On the inner road

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Oktober„The Beat Generation“ (die geschlagene, fertige, erledigte Generation) nannte Jack Kerouac die zahllosen Aussteiger und Außenseiter, die im allgemeinen Siegestaumel nach dem 2. Weltkrieg aus der sich stetig angepassenden „Mitte der Gesellschaft“ rausfielen – oder rausgeschmissen wurden. Wohl, weil sie zu empfindsam, zu kreativ, zu prophetisch oder sonstwie zu anders waren. Einige von ihnen wollten sich ums Verrecken nicht mit einer stummen Statistenrolle im Maschinenmoloch des anbrummenden Wirtschaftswunders zufrieden geben – sie dichteten geradezu um ihr Leben und erschufen so eine bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte, unerhörte, unverfrorene Ausdrucksweise – jene Bildwelt, Lebensweise und Sprachkultur, die sich bis heute in vielerlei Formen als „Beat Poetry“ erhalten hat. Und so wollen wir diesmal auf unserer Nachtreise den Gefühlen der Beatniks und Dharma Bums nachspüren – die uns auf ebenso beängstigende wie doch zugleich tröstliche Weise als zeitlos gültig erscheinen. Und – wo sind wir jetzt?

Anpassung

Es hat sich in den letzten paar Jahrzehnten doch einiges verändert, will sagen verschärft, verdichtet, verbeschleunigt. Die alten Bilder sind verblasst und taugen nicht mehr so recht zum Veranschaulichen dessen, was tagtäglich rings um uns und eben auch in uns vor sich geht. Erinnern wir uns doch noch einmal an die schöne Metapher vom angepassten Funktionstrottel in seinem Hamsterrad: Angetrieben von einer rätselhaften, unablässig zuckenden Betriebsamkeit läuft und läuft und läuft er – nämlich auf der Stelle. Ihm erscheint es dabei allerdings so, als steige er auf der vor ihm liegenden Karriereleiter immer eine Stufe um die nächste empor, als bewege er sich also nicht nur vorwärts, sondern eben auch aufwärts! Dass dem nicht so ist, er vielmehr in einem veritablen Fitnesstudio der Käfighaltung vor sich hin rotiert und dabei genau gar nichts weiter bewegt außer jenes kleine Rädchen, in welchem er doch tatsächlich gefangen ist – unbemerkt, verdrängt, was weiß ich – das erkennt jedes fein beobachtende Kind, etwa im Zoofachgeschäft.

Aussage

Vielleicht sollten wir dagegen wieder mehr unsere eigenen Gefühlswahrnehmungen zu Wort kommen lassen, um so das gegenwärtige Weltbefinden einigermaßen entsprechend zu verdeutlichen. Wie geht es zum Beispiel mir – wenn ich mich mal außer der Zeit hinsetze um etwas schreiben zu wollen – dürfen, müssen, sollen? Und um dann doch beim Bild des Hamsters zu bleiben – es ist mir dabei, als liefe gar nicht mehr ich im Tretradl herum. Nein, irgend ein mental verrottetes Oberarschloch hat heimlich über Nacht einen Motor an der Radachse montiert, welcher die Trommel, in der ich mich jetzt befinde, immer schneller und schneller in Bewegung versetzt. Fürwahr, ich sitze mit Schreibstift und Papier mitten in einer Waschmaschine und es beginnt soeben das Schleuderprogramm. Und während ich noch versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, um ihn womöglich irgendwie zu notieren, schmeißt es mich schon kreuz und quer durch die rotierende Wäsche, haut es mir Jacke wie Socke und Hose luftraubend ins Gesicht und entreißt mir endlich zentrifugal beschleunigt jedweden Rest von Sinn, Plan und Verstand.

Aufstand!

Nein, wir sind alle längst nicht mehr die in den Trichter des Fleischwolfs hinein gestopften Schüler aus dem Pink-Floyd-Video „Another Brick In The Wall (Part II)“ oder aus meiner Kindergartenzeichnung „Die Menschenvernichtungs-Maschine“. Der Fleischwolf ist längst in unseren Seelen und Hirnen befestigt und aus ihm quetscht sich das langweilige Wurstbrät der Informationsgesellschaft – durch uns hindurch – Input, Output, kaputt – und verklebt auch noch die letzten echten Freundschaften mit unwirklich sinnlosem Zuviel. Wir leiden nicht an – wir sind die Verstopfung. Facebookstatusse und Fernsehnachrichten erschaffen in uns die Denkwelt unserer Ausweglosigkeit. Während wir noch am Rotieren sind, quillt es zugleich zäh und ätzend in uns hinein und sofort wieder aus uns heraus – ungefiltert, ungeordnet, unsortiert, ungesinnstiftet. Unsinngestiftet! Die globale Inkontinenz des Banalen, wichtigtuerisches Entertainment. Here we are now, blah our brains out! Wie widerlich…

Bevor wir jetzt alle aus dem Fenster springen, begeben wir uns doch erstmal auf diese spezielle Nachtfahrt durch die Abgründe der Aussätzigen, Unberührbaren, Zukurzgekommenen. Ha! Wir sind in Salzburg – was wäre denn ein besseres Mittel gegen die Monstrosität der Mozartkugel? Lauschen wir einigen Ausschnitten aus Allen Ginsbergs „Howl“ (Film) im englischen Original – und hören wir uns zudem ein paar Portionen von Chriss‘ „interpretativer Übertragung“ ins Deutsche an! Öffnen wir unsere Grenzen, gewähren wir unseren flüchtigen Gefühlen Asyl. Beginnen wir heute damit, die Abspaltung unserer „unerwünschten“ Emotionen zu beenden. Denn auch der Tropfen auf den heißen Stein kann der Anfang eines großen Regens sein. 😉

 

überwinden verwandeln

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. September (Teil 1) 🙂 und Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. September (Teil 2) Eine vierstündige Parzivaliade der etwas sehr anderen Art – zum nunmehr tatsächlich 5-jährigen Jubiläum dieser Sendereihe. Mit Textbeiträgen von Norbert K.Hund und Christopher Schmall, geklauten Ausschnitten aus dem Vortrag „Quest for the Grail“ vom U.S.-franziskanischen Männersynoptiker Richard Rohr (Dank sei dem Großen Bruder Ö1) sowie natürlich jede Menge intuitionsdramaturgisch auserlesene Musik von Collide über Käptn Peng bis Placebo – deren demnächst erscheinendes Album „Loud Like Love“ wir übrigens schon am kommenden Sonntag im Artarium vorstellen werden. Und was wäre geeigneter fürs weiterführende Würdigen unseres ursprünglichen Sendungskonzepts als eine hintergründig entzaubernde Verwandlungsreise auf den Symbolspuren des gernmännlichen Jungritters, der die Antwort sucht ohne Fragen stellen zu müssen?

