Konform Konsum Kulturkollaps

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. SeptemberEs sind finstere Zeiten, in denen wir leben. Fragen die gestellt, Geschichten, die erzählt, und Erkenntnisse, die gewonnen werden, bleiben allesamt ohne Auswirkung auf den Lauf der Welt. Geschichte wird von irgendwelchen Siegern gemacht, die sich nicht mehr hinterfragen lassen, inwieweit ihre Machtausübung dem Gemeinwohl schadet oder nützt. Die Banalität des Bösen grinst uns schadenfroh ins Gesicht und jeder Versuch zu verstehen zerschellt an einer Wand aus sprachloser Bürokratie. Dahinter treiben die Sachzwänger und Zweckwidmer ihr grausames Spiel. Der totale Krieg gegen das Menschliche endet zwangsläufig im Untergang des Lebens an sich. Der Kulturkollaps, den wir da erfahren, der ist genauso weltumspannend wie die Zerstörung der Natur.

KonformDas trübt die Stimmung, Freunde und *innen – und verfinstert das Gemüt. Wollen wir denn nicht alle immer nur fröhlich, vergnügt, “gut drauf” – und vor allem von allem Unbill der Welt “in Ruhe gelassen” sein? Schön wärs! Die Diktatur der guten Laune ist immer und überall. Und der quietschbunt penetrante Konsumterror. Public Relations auf allen nur erdenklichen Kanälen – als “Propaganda” kennt man das diesbezügliche Grundlagenwerk von Edward Bernays, die darin erklärten Techniken wurden nur umbenannt, weil sich ein gewisser Joseph Goebbels so schamlos beim Neffen von Sigmund Freud bedient hatte. Wär ja sonst peinlich. Pfuigack, Zipferl sagt man nicht! Millionen Menschen verhungern lassen – das ist was ganz anderes. Lebt der Jean Ziegler eigentlich noch? Wir leben jedenfalls in einer geschlossenen Anstalt für Realitätsflüchtlinge, allerdings regiert und verwaltet von den eigentlichen Soziopathen. Während sie das Haus anzünden, singen wir ein fröhliches Lied. Juhu!

KonsumKonkret verstimmt sind wir auch über den allzu schnellen Tod von Elke Mader, die uns und unsere Projekte stets freundschaftlich begleitet hat. Scheißtod! Trauer mischt sich da mit Wut. Unser Blick in den Abgrund wird zunehmend deutlicher. Ob es der Abgrund ist, der zuletzt zurück blickt? Wir werden sehen… Und wir sind doch bedürftig nach einem Wort des Trostes. Was würde Leonard Cohen jetzt sagen?

You can add up the parts
But you won’t have the sum
You can strike up the march
There is no drum
Every heart, every heart
To love will come
But like a refugee

KulturkollapsIst es also längst nicht mehr kurz vor Zwölf auf der Doomsday-Clock des Atomzeitalters? Ist es vielleicht viertel nach Sieben – und zwar am nächsten Morgen? Sind wir jetzt alle tot? Haben wir es nicht mitgekriegt? Konsumismus, Kulturkollaps und Klimawandel – sind wir schon über den “Point of No Return” hinaus? Die Gegenwart stinkt gewaltig nach No Future. Die derzeitige Situation bietet kaum noch Perspektiven für eine friedliche und gerechte Welt. Eher für einen lang anhaltenden Abgang. Aberwas wäre gerade jetzt so richtig prophetisch? Was würde eine nächste Generation der verwirrten Menschheit zurufen – wenn die Möglichkeit einer Antwort besteht? “Hört endlich auf, euren Gewinn als höchsten Wert für alle anzusehen! Hört endlich auf, die ganze Welt zu eurem Glauben zwangsbekehren zu wollen! Hört endlich damit auf, im Recht zu sein, indem ihr alles Abweichende zerstört! Sonst gehen wir ALLE unter!

Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst

 

Die Nachtfahrt des Grauens

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. JuliDie Gestalten des Grauens können vielfältige sein. Und auch das Wort selbst bringt auch einiges an Bedeutungen mit sich, vom Grauen des Colonel Kurtz in Apocalypse Now bis zum Morgengrauen nach einer durchtauchten Nacht. Wobei sämtliche Wortbildungen mit Grau (Shades of Grey) wie hier in “Morgengrauen” von einer Wurzel stammen, die “glänzen, leuchten, strahlen” bedeutet, das Grauen im Sinn von sich fürchten wiederum von einer anderen, die zunächst so etwas wie “zerreiben und zerstoßen” vermitteltt, die dabei aber auch Kummer oder Traurigkeit mit anspricht. Grauenhaft. Eine zutiefst depressive Obdeulung. Ich bin schon ganz zerbrieselt davon. Warum ergötzen sich jedoch so viele Menschen an den Darstellungen des Grauens?

Die Nachtfahrt des GrauensAls Kinder liebten wir die Krypta der Herrnauer Kirche mitsamt den dort dargestellten Kreuzwegszenen und gingen uns nach der Schule gern darin gruseln – bis uns der Pfarrer Tomaschek ob solch pietätloser Zweckentfremdung theaterreif hinauswarf. Allerdings denke ich heute, dass wir damals durchaus etwas vom Wesen der kirchlichen “Horror-Stories” erspürt haben – und auf unsere kindliche Art eine Aussage dazu darboten. Auch wenn diese danach im allgemeinen Regelwerk des “Gehörtsichnicht” unwahrgenommen verglomm. Ein langjähriger Freund erzählte mir von einem anderen Erlebnis aus seiner Kindheit, als er nämlich in der Parscher Kirche den Jesus vom Kreuz herunter nehmen wollte, weil der ihm leid tat, so angenagelt, wie er da hing. Der dortige Pfarrer, der ihn dabei antraf, befragte ihn eingehend nach seinen Beweggründen und unterhielt sich dann länger mit ihm über diese Darstellung des Gekreuzigten. Es ist doch immer wieder ein seltsames christliches Abendland.

Der Notausstieg des GrauensHier wird der freie Wille freundlich umgebogen. Und bist du unwillig, so brauch ich Gewalt. “Heinrich! Mir graut’s vor dir.” – Goethes Gretchen nimmt das Wesentliche dieses teuflischen Pakts um die totale Machtausübung emotional wahr – und beschreibt ihr Gefühl zutreffend – mit Grausen. Wem würde bei der Begegnung mit dem Faustischen (dem rücksichtslosen Streben nach Macht und Kontrolle, nach Beherrschung von allem und jedem, das buchstäblich über Leichen geht) nicht im wahrsten Sinne die Grausbirn aufsteigen? Und was erzählt uns die Kirche? Eine Geschichte der Befreiung – oder eine Zurechtschreckung zur Unterwerfung unter die jeweilige Macht, Gewalt, Herrschaft? Die Gestaltungen des Grauens sind wahrlich vielfältig, von der Gleichgültigkeit beim organisierten Menschenzertreten bis zum perversen Glücksgefühl in der Fernsehwerbung. Wenn (nach Arno Gruen) “Terror in Geborgenheit kippt”, dann lässt man sich gern von Mephisto regieren

Die Apokalypse des GrauensDie Darstellung des Grauens ist also vielseitig, speziell in der Kunst. Nicht immer geht es dabei um die Angstlust wohligen Gegrusels, wie etwa beim Anschauen eines Horrorfilms aus der Sicherheit seines eigenen Sofas heraus. Unlängst ward die Dichterlesung “Das Grauen” wie folgt beworben: “Es umgibt uns, ist allgegenwärtig, durchzieht sämtliche Bereiche des Lebens, schreit uns ins Denken aus Zeitung, Fernseher und Smartphone. Wird ausgeblendet, aus der Wahrnehmung gestrichen, darf nicht genannt werden. Paradox. Die Auseinandersetzung mit dem Grauenhaften ist jedoch essentiell, wollen wir in einer friedvollen Gesellschaft leben. Man muss ihm schon ins Gesicht blicken, dem Grauen, dieser grauen Eminenz unserer Zeit, um aufzuzeigen, wie Schmerz, Angst, Missmut, Unrecht, Gier, Gewalt die Welt zersetzen, um sich aus Lethargie und Machtlosigkeit zu schrecken, um die versteckten Zusammenhänge zu erkennen – und um Gegen-Sätze zu (ent)werfen.”

