Auf in ein neues Jahr

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Januar – Nachdem wir im letzten Jahr bis zur Wintersonnenwende vorgedrungen sind, jener finstersten aller Nächte, in der das Licht des Lebens zum einen verschluckt zu werden droht und zum anderen doch in seltener Klarheit vom Grund allen Seins hervor glitzert, wenden wir uns jetzt dem neuen, noch ungestalteten Jahr zu. Dem wohnt, und das ist wohl bei jedem Neuanfang so, “ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben”. So steht es geschrieben, jedenfalls bei Hermann Hesse, und dem wohnt überhaubst einiges an Wahrheit inne, liebe romantische Rebellen und alle Menschen, die hier zuhören. “Out of the Dark – Into the Light”, das ist so ein Seelenthema zwischen Weihnachten und Neujahr – und weit darüber hinaus in vielerlei Lebensaspekten.

Auf in ein neues JahrSchon bei der Auswahl einer entsprechenden Bebilderung kamen die beiden gleichzeitig vorhandenen Aspekte der noch nicht Gestalt gewordenen, doch bereits erkennbaren Eigenheit dieses gerade erst begonnenen Jahres zur Geltung. Dazu drängte sich die gespiegelte Perspektive von feststehenden Bäumen durch bewegtes Wasser auf, Lichtspiel zahlloser möglicher Formen hinter all dem, was im Augenblick zu erscheinen scheint. Und genauso ergeht es uns auch bei der Auswahl der verschiedenen Hörbeiträge – ganz egal ob da am Fenster eine Kuh vorbeifliegt oder ob das in dem Fall Socken sind – es spielt diesmal vieles mit unserer Wahrnehmung und mit unseren Gewohnheiten, deren Befreiung aus dem unverspielt Eingekasterlten oftmals erst im surrealen Moment gelingt. Dies sollte uns aber keine Angst vor dem Verlust jeglicher Orientierung machen, zumal die ja ohnehin aus ganz anderen Erfahrungen des “am Leben Seins” gespeist wird …

Auf in ein neues JahrNatürlich wird uns dieser Übergang von einem alten in ein neues Jahr mit unseren bisherigen Erlebnissen sowie mit dem, was wir uns wünschen und demgemäß vorhaben, konfrontieren. Und es wäre kein organischer Übergang, wenn nicht auch der Titel unserer letzten Nachtfahrt zusammen mit dem Titel der nunmehrigen einen sinnstiftenden Satz bilden könnte: “Durch die Nacht … auf in ein neues Jahr.” Vorbehaltlich dessen, was nicht in unserer Macht liegt. Das Unverfügbare ist eben unverfügbar – doch wo es beginnt und wo es endet (und ob überhaupt) – das bleibt offen. Und so schöpfen wir aus aus unseren gemeinsamen Radioabenteuern und werfen unsere Entwürfe für etwas Neues voll vewegenen Vertrauens in die Welt. Dieses noch Unbekannte, jedoch in der Rückschau auch immer schon Vorhergewusste ist unser Selbstdarleben im Zwischenreich der Gestaltwerdung. Wir balancieren auf einem schmalen Grat zwischen dem Geplanten und dem sich Ereignenden, über ein Meer aus Bewusstem und Unbewusstem und aus fortwährend vom einen ins andere Übergehendem. Und wir lernen die Kunst, dies sowohl zu steuern als auch geschehen zu lassen, ohne dabei zu verzweifeln oder den Verstand zu verlieren

Auf in ein neues JahrZu abgründig? Nun, wir sehen dem neuen Jahr, in das wir uns auch mit euch gemeinsam aufmachen, voller Zuversicht entgegen, dass es so gut und schön wird, wie wir es vorhaben. Es gibt keinen Unterschied zwischen Abgrund und Glückseligkeit, bloß zwei Seiten ein und desselben. Wir sind sowieso damit beschäftigt, die Welt zu reparieren, und das ist das beste Jahresmotto, das uns bislang untergekommen ist. In diesem Sinn wird es auch heuer wieder genug Platz für die widersprüchlichsten Stimmungen in unserem Radiotum geben, und wir laden euch ein, dieselben gemeinsam mit uns zu durchwandern, sie euch anzuverwandeln – und dadurch besser zu verdauen, was uns allen vollkommen zu Recht schwer im Magen liegt. Auf ein fröhliches Scheißen, möchte man da sagen. Und wer schon einmal tagelang an Verstopfung gelitten hat oder die Lebensgeschichte von Martin Luther kennt, der kann nachempfinden, was das alles mit Erlösung zu tun hat. Allen anderen wünschen wir ein erfahrungsreiches

Ach Herrgott, jetzt zeig doch mal bitte den verschissenen Hasen!

 

Durch die Nacht …

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Dezember – Auf gehts in die längste Nacht aller Jahreszeiten! Die Wintersonnenwende steht genauso unentrinnbar bevor wie das Weihnachtsfest (klüglicherweise hat man das ja auch genau auf dieses Datum im Jahreskreis gelegt). Und wir stehen mitten dazwischen und erwarten das Kommende. Es ist ja auch Advent, allein dieser Umstand löst in den meisten von uns die widersprüchlichsten Empfindungen aus. Zu Weihnachten krachen Erinnerung und Erwartungen oft dermaßen ineinander, das mir dazu sogleich der Satz von Arno Gruen “Terror kann in Geborgenheit umkippen” in den Sinn will. Was ist eigentlich “das Liebgewordene” an so mancher Gewohnheit? Wie es nun einmal der Brauch ist, erwartet uns auch in dieser Nachtfahrt wieder allerlei Ab- und Hintergründiges.

