Keine Ahnung…

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Oktober – Der Ausflug auf Autopilot oder das kreative Vakuum, ein „zusammen unterwegs Experiment“. Der Arbeitstitel besagte bloß, dass wir zwischen dem aufwändigen „Apocalypse Now Jubiläum“ und einer nächsten tiefschürfenden Themenarbeit über Strange-, Straight- und Specialness schlicht keine Ahnung haben, was wir überhaupt spielen, lesen und machen wollen. Diesmal bleibt es dabei, dass wir uns von all dem, was da kommen mag, überraschen lassen. Ein paar Gedanken und Ideen wie kleine Leuchtschiffe in den Fluss setzen, ihnen beim Davontreiben zuschauen – und davon ausgehen, dass ihre Bewegungen eine Lichtspur erzeugen, der wir folgen werden…

Ein paar Stimmungsbilder gäbs wohl schon aus der barock dekadenten Memento-Mori-Menagerie dieser herbstlich hüstelnden Mozartiade. Den eiligen Aus- und Schlussverkauf der allsommerlichen Eitel- und Ewigjugendlichkeiten etwa oder den sich bald wieder über das Land wie die Seele ausbreitenden Nebel.

Alles Eindrücke, die uns doch irgendwie ans Überleben in der Pestgrube gemahnen, uns jahreszeitlich zwingend ins heurige „Alles is hin“ des Bänkelsängers Augustin hinein assoziieren oder uns zumindest ansatzweise an ein mögliches Altern in Würde denken lassen, mit oder ohne Rockmusik 😉 „Der Tod ist ein Trick“ fällt mir da ein aus dem Blumfeld-Song „Strobohobo“ – und natürlich auch das „Ring the bells, that still can ring“ aus Leonard Cohens „Anthem“ (einem so sauguten Liedtext, dass ich ihn mir endlich mal in einem anderen als diesem bekannt zuckersüß zugestreicherten Arrangement gewünscht hätte…) Womit wir schon mitten in diesem Artikel mitten im Zwischen der Zeilen, der Konzepte und der Gestalten landen – irgendwo da ist es – sind wir – unterwegs…

Dazwischen sind wir aufgespannt wie die Wäscheleinen und wie die Regenschirme – und hätten oft gern eine größere Bedeutung als die des Augenblicks. Wenigstens eine versöhnliche Synthese für die nächsten paar Herzschlagjahre, ein Abziehweltbild für unseren Flüchtlingskoffer.

„With or without You“ wäre da eine Möglichkeit, die beides zugleich in sich umschließt, das Nichtlebenkönnenden des Zielerreichens wie des Herzverlusts. Dennoch singt es und schnappt nach Luft, lechzt voller Verlangen nach Erfüllung, fällt wimmernd in sich zusammen und lässt einen Vorgeschmack zurück von der Vereinigung der Gegensätze, von der einstweiligen Verfügung zum Frieden mit sich selbst. Und lassen wir die Dichter selbst zu Wort kommen, o du lieber Augustin reloaded, sei es Diskurspop oder Zen-Poesie, es gibt wohl kaum etwas anderes als Lieder vom Leben, von der Liebe und vom Tod:

Die Leute leben wie Schatten
Mit ihrer Sehnsucht nach Sinn
Der Tod ist ein Trick
Ich bin, was ich bin
Und spuck dem Tod ins Gesicht   (Jochen Distelmeyer/Blumfeld)

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in      (Leonard Cohen)

 

the soul is a bird (chriss)

Podcast/Download: Die Nachtfahrt vom Freitag, 14. September macht sich in einer 4-stündigen Reise auf ins Herz der Finsternis, durch die Urwälder der menschlichen Seele, hinab in die tiefen Wasser des Geistes und hinein in die Ruinen der eigenen Furcht, dem eigenen Schatten… Ein Unterfangen inspiriert von Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse Now“ und initiiert von Laurie Andersons Spokenword „The soul is a bird“. Mein Artikel wird ein Gedicht. Ein literarische Annäherung zum Thema. Eine poetische Auseinandersetzung mit mir selbst, euch, der Sendung und…

