Karneval der Kulturen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Februar – Am schlimmsten ist es immer mit dem Einstieg. Wie nur, ja wie? Da könnt doch jetzt Jedermann daher kommen und uns was vorraunzen von seiner Frau. Oder vom Xenophil Pimperl. Wie sagte einst Goethe: “Das also war des Puderns Kern.” Unschwer festzustellen, dass gerade Fasching beziehungsweise Karneval herrscht. Dabei wollen wir in dieser Saison nicht übrig geblieben werden, und so eröffnen wir unsere ganz eigene Session inmitten des schwindligen Kasperltheaters. Und wir wären nicht wir, wenn wir die Begrifflichkeiten des Kulturkarussells allzu bierernst nähmen. “Kulturen” kann ja so einiges bedeuten, von Anthropologie über Joghurt bis zu regionaler Volksmusik oder fremdländischen Filmen: “Almduludl akbar!”

Karneval der KulturenDie Grundlage der Selbstironie ist, wie der Name schon nahelegt, das Vorhandensein von irgend so was wie Selbst. Oder Bewusstsein. Einigermaßen selbst zu spüren, WER man ist – nicht bloß WAS. Letzteres bescheren einem eh die auswendig zu lernenden Phrasen von einer Identität aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Kultur und Berufsausübung. Die Mär von der Zugehörigkeit zu irgendwelchen Kategorien, die von fragwürdigen “Autoritäten” festgelegt werden. Fürs “Befolgen” solcher Hohlheiten werden ganz konkrete Belohnungen in Aussicht gestellt, wie zum Beispiel: „Dann fühlst du dich gut!” oder “Im nächsten Leben wird es dir besser gehen.” Den Schas glauben nicht wenige – und irren ein Leben lang fremd in sich umeinand. Naturgemäß können die nicht über sich selbst lachen, sie haben irrationalerweise Angst davor, genau das zu verlieren, was sie nie gefunden haben: Das eigene Selbst. So heißt denn die volksmundige Frage: “Sag einmal, spürst du dich überhaupt?”

Karneval im LichtIch gebe zu, dass der Sendungstitel Karneval der Kulturen bereits zum Zweck verschiedener Aufmärsche des multikulturellen Bestrebens in aller Einfältigkeit ausgelutscht ist. Aber wir wären auch nicht wir, wenn wir dieser Standardvorstellung von Eiapopeia und Lieblieb nicht noch Abgründiges und Hintersinniges zu den beiden Begriffen Karneval und Kulturen (Mehrzahl) abringen würden. So soll uns die “närrische Jahreszeit” auch als Steilvorlage für die aktuelle politische Situation dienen, deren Umtriebe fast nur mehr erträglich sind, wenn man sie als Kabarettprogramm auffasst. Zu den riesigen Nebenwirkungen lesen sie… Und was den vielbeschworenen “Clash of Cultures“ angeht, können die Dichter, Künstler und Musiker, die sich wirklich mit Begegnung und/oder Verbindung unterschiedlicher Kulturen beschäftigen, meist eine bessere Belichtung anbieten als die inflationären Philosaufen, Pädagockeln und Politwichteln. Naturgemäß nur dann, wenn man einigermaßen selbst (siehe oben)…

Karneval im TheaterDas Grundverbrechen sind die falschen Versprechungen, die einem fürs vorauseilende Anpassen und fürs reibungslose Funktionieren gemacht werden: Dass man dafür in irgendeiner Art belohnt würde, wenn man sich selbst aufgibt, sich einfügt und brav mitarbeitet. Dass man halt “dazu gehört”, wenn man bei allem mitmacht, was die Strömung jeweils vorgibt, gern auch mal beim andere schlecht finden, herabsetzen und gnadenlos aussperren. Denn darum geht es meist bei den Gesellschaftsordnungen, vom Kleinsten bis ins Größte, sei es Familie, Kirche, Schule, Staat, Weltkonzern: Dabei sein oder untergehen! Das ist nichts anderes als blankes Drohen mit Gewalt. Wer solche Grenzen zwischen den Dazugehörenden und den Ausgeschlossenen aufrichtet, der profitiert von den Schmiergeldern und Zollgebühren, die unweigerlich dabei anfallen. Deshalb ist “Sepp, pass di an!” nicht nur ein beliebtes Lebensmotto, sondern auch ein verbreiteter österreichischer Vorname. Wir werden alle sterben.