Durch die Nacht 1Die längste Nacht und somit auch die finsterste, in der das Erwarten des endlich erlösenden Lichts auch noch durch die jahreszeitliche Kälte verstärkt wird – das ist auf jeden Fall auch eine passende Beschreibung für jene unwillkommenen Geistes- und Seelenzustände, welche meist mit Einsamkeit, Krankheit oder Tod in Verbindung gebracht werden. Die Niedergeschlagenheit, die sich mit dem Ausbleiben von Lichtblicken und konkreten Perspektiven in geradezu ausweglose Verzweiflung steigern kann, die kommt ja hierzulande gern unter dem betulichen Titel “Winterdepression” daher. Um sämtliche Arten von sich jeweils bemerkbar machenden Gefühlslagen wahr- und in weiterer Folge ernstnehmen zu können und uns dabei immer noch selbstbestimmt zu sortieren, ist es wohl ebenso hilfreich wie heilsam, die bemerkenswerten´Berichte von empfindsamen Kunstschaffenden zu sich zu nehmen. “Dadurch kann ich mich besser spüren und verstehen”, wie ich einem befreundeten Musiker unlängst schrieb.

Durch die Nacht 2“Wenn die Nacht am tiefsten ist”, das wusste schon Rio Reiser, “ist der Tag am nächsten”. Und das ist auch das Geheimnis der finsteren Nächte, ganz gleich ob es sich um innere oder äußere Nachtwelten handelt. Dem radikalen Absterben wohnt das Wiederaufwachen inne, genau so wie dem Ausatmen das Einatmen oder dem Scheißen das Essen. Der totale Höhepunkt des Winters ist die konzentrierteste Form des Sommers. Es dabei bewenden lassen zu können und nicht nach übergeordneten Sinnerklärungen suchen zu müssen, das könnte eine Haltung sein, in der es sich ebenso entspannt leben wie auch sterben ließe, ohne sich jedesmal im Augenblick des Übergangs verzweifelt zu verkrampfen. Die eigenen Gefühlswelten und Seinszustände allerdings zum Ausdruck zu bringen, in welcher Gestalt auch immer (Text, Bild, Musik, Kostüm, Raumgestaltung, Collage), ist die Grundlage dafür, sie mitzuteilen, sie mit anderen kommunizieren zu können.

Durch die Nacht 3Das nämlich erzeugt “Kontakt” oder eben Berührung”, und die braucht es, damit “der Funke überspringt” und Gemeinsames” entsteht. Was waren die wesentlichen Merkmale der finstersten Nacht? Mangel an Licht und Mangel an Wärme, wenn ich nicht irre. Und auch die schiere Verzweiflung kann als Einsamkeit charakterisiert werden. Die Rede ist von den drei Elementen, die quasi den Keim des nächsten Sommers ausmachen – und mitten in der tiefsten Nacht auf ihr Erwachen warten. Wohlan, wir wollen das unsere dazu beitragen, sie gemeinsam erlebbar zu machen. So, wie wir in den vergangenen Jahren die Erscheinungsform des Adventsingens immer wieder zu neuen thematischen Winterreisen umgestaltet haben, zünden wir auch dieses Mal die Lichtlein an, die das innere Feuer trotz widerlicher Umstände am Leben erhalten. Ihr Kinderlein (und damit sind alle inneren mitgemeint), kommet zu Hauf – und überhaupt. So ihr nicht werdet, seid ihr bereits – doch wenn ja, was dann? Ent oder weder

Durch die Nacht 4Wollen wir auch dem Unfertigen Raum und Zeit geben, dem noch nicht Gedachten, Gesagten oder sonstwie zu Gestalt gebrachten. Dem noch nicht Beschreibbaren, dem, das noch kein Bild, keinen Geruch, keinen Klang hat, dem Formlosen, dessen Form reine Veränderung ist. In Bewegung bleiben kann mehr bedeuten als nur immer unterwegs zu sein. Oh unfassbar scheint vieles von dem zu sein, was mich bewegt. Woraus bestehen wir? Gibt es eine naturwissenschaftliche Erklärung für Literatur? Für Malerei? Für Musik? Für Liebe? Unsere dieses Mal vier Stunden heißen Bekanntes, Verwandtes, Unbekanntes, Erkennend. Und genau das alles soll diese etwas andere Adventandacht enthalten. Zwischen Verschiedenem und zugleich sowohl als auch. Abgründig unterwegs die Scheinwelt entzaubern im kreativen Vakuum der magischen Phantasie. Der springende Punkt beim tot.leben ist der inmitten des Worts. Vor dem Anfang und nach dem Schlussvertrauen

In uns allen wohnt der Bockerer

 

Poesie und Eigenart

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. November – Du wachst plötzlich auf und befindest dich mitten in deinen ersten Lebenstagen. Was hast du erlebt? Wie fühlt es sich an, gerade eben erst neugeboren zu sein? Schön, wenn es für dich irgendwie schön war. Für mich war es schrecklich. Auf einmal krieg ich eine verstopfte Nase und bekomme keine Luft mehr. Und ich denke: “Ob ich das damals auch schon so überlebt hab?” Eigentlich wollte ich mich ja fragen, ob ich das damals auch schon so ähnlich erlebt habe, doch auf dem Weg zur Formulierung hat sich das Wort unmerklich verwandelt und ich muss lachen. Das ist keine bizarre Fehlleistung, das ist Poesie. Wer vermag zu sagen oder wie wollte man “definieren”, wodurch so ein sprichwörtlich verdichteter Augeblick” zustande kommt und wie man ihn fasst?