„Ich fühle etwas. Ganz tief unten, in mir. Ich kann es nicht wirklich einordnen. Ein unbekanntes, mir völlig fremdes Gefühl. Wie ein Lichtstrahl der aufblüht und in sich, um sich und mit allem eine sich drehende und pulsierende Kette aus Licht und mehr Licht bildet. Es dreht sich in mir. Es steigt auf. Durch meinen Magen, hinauf in meine Lungen, in mein Herz. Ich bebe- ganz in weiß gekleidet, hinter mir eine mit Scheiße beschmierte Stadt, ein mit Scheiße beschmiertes Leben und ich- starr, benommen. Die Wolken werden sich schwarz färben, Regen wird fallen, doch die Scheiße – klebrig, mit der Zeit hart geworden wie Stein – wird bleiben. Ich nicht. Ich werde fort gehen. Ein Land suchen, das nicht so derbe stinkt. Ich werde mich aufmachen, etwas, jemanden suchen! Und finden! Ich werde groß sein! Ich werde Gott sein! Ich werde Alles sein! Und Nichts! Gleichzeitig! Ich steige hinab vom Hügel der Kinderleichen, die diese Stadt ausgeworfen hat und mache mich auf. Wohin weiß ich noch nicht. Aber weg! Weg von dieser Stadt, diesem Leben, diesen Schmerzen, dieser Verzweiflung. Ich werde dem Flusslauf folgen oder den Stimmen der Wälder. Den Sternen am dunklen Morgen oder dem Licht…

Da bin ich also… Allein auf der Straße ins Nichts auf der ich mein Leben lang schon war, die mich vorran trägt und meinen müden Geist. Meine Gedanken sind Nebelschwaden und Rattennester, mein Atem ein verfaultes Stück Holz, meine Beine und Arme nur Auswüchse eines Geschwürs das sich Körper nennt. Meine Lippen vermögen es nicht einen anständigen Satz zu formen und meine Augen sind erlöschende Flammen. Ich sehe nichts. Ich schmecke nichts. Ich fühle nichts. Nur meinen Herzschlag – immer weiter trommelnd. Ich höre Stimmen in den Baumwipfeln die mir flüstern: „Jeder trägt ein Totes mit sich.“ Ich verstehe. Aber ich will nicht verstehen, ich will be-greifen! Ich möchte jedes Wort, jede Silbe mit meinen verdorrenden Händen fühlen, zerlegen, neu zusammensetzten, einen neuen Sinn stiften, eine neue Sprache finden… ICH will NEU sein! Das ist wohl der Grund wieso ich mich auf diese Reise begeben habe… Aber der Grund verändert sich, verwandelt sich, schwebt vor meinen Augen als Licht – so nahe und doch so weit entfernt. Ich versuche es zu berühren, doch greife ich ins Nichts. Ich taumle, falle zu Boden, stehe wieder auf, gehe weiter. Ich sehe Tempel – alt, überwuchert – gepfählte Fratzen die mich auslachen, einen Mann gekleidet in schwarze Seide. Er reicht mir die Hand. Er reicht mir seine Stimme. Er reicht mir sein Herz. Er reicht mir seine Seele. Ich nehme an und erkenne…

Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut- ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen… Ich fühle die Schwärze die aufkeimt- ein Schatten des Waldes. Traumfänger. Wolfkind. Bärensohn. Rabenzauber. Trommeln. Trommeln. Trommeln. Schritte. Flügelschlagen der Nacht, der Bäume. Ein Vogel- eingesperrt in einen Käfig aus Knochen. Ich atme die Kälte. Einen dunklen Mund. Ein Kuss auf meiner Stirn. Ein Feuer brennt. Seltsame kosmische Trauer. Ich spüre mein Herz. Ich höre meine Stimme. Ich sehe mich selbst- vor mir stehend. Nur schemenhaft. Ein Schatten. Ich stehe auf. Ich sehe mir in die Augen. Hohle Löcher. Ich greife hinein. Ich küsse mich auf den Mund. Ich taste nach Leben, nach einem Grund. Finde nur Rauch. Ich stehe am Abgrund. Unter mir das tosende Meer. Wolken und Donner. Da sehe ich in der Ferne ein Gesicht, einen Lichtstrahl. Ich rufe einen Namen. Ich falle hinab. Sinke auf den Grund meiner Seele. Dort wo nichts ist und alles…“

Und von dort kannst du nur alleine zurückkehren. Jede Reise ist eine Reise zu dir selbst. Jede Schicht simplen menschlichen Daseins fällt weiter und weiter ab, bis du zu deinem eigenen Schatten kommst und mit ihm verschmilzt. Dann entsteht eine neue Sprache, eine neue Wahrnehmung. Dann be-greifst du dich und die Welt um dich herum. Wir sind nichts weiter als leere Hüllen, aus Kot geformt, die sich verkleiden um überhaupt existieren zu können. Und begreifst du das, erfährst du dich selbst –  in dir selbst, dann kann dein eigener Geist, dein eigener Gott, dein eigenes Herz wieder atmen. Und zwar frei von allen Giften und Waffen dieser Welt. Wir müssen uns lediglich fragen: „Wer sind wir. In Uns? Eigentlich?“

Und diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Ganz allein. Man muss sich trauen ins Herz der Finsternis zu gehen, den Fluss aufwärts, dorthin wo der eigene Schatten, der eigene Abgrund lebt und ihm gegenüber treten und – be-greifen!

 

Falsche Götter… (Norbert)

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. August 

„Ich mach mein Ding“ singt Udo Lindenberg und macht auf der gleichnamigen Tour höchst absichtsvoll Station in Calw in Württemberg, der Geburtsstadt des von ihm verehrten Hermann Hesse. „Ich mach mein Ding“ nennt Matthias Matussek seine aktuelle Spiegel-Titelgeschichte zum 50. Todestag des unangepassten Autors und verfasst darin echte, elektrisierende Literatur, höchst emotional, und zwar mit Schmackes! „Ich mach mein Ding“ übertiteln auch wir unausgesprochen unsere Radioarbeit aus dem Salzburger Kultur-KZ (und das könnte hier beispielsweise „Konsumismuszentrum“ heißen) – und so meinen wir das auch immer noch…

Ein guter Grund für uns, einmal mehr das Entlarven der uns umherrschenden Machtverhältnisse zu zelebrieren. Denn was wäre denn „Kunst“ anderes als Kreativität und gestaltende Phantasie, die es uns ermöglicht, Vorstellungswelten zu erschaffen jenseits von Sachzwängen und Realitäten. Traumbilder und Visionen sind emotionale Wirklichkeiten, die mit der betonbornierten Biederbürgerlichkeit und Geschäftigmacherei der Sachzwänger und Realitäter nichts zu tun haben, die den Eroberigkeiten von Geldgewalt und Weltbesitz ihren Übersinn entgegen trotzen, dass es nur so staubt und scheppert im videologischen Gebälk der Gierarchie. Ein elegantes Eigensein, das dem scheinheiligen Sakrazement des Kapitalskollegiums die Urnatur des Lebendigen dergestalt ins Gesicht menetekelt, dass es den alles Öffentliche verpiratisierenden Inventmentpäpsten vor lauter Scheck über sich selbst die Mammonstranz ihrer eiligen Konsumnion aus den knöchernen Klauen schlägt. Lauter leichgewordene Schiachbrechten, ein Salzburger Totentanz mörderisch sterblicher Restspielgerippe, einzig bekleidet mit den munter pestglöckelnden Narrenkappen ihrer jeweiligen Gönner. Götzengötter. Geldverbrenner. Jeeeeedeeermaaaaaann!