 

Der Club der Totendichter

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. November – Den Film, der diesem Titel Pate stand, setzen wir als weithin bekannt voraus. Es ist natürlich “Der Club der toten Dichter” mit Robin Williams aus dem Jahr 1989, im englischen Original “Dead Poets Society”. Darin geht es um die Vermittlung des Gedankenguts längst verstorbener Lyriker an eine Gruppe jugendlicher Schüler – sowie um die teils heftigen Auswirkungen dieses Umstands auf deren tatsächliches Leben. Und es ist ja wohl auch so, dass unsere Sendungen immer wieder der Würdigung verstorbener Dichtkünstler (und -innen!) gewidmet sind, über Genres und Generationen hinweg. Doch bevor jetzt alle auf den Tisch steigen und laut “O Captain, mein Captain!” rufen, wollen wir noch etwas zur genaueren Unterscheidung unseres Projekts anmerken:

Der Club der Totendichter“Salzburg war stets eine Stadt der Kunst. Vielen Literat*innen war sie Schreibmittelpunkt und Zuhause, Reibfläche und Experimentierlabor. Vom Mönch von Salzburg über Georg Trakl bis hin zu Dirk Ofner – die Mozartstadt war und ist voller Poesie! Darum griffen AutorInnen der SAG zur bildlichen Feder und Tinte und verfassten Texte zu den ihnen wesentlichen verstorbenen Kolleg*innen; um ihrer nicht bloß zu gedenken, sondern sie vielmehr wieder ins Leben zu schreiben und zu zeigen, dass Sprache unsterblich ist.” So stand es in der Ankündigung von Salzburg Seelen”, einer jahreszeitlich höchst passenden Veranstaltung der Salzburger AutorInnenGruppe am heurigen Allerseelentag. Und genau dieses “wieder ins Leben schreiben” zieht sich wie ein roter Faden durch unser Radioschaffen, wiewohl erweitert zu einem “wieder ins Leben spielen”, tummeln sich doch in unserem Gehörtheater noch viele weitere Gestalten der Dicht- und Ausdruckskunst als immer nur die üblichen Verdächtigen.

Der Untoten DichterEs gibt ja eine Unmenge an Wortspielen zu dem eingangs erwähnten Filmtitel. Der Club der dichten Toten zum Beispiel oder der Club der Dodeldichter. Wäre es da also nicht viel zu deprimierend, uns einzig auf Totendichter zu reduzieren? Und was könnte so ein “ins Leben dichten” von Verstorbenen wirklich bewirken, einmal abgesehen von musealer Andacht, von mausoläischem Brumpf? Dass die Toten eben auch wiederum nicht tot sind, wenn sie nur von einem wahren Totendichter wieder zum Leben gebracht werden, indem dieser (oder diese, geh bitte!) sie ins gegewärtige Schaffen aufnimmt. Es geht uns immer ums Inspiriertwerden des eigenen Gestaltens durch all jene, deren Aussagen und Darbietungsformen wir als mit unseren eigenen Anliegen “übereinstimmig” erkennen, egal ob sie noch leben oder schon tot sind. “Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.” – so sagte es Bertolt Brecht. Und im Talmud heißt es: “Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist.” Was absichtsvoll auch als Motto der Hörstolpersteine dient, an deren Gestaltung die Radiofabrik in erheblichem Ausmaß mitgewirkt hat. Eine weitere Form, Verstorbene “wieder ins Leben zu bringen”, sich mit ihnen zu verbinden.

Der vielen Totendichter LichterEs ist einfach wesentlich, bei der Auswahl seiner Anregungen nicht auf Aktualität, Marktwert oder Reichweite zu achten. Und schon gar nicht auf Leben oder Tod. Vielmehr davon zu schreiben, zu singen und zu spielen, was einen zutiefst innerlich anrührt. Wer könnte ein besseres Beispiel dafür sein als Thomas Bernhard, mit dem wir uns bei COPY RIOT als Verlebendigungs-Performance im gegenständlichen Sinn verbunden haben? Wer wäre zudem ein besserer Pate für die Kritischen Literaturtage, die heuer vom 24. bis 26. November in der ARGE stattfinden? Und so nimmt es nicht wunder, dass die löblichen Mitstreiter_innen von der SAG sich bei ihrer Lesung auf diesen “vehementesten Gesellschaftskritiker” beziehen. Oder dass im Titelbild ihrer Einladung (KunstQuartier) Bezüge zum Autor wie auch zum Thema auftauchen: Thomas Bernhard – Sprachlandschaften (24. 11. um 19 Uhr)

Hier schließt sich der Kreis, ich weiß einen Scheiß – und das ist der Preis…

 