Poesie der EigenartDamit verhält es sich wohl so ähnlich wie mit Kochrezepten. Natürlich lässt sich minutiös beschreiben, was in einer Torte enthalten ist und wie sich welche Aromen zum erhofften Ergebnis verbinden sollen. Doch ob es dann auch so schmeckt, wie man es sich erwartet hätte? Worin genau besteht jene Qualität, die in Ausrufen wie “Das ist mit Liebe gemacht” gipfelt? Oder noch besser “Diese Torte ist ein Gedicht”? Das bloße Aneinanderreihen von Anweisungen (und wenn diese noch so korrekt befolgt werden) führt noch lange nicht zu einem Ergebnis, von dem man sagen könnte, dass es gut riecht, gut schmeckt, gut ausschaut oder sich überhaupt irgendwie (vorzugsweise gut) anfühlt. Es kommt mir so vor, als steckten wir in einer Welt von Kochrezepten fest. In einer Welt voller Menschen, die daran glauben, dass das richtigrum Runterradeln von Backanleitungen und (hier verlassen wir die Metapher) Verhaltensvorschriften der Sinn des Lebens sei. Das erachte ich allerdings für eine erhebliche Entgleisung dessen, was am Leben an sich lebenswert ist. Nämlich, dass es sich anfühlt. Dass es riecht, dass es schmeckt, dass es klingt, dass es leuchtet, dass es unterzugehen droht, dass es übersteht, dass es flüstert, dass es poltertund dass es sich reimt.

Poesie der EigenartWomit wir dann auch schon mitten drin wären – in dem, was wir hier so veranstalten und – indem wir es für uns selbst ausüben, allerohrs “zu Gespür bringen”. Nämlich unsere Textcollage “Radio ist Resonanz”, die wir für den 25. Geburtstag der Radiofabrik entwickelt haben – und die wir in dieser Sendung ganz neu überarbeitet und zweihasenstimmig vortragen werden. Live vor unserem unsichtbaren Publikum und fein garniert mit der wunderbaren Musik von Nils Petter Molvaer. Warum wir das tun? Weil es sich reimt. Und weil für uns schon das Proben Poesie erzeugt. “Der Begriff bedeutet im übertragenen Sinn eine bestimmte Qualität. So spricht man etwa von der Poesie eines Moments oder einem poetischen Film und meint damit, dass von dem Bezeichneten eine sich der Sprache entziehende oder über sie hinausgehende Wirkung ausgeht, etwas Stilles, ähnlich wie bei einem Gedicht, das eine sich der Alltagssprache entziehende Wirkung entfaltet.”   (Wikipedia)

Poesie der EigenartDas eigenartige daran ist, dass sich diese Kunst unmittelbar auf einen übertragen kann. Dass sie einem “zu Herzen geht” wenn sie “von Herzen kommt”. So bedeutet eigenartig mehr “aus sich selbst heraus entwickelt” – und nicht “seltsam und verschroben” (obwohl der Sprachgebrauch dies in seiner oft abwertenden Tendenz nahelegt). Irgendwann habe ich angefangen, die verdrehte Weltsicht der Wertvorgaben wieder zurück auf die Füße zu stellen und zum Beispiel das Wort EigenArt nur noch so zu schreiben (und somit umzudenken) im Sinne von SelbstKunnst. Mit zwei N assoziiert sich das dann zu Möglichkeit. Und schon kann allerhand passieren, woran du nicht einmal im Traum zu glauben gewagt hast. Die erschreckende Erkenntnis, dass du nie das bekommen hast, was du von Anfang an gebraucht hättest. Nicht irgendeine Sache in einer bestimmten Situation, das wäre zu banal. Sondern gespürt zu werden, willkommen geheißen und bejaht, bestätigt. In all deiner Eigenart – in dem, wer, wie und was du bist. Und die unvorhergesehene Begegnung mit einem unbekannten Kind, auf das du instinktiv genau so reagieren kannst, wie damals nie auf dich reagiert worden ist. Resonanz zu erfahren, so erklärt das jedenfalls Hartmut Rosa, setzt eine grundlegende Antwortbereitschaft voraus.

Frequenz, Resonanz, Poesie.

 

Mehr als nur …

>> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 6. Oktober – Was wir hier machen ist mehr als nur … eine monatliche Radiosendung. Da steckt viel mehr dahinter als nur … Musikdarbietung, Textgestaltung, Thementiefgang und nicht zuletzt Unterhaltung. Was wir hier machen hat viel mit dem Motto zu tun, das die Radiofabrik anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens gewählt hat. Ein Motto, von dem wir überzeugt sind, weil es dem entspricht, wer wir sind, was wir tun und wie wir das zum Ausdruck bringen. Uns so mitzuteilen, mit euch zu teilen, was uns beschäftigt und wie wir uns dabei über die Jahre entwickeln, das ist nur in einer von kommerziellen, politischen und weltanschaulichen Machtinteressen freien Umgebung möglich. Genau daher machen wir gern mehr als nur Tschinn-Bumm.

Mehr als nur ...Es sind die Geschichten hinter der “Geschichte”, die erkennen lassen, was “unter der Oberfläche” eigentlich geschieht, was “hinter der Fassade” wirklich stattfindet und was “jenseits des Alltäglichen” an Abenteuern zu erleben wäre, wenn wir die Grenzen überschreiten. Wie das gehen soll? Das können wir euch nicht sagen. Wir können euch nur zeigen, wie wir leben. Und das ist schon sehr viel. Dass das überhaupt möglich ist, ist ein großer Verdienst dieser genialen Konstruktion namens “Freies Radio”. Denn was da Tag für Tag von vielen Menschen aus eigenem Antrieb (und meist ohne Bezahlung) hergestellt und “dargelebt” wird, das ist die Essenz dessen, wozu Medien als Mittel zur Mitteilung zwischen einander eigentlich da sein sollten. Da geht es darum, was jemand von sich zu sagen (oder zu zeigen) hat, nicht darum, was jemand von wo auch immer eingerummst bekommt, was dann auswendig aufgesagt wird … nur um eine möglichst große Gruppe dahingehend zu beeinflussen, dass sie sich so verhält, wie das Firma X, Partei Y oder Religion Z zwecks ihres Machtausbaus haben möchten.