ÖVPDer junge Suchende zieht also irgendeine „erwachsene“ Ritterrüstung an und stülpt sich dazu noch einen vorgefertigten Helm über (namens Gott, Ehre, Stolz, Heimat,..) Schon lernt er nichts neues und anderes mehr, als mit den bereits vorhandenen Symbolen mehr oder weniger „richtig“ umzugehen. Ob man ihm jetzt noch dazu beibringt, die Rüstung schön anzumalen oder sich darin anmutig zu bewegen, ist scheißegal – er hat sie ja längst an! Dazu hat er auch noch den passenden Helm, Hut, Denkschädel auf. Ob er sich an selbigen dann Blumen, Federn oder Würste steckt – das ist ebenfalls wurscht. Denn Hut bleibt Hut, Herrschaft bleibt Herrschaft, und Gewalt bleibt so eben auch. Es kann also nicht darum gehen, den „ein richtiger Mann“ werden wollenden Jugendlichen dabei zu beobachten, wie er das „richtige oder falsche Ficken“ lernt. Es ginge vielmehr darum, ihm endlich zu erlauben (und ihn dabei auch zu unterstützen), eine Sexualität zu entdecken und zu erleben, die sich mit überkommenen Brutalbegriffen wie „ficken, pudern, schuastern“ gar nicht mehr beschreiben ließe… 😀 Denn wer zu sehr danach strebt, zum Abbild seiner Vorbilder zu werden, der sollte sich dann auch wirklich nicht wundern, dass sein Selbst als ein Abziehbild daher kommt.

SPÖEs ist ein sehr spannendes Unterfangen, die Geschichte des Parzival einmal aus dem Blickwinkel seiner soeben erwachenden Sexualität zu sehen. Denn gerade die Selbstentdeckung leiblicher Lust bei heranwachsenden Burschen wird in einem Ausmaß von Zweckvorgaben zudefiniert, dass einem der Zement des Patriarchts nur so aus der Zerquetsche quillt. Einerseits werden noch immer Überbegriffe wie etwa Gott, Natur, Kulturgeschichte bemüht, um sozusagen „von oben herab“ zu begründen, dass „es von vornherein so ist, wie es ist, und zwar, weil es eben so ist“ – und andererseits werden die Erfahrungen der Mehrheitsmenschheit dahingehend verallgemeinert, dass eben „Vater und Mutter, wir, die Gesellschaft, immer schon so waren (weil wir es eben auch so erlebt oder halt gelernt haben)“ – nämlich HETEROSEXUELL!!! Sinn und Ziel der menschlichen Entwicklung ist also nicht Selbstbestimmung, sondern fruchtbare Fortpflanzung zur Arterhaltung? Wäh 😛

FPÖAuf die eventuelle Frage: „Weshalb regt es sich, weshalb erregt es mich – wenn ich ans Nacktseinküssenberühren denke?“ kommt von irgendwo her eine Antwort wie „Das ist so, damit du später einmal Kinder machen kannst.“ Und es geht gleich noch schlimmer: „Denk nur einmal an Schlüssel und Schloss. Mit einem weichen Schlüssel kann man ja nicht aufsperren.“ Sprache ist eben entlarvend – auch wenns die eigene Muttersprache ist! Wozu statt woher oder die Zerquetschung jeder sexuellen Regung zu gesellschaftskonformem Zwetschkensex. Zu feiner Zerquetschenmarmelade eines immerfortpflanzenden Fruchtbarkeitsismus. Eisprung bist du großer Töne, Jössasmaria! Und was ist überhaupt mit der Burkatante, die dauernd mit dem Gralskelch herumschleicht? Ist Parzival doch ein heteronormativ-katholisches Propagandamärchen für feuchtschwüle Pfadfinder? Das können und wollen wir uns als lebensdiplomierte Symbolentzauberer jetzt aber so gar nicht vorstellen! Gut – zum Schluss der Geschichte lüftet der nunmehr gereifte Held auch noch den Schleier – und erkennt die für ihn bestimmte Frau. Was könnte uns diese Szene jedoch in einem tieferen Sinn zeigen, wenn wir sie nicht einfach allzu schlicht wörtlich nehmen? Die Bedeutung der Symbole können wir durchaus selbst bestimmen. 😉

Die GrünenWas er, der Suchende, im Herzen getragen hat, wird jetzt enthüllt und somit zur Wirklichkeit. Egal, welchen Weg oder Umweg du gehst, kommst du unausweichlich doch dort an, wo du im Unterbewussten schon immer hin „willst“ – und zwar ohne es zu wollen, ohne zu wissen oder zu verstehen, was du willst. Der Fluss des Lebens, die atmende Psyche, jede sich immer wieder gebärende Körperzelle und alles in allem „der Geist“ unseres Gefühlssinns treiben unser jeweiliges Thema immer weiter voran und uns damit solange um, bis wir endlich an-, zu uns – und dann auch noch zusammen kommen! Doch was bedeuten dann der Gral, die Lanze, die „richtige Frage“, wenn nicht das, was uns immer schon beigebracht wurde von den altvorderen Oberhäuptern? Verwandeln wir ein Stück abendländischen Hierarchiezauber wieder in eine ermutigende Erlebensgeschichte und seien wir endlich die, die wir immer schon werden wollten – weil wir es längst sind!

„Oheim, was wirret dir?“ – Wir sind jedenfalls ein geiles Institut! 😀

Ausschnitte aus dieser Sendung sind auch im Artarium vom 22. September gut zu hören… Und unser Nachtfahrt-Kurzfilm-Portrait mit zeitlosen Statements ist ebenso sehenswert.

