkungen in der Gegenwart? Etwa im vollmacdonaldisierten Drogenverbrauch, im industriekompatiblen Goa-Eventstadeltum oder im Verschlimmbesserungsmühen altersfrustierter Sozialreformierer? Findet sich jenseits von Kommerz und Verwurst noch etwas Genießbares aus Love & Peace?

Goa GilEine interessante Untersuchung in diesem Spannungsfeld bietet die englischsprachige Dokumentation „Last Hippie Standing“ (Video). Sie folgt der Fährte der allerersten enttäuschten Zivilisationsflüchtlinge, die schon in den 60er und 70er Jahren die Strände des indischen Bundesstaats Goa als Refugium für sich entdeckten – und dort über die Jahrzehnte hinweg ihren eigenen Lebensstil pflegten. Aus den zunächst recht spontan abgehaltenen Strandfesten und akustischen Jamsessions entwickelten sich mehrtägige Full-Moon-Parties mit vermehrt elektrisch verstärkter und dann auch elektronischer Musik, die schließlich zu einem massentouristischen Phänomen mutierten. Kaum jemals hat sich der oft zitierte „Clash of Cultures“ deutlicher als das entlarvt, was er in Wirklichkeit ist: Ein Vertreibungskrieg potenter Geschäftemacher gegen Ureinwohner und Zuwanderer! „We don’t want poor people. We want rich people to come and enjoy. So we want tourists who can spend money. We think of tourism in terms of tourism to generate money.  Soweit Chief Minister Francisco Sardinha (Goa war einst portugiesische Kolonie). Der Mann könnte noch Tourismuslandesrat von Salzburg werden. Oder Festspielpräsidentin.

summer of love tourplakatPolitik als willfährige Handlangerin der Reichen und Machtgeilen. Bäh! Genau dagegen kämpfte doch einst weltweit die Bewegung der Hippies: Autoritäre Bevormundung, Gesellschaftliche Zwänge, heuchlerische Moral, Kriegstreiberei, Umweltzerstörung. Und was tun wir? Lutschen an den Damals-Devotionalien und zelebrieren museumstauben Fan-Folklorismus. Oder etwa doch nicht? Womöglich bröseln wir uns nicht schon wieder den x-ten Aufguss romantischer Nostalgie ins Hirnpfeiferl, sondern lassen die Funken der freien Phantasie aufflackern. Und aus den Artefakten, die heut an unser Inselufer gespült werden, eine ganz neue Geschichte entstehen. Aber vielleicht funktioniert es auch nicht und wir werden noch depressiver. Nur – wenn wir die Idee von Liebe und Freiheit ernst nehmen, dann können auch wir die verklärte Vergangenheit entzaubern, indem wir sie nämlich nicht direkt dokumentarisch, also „eins zu eins“ abbilden – sondern indem wir uns ihr mehr metaphorisch, gleichsam in Gleichnissen, also „abstrahiert“ annähern. Und so spielen wir keinen umfassenden Hippie-Soundtrack zum Film vom nie gelebten Leben, aber ein reichliches Sammelsurium an Eindrücken von unserer Reise durch den Bauch der Zeit. Hermann Hesse trifft auf Rudi Dutschke. Die Punkballade auf Goa. Alte Hadern im neuen Gewand. Syd Barrett neben Käptn Peng. Aktuelle Beatles-Reworks und Neo-psychedelia aus Frankreich. Zu allerüberst Musikkabarettist Rainald Grebe. Und auch wir nehmens mit Humor: Liebe ist eine Frage der Frequenz – nicht des Frequency!