Mehr als nur ...And like words together
We can make some sense
Much more than this
Way beyond imagination
Much more than this
Beyond the stars
With my head so full
So full of fractured pictures
And I’m all there
Right next to you
So much more than this
There is something else there

Peter Gabriel – More than this

Im Gespräch mit unserer langjährigen Programmkoordinatorin Eva Schmidhuber kam mir folgendes in den Sinn: “Was wir hier herstellen ist Germ der Gesellschaft.” So wie die Wirkweise eines Enzyms (dass sich die einzelnen Zutaten beim Backen zu einem genießbaren Ganzen verbinden) zunächst eher indirekt bemerkt wird (weil der Teig eben “schön aufgegangen” ist), so lassen sich die feinen Vorgänge zwischen Menschen und ihren Mit-, Um- und Innenwelten zunächst besser indirekt (unbewusst, emotional, atmosphärisch) darstellen, auch um sie vor der Verwurstung im Nutzzweck des großen Geschäfts zu bewahren. Auch das ist etwas, worin wir uns hier versuchen.

Mehr als nur ...Kunst (oder eben “Kunnst”, wie wir im Sinn von “könntest” gern sagen) ist eine Möglichkeitsform. Wie das Gestalten einer Sendung im Freien Radio. Wo wir die Zutaten unserer Erfahrung mit neuen Einfällen und bislang Unbekanntem vermischen, wo wir die Welt, in der wir jeden Tag sind, “mit anderen Augen sehen”, wo wir all das, was in uns auftaucht, zu einem Augenblick verdichten – schaffen wir Gegenwart. Und die ist ebenso unendlich wie verwandelbar. Kunst kann Unsichtbares sichtbar machen. Das nicht gleich auf den ersten Blick sichtbare. Das Dahinter. Das Dazwischen. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung. Eine üblicherweise ausgeblendete ganz leichte Irritation, die meist nur im Vorbeigehen, aus dem Augenwinkel oder beim irgendwie “unscharf Hindurchschauen” wahrgenommen werden kann. Die abgesehen davon bei den meisten Menschen irgendwo im Hinterkopf unbehandelt abgespeichert bleibt, von wo aus sie manchmal unverständliche Botschaften ins Bewusstsein sendet. Uns macht es einfach Spaß, mit den Elementen zu spielen. Und das ist mehr als nur

Arbeit

 

Sowohl als auch mitunter

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. September – Eine Sendung, die der Ambivalenz gewidmet ist. Diesmal noch deutlicher als sonst eh schon meist. “Sowohl als auch” anstatt “entweder oder”, jedenfalls in der Anschauung der Welt, in der wir leben und die wir sind. Wir mögen das flirrende Zwischen im Ineinander von diesem und jenem. Viel seitig, viel fältig, viel schichtig. Viel gestaltig. “Es ist ein multifaktorielles Geschehen, das wir hier beobachten.” Ich erinnere mich in letzter Zeit gern an unsere anregenden Gespräche mit der Kulturanthropologin Elke Mader, die immer wieder bei diesem Satz innehielten, um eine Denkpause einzulegen. Das Luftholen im richtigen Moment, um noch weiter ausholen zu können. Mitunter wäre das lebensfreundlicher als dauernd irgendeiner “Richtigkeit” hintnach zu hecheln …

Sowohl als auch mitunter 1Genau wie bei diesem seltsamen Schild erschließt sich der tiefere Sinn erst bei näherer Betrachtung – oder aber erstmal auch nicht. So ist das mit der Unverfügbarkeit, und zwar von allem, was da ist, war – und sein wird. Willkommen im (in der Zwischenwelt mehrdeutigen) Gleichnis vom Vatermutterkind, unserer einstweiligen Utopie rund um die Uhr – und darüber hinaus. Bitte. Danke. Guten Nachmittag. Dem Paradoxen ist kein Naturgesetz heilig und zugleich jedes einzelne. Mehr als nur sowohl als auch. In diesem Sinn versammeln wir auch diesmal wieder Beiträge und Themen, die auf den ersten Blick (ihre Ohren werden Augen machen) nicht wirklich zusammen zu passen scheinen. Doch bei näherer Betrachtung (genau) werden sich durchaus Gemeinsamkeiten erschließen – und die sind eigentlich auch mehr als nur naheliegend. Das Lachen und das Weinen haben mehr gemeinsam als man glaubt. Im üblichen Vollzug des Alltags fällt das halt nicht so leicht auf. Wohingegen hier

Sowohl als auch mitunter 2Ein einfaches Beispiel soll Licht ins Dunkel bringen: Maria Muhar treibt mit ihren Satiren die zu beobachtende Wirklichkeit geradezu grenzenauflösend “über die Spitze hinaus”. Sie wird übrigens im Oktober in der ARGE auch live zu erleben sein, empfehlenswert! Wir lassen zwei Beiträge aus “Cat-Calling, sehr unangenehm” mit einer Lesung aus Andreas Woldrichs “Requiem für Mama” (in dem er seiner kürzlich verstorbenen Mutter gedenkt) zusammen treffen – und schauen, was sich daraus entwickelt. Wenn die von uns angestrebte Resonanz dieser beiden aufs erste doch sehr verschieden anmutenden Darbietungen zustande kommt, werden sich daraus zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit zu erkennen geben. Liebe und Tod, Bitter und Süß, Wahnsinn und Methode – es ist ohnehin schon längst alles in allem enthalten. Unsere Musikauswahl, unsere dazu mitgebrachten Texte und überhaupt unsere hoch ambivalente Grundhaltung bei diesem Sendungskonzept, all das sollte zum Erfolg dieses Experiments beitragen. Vor allem aber die Beschaffenheit des genannten Ausgangsmaterials, dem jeweils das Zugleich von Abgrund und Euphorie, also “sowohl als auch”, innewohnt …

Sowohl als auch mitunter 3Mischlingswesen Welpentier

Im Namen des Noned
willkommen im Land der Unfertigen Buntbedruckten
Hupfkasperln
Gleichschneckigen
und Sommerbrauen
Grüngestreifen
Vergießmeinnichtse
und Lebensüberdürstenden
Wolkenwelt-Weitentwürfe