 

Dichterwerdung… (Norbert)

Stream/Download: Nachtfahrt der Perlentaucher vom Freitag, 9. August – Eine Sendung über die Faszination der Sprache, über das Dichten und immer noch dichter werdende Verdichten, über das Wachsen und Werden von Ausdrucks-Weisen – und überhaupt über uns und unsere Wortwelten, in die wir uns verliebt verlieren. Dichterwerdung ist dabei sowieso ein Ausnahmeausdruck, beschreibt doch gerade seine Doppelbedeutung jenseits sprachkünstlerischer Reifung oder schriftstellerischer Karriere eher einen Aggregatumstand zunehmender Innenweltverwandlung. Da sind Dichtheit und Dichtung also durchaus nicht nur etymologisch artverwandt, zumindest was die Veränderung des Wahrnehmens anbelangt. Was allerdings das schöpferische Einwirken auf seine Mitmenschen betrifft, da kann es dem Dichter ab einer gewissen Dichtheit schon zur Implosion geraten. Doch Dichtheit umgibt uns ja auch noch anderweitig. Daher diesmal mein Plädoyer für einen eher revolutionären Umgang – vor allem mit Sprache 😉

Abendkonsum„Das kann kein Film, kein Buch, keine Musik – und keine Droge – die Welt verändern.“ So tönen sie alle heutzutage, die damals die politisch-psychedelische Aufbruchstimmung mitgeprägt haben und mittlerweile wohlbestallt als Autobiographen, Ex-Terroristen, Musikkritiker oder Verlagsleiter ein Teil jener globalen Unterhaltungsindustrie geworden sind, deren Ausbreitung sie damals so vehement bekämpft hatten – und von deren reichlicher Dividende sie nunmehr so angenehm leben. Könnte ja durchaus sein, dass sie sich einfach haben einkaufen lassen. Dass sie sich ihre abgebrüht wirkenden Statements recht gut versilbern und vergolden lassen. „Das ist eben so. Die ganze Welt ist ein Markt. Man muss halt schauen, dass man im Geschäft bleibt. U.S.-Imperialismus, Coca-Colonialization, die kulturelle Hegemonie, ein Naturgesetz.“ Mediale Präsenz, Umsatzzahlen und Einschaltquoten, marketingmechanisch werbungskünstliche Aufmerksamkeitserregung in einem Meer massenideologisch gleichgeblödeter Kaufkasperln, Konsumidioten, Kulturverbraucher. – Das sind doch genau die Parolen der herrschenden Wirtschaftsreligion – das ist doch die nächste „Big Lie“ nach Augustinus, Luther und Goebbels – dass nämlich die Welt als Ganzes „endverbrauchbar“, also auftragsgemäß aufzufressen sei. Und Mahlzeit!

OpferweisheitDoch drehen wir den Spritz einfach wieder um – ins Majim. Wie sagt das alte jüdische Sprichwort und Motto der in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrten Listenschindler und Flüchtlingsverstecker: „Wer einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“ Und seien wir uns ehrlich – haben die nicht auch die Welt verändern wollen? Denn wenn nicht, dann hätten sie ja wie viele andere in der Mitte der Gesellschaft auch brav Ja, Amen und Heil Hitler gesagt und weiter mitgemacht bei der Ausrottung der Andersseienden. Es gibt kein menschliches Werk – egal ob in Taten, Worten oder Liedern (geschweige denn Filmen) – das von irgendwelchem Interesse sein könnte, nämlich im Sinne einer Beförderung der Entwicklung zur Menschlichkeit – außer ein solches, das aus dem elementaren Verlangen nach Veränderung der Welt entstanden ist. Kein menschliches Werk ist von irgendwelchem Wert für seine Mitmenschen – seien es Zeitgenossen oder kommende Generationen – das nicht aus dem tiefen Bedürfnis nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse zum Friedlicheren, zum Gerechteren – also zum Besseren – geboren ist. Diesen Umstand abzulehnen, auszublenden, ihn durch welche Verdrängung auch immer zu verneinen – ihn durch bloße Nichterwähnung außen vor zu lassen – das ist im Grunde schon ein Kapital(aha!)verbrechen – nämlich das Verbrechen des Verschweigens.

VerwandlungWenden wir den obigen Spruch doch einmal auf die Motivation zum Kunstschaffen – und auf die Motivation zum Kunstgebrauch an – dann würde er wohl heißen: „Wer eine einzige Welt (etwa die eigene) verändert, der verändert auch die Welt im Ganzen.“ Wer also dichtet, singt und spielt, sich selbst auf- und anderen etwas vorführt, um so die Welt zu verändern, der verführt seine Leser, Hörer und Zuschauer ebenfalls dazu, in eine sich verändernde Welt einzutauchen – und ihre eigene Welt als durchaus veränderbar zu verstehen. Und dieser Prozess vermag den inneren Wert von Veränderung auch in die Welt da draußen zu befördern. Da ist nämlich kein Unterschied zwischen Innen- und Außenwelt – und es gibt einen direkten und kausalen Zusammenhang zwischen Phantasie (der Vorstellung von der Welt, wie sie sein könnte und eigentlich sein sollte) und Realität (der Wahrnehmung unserer gemeinsamen Welt, wie sie durch handelnde Personen gestaltet wurde) – auch wenn das Gegenteil dessen andauernd und mit aller verfügbaren Geldgewalt wiederkäuend behauptet wird, ein Umstand, der übrigens keine Aussage jemals „wahrer“ gemacht hat – allerbestenfalls „geglaubter“ – bis hin zur alternativlosesten Mehrheitsfähigkeit.

 

Dichterwerdung und Sprachfaszination (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. August verdichtet sich zu einem dichten Gedicht, welches die Dichtheit der Sprache auf dichterische Weise abdichtet und sich fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten der Dichtung in eine Textase stürzt, die dichter nicht sein könnte! Zumal es endlich wieder an der Zeit ist der Sprache zu huldigen und sie gleichzeitig in ihre Einzelteile zu zerlegen, neu zu formen, sie umzugestalten und kreativ mit Wörtern zu spielen! Also, willkommen im Einmachglas der Möglichkeiten! 😀 

blätterfallenWir wachsen so selbstverständlich mit der Sprache auf, dass uns teilweise gar nicht mehr auffällt, wie zauberhaft und magisch sie sein kann. Sie kann Welten öffnen -fantastisch und traumhaft; sie vermag es aber auch uns zu verletzen, hässlich zu sein, widerlich und ekelerregend. Sie ist unendlich weit, farbenfroh und so facettenreich; dennoch stoßen wir hin und wieder an ihre Grenzen. Sprache kann wirklich sprachlos machen. Manchmal verschlagt es uns die Worte, wir können nichts mehr sagen, bringen keinen Satz mehr hervor, als hätten wir verlernt zu sprechen…