Unendlichkeitsversuch

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Oktober – Diese wunderschöne Wortanstiftung soll Anlass dafür sein, wieder mal etwas über unser Sendungskonzept auszusagen, verkörpert sie doch mit sich selbst genau jenen Unendlichkeitsversuch, den wir allmonatlich unternehmen – und der wir auch sind! Lässt man sich diesen Begriff sozusagen auf der Seele zergehen, dann schillert er sogleich in den verschiedensten Farbenund Bedeutungsnuancen. Ähnliches versuchen wir ja auch jedesmal mit unseren vielschichtigen Freitagnachtcollagen auszulösen. Deshalb passen sie auch nicht wirklich in irgendein Genreschachterl. Kommunikationswissensgschaftliche Formatradiozuschreibungskategorien haben in unseren Phantasieweltbildern sowieso überhaupt nichts zu suchen. Pfuigack!

RauchpauseDabei gibt es schon Hintergründe, die hier erhellt werden können: Zum einen der Ausstrahlungstermin in der Nacht von Freitag auf Samstag, wo zumeist eher fortgegangen als daheimgeblieben wird. Und zum anderen die erklärte Absicht, just zu dieser Partynacht der Jungnation definitiv KEIN für irgendein Festl hintergrundtaugliches Hullatrulla zu produzieren. Folglich richten sich unsere Schwebwelten eher an den einzelnen Kopf von inmitten des Jubeltrubels Alleinseienden. Was nicht heißt, dass sie nicht auch gemeinschaftlich zu genießen wären. Wir halten damit eine der Grundideen unseres Freien Radios hoch, dass es nämlich nicht darum geht, immer noch mehr Publikum zu erreichen, indem man auf Durchschnitt und Üblichkeit abzielt, sondern darum, dass vor allem das Eigenartige, das etwas Andere wie das sehr Spezielle seinen prominenten Platz haben muss. So erreichen wir in dieser ersten Wochenendnacht zum Beispiel Menschen, die gerade im Auto unterwegs sind, krank zu Hause liegen, genüsslich in der Badewanne knotzen, sich sonstwie verkrochen haben, die zu alt oder zu jung sind fürs Geschubse ums Bierhäusl, einfach Menschen, und denen sagt das was…

UnendlichkeitsversuchUnd so stiften wir unsichtbare Verbindungen zwischen vielen Molekülen in einem Germteig der Gesellschaft, bilden wir ein Myzel zwischen den zahllosen vereinzelt erscheinenden Schwammerln, die ja doch allesamt das große Ganze des Lebens sind. Darüber hinaus sprechen wir mit unserer äußerst weit gespannten Musikauswahl auch möglichst unterschiedliche Einzelgeschmäcker an, so dass gleichermaßen Wiedererkennen wie Neuentdecken über einen längeren Zeitraum des Zuhörens hinweg stattfinden kann. Des weiteren ermöglichen unsere immer live und spontan zu allen möglichen Themen stattfindenden Zwischengespräche sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Wie ebenfalls die mit Bedacht eingestreuten Statements und Zitate von Gastautor_innen, die zusätzlich das Gehirn massieren und so unweigerlich zum Denken anstiften. Ganz zu schweigen von unserer Sendungsdramaturgie, die sich stimmungsabhängig in die eine oder andere Richtung entwickelt, je nach dem… Doch das sind auch nur die ohrenfälligsten der vielen Schichten, die wir seit fast sieben Jahren zu immer neuen Nachtfahrten verweben. Ein echter Unendlichkeitsversuch.

 

ein schuss jandl

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. August – Wie jetzt? Ist denn nicht “einschussjandl” die schönere Einwortpoesie? Auch “ein schussjandl” oder “einschuss jandl” sind genauso vorstellbar wie berechtigt. Sprachermächtigt! Schon offenbart sich, gleichsam “in a nutshell”, der Wortkosmos des Dichtmeisters Ernst Jandl nebst einiger seiner durchaus erwünschten Wirkungen. Zu den anderen, unerwünschten, fragen sie sich selbst oder hauen sie sich mit dem Fliegenklescher fest auf den Kopf. Wenns denn hilft. Wir jedenfalls erproben seinen Sinngehalt an uns selbst, indem wir den normierten Nutzsprech, der uns alltäglich umwuchert, diesen im wahrsten Sinn unsäglichen Unsinn der fortwährenden Weltverdeppung, durch Zerlegung neutralisieren und so auch mit dem Experimentellen experimentieren.