Und sofort zitiert der ob seiner Stimme und Erzählkunst von mir sonst durchaus geschätzte Michael Köhlmeier im profil-Gespräch den Geheimrat Goethe: „Man merkt die Absicht und man ist verstimmt“. Hesse, meint er, verführe den Leser zu seiner eigenen Weltsicht, stelle nicht einfach nur das „was ist“ dar. Das sei nicht Wesen und Aufgabe von Literatur, weshalb auch viele Hesse-Leser lediglich an Ideologie und Esoterik interessiert seien, nicht aber an Dichtkunst. Literatur in seinem Sinne, also ein „Sehen der Welt mit ersten oder letzten Augen“ müsse sich auf das reine Beschreiben des Seienden beschränken und dürfe nicht durch subjektive Vorauswahl die Welt interpretieren. Hallo? Ist der jetzt auch schon Staatsbeamter, der Köhlmeier? Was der dann wohl zu Thomas Bernhard absülzen würde? Ich will es gar nicht wissen! Im totalitären Konsumismus ist ohnehin fast nur noch garantiert ideologiesteriles Behübschungsgelaber (nach vorgäriger geschäftsgermanistischer „Qualitäts“kontrolle) erwünscht und marktfähig. Würg!

Also haben wir uns einen jungen und unverdorben subjektiven Mitstreiter des kreativen Eigensinns an Bord geholt, um diese Götzendämmerung mit uns gemeinsam zu begehen. Emanuele ist ein dermaßen vielseitig begabter und künstlerisch gestaltungsversessener Mensch, dass ihm die wenigen und zudem vordefinierten und beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten in der provinziellen „Kunstmetropole“ schon jetzt zu eng, zu einseitig und zu langweilig erscheinen. Also dann: Er wird auf dieser Themenreise drei dramaturgisch durchkonzipierte Text/Musikblöcke beisteuern, mit eigenem und adaptiertem Material zu den drei Stunden/Stationen: „Hohe Ideale, Gefallene Engel, Falsche Götter“. Besonders gespannt darf man auf die unzensierte Version seiner Bearbeitung des „Jesus Christus Erlöser“ Vortrags sein, in welcher Kinskis Gefühle während der Performance von 1971 mit dem Text verschmelzen. Darüber hinaus beackert Emanuele weitere tiefe Themen rund um den eigenen Lebensentwurf. Wie hätte Hesse gesagt: „Wir sind Menschen. Und für den Menschen gibt es nur einen natürlichen Standpunkt, nur einen natürlichen Maßstab. Es ist der des Eigensinnigen.“ (1917)

Doch der Kunstmarkt hat seit damals die Reihen wieder fester geschlossen. Auch der Verleger Jochen Jung tönte im Artarium „Es gibt Literatur – und es gibt Selbsthilfegruppe.“ Ach, ja wirklich? Und wer bestimmt den Unterschied? Wer steht an der Rampe und selektiert das Werte vom Unwerten? Wer qualifiziert denn da die Aussagen, die Gedanken und Texte nach ihrer Arbeitsfähigkeit oder Restlebenszeit? Der Herr Doktor Geldgemengele? Auschwitz reloaded! Womit wir auch schon wieder mitten im Salzburger Gunstbetrieb angelangt wären. Ja, natürlich, sagt der Festspielhausverstand, Kunst ist, was Geld bringt. Die Diktatur des Wohlfeilen. Die Prozession der sich Prostituierenden. Haben wir den Begriff des Feudalismus jetzt eigentlich vergessen oder verdrängt? In der Kunstgeschichte der Hochkulturen ist doch fast ausschließlich das erhalten geblieben, was der Imagepflege von brutalen Herrschern und ihren Weltmachtideologien diente. Michelangelo Superstar ist das Ergebnis einer fortwährenden Castingshow – von Machiavelli Multimedici…