Wunder
das Leben
inmitten von Schleim
Scherben und Schmerz

Chaos
Keine Ahnung
doch immer
aus dem Unten
von innen
überrascht

ein Nasenkitzeln
ein Lichtblinzeln
ein Fünkchen Gelächter

Die Eigenschaftswohnung
der Dauernhof am Großrotzner
das flutschernde Blechlein
Papiergoldmarie
Diplomnatur
und Stundium
Urherberts Ächzschutz
Pirateigentum Schundraub und Mutz

Unfertiges

Werdenleben

Übersteh mich nicht falsch

 

Salzenburger Fetzenspiele

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. AugustDie alljährliche Ambivalenz im Salzburger Festspielsommer mit all ihren Chancen und Risiken und vor allem Nebenwirkungen beschäftigt uns naturgemäß auch heuer. Ein Gefühlsbild unseres Befangenseins zwischen dem möglichen Theaterglück und dem rundum erschallendem Kommerzwahnsinn. Niemand, der in Salzburg lebt, bleibt von diesem “Sowohl als auch” unbetroffen, ganz gleich, wie bewusst oder unterbewusst dieser Einfluss auch sein mag. Und genau deshalb ist eine lyrische Darstellung wie diese geeignet, die widersprüchliche Gefühlsvielfalt in der Festspielstadt einzufangen – und wiederzugeben.” So steht es geschrieben im Begleittext zu unserer Collage “Ein fester Festspielflash”. Salzenburger Fetzenspiele. Ein Zuhörtheater in 3 Akten

Salzenburger Fetzenspiele 1 (Erster Akt)Der Tod spielt offenbar eine zentrale Rolle, die ganze Stadt ist Bühne und das Bühnenbild ist überaus barock. Auf den verwehenden Spuren von Thomas Bernhard jener “Friedhof der Wünsche und Phantasien”, in dem er sich als junger Salzburger immer ungern wahrgenommen hat. Eine einsame Seele zerschellt am Pompösen der beherrschaftlichen Duck-dich-Architektur und an der Monstrosität ihrer Ausstrahlung. Erst aus der Perspektive eines Ausländerkinds (oder eines anderen an Gewalt und Machtmissbrauch leidenden Menschen) wird die Wirklichkeit hinter dem künstlich schönen Schein erkennbar. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes vor einem Publikum, das finanziell über Leichen geht. Und noch eine Hightech-Spielstätte in den letzten freien Raum gequetscht. Und abgesperrt. Und abkassiert. Und ab dafür. “Schau rauf zum Himmel, diese Erde, sie ist gelb wie Stroh. Komm, lass sie uns verbrennen, ich will es so. Jetzt weißt du, wer ich bin. Herzlichen Glückwunsch

Salzenburger Fetzenspiele 2 (Zweiter Akt)“Deutsch Sprach sein Kunst. Sein ein Kunst-Sprach. Vaterland sein Kunst. Deutsch Sprach und Österreich Vaterland sein Kunst. Österreich sein ein Kunst-Land. Vater-Kunst-Land. Kunst-Vaterland. Salzenburger Fetzenspiele. Burgentheatern. Operan. Schuber und Brahmst. Schrammenmusik. Österreich sein ein Kunst-Land. Donau zu blau, zu blau, zu blau. Sein ein Kunst-Vaterland.

Viel Kunst heut nicht gut sein. Viel Kunst heut nicht viel gut sein. Sein viel Schmutzen. Kunst-Schmutzen. Sein viel viel Schmutzen. Viel viel Kunst-Schmutzen. Sein ich Kunst schutzen. Deutsch Sprach schutzen. Österreich Vaterland schutzen. Schutzen. Sein viel viel nicht Kunstler. Sein Kunst-Schmutzen. Sein Schmutzen. Schmutzenfinken. Schmutzenbacher. Pfui Gack.”             Entschuldigen sie, wenn ich jandle

Salzenburger Fetzenspiele 3 (Dritter Akt)Ein einigermaßen unorthodoxer Psychoanalytiker wurde unlängst gefragt, was in Jugendlichen so vor sich gehe, wenn sie auf “Sozialen” Medien dauernd mit Darstellungen zurechtgeschönter Idealfigur*inen zugeschüttet werden, die noch dazu auftreten, als hätten sie permanent Erfolg und umwerfend guten Sex. Er antwortete, dass es darauf zwei Reaktionen geben könne, nämlich entweder “Ich will auch so sein wie die” oder “Ich bring die alle um”. Nun wollen wir angespürs der recht ähnliche Auswüchse hervorbringenden Festspielsaison irgendwo zwischen Anpassung und Amoklauf in der Ambivalenz schweben bleiben – und die unendlichen Möglichkeiten des “Sowohl als auch” kultivieren. In diesem Sinn wählen wir nur Beiträge aus, die sowohl den kritischen Blick auf die Wirklichkeit nicht vermeiden, als auch kunstvoll der Phantasie der Verwandlung Raum bieten. Der bodenlose Bottich einer beinah leergefressenen Welt verwandelt sich in das kreative Vakuum des Neuerschaffens.

Bleib ba dir …

 

Flüchtiges Glück im Sonnenland

Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. JuliDas Sonnenland ist das, was uns in der sommerlichen Jahreszeit begegnet. Glücksmomente jedweder Beschaffenheit: Laue Nächte, Schatten unter Bäumen, Baden am Fluss, Nacktheit in der Natur, Vogelgezwitscher, Blumen, Freunde, Wind in den Haaren, Überraschendes und Vertrauen in einer warmen Welt. Beseligende Berührungen eines leichteren Lebens, die zwar befördert werden können, aber letztendlich nicht festzuhalten sind. Am Horizont ziehen die Wolken auf, die Stimmung schlägt plötzlich um, der Abschied naht – und an die Tür unserer Fröhlichkeit klopfen Sorge und Angst. Wir sind fließend und wälzen uns durch die Landschaft. Wir sind der Fluss und nehmen vieles in uns auf. Wir sind dauernd unterwegs, doch am Ende strömen wir unaufhaltsam ins Meer.