Ich als Dichter lebe von ihr. Ich liebe und ich hasse sie; und bin auf sie angewiesen. Es ist schon merkwürdig wie ein Wort den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann. Es ist ein ständiges Abwiegen, ein andauerndes Überlegen und Feilen, eine Arbeit, eine Beschäftigung, die niemals aufhört, immer weiter geht. Ich bin im Bann der Worte. Und kann doch über sie bestimmen! Ich glaube, es ist eine Art Symbiose. Ohne Worte könnte ich nicht meine Gedanken nieder schreiben und ohne mich blieben sie nur seltsame Hieroglyphen…

Ich werde versuchen mich der Sprache anzunähern, doch sie wird sich mir wohl nie ganz erschließen. Es ist ein Mysterium, genauso wie die Zeit. Sprache verbindet und Sprache unterscheidet. Sie stiftet Missverständnisse und schließt Freundschaften. Sie lebt und verändert sich unaufhaltsam. Genauso wie wir Menschen, denn wir lassen sie erst lebendig werden, hauchen ihr Magie ein und sollten sie auch vor Verfall und Zersetzung bewahren. Denn ich glaube immer noch und mehr denn je, dass Worte zaubern können.

 

Woher Wohin (Norbert)

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli – Das Triumvirat der Möglichkeitsformen begibt sich auf Reisen und entspricht somit der Sommerszeit. Bombastisch überfrachtet mit Erwartungen von Glückseligkeit und Offenbarung muss diese allzu kurze Saison des Kurzärmeligen unsere sonstige Alltagsverhaftung und Eingesperrtheit mit nichts Geringerem kompensieren als mit – Freiheit. Jawohl, Freunde und Dinnen, jetzt wollen wir aber alles auf einmal und das bitteschön augenblicklich! Man gönnt sich ja sonst eh viel zu wenig und lässt sich auch meist allzu leicht in Sachzwänge und Betriebsamkeiten einteilen. Doch jetzt wird endlich gelebt, und zwar mit Vollgas! Der Ernst des Lebens kann warten – und zwar genau bis zum nächsten….. Wie bitte? Hallo Hamsterrad, Hamsterdam, Hamster denn ins Hirn gschissen? Wir wären jedoch nicht wir, wenn wir dem Konsumwichteltum nicht hinter seine gelackmeierte Grinsmaske zu schauen versuchten. Und da fängt das Abenteuer auch schon an…

Gußwerk, SteiermarkWer bin ich überhaupst? Und wenn nicht, wann dann! Kein Scheiß, es gibt einen tiefen Zusammenhang zwischen Unterwegssein und Selbsterkenntnis. Zwischen dem „sich selbst in anderen Situationen als den üblichen gewohnten erleben“ und der Möglichkeit, diese Erfahrung als Spiegel der eigenen Persönlichkeit zu nutzen. Und es gibt darüber hinaus so etwas wie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen „woher und wohin“. Formulieren wir es einmal als These des Reisenden: Je weniger mir klar ist, woher ich komme, desto unklarer bleibt mir auch, wo es mich eigentlich hin treibt. Das wirkt sich dann allerdings wiederum auf mein Verständnis über mich selbst aus – je weniger mir bewusst ist, woher ich komme und wohin ich gehe, desto verborgener bleibt mir auch, wer ich etwa wirklich bin. Wir spielen mit diesen Ideen von Anfang und Ziel auch vor dem Sinnbild des gesamten Lebenswegs als einer Wanderung voller Visionen und Umwege, plötzlicher Wettereinbrüche, spontaner Abzweigungen…

Am Fuß des UntersbergsDenn das Wohin ist auf dieser Lebensreise oder einer Selbsterfahrungsfahrt nie so klar definiert wie etwa bei einem Urlaubsflug in den All-Inclusive-Club in Animateuer am Idiotischen Meer. Wir sollen das bloß alle glauben! Dass die Welt beherrschbar, berechenbar, bezahlbar und einklagbar ist. Und ja, kontrollierbar! Aber sicher doch, es gibt keine Unfälle und Krankheiten, nicht einmal behinderte Kinder. Es gibt auch keine Armut, nur Faulheit! Es gibt höchstens Hochglanzversprechen von der schönen neuen Welt – dazu viel zu viele, die einfach herumsitzen und darauf warten. Wenn wir jedoch aufbrechen, vom Erwartbaren Abschied nehmen und einen neuen Weg beginnen, dann kommen nicht nur wir in Bewegung, sondern auch unsere Umgebung. Und wenn wir das kreative Vakuum des noch Unbestimmten auf uns wirken lassen, dann können sich aus unseren Ideen auch konkretere Perspektiven entwickeln. Hier bekommen wir es also mit der anderen Seite zu tun, dem vertrauenden Weitergehen. Der Weg ist das Ziel…

Mondsee um 1960Doch wenn wir nicht wissen, woher wir kommen und wer wir sind, dann werden wir es viel schwerer haben, unsere Richtung zu finden. Wenn unsere Eltern etwa früh gestorben sind oder so traumatisiert waren, dass sie uns nur einen zurecht interpretierten Ausschnitt ihrer Gefühlswirklichkeit mitteilen konnten, dann fehlt uns schnell einmal die halbe innere Selbstwahrnehmung. Und damit auch die nötige Gelassenheit, unsere Gefühle und Bedürfnisse im Bedarfsfall deutlich genug wahrnehmen zu können. Es macht wahrlich den einen wesentlichen Unterschied im Leben aus, wie sehr man sich selbst von Anfang an spüren konnte und in welchem Ausmaß man dabei auch Aufmerksamkeit und Resonanz erfuhr. Dieser Mangelzustand betrifft allerdings den größten Teil der „zivilisierten“ Menschheit. Was einiges zu erklären vermag, aber noch nichts verändert, solange es uns nicht mehrheitlich bewusst wird. Doch wir arbeiten daran! Wir sind freiwillig seelenverwandt. Im Fluss des Lebens entsteigen wir dem Land… 😉

 