ein schuss jandl“Den Sinn und die Sprache ließ Jandl zerschellen in den Abgründen der Welt, und dass er damit zu einem der größten Popkünstler der Literatur wurde, ist eines ihrer schönsten Mirakel.” So formuliert der unseres Wissens nicht verwandte Paul Jandl in der “Welt” zum Erscheinen der 6-bändigen Werkausgabe 2016. Und erzählt uns eine der schönsten Ernst-Jandl-Anekdoten überhaupt:

“Als ich Ernst Jandl in den Achtzigerjahren zum ersten Mal angerufen habe, war das Gespräch kurz. Erst hat es lange geläutet, dann meldete sich drohend seine Stimme: “Jandl?” – “Hier ebenfalls Jandl”. Aufgelegt. Man hätte es ahnen können. Die Achtzigerjahre waren die Zeit, in der der Dichter so berühmt war, dass man sich mit ihm am Telefon gelegentlich einen Scherz erlaubte. Die Scherze konnten derb sein, wenn ein lyrisches Wiener Herz der Meinung war, dass die Poesie mit dem Avantgardisten des “sprachenschmutzen” auf den sprichwörtlichen Hund gekommen ist, oder sie waren auf kleinmütige Weise originell. Es gab tatsächlich Leute, die sich mit “Ottos Mops” meldeten oder nur fragten: “Bist eulen?”

ein schussjandl

ottos mops

ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso

otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft

 

ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott

 

einschuss jandlNun haben wir ja nicht nur so einen riesen Haufen eigener Arbeiten mit, über und rund um den Ernst in unserem Radiogepäck, speziell die Sendungen experlimental oder Atom Heart Mona Lisa, dazu noch allerhand andere Anstiftereien im Artarium. Nein, niemals nicht! Wir ham noch lange nicht genuuuuug. Der Salzburger Jung & Jung Verlag (für den zwischenzeitlich auch der erwähnte Paul Jandl lektorierte) hat uns zu dieser Sprachexpedition freundlicherweise mit dem Band “der beschriftete sessel” ausgerüstet, den wir zur eingangs erwähnten Zerlegung heranziehen wollen. Dort findet sich etwa “Zwischen Hulst und Hummel” (Ein Auszug):

“Die zwischen HÜM und humlich, Hulst und Hummel klaffende Wörterbuchlücke           (hu- hum- humá- human- humaní-) lässt mich an eine Reihe von Texten denken, zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Technik geschrieben, die ein Entsetzen über die Peinigung der Menschen durch den Menschen zum Ausgangspunkt haben. Sie gesellschaftskritische Texte zu nennen, scheint möglich, lässt aber außer acht, dass ein gewisses Maß an Gesellschaftskritik bereits überall dort konstatierbar sein könnte, wo die Sprache von Texten aus dem normativen Geleise gekippt ist. Es gibt Leute, die in jeder Abweichung von der Norm, in welch kleinem Teilbereich immer sie sich ereignet, eine Bedrohung jeglicher Norm erblicken, womit sie nicht völlig unrecht haben mögen. Größere Liberalität, für manche ein Dorn, ist nur durch den Abbau von Normen, Verbindlichkeiten erreichbar. An sie, die Verteidiger jeglicher Norm, ist zweifellos auch gedacht, wenn mit den Mitteln der Kunst die Vorstellung von Normalität vorsätzlich und lustvoll gestört wird.”

Es könnte Ernst Jandls Motto sein: “Alles mit allem möglichst dicht zu verbinden…”

 

Straight Outta Finsterworld

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Januar – Als “schön grausam und grausam schön” wurde Finsterworld von Frauke Finsterwalder schon beschrieben, für uns ist es der abgründigste und aushängigste deutsche Spielfilm seit längerem, schräg, seltsam, sonderlich, also höchst bewusstseinsverdrehend. Das Drehbuch zu diesem Kindheitswortspiel verfasste die Regisseurin zusammen mit ihrem Ehemann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, und der heißt auch tatsächlich so. Willkommen bei den Artarium-Filmempfehlungen zur finsteren Nacht! Man merkt eben sofort, wenn profunde Literaten und Theaterleute das Handwerk des Geschichtenerzählens ausüben, und nicht funktionalisierte Bezahlschnipsler aus einer der Verwurstfabriken ewigdesselben umettikettierten Gammelfeilschs.