Café Unstet

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. DezemberCafé Unstet 1 (Musikjournalismus) und Café Unstet 2 (Todesfuge, Texte). Vier andächtige Stunden rund um Musik mit Migrationshintergrund und vorweihnachtliche Völkerwanderung – ohne Engel, ohne Esel – und nicht auf den Nahen Osten beschränkt. Auf Heimatsuche unterwegs durch die Assoziationen der Adventszeit, gemeinsam mit angehenden Absolvent_innen des Radiofabrik-Lehrgangs für Musikjournalismus sowie allerlei Bild-, Text- und Tonbeiträgen von freundlichen Fluchthelfern, Künstlern und Pfarrersköchinnen. Wir fühlen uns ein, ins eigene wie ins fremde Unbehaustsein, und laden zur Einkehr ins Café Unstet, unserer winterlichen Wärmestube für alle, die sich noch nötig haben im globalen Plemplem des Kaufrumpels. Umgeben wir uns doch einmal mit Musik und Gedanken, die alltogether einen weiten Weg hinter sich haben…

alleingemeinsamallein – die erste Stunde greift das Thema des Musikjournalismus-Moduls Musik mit Migrationshintergrund auf und nimmt einzeln nachhaus Flüchtende mit auf die Überfahrt durch die Untiefen der “Stereotypen, Missverständnisse und Worldmusic”. Es mag an der Weltpolitik liegen oder am Besinnlichkeitsterror der ringsum in Glühweingeldflut versinkenden Vorweihnachtsgesellschaft – auf jeden Fall bringt das Thema “Musik aus aller Welt” heuer kaum feuchtfröhliche Reisegefühle mit sich, stattdessen Abgründiges aus dem Unterwegs in Ungewissheit und Angst. Doch wie sollten wir nicht auch noch aus dieser Not eine Jugend machen, indem wir das vielfältige Angebot weltweiter musikalischer Interaktion zum Vehikel erklären? Um nämlich darzustellen, was “einmal um die ganze Welt” in Krisen wie diesen eigentlich bedeutet, nämlich viel mehr Flucht zu Fuß als christliche Seefahrt. Die Ausflugsreisen sind wegen der vielen Ertrinkenden bis auf weiteres eingestellt. Gehen sie nach Hause, nehmen sie brav ihre Drogen – und warten sie auf die Anweisungen der Regierung

hungerder hunger im herz – in der Zwischenzeit stellen wir einige Projekte vor, die sich auf nachfühlbare Weise mit den Themen Alleinsein, Hunger, Krieg – aber auch Zärtlichkeit und Trost beschäftigen. So zum Beispiel die Street-Art-Figur BAMBSY, der uns auch die Illustrationen für diesen Artikel freundlich zur Verfügung gestellt hat. Sie gehören allesamt zum Zyklus “Broken Angelz”, zu sehen via Facebook-Page des Künstlers. Er freut sich sicher über eure Besuche und Likes! Außerdem kann man ihm mit dem Kauf des schon legendären Hero-Bag beim Helfen helfen – sein Schöpfer lebt derzeit in  Mostar (Bosnien-Herzegowina) und unterstützt dort das Waisenhaus. Und er ist auch Teil des jährlichen Street-Art-Festivals (Video), einer höchst ansehnlichen Obdeulung. Wie lassen sich nun Bürgerkriegsflüchtlinge und elternlose Straßenkids musikalisch “illustrieren”? Bap-Sänger Wolfgang Niedecken wäre mal ein Anfang, engagiert er sich doch seit Jahren für die Betreuung ehemaliger Kindersoldaten. Oder Teresa “Ghost” Reiters Balkanplatte von 2012 – echt Alternative aus dem Kosovo? Wir nähern uns der Gegend – und spielen Reuf Sipović mit einem Ausschnitt aus Survival/Sevdah (Video).