Woher Wohin (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli begibt sich auf die Reise. Wiedereinmal und umso mehr. Es wird Zeit aufzubrechen, wegzugehen, sich selbst kennenzulernen. Es wird Zeit sich zu fragen: „Wer bin ich und wo komme ich her?“ Wir begeben uns auf die Suche nach unseren Wurzeln, unseren Ursprüngen. Und dies sicherlich nicht ohne ein Augenzwinkern 😉

Meine Reise begann eigentlich mit dem Gedanken an dieselbe. Zunächst war es noch der Jakobsweg mit seiner Jahrhunderte alten Tradition des Pilgerns. Ich merkte, dass ich meinen eigenen, ganz persönlichen Weg zeichnen wollte, der auch wirklich etwas mit mir zu tun hat. Und so fing ich an eine Route zu planen, die mich zu besonderen Orten, zu heiligen Orten der Kelten führen sollte. Doch drei Wochen alleine, zu Fuß? Innerlich stellten sich mir die Haare auf und ich änderte schließlich abermals meine Pläne… Eine Reise verwandelt sich in viele Besuche, in ein- und mehrtägige Ausritte in die Natur und zu Plätzen denen seit jeher eine besondere Bedeutung innewohnt. Ich werde auf alten Pfaden wandern, sehen was Generationen vor mir sahen. Ich werde ein Wanderer sein. Ein Wanderer der mit neu geöffneten Augen durch die Welt schreitet und immer auf der Suche bleibt.

Wer?Ich fühle mich lose. Irgendwie heimatlos. Ich weiß nicht wirklich wer ich bin, was ich hier eigentlich zu suchen habe, wo ich hin gehöre… Ich beginne gerade mich auf die Reise zu machen… Ich will weg! Weg von Salzburg! Weg von Zuhause! Weg von den Straßen, deren Namen ich kenne! Weg von den Gebäuden, deren Anblick mich anwidert! Weg von den barocken Kirchen, Lustgärten und den ewig-gestrigen maskierten Nazis, die alles Andersdenkende versuchen auszurotten! Ja, mir ist schon bewusst, dass ich mich diesen Mechanismen und gesellschaftlichen Standards nicht völlig entziehen kann, aber ich muss raus! Ich möchte andere Landschaften sehen, andere Leute und Dialekte kennen lernen. Ich möchte zumindest temporär fliehen. Und sei es nur für einen Tag…

Wohin?Also, wohin geht die Reise? Jetzt, da sich mir ein ungeahntes Zeitfenster anbietet, in dem ich unabhänging sein und frei gestalten kann. In dem keine Pflicht ruft und niemand sich die Chef-Krone aufsetzt und anschaffen lässt. Keine tagtägliche  Selbstvergewaltigung in die lohnbüroarbeitsabsterbenden Räume einer unmenschlichen Welt, sondern befreit atmen und Gedanken verdichten zu leuchtenden Farben, die mich in das Jetzt des nächsten Augenblicks rufen! Doch wohin werde ich gehen? Eigentlich egal… Der Weg ist das Ziel. Oder wie der chinesische Philosoph Lao-Tse sagte: „A good traveller has no fixed plans, and is not intent on arriving.“

woherDenn Pläne müssen sich ändern dürfen! Wenn man zu sehr an einer Vorstellung oder einem Konzept festhält, erstarrt man und wird unflexibel, unbeweglich, unvorbereitet auf Dinge die man nicht beeinflussen kann! Und im Endeffekt bleibt man enttäuscht auf dem kalten, nassen Boden der Erkenntnis sitzen… Wenn man allerdings die Planung etwas lockerer und offener angeht, sich einlässt auf Neues und vielleicht alles Bisherige auf den Kopf stellt, können sich einem Bilder, Begegnungen und Abenteuer eröffnen, die man niemals erahnt hätte. Ich halte die Naivität des Kindes sehr hoch und wenn ich durch eine Stadt gehe, öffne ich Augen, Ohren und Hände für die kleinen Details, die unbeachteten Facetten, die schwer wahrnehmbaren Zwischentöne, die Energie der Bewegung, das Unerwartete. Ich bleibe im Fluss, der sich stetig wandelt, der sich immer verändert. Ich bleibe unterwegs. Ich höre nie auf zu wandern. Ich höre nie auf zu entdecken. Ich höre nie auf zu suchen.

Meine Reise begann eigentlich mit dem Gedanken an dieselbe. Und mit meiner Auseinandersetzung mit mir selbst und meinem Leben, meiner Herkunft, meiner Zukunft. Ich schrieb einen Text und erkannte etwas sehr wesentliches: Je weniger ich weiß woher ich komme, desto weniger weiß ich wohin ich gehen möchte. Und dadurch bleibt mein „Eigentliches Ich“, der Mensch in mir, der nur darauf wartet geweckt zu werden, weiterhin im Dunkeln. Ich mache mich also auf die Suche nach meinen Wurzeln, meinem Stamm, meinen Ästen und Blättern, und folge unsichtbaren Wegen, die mir ein tieferes Verständnis für Mutter Erde lehren, eine tiefere Verbundenheit zur Natur zeigen, eine tiefe Bejahung meiner Selbst befördern und mich erkennen lassen, dass ich lebe.

 

0613

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Juni – Nur eine Nummer? Nicht wirklich. Doch unseren recht zeitaufwändigen Arbeiten am Marko Feingold Projekt (Interviews) nebst dem abschließenden 2-stündigen Zeitzeugen-Portrait sei es diesmal gern geschuldet, dass wir uns hier nicht auch noch für ein assoziativ sprachkreatives Thema entscheiden wollten. Nein, in aller Unbenanntheit sollen Musik- und Textbeiträge einander abwechseln und sich so wie von selbst zu einem roten Faden verzwirbeln, der durch die noch zu erfindende Geschichte führt, deren Titel sich dann – vielleicht – ganz am Schluss wie von selbst ergibt. Insoweit wir uns darauf einen Reim zu machen verstehen – oder aber auch nicht. Jedenfalls werden wir nach diesen 3 Stunden wieder Klang- und Wortwelten durchreist haben, die sich so noch nie zuvor ereignet haben. Und wir werden um eine Nachterfahrung reicher sein, unbeschadet…