FinsterworldEgal ob Hollywood oder privat-kommerzielles Fernsehen, sobald es über einen gewissen Grad hinaus nur noch ums Geld geht, merken wir sofort die Absicht, und sind – völlig zu Recht – verstimmt. Es ist die Verflachung der Dramaturgie ins rein Funktionale zum Zweck der Behumpfung irgensodeiner statistisch erfassbaren und für irgendjemandes Quotenagenda relevanten All- und Gemeinheit, die uns beim fallweisen Erdulden so eines Machtwerks gequält aufjaulen lässt: “Für wie deppert haltets ihr uns eigentlich?” Als ginge es weltweit nur mehr noch ums Bezupfen der dreieinhalb rudimentären Gefühlsreflexe, damit möglichst zahllose Konsumkasperln irgendwelche Konsumgurkerln kaufenkaufen, um sich irgendwie verbunden zu vermeinen. Ach so, genau darum geht es ja doch, in der uns täglich als einzige Wirklichkeit servierten Realität der Realitäter und innen. Genau deshalb wollen wir hier auch eine alternative Knotzwelt zu diesem Scheißdreck etablieren.

ProphetenpassionDenn der Mond wird sich lila färben und es werden vielerorts aufstehen die Propheten einer anderen Welt, welche längst in uns ist und nur ihrer Verwirklichung dort draußen harret, wo jetzt die falschen Götter der Gier und ihre Scheinepriester, die Geldgunstgewerblein, an der Vernichtung der Vielfalt jeglichen Lebens arbeiten, sie sind brav und anständig und arbeiten ordentlich, ja, ja, in der Funktionstrottelfabrik und bei der Nutzmenschenzucht, sehr respektabel, fürwahr!“Hört ihr sie predigen und singen – ganz wie sie früher, mit der Pfeife, Ratten fingen?”Fette Jahre von Lokomotive KreuzbergEine Prophetenpassion, wie sie leibt und speibt. Man möchte depressiv werden inmitten all dieser Moloche und anstatt Straight Outta Finsterworld lieber kopfüber mitten hinein stürzen, dass es einen endlich zerreißt. Da braucht es schon immer wieder eine gehörige Distanz zu den Grausligkeiten und Gemeinheiten des Weltgedümmels, um nicht vollends darin unterzugehen…

Sound and SilenceSeien wir daher also nicht bloße Perlentaucher, die alles mögliche aus dem Schleimsumpf der Kultur hervor befördern – seien wir doch auch wahrhafte Inselstifter, die ihre Knotzzonen gescheit gebrauchen, etwa um auf all ihren Reisen stets bei sich selbst zwischenzulanden – und diese Form der Selbsterdung anderen zu deren Selbstwerdung wiederum weiter zu reichen:

“If again the seas are silent in any still alive, it’ll be those who gave their island to survive.” Peter Gabriel – Here comes the Flood Oder noch viel Prophetischeres rund um so hochakute Themen wie Heimat, Flucht, Flut: Ernst Jandl – Etude in F, unlängst überraschend in einem Tatort (Regie Markus Imboden) wieder aufgetaucht: “Land in dieser Zeit” – ARD-Mediathek noch bis 8. 2., was uns genau deshalb so gut gefällt, weil da eben “profunde Literaten und Theaterleute das Handwerk des Geschichtenerzählens ausüben”.

Nunmehr jedoch genug gepredigt – hier schließt sich nämlich der Greis:

falfischbauch

 

Das Ende der Bescherung

> Sendung: Heilige Nachtfahrt Spezialausgabe vom 24. Dezember – Bimbam Oida, am Heiligen Abend wird fast jedes Programm zum Pogrom. Nur dieses nicht! Verstehen sie mich nicht verkehrt – an keinem anderen Abend einigt sich die heimische Senderlandschaft dermaßen tief aufs kleinste (angeblich) Gemeinsame und verfolgt noch die letzten, die ganz sie selbst und irgendwie anders als die anderen sein wollen, mit der raunzigen Schwammerlsoß dessen, was man gemeinhin für “weihnachtlich” hält. Und an keinem anderen Abend wird die unglaubliche Schändung des Begriffs Gemeinschaft dergestalt offenbar wie an diesem: Wer auch immer unvorsichtig einen Empfängnisapparat anwirft, wird sogleich mit all dem kulturellen Restmüll zugeknallt, auf den sich das postchristliche Konsumabendland statistisch einreduzieren lässt.

BescherungDoch da sei heuer der Hund vor! Im Zuge der Wiederbelebung völlig zu Unrecht vergessener Weihnachtsbräuche kommt derselbe diesmal wieder pünktlich zum Ende der Bescherung über euch – und verspricht bereits jetzt KEINE DIREKTE Bezugnahme aufs gegenständliche Fest. Vielmehr ergeht er sich in Assoziationen und Sub-Ableitungen für intelligente Hörbsen und Ohrrüben. Denn ihr lebt die Radiofabrik sofern ihr sie mit Bedacht eingeschaltet habt.