 

Alles neu, vorläufig (Chriss)

also Regenschritte nächtens, ein zaghafter Fall, eine Barriere imagniert, Nebelmauer zwischen mir, entbeinter Anzug, ist es nicht wie eine stille Sucht, ist es nicht wie Kreisen, ist es Bedingung, ist es Muss, ist es Befehl, ist es dies Wimmern der Knospen bei Morgengrauen?

dämmerndMetallisch, acryl, was für eine Farbe, ich tische dem toten Teddy Datteln auf, ein Schluck weißen Tee, du nimmst bloß Zucker, während der gefaltete Kranich die Schwingen hebt; auch das Betrachten der Entwicklung, des Stils, der Stille zwischen der Werbung, das Bestaunen der Wiederholung, Geschichtsstunde schwänzen, dafür um 10 unter der Klostereiche Bier trinken, wir wurden photographiert von einem amerikanischen Paar, das unseren Anblick wunderschön und entgegen der Sonne, es war wohl auch die Baustelle unten vis à vis unserer Schule in kreischenden Stößen oder eine Schwester hinter den salzburgbraunen Mauern.

Während Kugelschreiberbilder gefunden Erik Satie, wie man Musik entdeckt immer wieder wundersam, während Papierschwärzung erneuter Versuch das Sujet, erweiterter Genuß wird Asche, hierhin, bis hierhin zu denken, so blaubeerversüßt, pianogeweht, scheint trivial, fast obsolet, jetzt um 3 und auch berauscht, und all der Rauch in meinem Kopf…

gedämpftes Licht wäre angenehmer, es verrännen Buchstaben zu umbrenartigen Verästelungen auf Karmesinkaramell; so fällst du also durch die Nacht und hältst Ausschau nach Augenblicken, Beiläufigkeiten, ein Festhalten der Vergänglichkeit, und flüchten vor dem Schwachsinn, in Gedanken, geh bald um Essen, demnächst wieder Stille, füllst du sie?

 

the soul is a bird (chriss)

Podcast/Download: Die Nachtfahrt vom Freitag, 14. September macht sich in einer 4-stündigen Reise auf ins Herz der Finsternis, durch die Urwälder der menschlichen Seele, hinab in die tiefen Wasser des Geistes und hinein in die Ruinen der eigenen Furcht, dem eigenen Schatten… Ein Unterfangen inspiriert von Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse Now“ und initiiert von Laurie Andersons Spokenword „The soul is a bird“. Mein Artikel wird ein Gedicht. Ein literarische Annäherung zum Thema. Eine poetische Auseinandersetzung mit mir selbst, euch, der Sendung und…

„Ich fühle etwas. Ganz tief unten, in mir. Ich kann es nicht wirklich einordnen. Ein unbekanntes, mir völlig fremdes Gefühl. Wie ein Lichtstrahl der aufblüht und in sich, um sich und mit allem eine sich drehende und pulsierende Kette aus Licht und mehr Licht bildet. Es dreht sich in mir. Es steigt auf. Durch meinen Magen, hinauf in meine Lungen, in mein Herz. Ich bebe- ganz in weiß gekleidet, hinter mir eine mit Scheiße beschmierte Stadt, ein mit Scheiße beschmiertes Leben und ich- starr, benommen. Die Wolken werden sich schwarz färben, Regen wird fallen, doch die Scheiße – klebrig, mit der Zeit hart geworden wie Stein – wird bleiben. Ich nicht. Ich werde fort gehen. Ein Land suchen, das nicht so derbe stinkt. Ich werde mich aufmachen, etwas, jemanden suchen! Und finden! Ich werde groß sein! Ich werde Gott sein! Ich werde Alles sein! Und Nichts! Gleichzeitig! Ich steige hinab vom Hügel der Kinderleichen, die diese Stadt ausgeworfen hat und mache mich auf. Wohin weiß ich noch nicht. Aber weg! Weg von dieser Stadt, diesem Leben, diesen Schmerzen, dieser Verzweiflung. Ich werde dem Flusslauf folgen oder den Stimmen der Wälder. Den Sternen am dunklen Morgen oder dem Licht…