Auch wenn ich gemeinhin nicht auf den Mund gefallen bin und böse Zungen sogar behaupten, selbigen müsse man nach meinem Ableben noch separat erschlagen – es gibt durchaus Situationen, in denen es mir bustäblich die Rede verschlägt und ich nachhaltig verstumme. So erging es mir zum Beispiel mit den dreieinhalb Stunden Tonmaterial, das wir in der Woche vor seinem 100. Geburtstag an zwei aufeinander folgenden Nachmittagen mit Marko Feingold aufgenommen hatten – und dessen Aufbereitung und Veröffentlichung mir anschließend oblag. Ich kann euch jedenfalls eines sagen – die detaillierte Geschichte eines solchen Überlebens von fast 5 Jahren Nazi-KZ-Terror anhörend mitzuerleben und dann nach Hause zu gehen, das ist eine Sache. Die selbe Geschichte aber danach wieder und wieder anzuhören, stundenlang und über mehrere Nächte verteilt, beim Zusammenstellen und Schneiden, beim Bearbeiten und Auszüge auswählen – das ist nochmal ein ganz anderer Abgrund. Du kannst plötzlich nicht mehr ausweichen, stehst fassungslos fühlend inmitten all der absurden Brutalität und weißt nicht mehr so richtig, wo die Geschichte anfängt und deine Person aufhört. Zuletzt hatte ich schon einigermaßen bizarre Albträume – unter anderem reiste ich von einer KZ-Gedenkstätte zur nächsten und wurde überall im Zuge der jeweiligen Museums-Neugestaltung zur Weinverkostung eingeladen. Dachau-Wein, Mauthausen-Wein, Buchenwald-Wein, Auschwitz-Wein, jede Mahnmal-Betreiberfirma hatte ihre eigenen Gedenk-Bouteillen im Programm. Mitten in so einer degoutanten Degustation (ich glaube, ich betrank mich allein schon aus Überforderung zusehends) wuselte plötzlich ein kleiner weißhaariger Mann quer durch uns peinlich Berührte und rief empört: „Ich war aber in Auschwitz! In Auschwitz hat es nie Wein gegeben!“

Auch den Chriss hat die Beschäftigung mit Marko Feingolds erlebter (und mitfühlbar gemachter!) Geschichte offensichtlich erschüttert. Man konnte seine Verstörung mitunter fast schon mit den Händen greifen, so etwa auch bei seinem letzten Auftritt im Literaturhaus zum Thema „Von Menschen und Unmenschen“ – Doch wie schön und erfrischend ist das eigentlich, wenn man jemand seine innere Bewegtheit noch abspüren kann! Vor allem bei einer öffentlichen Lesung, wo einem sonst hauptsächlich gut eingeölte Funktionsprofis entgegen quellen. Oder halt von der Formvollendung ihres Auftretens derart Vereinnahmte, dass sie es darob versäumen, die Perfektion ihrer Pose hinreichend mit Poesie auszufüllen. Aufmarsch der Klassengesellschaft! Hmm – welch neugestaltes Machtunrecht schleicht uns da schon wieder von hinten ins Haus – dessen Vordertür wir soeben gründlich gegen die „alten“ Nazis verrammelt haben? Wir möchten euch dazu noch einmal unsere gesammelten Beiträge zu Marko Feingolds 100. Geburtstag ans Herz legen – vier Interviews/Erzählungen und zwei Sendungsaufzeichnungen. 😉 Doch lassen wir das jetzt – und uns mit einem Gedicht vom Chriss auf diese Nacht ein:

Körpersingen

Die Sonne stirbt vor unseren Augen. Das Meer erwacht. Der Wind leitet unsere Gedanken. Wir brauchen kein Licht um uns zu erkennen.

Umarmung. Tief wie Wurzeln. Umfassen wir einander. Du flüsterst mir zu. Ich werde zu Wachs. Du wirst zu Honig. Gemeinsam verlieren wir die Zeit und die Sinne.

Mein Blick wird dir Boden. Auf dem du lebst. Auf dem du atmest. Meine Wurzeln werden dein Bett. Du schläfst in meinem Anfang.

Deine Stimme wird mir Haut. Ich kleide mich in deine Worte. Schließe mich ein in deinen Herzschlag. Male uns eine Welt mit deiner Berührung.

Wir können versinken wenn wir es wollen.

Wir sind frei zu leben.

Wir können uns fallen lassen.

Ins Jetzt.

-> Zum Auftauchen gibts dann das ganze Album „Jiddische Lieder“ von Zupfgeigenhansel

 

Musique

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Mai – Freihändig assozierte Musik und Textbeiträge oder auch: Ich zeig dir meins – du zeigst mir deins. Das wollten wir wieder einmal erleben – einander vorlesen und vorspielen, was uns so beschäftigt, begeistert, bewegt. Vor allem beim Wiederhören unserer ersten gemeinsam gestalteten Nachtfahrt „ZwischenInsel Poesie“ spürten wir so eine unbefangen schöne Spannung zwischen den Zeilen. So etwas Ähnliches wollten wir eigentlich noch einmal entstehen lassen – doch geht das überhaupt, nach fast zweieinhalb Jahren, zusammen unterwegs, im Radio, auf Reisen? Wie lässt sich das anfängliche Faszinosum ängstlich aufgeregten Kennenlernens abermals aufgreifen und mit der inzwischen gewachsenen Vertrautheit in spontanen Doppelconferencen verschmelzen? Eine Frischhaltepackung!

geschmückt für die nachtMusique – das Musische. Die anregende Inspiration. Der ätherische Kuss. Das beinah schon Unspürbare. Und dennoch unafhaltsam sich manifestierend gewinnt da etwas Gestalt und tritt schließlich hinaus ins Leben, in die Nacht, in die Welt. Verführen wir einander zu neuen Ideen und ergehen wir uns in überraschenden Bildwelten. Verdichten wir Augenblicke zu Ewigkeiten und lassen wir ebenso schnell wieder los, um zum nächsten Ufer aufzubrechen. Vergehen wir im Verweilen, springen wir von Stein zu Stein und sammeln wir Eindrücke für unser Lagerfeuer. Wärmen wir uns im silbrigen Mondlicht und lassen wir uns vom dunklen Fluss forttragen. Vertrauen wir der steten Verwandlung, fassen wir uns an den Händen – und ein Herz für die stürmischen Zeiten, die unsere Strände umbranden. Leisten wir uns den Urlaub vom Gewohnten, brechen wir auf, fahren wir los, leben wir…