Deshalb ist auch Francois Villon echter Rock’n’Roll, echter Existenzialistenpunk, weil er nie Auftragsgünstler war! Aber die derzeitige Ideologie der industriellen Vernutzzweckung macht aus jeder Selbstäußerung eine Handelsware, wenn sie nicht bei drei auf dem Baum ist. Darüber ließe sich noch ebenso endlos wie trefflich schimpfen. Doch wo bleibt das Perspektivische? Was macht ein „gutes Bild“ aus? Der Jahrhundertfotograf Robert Capa soll gesagt haben: „It’s not the technique. It is the attitude.“ Die skandalöse Verführung in der Kunst ist eben nicht eine erkennbare Weltanschauung des Kunstschaffenden, sondern eine um den Preis der Gefühlsabspaltung behauptete Neutralität gegenüber der dargestellten Welt. Sie bedeutet die Leugnung der eigenen Emotionen und Bedürfnisse und somit die Aufgabe der Autonomie des Menschen. Klar, denn der muss sich ja als Künstler dem Diktat des marktwerten Erfolgs unterwerfen. Und jetzt aber Schnauze, Köhlmeier! Wir verführen euch allerdings – in aller Offenheit – hier zu diesem: „Mach dein Ding!“ Denn wir sind ein geiles Institut 😀

„Untotigkeit“ (Norbert)

Podcast/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Mai erfindet sich schon wieder neu und wagt sich an ein weiteres Produktions-Konzept. Schon seit längerem wollte ich mit dem Fex gemeinsam eine freischwebende Themensendung gestalten, um einige dieser spontanen Assoziationen und philosophischen Aushängigkeiten zu veröffentlichen, die uns in vielen Gesprächen immer so unterhaltsam inspiriert haben. Allerdings sollte dafür schon auch ein geeignetes Zeitfenster gefunden werden, in dem sowohl Chriss als auch ich mit dem kreativen Input vom Fex gleichermaßen umgehen könnten. Nun ist es soweit – die Triade kann beginnen!

„Wir werden tatsächlich von frühester Kindheit an zu einem Höchstmaß an fremdbestimmter Zeiteinteilung gezwungen und außerdem noch zur Beschäftigung mit fremdbestimmten Themen und Inhalten vergewaltigt. Wir werden von klein auf mit System und Methode von uns selbst, von unseren Gefühlen und Bedürfnissen abgelenkt und dadurch nachhaltig von uns selbst entfremdet. Vor lauter Widerstand gegen dieses massive „woanders hin geschoben werden“ haben wir kaum noch Zugang zu unserem inneren Sein. Ein derart von sich selbst „ver-rückter“ Mensch glaubt, kauft, funktioniert – und fürchtet sich vor der Bestrafung für seine Nichtanpassung.“

Aus solchen und ähnlichen Gedankensplittern werde ich diesmal vortragen, während Chriss seine immer stärker ins rhythmische Spoken-Word gehenden Texte rezitieren und auch zur Gitarre singen wird. Und der Fex, der uns auf Anfrage spontan den Begriff der „Untotigkeit“ zuwarf, wird wohl ebenso spontan für dementsprechenden Gesprächs- und Denkstoff sorgen.

„Der vollständig entkernte und vom Empfinden seiner eigenen Lebendigkeit abgetrennte Mensch ist das Endprodukt der Gesellschafts-Erziehung und entspricht forthin nur noch den Interessen der Industrie. Ein profitorientierter Funktionsidiot, ein angepasster Hampelkasper, ein Reiz-Reaktions-automatisierter Arbeitshamster, ein ebenso blödböser wie tödlich-öder Restmensch, ein ins Produktionsprofil passender Placebowichtel und pseudopolitischer Programmpapagei, ein seelenamputierter, spezialisierter und sozialsedierter Staatssklave, ein wie untot umher irrender Untertan…“

Es muss einem ja nicht nur Sozialkritisches rund um den Begriff der „Untotigkeit“ einfallen – man kann durchaus auch über Zombies, Vampire, Werwölfe und andere Wiedergänger reden. Mir allerdings drängt sich bei dem Thema immer wieder der Totstellreflex von Tieren in ausweglosen Situationen auf – und eine Gesellschaft voller sich tot stellender Menschen.