Darüber hinaus gibts in der Doppelstunde, die an legendäre Wein-Nachts-Liveturnübungen (2008 – 2010) anknüpft, allerhand Abgründiges und Hintersinnliches rund um absolvierte Familienfeiern, ausgepackte Geschenke sowie aufgestoßenes Essen, kurzum, den etwas aufgeweichteren Zustand hernach. Egal woran ihr glaubt – oder auch nicht – rüstet euch mit all dem, was euch bekömmlich scheint – und kommet gewaltig! Denn es steht geschrieben ein großes Geheimnis im Evangelium des Hundes, nämlich die Playlist und Dramaturgie ebendieser Sendung. welche vorab nicht verraten sein soll, jedoch kundgemacht unter Posaunenschall und Brimborium in exzentris Trihullioh allen Hiatamadln und Buam auf dem Felde ihrer Selbstbestaunung. Und es bagab sich das Ende der Bescherung – mit PeterLicht.

ent oder weder
maus oder fleder
veganes leder
ent oder weder

L’chaim!

 

Nur noch Nebel

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. NovemberNebel legt sich über das Land – und oft auch auf die Seele. Der Spätherbst ist eben die Jahreszeit für Depressionen und artähnliche Gefahren. “Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“, schreibt Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht “Herbsttag“, und weithin wohl noch viel geläufiger: “Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr”. Dazu muss man nicht Trakl oder drogentrüb sein, dass man derlei in diesen düsteren Stunden spürt. Oft reicht schon ein gewisses Maß an Empfindsamkeit, um von der eigenen Schwermut so in die Tiefe gezogen zu werden. Nebel verhängt den Blick – und kaum noch Orientierung bietet sich stillschreienden Sinnen. Es ist wie ein leises Verlorensein in der Welt. Allumwattet wandelt selbst Hesse seltsam allein: “Kein Mensch kennt den anderen”

Spaziergänger im NebelWiewohl noch dem dichtesten Nebel recht angenehme Seiten abzugewinnen sind. Das Dämpfen von Geräuschen (des Stadtlärms zum Beispiel) oder das Verhüllen von unschönen Anblicken (wie die Volk genannten Schiachperchten oder die Baukötze der Arschitekten). Sogar der Vereinsamungsaspekt hat eine Kehrseite, denn nebelt man sich ein, kann man nicht mehr so leicht entdeckt werden, entschwindet man elegant der möglichen Belästigung. Ich bin etwas, was du nicht siehst. Ätsch. Auch benebelt zu sein kann einen mit der Gnade impressionistischer Weltbeschau versorgen. Wie man sich dreht und wendet, ist Seelenzustand Wasserdampf oder Grundfarb für ein Gedicht. Daher wollen wir inmitten solch ineinander überfließender Beschleierung den Blick auf jene Kunstform richten, die Lyrik und Musik zu ganz neuen Eindrücken verschmilzt, gemeinhin Word over Music genannt – oder besser noch “Hörtheater”. Beispiele gibts aus dem am 30. November erscheinenden Musiklyrikalbum “tenebra” der ONchAIR Bros sowie aus dem bekannten Hesse-Projekt von Schönherz & Fleer. Was das mit Chriss’ Buch “seelen.splitter” zu tun hat, bleibt vorerst noch nebulos

Die mir noch gestern glühten,
Sind heut dem Tod geweiht,
Blüten fallen um Blüten
Vom Baum der Traurigkeit.

Ich seh sie fallen, fallen
Wie Schnee auf meinen Pfad,
Die Schritte nicht mehr hallen,
Das lange Schweigen naht.

Der Himmel hat nicht Sterne,
Das Herz nicht Liebe mehr,
Es schweigt die graue Ferne,
Die Welt ward alt und leer.

Wer kann sein Herz behüten
In dieser bösen Zeit?
Es fallen Blüten um Blüten
Vom Baum der Traurigkeit.

Hermann Hesse

 

Reflecting Autumns

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. SeptemberDer Sommer ging heuer ja schon vor seinem Beginn zu Ende – und danach versuchte er noch den ganzen Sommer hindurch, einer zu werden. Doch jetzt, wo die Schulferien unweigerlich zu Ende gehen und auch die “vorlesungsfreie Zeit” bald keine mehr sein wird, da schieben sich endlich die ersten stabileren Schönwetterperioden in den allenthalben anhebenden Herbst. Wieviel Werden steckt da im Vergehen? Oder wars immer schon genau umgekehrt? Jedenfalls wollen wir diese auffallende Ambivalenz des Herbstsommers zum Anlass nehmen, unser aller Jahreszeitreisen zu würdigen sowie uns dementsprechend in der Schönheit des Vergänglichen zu ergehen. Denn jedem Sterben wohnt ein Herbstlaub inne, und das ist nochmal so richtig farbenfroh!