literatur und politikMusique – das Unfass- und Unberechenbare. Das ist dann in keinem Subventionsansuchen zu rechtfertigen und in keiner Weise systematisch dingfest zu machen. Und wie es nicht passender sein könnte, fällt mir anlässlich der unlängst stattgehabten Wiedereinschwärzung unserer Salzburger Landesregierung dieses Sonderheft des Vereins für Politik und Zeitgeschichte der steirischen ÖVP in die Hände. Es stammt aus dem Jahr 1988, widmet sich dem Thema „50 Jahre Anschluss 1938“ und lässt ausgewiesen gesellschaftskritische Autoren wie etwa Michael Scharang zu Wort kommen, der die Einladung zum Mitgestalten folgendermaßen quittiert: „Ich höre weg, wenn von sogenannten Aufgaben gesprochen wird, welche die Literatur erfüllen soll. Ein Schriftsteller ist nicht der Erfüllungsgehilfe von Oberlehrern. Könnte Literatur jedoch hin und wieder erreichen, dass den Politikern das Lachen vergeht, würde ich mich dazu hinreißen lassen zu sagen, sie habe ihre Aufgabe erfüllt.“ Derartiges ist allerdings vor allem von Seiten der Herausgeber mutig! In dem Zusammenhang ist nicht unwitzig, wie ich diesen Band einst „erwarb“ – der wurde nämlich vor einigen Jahren von der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek (ÖVP Salzburg) zur Abholung als Altpapier aussortiert.

marsch blasen!Musique – die Musik! Kräftig den Marsch blasen – und gut zu hören. Denn was uns da dieses Mal in der Playlist widerfährt, das vereint die beiden Aspekte unserer ursprünglichen Idee, dass wir einander überraschen wollen mit Altgewohntem wie auch mit Neuentdecktem. Nur langweilig soll – und wird es auch – sicher nicht werden. Unsere Stimmungen sind wohl nach wie vor geprägt von dem, womit wir uns in den letzten Wochen beschäftigt haben, zumal von der Gedenksendung 75 Jahre Salzburger Bücherverbrennung. Das wirkt sich natürlich auf die Auswahl der von uns selbst gelesenen Texte wie auch der Musiktitel und sonstigen Spoken Word Beiträge aus. Doch weil wir hier eben eine ganz eigene Art von Sendung machen, dürfen und sollen sich unsere Gefühle auch aufführen und einmischen. Wir sind nämlich nach wie vor ein geiles Institut – und somit auch sehr gut zu spüren! 🙂

 

D.I.Y.

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. April – diesmal rund ums Thema D.I.Y. oder explizit „Do It Yourself“ – wobei wir jetzt aber gewiss nicht die Industrialisierung des Heimwerkertums durch Bastelshops und Baumärkte beleuchten wollen, nein – ganz im Gegentum. Wer sich mit uns zusammen in die Begrifflichkeiten von D.I.Y. als Konzept kritischer Kunst- und Aussageproduktion einleben möchte, dem sei hier zunächst der ausgezeichnete Dokumentarfilm Noise and Resistance empfohlen (der sich wohl immer wieder unter wechselnden Links in unser aller Internet finden lässt) 😀 Und nachdem wir bekanntlich auch nicht die Hilfsprediger irgendwelcher Welterklärer sind, sondern durchaus die Spielfreunde der Selbstgestaltung im Kunnst-Biotop der unendlichen Möglichkeiten, könnt ihr in diesen drei Stunden ja auch selbst auf Entdeckungsreise gehen. Willkommen im kreativen Vakuum! Hören sie genau hin…

verschwindenWir haben Musik und Spoken Word Beiträge vorbereitet, aus denen sich der Impuls zum kreativen Selbermachen immer wieder heraus hören lässt – auch wenn es sich zum Teil um Werke von inzwischen nicht nur kommerziell höchst erfolgreichen Künstler_innen handelt. Und doch unterscheiden sich gerade diese oft auf wohltuendste Weise vom allumbrodelnden Einheitshype geldquetschender Berechnung. Was haben sie nun also gemeinsam mit den anderen Beispielen aus unserem Radiofundus, etwa den spontanen Gastauftritten und nächtlichen Aufnahmesessions aus jugendlicher Schaffensfreude? Was verbindet sie zum Beispiel auch mit den von uns selbst zumeist als Konzepte, Entwürfe und Anregungen vorgetragenen Texten? Sind es die persönlichen Geschichten, die da jeweils dahinter stecken, sind es die inneren Beweggründe, die einen zur Darstellung geradezu zwingen können? Oder geht es um die Notwendigkeit, etwas auszusagen über uns selbst und über die Welt, in der wir leben? Machen wir einen Versuch:

das kreative vakuumWas empfindest du bei diesem Bild? Was würdest du dazu sagen wollen? Stell es dir einfach vor! Hier ist das kreative Vakuum:

 

 

 

 

 

 

 

Und schon ist etwas von diesem D.I.Y.-Spirit verwirklicht. Zugleich veranschaulicht sich aber auch etwas ganz Wesentliches: Derartige Selbstaussagen brauchen Platz – und zwar in jeder Hinsicht. Um etwas Eigenes spüren zu können, braucht es schon einmal Zeit. Um es dann auch noch als Mitteilung an andere zu formulieren, braucht es noch mehr Zeit. Und Zeit in unserem Leben ist nun einmal nichts anderes als ein möglicher Raum, in welchem wir etwas gestalten können – oder auch nicht. Weil uns womöglich „keine Zeit bleibt“ für uns selbst – oder wer bestimmt eigentlich darüber, wie viel Zeit wir „haben dürfen“? Jetzt kommen wir allerdings dem Wahnsinn plötzlich ganz nahe, gegen den sich auch dieses öffentlich versteckte Mahnmal richtet…

auswandernNun braucht es aber nicht nur Zeit als persönlichen Freiraum, sondern auch den einen oder anderen Ort, wo man sich treffen und irgend etwas ausbrüten könnte. Wo man spontan hinmalen, sich aufführen, jemand etwas vorhupfen, die Wand anschreiben, den Raum umstellen oder sonstwie selbstbestimmt gestaltend tätig sein kann. Doch auch solche Örtlichkeiten und Plätze werden immer seltener, was unsere Bedürfnisse nach kreativem Ausdruck fortwährend in uns zurück hinein stopft und so unsere Köpfe zu restlos virtuellen Bühnen verkümmern lässt. Das kann doch aber alles nicht wirklich gesund sein, oder? Nichtsdestotrotz sollen wir immer noch mehr Zeit für irgendwelche fragwürdigen Leistungssteigerungen aufwenden, während uns ringsumher jedwede Stadt und Landschaft zur Wirtschaftszone wegverzweckt wird. Findet da ein regelrechter Eroberungskrieg gegen das Eigene in uns statt? Gegen unseren Raum, gegen unsere Zeit, gegen unsere individuelle Freiheit? Schauen wir genau hin – wie Aussagekunst entsteht – und lassen wir uns inspirieren 😉