„Auf der einen Seite der Statistik brechen Menschen wirklich zusammen, werden im wahrsten Wortsinn verrückt oder bringen sich tatsächlich um. Auf der anderen Seite ziehen ganze Gruppen gemeinsam in die innere Emigration einer fortwährenden Vollnarkose. Dazwischen, wo die Mehrheit wohnt, in der Gauß’schen Normalmitte, im Main- und Allgemeinstream, in des Mozartpudels patzig-süßem Kugelkern, in der gestaltlosen Fettcreme der Durchschnitte, da werden die Geschäfte gemacht, die Massen bewegt und die Wahlen gewonnen, da gehen die Restfunktions-Lebenden scheintot und schreckstarr ans Werk.

Und wir? – Widerstand im Komaland!“

In diesem Sinne ist auch wieder einmal alles möglich, was uns in diesem Zusammen-Aushängen ein-, auf- und zufällt. Nicht zu vergessen die Dreieinigkeit der gemeinsamen Playlist, welche den Begriff der „Untotigkeit“ von allen unmöglichen (drei) Seiten zu beleuchten vermag. Verhellen oder erdunkeln, das ist hier nicht die Frage. Zu dritt verboten? Wir sind ein geiles Institut! 😀

 

Experlimental (chriss)

Die Perlentaucher Nachtfahrt vom 09.03.2012 wirft sich euch durch die Wände der Konventionen und des Normalnormativenscheißdingsbums! Es wird experimentel. Aushängig. Krank. Aussergewöhnlich. Neu. Eigen. Abgründig. Doch keine Angst, wir werfen euch nicht einfach in irgendwelche sperrigen oder nicht mehr nachvollziebaren Musiken. Es wird auch schönes, melodiöses und leichtes geben, aber eine kleine Brise Verwirrung wird durchaus dabei sein 😉

Die Ausgangsnummer war ja Radio Baghdad von der guten, alten Patti Smith, die in der vorherigen Nachtfahrt „Verlust und Versöhnung“ keinen Platz mehr fand. Und dann „Fernweh“ von Extrawelt die mich auf den Arbeitstitel „Experimental Hours“ kommen ließ. Also auf der einen Seite eine Nummer mit 12:17 Minuten und auf der anderen Seite eine recht soundexperimentelle Nummer mit wunderbaren Elektrobeats. Wir drangen tiefer in das Thema vor und definierten „experimentell“ für uns (also auch für euch) neu und fanden so Künstler, die nicht nach irgendwelchen Vorgaben und Richtlinien etwas Neues schaffen. Eluveitie, Florence And The Machine, Pantha Du Prince, NOFX, und andere…

Und Ernst Jandl… Sprachkünstler, Deutschlehrer… verkannt zu Lebzeiten und bekannt für seine Experimente mit der Sprache… seine konkrete Poesie hat viele dazu bewegt etwas neues, noch nie dagewesenes zu schaffen. Ohne daran zu denken was wohl die anderen davon halten! Etwas neues zu kreieren, etwas zu machen, was alle Konventionen sprengt und die Leute aufwühlt, antreibt, bewegt!!

Ja, etwas wagen… ein Experiment wagen… zu sich selber stehen und zu seiner Kunst… wir sehen das ganz genau so! Man muss im Leben etwas probieren, sich selbst ausprobieren. Egal ob man dabei aufblüht oder daran zerbricht! Hauptsache es kommt ans Tageslicht! Also viel Spaß bei der Sendung und: Gut zu hören!