VollmondVom Charme des Morbiden, vom Innehalten auf der schiefen Bahn und vom Aufleuchten des Lebens im Totgeglaubten handeln unsere Buchzitate und Filmempfehlungen, unsere musikalischen Fundstücke und Spoken-Word-Fragmentarien. Wir basteln uns eine Welt aus dem Sammelsurium unseres unterwegs Aufgelesenen, nur um sie mit euch gemeinsam wieder zu verzehren:

unzählbare Lichtkaskaden auf den Wellen des Mittelmeeres, mehr als grell, kosmische Gaben, ein Hauch anderen Lebens, und hier auf dem Fels, du malst mir Salzzeichen auf den Rücken, es tropft der Schopf, wir paddeln nicht, wir haben die steinerne Wand umbrochen, vulkanisch fast, Gräben und Schluchten und Armeen von schwarz glitzernden Muscheln; gen Himmel ein Zeichen des Abschieds, wir lieben dich Sonnenkönigin! Auf ewig Kinder des Meeres! Wie kommt man zu Namen oder zu Orten, wie laufen die Bahnen von trunkener Zeugung zu Mord, von Nägellackieren zu Inkontinenz, wie winden sich Wege durch Menschen und Tiere, durch die Natur und das All? Ach, vielleicht ja alles nur zum Amusement anderer Weltraumrassen – welch glorreicher Zoo!

FeuerlichtYou touch me with your light
so different as they say
you touch me with your light
and make me want to stay
you touch me with your light
its running down my skin
you touch me with your light
you touch me from within
you touch me with your light
and bring my soul to ease
you touch me with your light

Wir lassen unsere zwei Welten ineinander fließen wie zwei Feuer aus Wasser und Licht, mögen sie sich mondkühl oder kerzenwarm anfühlen, mögen sie zäh oder zart oder zwirbelig beschaffen sein, sich klopfend, klingelnd oder klagend anhören, just emotional erstarrt oder stimmungseruptiv daher kommen, wie dem auch immer sei, es entsteht wiederum eine neue, ganz eigene Sphäre voller Stimmung und Klang. Und die verschmilzt dann mit eurem Jetztgradesosein, indem ihr uns zuhört und euch auf diesen sanften Urknall aus Gärung und Gebräu einlasst. Es kommt zu einer Art Energieübertragung, wie sie etwa von Musikern und ihrem Publikum beschrieben wird. Doch wir müssen euch nicht einmal sehen, um zu wissen, dass ihr da seid. Darum machen wir auch Livesendungen. Weil dabei so etwas Geheimnisvolles geschieht…

 

Mondfallsüchtig – Nachwort

Ein Nachwort zur Nachtfahrt vom Freitag, 10. Juni

Angst vor dem Tod hatte ich eigentlich nie. Angst vor dem Sterben, meine ich, die Straße löst sich, auf unbestimmte Zeit verborgt euer Schöpfen, von Wasser oder betrittst fremde Welt, zum ersten Mal, unbekannt noch, unbefleckt; da hört man das Singen des Schreibens und Pausen wie Perlen aufgefädelt, Korallenkette viel feiner als gedacht, ein Hauch nur / Wimperntäuschung, du schreitest Samt

moonchildkaramellisiertes Schweigen. Vanaprastham. Trommelnde Morgensucht während Radierungen, hier zeigt sich auch wieder meine Liebe : nocturnales Verhalten, vielleicht mehr als Lebensgewohnheit, vielleicht ja Instinkte der Nacht, die sich ergießen, über mich strömen, so glänzend Rabenfedern in erfundenen Gassen. Nicht nur Realität lässt sich biegen, keucht die alternde Entendame, der Kronkorken nickt, als ich mich nähernd : nahtloser Bruch, dass Bäume schweben, Mondhase oh wach über uns! Mein Herz dargeboten auf dem Altar der Sprache, noch schlägt es, vernarbt, zart, wer wiegt mir das Wohl, die Freude, wer die Last, das Fallen? Möglich, dass Schatten hinter mir grinsen, mit wilden Augen; Kopf gehoben und zurück in ein anderes Ich oder wie viele Leben kann ein Mensch füllen? Aufgehört mit dem Denken während des Denkens, so stiehlt sich Zeit, so durch die Finger, bald läuten die Glöckner; angeregt, beschleunigt durch leuchtende Stunden, welch Sturz in den Himmel! Diese stille Sucht, gar mondfallsüchtig, erinnernd an Haikus durch winterliche Flusslande