 

Déviation Erotique

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom 8. März – Wir würdigen den Weltfrauentag mit einem sehr eigenen Höhepunkt 😉 Wir erinnern uns an die einst selbstverständliche Solidarität der verschiedensten Emanzipationsbewegungen zur Zeit der „sexuellen Revolution“ Mitte der 70er Jahre. Der längst überfällige Kampf um Ebenbürtigkeit und Entvormundung in unseren patriarchal-hierarchisch verfassten Gesellschaften vereinte die Frauenbewegung irgendwie unausgesprochen mit anderen prononciert progressiven und gesellschaftsrevolutionären Gruppen wie etwa der damals noch alternativ-avantgardistischen Schwulenbewegung. Heute erwachen wir plötzlich in einem erschreckend biederen Diskurs über Frauen in Führungspositionen und homosexuelle Lebenspartnerschaften. Wollen wir jetzt nur noch die Wirtschaftsmacht und eine möglichst katholische Ehe? Wie könnten wir das gute alte „SISTERS UNITE!“ augenzwinkernd UND ernstgemeint über die (Gender?) Grenzen hinweg wiederbeleben?

DSCN8038„Zwei Geschlechter wohnen, ach, in meiner Brust“ oder „Halb zog es ihn, halb sank sie hin“. Zitat-Adaptionen, die uns nicht so wirklich befriedigen können bei dem Spannungsbogen, der sich da zwischen und in uns auftut. Eine Synthese schaffen aus alternativen Sexualitäten und Frauenemanzipation – noch dazu in nur 3 Stunden – wie soll das denn funktionieren? Mit deiner Phantasie, du Lulu! Im Zweifelsfall fragen sie ihre großen Schwestern. Und siehe da, *tätärätääää* Patti Smith, eine der ersten E-Gitarre spielenden Frontfrauen der Rockgeschichte und seit ihren legendären Auftritten (und Ausritten) im New Yorker CBGB’s zudem eine Godmother of Punk, hat uns schon vor Jahrhunderten 😀 ein sinnstiftendes Gedicht vermacht, welches wir auch diesmal gern heranziehen wollen, weil nämlich Gutes gut ist und bleibt und sich auch beim wiederholten Zitieren nicht abnützt! „Female Feel Male“ war schon einmal Nachtfahrt-Sendungsthema – jetzt gibt uns das wunderbare Wortspiel dieser Titelzeile Gelegenheit, unseren Übergang vom Freiheitsfest der weltweiten Weiblichkeit hin zu den erotischen Emanzipationsbedürfnissen der männlichen Inwendigkeit zu strukturieren…

DSCN8132Und so wollen wir auf die Suche gehen nach dem Nichtunterdrückten und dem Nochzubefreienden in uns selbst – und spiegelbildlich in der uns umgebenden Gesellschaft. Denn wie hat es Arno Gruen schon in seinem ersten bekannten Buch „Der Verrat am Selbst – Angst vor Autonomie bei Männern und Frauen“ geradezu hellsichtig auf den springenden Punkt gebracht: „Die in gesellschaftlicher Unterdrückung lebenden Eltern geben in ihrem Bemühen um Anpassung an die herrschenden Sachzwänge ihre eigene Unfreiheit unbewusst an ihre Kinder weiter.“ An dieser Formulierung erweist sich wieder einmal etwas ganz Grundlegendes: Emanzipation im Sinne von gemeinschaftlicher Selbstfreisprechung aus manipulativen Machtstrukturen ist eine Notwendigkeit, die uns im Wesentlichen alle beschäftigt. Und zwar nicht nur die tatsächlich um ihre selbstverständlichsten Rechte betrogenen Opfer dieser strukturellen Gewalt, sondern sogar auch die Systemprofiteure der von ihnen selbst (aber mit unserem Schweiß, unserem Leid, unserem Geld – mühsam 🙁 aufrecht erhaltenen ungerechten Herrschaftsverhältnisse. Nun, unser Mitgefühl mit diesen angemaßten Autoritätern ist insofern endenwollend, als die meisten Representant_innen (jawohl!) des etablieterten Ausbeutungsbetrugs sich ja auch weigern, ihren eigenen Empfindungen ehrlich gegenüber zu treten. Mitgefühl im Kontext emotionaler Abspaltung – schwierig…

DSCN8069Emanzipation ist eben eine Initiative, die von unten ausgeht und aus eigenem Betroffensein heraus die Dinge selbst in die Hand nimmt, um so die ungerechten Verhältnisse möglichst nachhaltig zu verändern. Das braucht einen langen Atem – und viel Phantasie, denn die „Herrschaft“ verändert ihr Auftreten und Aussehen ja auch andauernd! Zudem erfordert es Mut und Verwegenheit, um bestehende Grenzen zu überschreiten, hergebrachte Gebote zu übertreten und angeblich seit Urzeiten allgemein anerkannte Vorstellungen von Sitte und Zucht, Ordnung und Moral, Ruhe und Anstand (oder wie immer sonst die derartigen Gummikategorien jeweils heißen mögen) ihrer gedeihlichen Verkompostierung im Zuge einer fröhlichen Menschwerdung zuzuführen. Was also können wir zwei Liebestypen dazu heute beitragen? The Female – jene Frauen, bei deren Auftreten uns das Freilandherz im Gefühlsleib herum hüpft. The Female Feel – jene Männer, die eine speziell androgyne und/oder einfühlende Haltung verkörpern. Und schließlich The Feel Male – jene Musen, bei deren bloßer Anhörung uns die Amygdala feucht wird und die Hypophyse anschmilzt 🙂 Also drei Stunden befriedigende Selbstbefreiung, Brüderinnen und Schwesteriche…

Und wers doch gern noch etwas tatsächlicher-weiblicher haben möchte – am Sonntag gibts die Missfits im Artarium! Gnadenlos, versprochen 😛