Flüchtiges Glück im Sonnenland“Mach es wie die Sonnenuhr – zähl die heiteren Stunden nur.” Für sich genommen steckt da durchaus was wahres drin. Andererseits ergibt erst das Zusammenspiel von Licht und Schatten eine Gesamtschau aufs große Ganze. Innehalten im Glück und doch um seine Vergänglichkeit wissen, das könnte uns frei machen vom anstrengenden Wegschauen und Verdrängen. Erst wenn wir die Freude wie auch die Traurigkeit in unserem Gefühlsleben stattfinden lassen, werden wir uns zu “ganzeren” Menschen entwickeln. (Naturgemäß lässt sich “ganz” nicht steigern – gemeint ist hier allerdings das Ideal von “Ganzheit”, das wahrscheinlich nie “ganz” erreicht werden kann, das es aber nichtsdestoweniger anzustreben gilt.) Wrdlbrmpfd. Jedenfalls wollen wir auf dieser Nachtreise quer durch den Gefühlegarten die Ambivalenz der Empfindungen rund ums Glück im Sonnenland und seine gleichzeitige Unverfügbarkeit darstellen. Eine Stimmungsdramaturgie aus Gedanken, Gesprächen, Musik und Literatur

Flüchtiges Glück im SonnenlandEin gutes Abendessen gemeinsam mit lieben Menschen und wir haben das Gefühl, rundherum satt zu sein. In so einem Augenblick voll Glück und Zufriedenheit kämen wir doch nie auf den Gedanken, dass schon bald wieder Hunger, Durst und der Drang zum Stoffwechselkabinett unser Dasein dominieren könnten. Und doch ist es so. Kein halbwegs vernünftiger Mensch käme auf die Idee, den Zustand der Erfüllung nach erfolgreich gehabtem Sex dauerhaft festhalten zu wollen. Und doch gibt es eine Menge unglaublicher Trotteln, die wie hirndrogensüchtige Halbaffen mit Wahlrecht und Führerschein durch die Welt orgeln und dabei genau das versuchen: “Augenblick, verweile doch, du bist so schön.” Je mehr du im Leben einzementierst, desto weniger kannst du dich bewegen. Je mehr du zu haben versuchst, desto weniger wirst du sein. “Ich bin ein harter, viereckiger Klumpen und meine einzige Aufgabe besteht darin, auf meinem Platz zu bleiben.” So denken die humanoiden Hohlziegel der Gesellschaft.

Flüchtiges Glück im SonnenlandVieles steckt vermeintlich fest im Fluss des Lebens. Und doch birgt das bewegte Wasser in sich schon die Veränderung der Verhältnisse. Es umfließt jedes Hindernis, spiegelt das Licht – und erschließt uns (wenn wir denn mitfließen) neue Wege. Die Lebenskunst, die uns das Hiersein als Menschen abverlangt, ist nicht zu unterschätzen: Jeden Moment möglichen Glücks auszukosten, als gäbe es nichts anderes auf der Welt – und ebenso davon auszugehen, ja zu wissen, dass er höchst vergänglich ist und sogar sehr schnell wieder verwehen kann. Dies scheint zunächst eine ziemlich schwierige Aufgabe zu sein (und wer hat überhaubt gesagt, dass es leicht sein wird?), für uns ist diese Herangehensweise jedoch der Wirklichkeit am entsprechendsten. Für andere ist gerade diese Haltung (das Miteinbeziehen beider Wahrnehmungen) um jeden Preis zu vermeiden. Da stellt sich doch die Frage, wer in diesem Fall den Preis bezahlen soll. Sie selbst? Die anderen? Die Natur? Der Stoascheißer Koarl?

Memento mori, Kasperltheater!

Und einen schönen Sommer …

 

Far more in common

> Sendungen: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. April“We have far more in common than that which divides us.” (Zitat von Jo Cox) Ich kann mir ja auch nie sicher sein, ob man rinks und lechts wirklich so schwel velwechsern kann – und ob das da auf dem Bild noch ein Baum ist oder schon ein Witz, den diese Stadt über sich selbst erzählt. Wir wagen einen Versuch wie immer mit kontrastierender Musik und kontroversen Texten, doch ohne ­“Moral von der Geschicht”. Die ist und bleibt ein offenes Ende und der eigenen Phantasie überlassen. Das Schöpferische in uns will nämlich zur Geltung kommen und soll dabei schön zweckfrei bleiben dürfen! Es geht ums Herzeigen und ums Verstecken, aber gleichzeitig und ausgewogen. Da kann ich mich verbinden ohne zu verschwinden. Das beglückt und schmerzt zugleich.

Far more in common (Hase 1)Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut – ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen … Vom Wesen des Hasen inspiriert zu einem friedvolleren und gewaltfreieren Menschendasein – auf einer Welt voller Verbrecher und folgsamer Idioten. Gefängnis fürs bloße Äußern der eigenen Meinung. Majestätsbeleidigung! Zugegeben, die real existierenden Nazis waren viel brutaler – der geistige Stoff aber, aus dem ihre Terrorherrschaft bestand, war schon längst vorhanden (er ist es immer noch): Obrigkeitsglaube, Gehorsamkeit und gewissenloses Nachplappern der vorgeschriebenen Parolen (jetzt denkt mal selbst, welche das heutzutage sind). Willkommen im Zwischen und auch hinter den Zeilen!