kriegder krieg im bauch – naturgemäß nähert sich diese Stunde dem inneren Befinden angesichts des möglichen eigenen Untergangs. Und wir arbeiten mit Texten und Übersetzungen – aus dem Arabischen, aus dem Hebräischen, aus dem Persischen. Denn sei es die gedankliche Zerrissenheit eines Migranten aus dem Maghreb angesichts seiner unmöglichen Arbeitssuche, seien es Perspektivlosigkeit und Depression eines jungen israelischen Friedensaktivisten angesichts des in seinem Land herrschenden Kriegszustands, sei es die permanent lauernde Lebensgefahr jenes iranischen Sängers, der für ein kritisches Lied eine Todesfatwa erhielt, angesichts all der religiösen Fanatiker, die seitdem weltweit hinter ihm her sind – diese doch sehr unterschiedlichen Schicksale bewirken einander verwandte Empfindungen und erinnern uns auch an ein bekannt dunkles Kapitel aus der eigenen Heimatgeschichte. Wir möchten dazu eine geniale Neu-Interpretation des KZ-Überlebensklassikers “Todesfuge” von Paul Celan empfehlen, und zwar die Version aus Das lyrische Wir” von Maik und Pirmin Styrnol, den zwei ONchAIR Bros.

trostzweisammen dann – so geht unsere post-orientalische Herbergsuche quer durch alle Weltgegenden wieder zu Ende. Gewähren wir einander Unterschlupf an den Ufern unserer einstweilenen Zwischenweltinseln – und wenns nur für heut Nacht ist. Begleitet von Boker Tov Iran sowie No No Keshagesh winken wir euch zum Abschied noch einmal nach und wünschen viel Glück beim Selbstsein auf den Wortwogen des Weltblabla! Doch Augenblick mal – was sind das für verwegene Verrückte, die da am Lampedusa-Lagerfeuer noch lang nach der EU-amtlichen Sperrstund Musik machen und Herz und Hirn für die Freiheit der Verfolgten hinhalten? Der Cantautore Giacomo Sferlazzo (hier im Portrait von BQ-Media) mit Wolfgang Maria Gran, dem rasenden Reporter des versammelten Menschheitsblues, und sie reißen gemeinsam eine Session an, dass es nur so scheppert. Mit dieser Phantasie – und dem Ausblick auf Das Ganze Album – Artarium am Sonntag – verbleiben wir auch heuer herzlichst:

EUER GEILES INSTITUT

 

Wohlfühlfriedhof

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. NovemberDer Tod ist kein Beinbruch oder Schöner Sterben in Salzburg. Zwischen kuscheln und gruseln am Friedhof der Phantasien und Wünsche. Unterhalten wir uns einmal mit den Toten und erleben wir die Auferstehung der verdrängten Geschichte(n). Zelebrieren wir die Poesie der scheppernden Weinheizung in einer nebelschwangeren Novembernacht. Entreißen wir dem Memento mori unserer nazikatholischen Abendlandsheimat etwas lebendige Lyrik – von gegen den Strom des Vergehens andichtenden, sinnsuchenden Selbstmenschen. Lassen wir uns hineingleiten in dieses seltsame Schattenreich aus Erinnern und Loslassen, diese eigenartige Übergangswelt zwischen Sommerlust und Winterschlaf, diesen doch illegalen Grenzwechsel von Tod, Leben und – was?

georg kreislerVor allem sei eines,
sei unzufrieden jederzeit,
denn Gleichmut ist schädlich,
Bescheidenheit macht dick.

Sei zornig, sei giftig,
vertraue nie der Obrigkeit,
sonst bist du verraten,
sonst bricht man dirs Genick!

Georg Kreisler Das Finale

Hier auf dem Aigner Friedhof befindet sich nun die Grabstätte dieses großen Unbequemen, gleich neben der von Rafi Chaimowicz übrigens, was wir ja bereits in unserem Artarium mit dem Titel Schuldig! (über Feindbilder, Judenhass und den Kapitalismus als Religion) beleuchtet haben. Doch auch in dieser Sendung wollen wir Geniales vom Grantgroßvater des Widerborstigen zu Gehör bringen, etwa das oben zitierte vielstimmige Protestlied aus dem Programm “Hurra, wir sterben!”