Da bin ich also… Allein auf der Straße ins Nichts auf der ich mein Leben lang schon war, die mich vorran trägt und meinen müden Geist. Meine Gedanken sind Nebelschwaden und Rattennester, mein Atem ein verfaultes Stück Holz, meine Beine und Arme nur Auswüchse eines Geschwürs das sich Körper nennt. Meine Lippen vermögen es nicht einen anständigen Satz zu formen und meine Augen sind erlöschende Flammen. Ich sehe nichts. Ich schmecke nichts. Ich fühle nichts. Nur meinen Herzschlag – immer weiter trommelnd. Ich höre Stimmen in den Baumwipfeln die mir flüstern: „Jeder trägt ein Totes mit sich.“ Ich verstehe. Aber ich will nicht verstehen, ich will be-greifen! Ich möchte jedes Wort, jede Silbe mit meinen verdorrenden Händen fühlen, zerlegen, neu zusammensetzten, einen neuen Sinn stiften, eine neue Sprache finden… ICH will NEU sein! Das ist wohl der Grund wieso ich mich auf diese Reise begeben habe… Aber der Grund verändert sich, verwandelt sich, schwebt vor meinen Augen als Licht – so nahe und doch so weit entfernt. Ich versuche es zu berühren, doch greife ich ins Nichts. Ich taumle, falle zu Boden, stehe wieder auf, gehe weiter. Ich sehe Tempel – alt, überwuchert – gepfählte Fratzen die mich auslachen, einen Mann gekleidet in schwarze Seide. Er reicht mir die Hand. Er reicht mir seine Stimme. Er reicht mir sein Herz. Er reicht mir seine Seele. Ich nehme an und erkenne…

Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut- ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen… Ich fühle die Schwärze die aufkeimt- ein Schatten des Waldes. Traumfänger. Wolfkind. Bärensohn. Rabenzauber. Trommeln. Trommeln. Trommeln. Schritte. Flügelschlagen der Nacht, der Bäume. Ein Vogel- eingesperrt in einen Käfig aus Knochen. Ich atme die Kälte. Einen dunklen Mund. Ein Kuss auf meiner Stirn. Ein Feuer brennt. Seltsame kosmische Trauer. Ich spüre mein Herz. Ich höre meine Stimme. Ich sehe mich selbst- vor mir stehend. Nur schemenhaft. Ein Schatten. Ich stehe auf. Ich sehe mir in die Augen. Hohle Löcher. Ich greife hinein. Ich küsse mich auf den Mund. Ich taste nach Leben, nach einem Grund. Finde nur Rauch. Ich stehe am Abgrund. Unter mir das tosende Meer. Wolken und Donner. Da sehe ich in der Ferne ein Gesicht, einen Lichtstrahl. Ich rufe einen Namen. Ich falle hinab. Sinke auf den Grund meiner Seele. Dort wo nichts ist und alles…“

Und von dort kannst du nur alleine zurückkehren. Jede Reise ist eine Reise zu dir selbst. Jede Schicht simplen menschlichen Daseins fällt weiter und weiter ab, bis du zu deinem eigenen Schatten kommst und mit ihm verschmilzt. Dann entsteht eine neue Sprache, eine neue Wahrnehmung. Dann be-greifst du dich und die Welt um dich herum. Wir sind nichts weiter als leere Hüllen, aus Kot geformt, die sich verkleiden um überhaupt existieren zu können. Und begreifst du das, erfährst du dich selbst –  in dir selbst, dann kann dein eigener Geist, dein eigener Gott, dein eigenes Herz wieder atmen. Und zwar frei von allen Giften und Waffen dieser Welt. Wir müssen uns lediglich fragen: „Wer sind wir. In Uns? Eigentlich?“

Und diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Ganz allein. Man muss sich trauen ins Herz der Finsternis zu gehen, den Fluss aufwärts, dorthin wo der eigene Schatten, der eigene Abgrund lebt und ihm gegenüber treten und – be-greifen!