Far more in common (Hase 2)Denn dieser Text besteht fast ausschließlich aus Ausschnitten unserer begleitenden Artikel aus 12 Jahren gemeinsamer Kunnst. Und die Auswahl der einzelnen Passagen wie auch die Zusammenstellung erfolgt möglichst spontan, unter Umgehung der bewussten Kontrolle und Berechnung – soweit nur irgend möglich, wenn man einen Artikel zu einer Sendung verfasst. Könnten nicht noch spannendere Einblicke ins üblicherweise Unerkannte, Unerforschte, Unaussprechbare zum Vorschein kommen, wenn man Bücher an einer völlig beliebigen Stelle aufschlüge, das so Gefundene daraus vorläse – und sich auf diese Weise eine noch nie zuvor gefundene Geschichte – erzählte? Eine Technik, die wir aus dem uralten Brauch des “Bibelstechens” ableiten und die wir heute als “erweitertes Bücherstechen” bezeichnen – und auch anwenden wollen. Es macht nämlich großen Spaß, das zu ergründen, was da in und um uns wirksam und immer vorhanden ist und was wir gemeinhin nicht bewusst wahrnehmen oder erkennen können. Nicht, dass wir dem, was sich da ereignet, einen Namen geben oder sonstwie eine Definition überstülpen müssten. Nein, es mag, wie wirklich es auch immer sei, im Unverfügbaren verbleiben – und uns auf seine Art begegnen.

Far more in common (Hase 3)… zurück zur Versenkung in den Abgrund des Endlichen und zu der restlos unguten Stimmung, die beim Betrachten der eigenen Ausweglosigkeit aufkommt. Noch dazu inmitten einer Welt, die an allen Ecken und Enden von Betrügern und Berserkern zugrunde gerichtet wird, dass es nur so kracht. Wie heilsam wäre in dieser Situation ein herzhaftes Lachenkönnen und das Gefühl, sich mit Sprachwitz und Verstand zumindest gegen ein paar Erscheinungsformen der allumbrodelnden Verblödungsindustrie eloquent zur Wehr zu setzen. Wer klopfet an? Asylsuchende Assoziationen auf ihrer Fluchtfahrt durch die Dunkelheit ans Licht. Die etwas andere Betrachtungsweise der uns interpretiert überlieferten Geschichte(n). Gruslig schön lustig und freischwebend. Frohgemute Verwurstung von Kulturstrandgut entgegen jeglicher Marktlogik. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird, aber irgendeinen dramaturgischen roten Faden braucht es immer …

Wir sind ein geiles Institut.

 

Kommando Pimperle

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 10. Februar um 22:06 UhrInbetween, inbetweener, inbetweenst. Zwischen Wintersonnenwende und Weiberfastnacht steigern wir uns mit gepflegtem Weltuntergangshumor in ein erlösendes Lachen. “Mein Über-Ich hat Übergwicht” – eine interessante Beschreibung der depressiven Schräglagen des Seins – und ein Fall für unsere paradoxe Intervention aus Musik, Lyrik und angewandter Weltsatire. Was das ist? Na eben Kunnst (mit zwei N) oder “Kunnst dir was ganz anderes vorstellen?” Ungeahnte Abzweigungen mäandern im menschlichen Gehirn – und warten nur darauf, dass sich endlich wieder was bewegt. Und abgesehen von seinen erheiternden Wortassoziationen (wenn man selbst daran rumdreht), kann ein Kinderspiel wie “Kommando Pimperle” auch sonst so einiges …

Kalksburger NockerlnWillkommen in unserer begehbaren Hörkunstwelt mitten zwischen dem Lebensaufbegehren in uns allen – und dem Niedergang nicht nur des Abendlands ringsumher. Draußen vor der Tür regiert das Schwein von Kotzbühel und es befällt einen die Einsicht, dass sich die Auswüchse des “ökonomischen Diktats”, dem wir alle unterworfen sind, auch beim besten Willen schlicht nicht mehr schönsaufen lassen. Und es gibt darüber hinaus viele gute Gründe, bei dem ganzen Umpfzirkus im Weltgedümmel von Konsumwichtelhausen nicht mehr mitspielen zu wollen: “Leckts mi doch olle am Oasch!“ Das ist die eine Seite dessen, was in uns wirkt. Und was naturgemäß unsere Wirklichkeit (und wie wir sie wahrnehmen) formt und bestimmt. Eh klar, was auf uns einwirkt, wirkt sich in uns aus. Und wirkt sich wiederum durch uns auf die Welt um uns aus. Ein Teufelskreis, in dem sich die Katze, die auf dem Vulkan tanzt, fortwährend in den eigenen Schwanz beißt. Absurdes Theater in der French Disko.

Kein Ende in SichtAber halt! Wollen wir uns wieder einkriegen. Es gibt ja noch eine andere Seite – die innere. Die ist ein ebenso vielgestaltiges Hupftheater wie die äußere. Und wer da nicht alles mit- und durcheinander reden, gestikulieren und sich aufführen möchte! Ganze Vogelschwärme an inneren Stimmen und Stimmungen – die wir zumeist mit eigenen Gedanken und Gefühlen verwechseln, weil sie so gut verkleidet sind. Ich sag ja: “Mein Über-Ich kriegt Übergwicht – ganz langsam und ich merk es nicht.” Und je nachdem, was da alles auf dessen langen Listen zur richtigen Anpassung steht, kommt da und dort unmerklich ein Quentchen Stress dazu, so dass sich das innere Gleichgewicht schwupps in eine schiefe Ebene verwandelt, auf der man nur noch in den Abgrund rutscht. Die verinnerlichten Anweisungen “zum richtigen Verhalten” sind ja nicht alle so erkennbar unsinnig, dass sie sich von den “eigenen guten Ideen” unterscheiden ließen – und etliche davon sind zudem auch noch durchaus sinnvoll und brauchbar. Nur wie durch Zauberhand verhext und verteufelt brüllen sie alle zugleich auf uns ein wie ein einziges vermaledeites Kommando. Da kann einem ganz schön Pimperle werden dabei. Kopf oder Geier! Wer kann da auseinander halten, was in ihm tobt?