Wer sich nicht gefallen lässt, dass man ihn schikaniert,
muss es unterstützen, dass die Jugend rebelliert,
ihr seid mit verantwortlich, drum legt euch nicht aufs Ohr,
helft uns mit der neuen Welt, machts besser als zuvor!

gruseligDoch was ist das? Nur einen Steinwurf vom Grab Georg Kreislers entfernt erheben sich sonderbare Silhouetten gegen das Braun dieses herbstlichen Nachtlichthimmels. Riesenhaft wirkende Statuen und Stelen thronen am höchsten Punkt des Friedhofs und verströmen von dort eine unbestimmte, irgendwie unheimliche Atmosphäre

Draußt is koid und drunt is woam,
nua monchmoi a bissl feicht,
und wonn ma so drunt liegt, gfreid ma si,
wonns Groblaterndal leicht…

gruseligerTatsächlich, es ist das wuchtige Grabmal des NS-Lehrers und Organisators der Salzburger Bücherverbrennung Karl Springenschmid, nebstbei noch Autor des Lamprechtshausner Weihespiels, einer textlich üblen, dafür umso schwülstigeren Lobpreisung des Opfertods für Führer und Vaterland, die er aus Anlass der dortigen Schießereien während des NS-Juliputsches 1934 verbrach. Ekelweh!

Auf amoi is di Musi stü,
und olle Augn glänzn
wei duat drübn steht da Knochnmonn
und winkt mit seina Sensn

Recherchen zu den damaligen Ereignissen fördern die Geschichte des von den Nazis noch kurz vor Kriegsende ermordeten Bundesheer-Hauptmanns Franz Rosenkranz zu Tage – sowie die skandalös unbehelligten Nachkriegskarrieren seiner Ankläger und Denunzianten (allesamt üble Hetzer und Schergen), in einem Fall sogar auf Intervention des damaligen Erzbischofs Rohracher. Siehe auch: Stolperstein Franz Rosenkranz Über den dort erwähnten Dr. Stefan Balthasar heißt es andernorts: “…(1938) wurde er leitender Staatsanwalt und verfolgte nun die Repräsentanten der Vaterländischen Front ebenso vehement wie er vorher illegale Nationalsozialisten verfolgt hatte, als er selbst noch Mitglied der Vaterländischen Front gewesen war.” (Hubert Stock, Böhlau 2010)

nazikatholisch

Hier passt Thomas Bernhards Wendung vom “architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden wieder einmal wie die Faust aufs Auge. Und auch: “Die Stadt ist für den, der sie und ihre Bewohner kennt, ein auf der Oberfläche schöner, aber unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche.”

Doch einmal abgesehen von diesen einigermaßen gespenstischen “Zufällen” und Zusammenhängen werden wir uns naturgemäß in der allgemeinen Ambivalenz der Friedhofgefühle ergehen. Denn, so tröstlich es einerseits sein mag, dass die ganzen Arschlöcher tot sind und einem folglich nichts mehr anhaben können, so schmerzlich ist es andererseits, dass die hier an- und verwesenden (man verzeihe mir das sich aufdrängende Wortspiel) Weggefährten bestimmt kein Bier mehr mit einem trinken. Oder ähnliches. So beschweben wir jedenfalls ungeurteilt das Zwiespältige eines Verweilens im Unaufgelösten und assoziieren unser Eigenes drum herum

“Is there a heaven? I’d like to think so!”

Roxy MusicIn every dream home a heartache

 

Emotional Soundtrack

Nachtfahrt Spezialausgabe von Freitag, 30. Oktober und Samstag, 31. Oktober: Dieser Sendung erster Teil (1968-1984) sowie derselben zweiter Teil (1985-2015)

Den Soundtrack meines ganzen Lebens in 4 Stunden verhandeln? Meine musikalische Gefühls- und Geschmacksbildung anhand von knapp 40 Songs/Titeln darstellen? Ja, geht das denn? Ich glaube, nur sehr bedingt. Es könnten ja einerseits noch viel mehr sein, andererseits aber auch wiederum ganz andere. Auf jeden Fall gibt es sie, diese ganz speziellen Nummern, die einem lebenslang in Erinnerung bleiben, weil sie mit starken Emotionen verbunden sind. Sie können Aufbrüche, Einschnitte, Höhepunkte oder Weichenstellungen bedeuten. Sie können diese sogar mit ausgelöst – oder einfach nur begleitet haben. Das Leben ein Film, kongenial mit dem dazu passenden Soundtrack versehen. Der Selbstversuch einer Chronologie aus Gänsehaut, Nießreiz und Weite