 

The Soul is a Bird (Norbert)

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom 14. September (Die 48. Sendung!) – Wir erleben ein vierstündiges Abenteuer frei nach Apocalypse Now und entwickeln eine Expedition ins Herz der Finsternis. Was erwartet uns nach der Begegnung mit unserem inneren Schatten? Und ist solch eine Selbsterfahrungsfahrt nicht auch als modernes Märchen erzählbar? Wir wagen den Versuch – wie immer mit kontrastierender Musik und kontroversen Texten – doch ohne „Moral von der Geschicht“. Die ist und bleibt ein offenes Ende UND jeweils der eigenen Phantasie überlassen. Das Schöpferische in uns will nämlich zur Geltung kommen – und soll dabei schön zweckfrei bleiben dürfen! Die Entstehung dieser Sendung könnt ihr also auch in den zwei Artarien „Apocalypse Solo“ und „Apocalypse Duo“ nachvollziehen. Der Weg ist das Ziel…

Es beginnt alles mit einem Auftrag. Und mit einem seltsamen Gefühl, dass hier irgendwas nicht stimmt. Nicht stimmen kann. Noch nie gestimmt hat. Irgendwie beginnen Anspruch und Wirklichkeit zunehmend auseinander zu fallen. Zunächst unmerklich, mit dem nagenden Unbehagen, das wir in Alkohol und Drogen aufzulösen versuchen, das wir immer wieder beiseite schieben, nur um weiter machen zu können. Dann wird es persönlicher, trifft uns im Versuch, einen Menschen zu lieben und eine Gemeinschaft herzustellen. Wir stellen fest, dass wir das Wesentliche, das uns im Innersten beschäftigt, nicht mehr kommunizieren können, womöglich noch nie kommunizieren konnten. Uns fehlen die Worte, dies alles auszudrücken, wir sind wie betäubt, erschlagen – und wir resignieren, geben auf, lassen den Verlust zu. Noch mehr Alkohol, noch mehr Drogen, wir sehnen uns zurück ins Abenteuer, zurück in den Kampf, zurück in den Dschungel. Doch auch der neuerliche Auftrag, der uns den Fluss hinauf schickt, ins Herz der Finsternis, jenseits der Grenzen des Vorstellbaren, erscheint seltsam ambivalent und in sich selbst unstimmig zu sein. Ja, wir wollen endlich Klarheit, wollen wissen, was das für ein Wahnsinn ist, an dem wir alle so selbstverständlich teilnehmen und der uns gleichermaßen von Grund auf korrumpiert. Ja, wir verspüren eine unausweichliche Ahnung, eine fast schon übersinnliche Gewissheit…

Das, was wir verloren haben, das, was uns fehlt, das, wonach wir schon immer auf der Suche sind, zumindest solange wir denken können, solange wir uns zurück erinnern – was ist das überhaupt? Es hat etwas mit dem Entdecken von sexueller Lust zu tun, damals als der Blitz einschlug bei der ersten intimen Berührung durch jemand anderen. Es ist nah verwandt mit den ersten Erfahrungen des Rauschzustands, mit jener euphorischen Entgrenzung im gemeinsamen Taumel von Trinken und Tanzen. Mit Verliebtheit und mit Küssen und mit dem ersten Joint im jungfräulichen Bewusstsein. Mit einem Sonnenaufgang in den Bergen nach einer durchwachten Nacht. Mit Motorradfahrten in unbekannte Landschaften, mit Sonnenuntergängen am Meer und unglaublich wohlschmeckenden exotischen Speisen in fremden Ländern – und mit dem Gefühl, ganz wo anders – unvermutet – eine neue Heimat zu finden. Diese feinen Funken beim Entdecken von etwas Neuem, dieses unvoreingenommen unschuldige Staunen in elementarer Begeisterung, sprachlos machende Naturgewalten, die über uns herein brechen und unser Bewusstsein nachhaltig verändern. Sex, LSD, ewiges Kind sein im Hier und Jetzt. Der multiple Orgasmus der Verschmelzung mit sich selbst und dem Weltall. Reine Natur. Das Sein an sich. Gott. Mensch. Leben…