Kommando PimperleWer kann sich überhaupt selbst auseinanderhalten? Niemand! Ein weiser Seelenforscher (und da war er schon weit über 80 Jahre alt) hat einmal zu mir gesagt, dass Literatur und Kunst, so bedeutsam sie auch fürs Empfinden und Verstehen sein mögen, genau dabei ans Ende ihrer Wirksamkeit kommen. Nach seiner Erfahrung sei das Gesundwerden der eigenen inneren Verletztheit nur mit Hilfe von außenstehenden Personen möglich – etwa im Rahmen einer Therapie oder einer Liebesbeziehung. Ich nehme dann mindestens beides (weil sich das gegenseitig schwer befruchtet) und die Literatur und die Kunst gleich dazu (weil ich mich selbst auch weiterhin neugierig erkunden möchte). Und weil wir alle (graduell unterschiedlich schwer) traumatisiert sind, allein schon durch den Zwang zur Anpassung an das Nichthinterfragbare, und weil wir alle (nicht nur im Gehirn) voneinander verschieden verkabelt sind, sollten wir uns auf das kleine Kind einigen, das in uns allen lebenwollend herumstoffwechselt.

Hey, hey – meine Freunde vom leidenden Leben …

 

Rolle seitwärts

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Januar – Es geht wieder aufwärts. Die Nacht der Nächte ist vorüber. Welche das jetzt genau ist? Geh, bitte! Auf jeden Fall tauchen wir wieder auf und stellen zufrieden fest, dass der Sender noch funktioniert. Mitunter ist es ausgesprochen hilfreich, eine Rolle seitwärts zu vollführen, um dem Zerquetschtwerden zu entgehen. Oder dem Zerquatschtwerden durch das Dauergeplärr und Geklingel aus verheimlichter Absicht. In der Mitte unseres Lebens (des weiten Landes, das wir gern wieder selbst in Besitz nehmen möchten) steht ein riesiger Sendeturm, aus dessen Lautsprechern unaufhörlich Anweisungen dringen, wie wir gefälligst angepasst zu funktionieren haben, weil sonst… Doch in dem Turm ist nichts weiter als ein verstaubtes Abspielgerät. Das ist aber tatsächlich unerhört!

Rolle seitwärts - ein Kind im KopfDa mag die Weltherrschaft uns niederzwingen mit Ukrainekrieg und Fernsehwerbung (beides brutale Gewalt), gegen das Kind im Kopf ist kein Kraut gewachsen. Und wenn es wieder einmal seitwärts aus dem Dickicht der Depression aussteigt, sich auf die nächstbeste Erhebung setzt und uns einladend anlacht – dann kann es uns dazu verhelfen, alles ganz anders, ganz uralt und neu zugleich zu betrachten. Denn das bin ja ich selbst. Grüß mich! Wie schön, dass ich mich wieder mal treff. Ich hab mich schon fast vergessen. Aber es gibt mich noch. Und auch die anderen. Die ganz anderen sogar. Die Queraussteiger aus dem Programm der Zugrundenutzung. Die Funkrelaisstation und die trianguläre Peilung sind eben auch auf die menschliche Kommunikation anwendbar. Insbesonders auf die mit sich selbst. Oder wie willst du dich selbst erkennen ohne innere Distanz oder ohne dabei verschiedene Blickwinkel einzunehmen? Alles eine Frage der Perspektive, fragen sie ihren Martin Buber oder…

Rolle seitwärts - ein SchlumpfMichael Köhlmeier! Ich gebe zu, dass mich das Eintauchen in sein Hörbuch “Matou” geradezu durch die dunkelsten Nächte hindurch gerettet hat. So viele Wandlungen, Verwandlungen, Zeitwechsel und -sprünge, Positionsänderungen und Assoziationen, wie er dabei vollführt, das ist atemlosmachend, verführerisch, inspirierendund zu allen erdenklichen Abenteuern im wahrsten Sinn mitreißend. Der geniale Kunstkniff ist der lesende, der schreibende, der vor sich hin sinnierende und erzählende Kater! Er schreibt heftig… schwach… schwelgerisch… und kommt dabei zu keinem Ende (schließlich hat er ja sieben Leben) oder zugleich zu hunderttausenden (denn soviele Fäden hat sein Erzählgewebe aus fliegendem Teppich und Philosophie), letztendlich aber doch zu einem (wir müssen alle sterben), das vielleicht gar nicht das Ende ist (weil auch die Vollendung des siebten Kreises zu einem großen Kreis wiederum nichts anderes ist als der Beginn eines weiteren, noch größeren Kreises, in dem die anderen dann enthalten sein werden, was wir aber jetzt und von hier aus nicht sehen können).

Rolle seitwärts - einer ist zufriedenEin Geschichtenerzähltiger und Mythenmetzreaktor, dem wir uns schon in einem Artarium auf die Fährte gesetzt haben. Gefährten des Lebens trotz Lebensgefahr! Woraus seine inneren Brennstäbe bestehen, das zu ergründen und zu erklären interessiert hier nicht. Das begreift man entweder eh – oder lass es! Denkprozesse, die nicht rechtshemisphärisch dominiert ablaufen, sind mir zu flach und zu langweiligeine Befehlszeile nach der nächsten, ohne erkennbaren Gefühlsanteil. Menschenleute, die sich wie Roboter (nicht) anfühlen und dabei dreinschauen wie semantische Leerzeichen, mit denen das Nichts dazwischen kaschiert werden soll. Entkernte Seelen auf dem Weg ins Nirgendwo warten auf die nächste Anweisung und schlagen ihre viel zu lange Lebenszeit mit abgestandenem Entertainment tot. Oder in Ermangelung von Irgendwas halt stellvertretend das nächstbeste Leben. Maschinen mit Emotionen. Künstliche Intelligenz? Dass ich nicht lache, liebes Kind!

Es sind schon ganz andere beiseitegetreten (worden).