norbert 74Pubertäre Prototypie (1968-1978) Von einigen noch in den Radios der Altvorderen aufgeschnappten oder von bereits in die Weltrevolution aufgebrochenen Verwandten zur Verfügung gestellten Hörstücken entspinnt sich die Lustreise des heranwichsenden Pubertiers zu allerlei selbstentdecktem Soundgut alternativ-emotionaler Ausprägung. Von Sandy Shaw bis Nina Hagen, um es verschärft auszudrücken. Von Wolfgang Ambros bis Pink Floyd. Kann Spuren von Lou Reed, The Byrds, aber auch Schobert & Black enthalten. Zwischen Sex und Selbstmord pendeln die Gefühle in dieser wichtigen Zeit des Ausbrechenwollens aus den überkommenen Verhältnissen. Feuchtfröhliche Erforschung des eigenen Selbst, anschließend Verschleuderung aller Möglichkeitsformen. Here comes the story of the Hurricane, the man the authorities came to blame.

rememberPsychedelisches Panoptikum (1979-1984) Vom Konzeptalbum Spartacus (gern gehört während meiner Unzeit beim Bundesheer) über diverse (im wahrsten Sinn) Film- und Reisemusiken bis zu sozialkritischen Kampfliedern sowie Verdichtungshymnen gegen zernüchternde Salzburgrealität prägten ur- und untypische Titel diese Zeit ersten Berufstätertums inmitten der ARGE Rainberg Proteste. Die Schroeder Roadshow war mit Anarchie in Germoney im Petersbrunnhof zu Gast. Nina Hagen, Herman Brood und Lene Lovich gab es als abgefahrene Punkrockpartie in dem genialen Film “Cha Cha” zu sehen. Mike Batt lieferte mit Tarot Suite den Soundtrack zu den verbreiteten spiritistischen Spinnereien der Späthippiezeit. Überall keimte Hoffnung, und eine offene Gesellschaft schien für kurze Zeit wirklich möglich zu sein. Bierjodlgasse? Hanfjodlgasse!

septemberPostpunkoide Projektpoesie (1985-1999) Oft sind es ja Freunde, Mitbewohner, Bandkollegen, die einen mit für den Lebenssoundtrack unverzichtbaren Musiktiteln versorgen und so die Entwicklung zum eigenen Stil und Geschmack vorantreiben. Von der Wiener Kunststudienzeit über die Kulturfreizone und das Streiklager gegen Schubhaft in Salzburg bis zum Jugendtreff in Mariazell erfuhr ich so immer wieder Anregungen, die bis heute bestimmend blieben. Dazu gehören Manfred Mann’s Somewhere in Afrika ebenso wie Hansi Lang oder x-beliebig. Manchmal bringt einen dazwischen das Interviewtwerden auf den Punkt: Was wir unter Kultur verstehen, ist vergleichbar mit einem Biotop. Irgendwann einmal zwischen Nachmittag und Abend kommen dort zwei Verliebte vorbei oder ein Dichterling oder sonst jemand, einfach Menschen. Und die genießen das, denen sagt das was.

unterführungPerlentaucher Performances (2000-2015) Je kürzer der zeitliche Abstand zu beeindruckender Musik ist, desto schwerer ist es natürlich auch einzuschätzen, ob sie wirklich prägende, bleibende Qualitäten haben wird, denn dies erweist sich eben erst rückblickend und über die Jahre hinweg. Aber stellen wir halt einfach einmal ein paar begründete Behauptungen in die Welt. Denn was sich auf der Anreise zu dieser Nachtfahrt sowie in den Kunnst-Biotop oder Perlentaucher geheißenen Sendungen als wirkungsvoll erwiesen hat, dem dürfte durchaus ein gewisses Potenzial zum Dauerhaften innesein. So beschließe ich meinen Einhandsegler-Runfunkenflug noch mit einigen schönen Entdeckungen von Rotz, Panik, The Waterboys und Wir sind Helden. Habe die Ehre! Die Verletzten sollen die Ärzte sein. Die Letzten sollen die Ersten sein. Sieh‘ es ein…

…the meek shall inherit the earth.