Experlimental (Norbert)

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. März: Nach einer Idee vom Chriss sollten wir doch einmal „Experimental Hours“ machen und all das zu Gehör bringen, was zu abgefahren und zu aushängig für unsere üblichen assoziativen Themensendungen sein könnte. Hmm – nach kurzer Überlegungspause schien mir das eine überaus passende Anregung zu sein, zumal ja bereits „Radio Baghdad“ von Patti Smith mit 12:17 Minuten Überlänge im Produktionsordner herum kugelte. Und überhaupt ist es mir gerade in dieser Zeit der Traumata und Träume recht angenehm, einmal sehr freihändig und intuitiv mit Texten und Tönen zu – experimentieren…

Was liegt also näher, als diejenigen Musikstücke (im weitesten Sinn) hervor zu kramen, die sich ob ihrer Länge, Sperrigkeit oder experimentellen Natur bislang einer Zuordnung entzogen – und sie mit den verrückten, verspielten und vertrackten Texten eines echten Wortweltbürgers und Sprachverdichters so als Hörwelt aufzuführen.

Also zelebrieren wir diesmal das Experimentelle an sich – doch keine Angst vor atonalem Dauerbeschuss! Neben klassischen Audiocollagen wie „Revolution 9“ von den Beatles oder dem klangkreativen Jazz-Opus „Udrilitten“ von Uzzi Förster (mit 18:09 der längste Titel und zugleich Überleitung zur Jazznacht) gibt es noch genügend tanzbare Elektronic-Beats und knackige Rock-Sounds, um nicht haptisch und synaptisch im Ö1 Studio für zeitgenössisches Musikschaffen zu verschwinden. Eigentlich wollen wir in diesem Experiment mit dem Begriff des Experimentellen herum experimentieren – zwischen Eno, Extrawelt und – Ernst Jandl…

Ja richtig gehörlesen, der Jantel kommt! Immerhin hat Wagenbachs LeseOhr uns mittlerweile „him hanflang war das wort“ in bestens überarbeiteter Qualität zu Gehirn gebracht, ein Werk, von dem früher eher nur Vinyl-Rips fortschreitender Räude zirkulierten. Wir feiern – und senden – also diesmal einen wahren Meister von Sprachen 😉

Wer jetzt allerdings nur die allgemein bekannten (und guten!) Standards wie „schtzngrmm“ oder „ottos mops“ erwartet, wird von uns mit ans Wahrscheinliche grenzender Sicherheit trefflich enttäuscht werden. Der selbsterforschende Zyklus „tagenglas“ etwa oder auch die Rauschexpedition „von schlafkunst“ werden – vom Autor selbst nicht einfach nur gelesen, sondern wahrhaftig dargelebt – zu einem bewusstseinserweiternden Elementarereignis! Und zu allem Überdruck kredenzen wir dann noch „Weltgebräuche“ für Orgel, Posaune und Sprecher, eine Koproduktion mit Martin Haselböck:

zweierlei handzeichen

ich bekreuzige mich
vor jeder kirche
ich bezwetschkige mich
vor jedem obstgarten

wie ich ersteres tue
weiß jeder katholik
wie ich letzteres tue
ich allein

 

Dem habe ich jetzt erst mal wirklich nichts – zumindest Inhaltliches – hinzu zu fügen… Allerdings werden wir in der Sendung schon noch für einige Überraschungen sorgen. Denn ihr wisst ja: Wir sind ein geiles Institut! Und wir freuen uns auf euch…

Postscriptum: Markus Huber aka mareone hat ein geniales Video von unser Adventsingen-Nachtfahrt feat. Klaus Kinski gedreht! Da kommt echt allerhand von unserer Emotionalität und Philosophie rüber. Ihr könnt es am Youtube-Channel der Radiofabrik anschauen und im Artikel am Artarium-Blog mehr über das Konzept und die Entstehung erfahren. Und wir freuen uns alle natürlich auch über euer Feedback 😉