birthund all das Vergessen, all den Vergessenen, den Verstummten, den Geächteten : was da wuchert in meinem Kopf, neben Lichtmandalas gestreifte Farbandeutung rosé reifblau, das Knistern der Stille vor dem Schlaf, in der Früh vor dem Schlaf, sieben / siegen über Schlafkunst, Versuch einer Feststellung, zu Asche, zu Wasser, kaum saugt man die Gräser, die gläsernen Strahlen, die Schalen in Spiegelung, wohl metallische Klänge sinken ins Ohr … ihre Worte berühren etwas ganz tief in mir, wie Dunkel, das schon wieder strahlend … ich werde bald ruhen, es wandelt sich viel, halbfeuchter Asphalt unter den Kronen der Stadt, der knöcherne Traumfänger in perpetuierendem Kreisen, von Geisterhauch; so manches in regen Zuständen, ein Umwenden und -wälzen bis sich die Wellen dann glätten unter geblümten Himmeln, in Poesie verbunden

– Christopher Schmall

 

Mondfallsüchtig

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Juni – Wie kann man denn vom Werden und Entstehen phantastischer Welten berichten, jenem heimlichen Vorgang, der sich dem absichtsvollen Blick entzieht – und der seinem Wesen nach jeder Beschreibung spottet? – “Das, was wir unter Kultur verstehen, lässt sich in keiner Weise systematisch dingfest machen.” Eben. Und genau das, was sich keiner Definition, Einteilung oder Zweckwidmung zuordnen lässt, nichtsdestotrotz sinnlich erfahrbar zu machen, das ist der ebenso dilettantische wie geniale Versuch, den wir seit Machensgedenken immer wieder aufs neue unternehmen. Denn was nicht explizit auszudrücken ist, davon muss man eben implizit erzählen. Durch Andeuten etwa und durch Umkreisen. Durch Assoziieren und durch Unterbewusstsein. Durch aus…

junifall

“Das, was wir unter Kultur verstehen würden, ist, dass Menschen etwas machen, das vergleichbar wäre mit einem Biotop. Das vergleichbar wäre mit einem kleinen Tümpel, einem Schlammloch, da stehen drei Bäume, da ist ein hohes Gras und irgendwann einmal zwischen Nachmittag und Abend kommen dort zwei Verliebte vorbei oder ein Dichterling oder sonst irgendjemand, einfach Menschen. Und die genießen das, und denen sagt das was. Und das ist in keiner Statistik festzuhalten, das kann man in keinem Subventionsansuchen rechtfertigen, das kann man in keiner Weise systematisch dingfest machen. Das wäre Lebenskultur.” (sprach Norbert K.Hund 1994 “Im Schatten der Mozartkugel”, einem Ö1 Spotlight von Christian und Silvana Schiller) Woher kommen uns eigentlich Worte wie Junifall, Mondobst oder Mondfallsüchtig? Das müssen sie unbedingt in der Übersetzung von Harry Rowohlt lesen – im Original geht da nämlich viel verloren. Lassen wir uns also auch den einen oder anderen Bären aufbinden!

mondobstDer Pepsodent von Ju-Es-Ah
ist ein cooler Loser seiner Macht.
Glänzend, doch schon rostzerfressen
fliegt er durch den Wilden Westen.
Ach, wo ist noch Platz für mich
oder ein Dach für dich?
Hörst du es flüstern im Land?
Old Shatterhand und Nietzsche tot,
im Kaufhof klaut sich Gott sein Brot.
Siehst du die Schrift an der Wand?

Der Turm stürzt ein.
Der Turm stürzt ein.
Halleluja, der Turm stürzt ein.

(Songtext von Rio Reiser) Ton Steine Scherben – Der Turm stürzt ein (Video)

Das Unsagbare ist also durchaus zu sagen (wenn man es mit zwei N schreibt wie “Kunnst dir vorstellen?”). Dass die Außenwelt in ihrer Gestaltung da oft so ganz und gar nicht mithalten kann, das liegt nicht an unserer fehlenden Vorstellungskraft, sondern an der furchtbaren Viereckigkeit ihrer Betreiber. Entschlüpfen wir deren Nutztumszucht – in unseren feuchtfröhlich farbenfrohen Phantasien. Und Amen!