 

Sumpfblüten

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9 OktoberSumpf ist ja im allgemeinen Sprachverbrauch zumeist höchst zwiespältig konnotiert. Bist du deppad, des hob i jetz owa uandlich gscheid gsogt! Also irgendwo zwischen Feuchtwiesen, die für die Erhaltung der Artenvielfalt unerlässlich sind, und Korruptionssümpfen, die trockengelegt werden sollen, damit der geschmeidige Warenverkehr nicht darin steckenbleibt, gibt es hoffentlich noch weitere Stimmungen und Gerüche für unser Orchideenstudium. Bei anderen Radiosendern existieren ebenfalls gatschartige Genussmittel mit lustigen Titeln wie Im Senf oder so ähnlich, die sich wie wir auch der Monoklonkultur industrialisierter Behupfdudelung widersetzen. Bravo! Lasset uns also jenseits der erwartbaren (und ausgelutschten) Assoziationen Überraschenderes entdecken – in, durch und rund um diesen Sumpf.

HC ArtmannplatzSchon ist Schluss mit lauschigen Gastgärten und nächtlichem Herumflanieren (zumindest ohne Mütze und Schal). Die öffentlichen Plätze sind verwaist, die Sitzmöbel werden bald wieder verräumt – und die Stadt klappt ihre Sommersaison zu wie ein ausgelesenes Buch. Wieder lockt dich der Ofen, hinter dem du doch sonst keinen Hund hervor… Was solls! In uns wuchern nichtsdestotrotz noch dieselben Tropenträume wie frühsommers oder schwüls. Um ebendiesen auch herbstbeginns zu obliegen, begehen wir nun gluckernd, rülpsend und schmatzend diese sumpfige Sendung. Was sich da unter der schleimigen Oberfläche unseres schönen Scheins an Musik zusammenbraut, kann sich durchaus hören lassen. Und was dem fruchtbaren Feuchtbiotop unserer Phantasien und Wünsche an Texten entquillt und entsprießt, das braucht weder Mondlicht noch Finsternis zu scheuen. Ein buntböses Potpourri aus Diven und Abgründen, gefährlich und schön wie ein Leben.

BlutmondLoveGrave treffen auf The Cure, Crude (aus Salzburg) begegnen Creed (aus den 90ern), der Keller Steff hat einiges mit Motörhead gemeinsam – und Wolfgang Ambros singt auf Englisch. B. Traven ist deutlich, Francois Villon natürlich derb, Vladimir Kaminer dem Sport verfallen – und Virginia Woolf bleibt geheimnisvoll. Konstantin Wecker zuletzt stiftete den Text zum Titel:

Das ist die hohe Zeit der Tropenträume,
ein Flügelschlag nur bis zum Meer,
und alles, was ich jetzt versäume,
erreicht mich bis ins Grab nicht mehr.

Versoffner Mond und dunkle Weine,
das Leben schlägt die Phantasie!
Ein schwuler Priester schwingt die Beine,
er ist der Star der Travestie.

Da wuchern wieder Kindheitsträume,
das Wunderland Calafia,
das ich erst spät durch dunkle Räume
im Rausch und Taumel wiedersah.

Der Tod hat viel zu schwere Flügel,
ihn hält es nicht in meinen Höhn.
Er ist das Pferd. Ich halt die Zügel.
Er überdauert. Ich werd überstehn.

Nur weiter, wo die Schiffe dösen,
dem letzten Hafen hinterher,
dort, wo die Blumen alles Bösen
dem Sumpf entblühen, bunt und schwer,
bunt und schwer.

Zum vollständigen Text auf www.wecker.de