Gibt es das überhaupt? Da war einmal was – und wir fühlen, dass es uns entgleitet, dass wir es eigentlich schon längst nicht mehr wiederfinden können – egal, wie viel wir trinken und wie sehr wir uns mit dem „immer mehr nehmen, haben, wollen, tun“ abmühen. Sex, Sex, Sex – langweilig. War das schon alles? Da muss doch noch – etwas? – jemand? – gewesen? – sein! – Ich? – Es? – Wir? – Wollen wir dorthin zurück, wo alles zugrunde ging, um zu verstehen, weshalb? Wollen wir begreifen, was – und warum uns das fehlt, um zu akzeptieren, dass es nun einmal so ist, und um uns damit abzufinden, uns einzurichten im Unvermeidlichen – das ist nun mal der Lauf der Dinge, unsere Vergänglichkeit? Oder wollen wir dorthin, weil wir „es“ zurück haben wollen? Müssen? Das Verlorene – ohne das wir nicht leben können – im eigentlichen Sinn. Nur vegetieren, funktionieren, als angestellte Auftragskiller einer Kolonialwarenwelt, die aus dem angeblichen Nicht(mehr)vorhandensein des ursprünglich Essenziellen gute Geschäfte macht – mit den Ersatzdrogen der Lust? Ist es nicht der blanke Wahnsinn, dass wir genau dasjenige nich mehr antreffen, nicht mehr wiederfinden können in dieser schönen neuen Welt des Fortschritts, des Wohlstands und der verwalteten Bedürfnisse, das uns zu Menschen macht, die sich auch lebendig fühlen?

Ist es nicht gerade das wesentlichste aller menschlichen Bedürfnisse, dass wir nicht nur versuchen, zu verstehen, warum und wie wir dieses Lebendigmachende überhaupt verloren haben, sondern auch mit aller Kraft versuchen, es wieder zu finden, es wieder herzustellen und es dann wieder und wieder anzuwenden? In einem solchen Augenblick umfassender Klarheit haben wir mit dem etablierten Wahnsinn gebrochen, sind ausgestiegen – und haben uns von den Betreibern dieser betrügerischen, psychopathischen, verbrecherischen Weltkonstruktion losgesagt. Wir sind aufgebrochen in dem Versuch, uns so weit als nur irgendwie möglich davon zu entfernen. Seither verfolgt uns ihr „moralischer Terror“ als unser schlimmster Feind. Gibt es noch eine andere Lösung, als deren Wahnsinn verinnerlicht widerspiegelnd im Untergang zu versinken – von sich selbst und überhaupt allem?

Eine mögliche Verwandlung – einen Übergang – eine neue Sinn-Stiftung?

Die Selbst-Erfahrung ist eine Fahrt nach innen, eine Reise zu sich selbst, hinter die Ideale und Vorstellungen, wo Schicht um Schicht alles von einem abfällt – bis man auch dem eigenen Grauen ins Gesicht sieht. Zurück kommst du von dort immer allein! Ist nicht hinter der größten Angst und inmitten der tiefsten Verstörung, dort, wo nichts mehr anderes ist als Leere, Schicksalsergebenheit, das Ende von allem – ein neuer Anfang, eine Grenzüberschreitung – der Dreh- und Angelpunkt wirklichen Lebens?