Allerheimlichen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. November – Es gibt so Monate, die sind in der Hauptsache einfach nur da. Und üblicherweise nur mit einem einzigen Feiertag bestückt – mit Allerheiligen. Da wäre zwar noch das Geburtsfest des Hasen, doch das hat kaum je überregionale Bedeutung erlangt. Zum hundertsten Mal jährt sich im heurigen November das Ende des Ersten Weltkriegs. Ebenso auch die Entstehung der Republik Österreich. Zum achzigsten Mal hinwiederum jene in der Reichskristallnacht gipfelnden Novemberpogrome der Nationalsozialisten, als im Dritten Reich die Synagogen brannten und auch sonst viel jüdisches Eigentum geplündert und verwüstet wurde. “In einem plötzlichen Ausbruch des Volkszorns”, so hieß es damals in den Medien. Heute weiß man jedoch, es war staatlich organisiert.

Allerheimlichen TrauerengelUrsprünglich sollte diese Sendung (auch ob der zahlreichen, inzwischen endlos wiedergekäuten Österreichbezüge) Allerheimatlichen heißen, doch dann fiel uns plötzlich auf, dass sie genau in jener Nacht vom 9. auf den 10. November stattfindet, und so entschieden wir uns für den dazu wohl passenderen Titel Allerheimlichen. Denn bei allem beflissenen Gedenken an den nationalsozialistischen Staatswahnsinn ist dieses Datum doch nur einem Bruchteil der Bevölkerung geläufig. Der Rest ist selektive Wahrnehmung sprich Verdrängung, wie das auch die meisten Darstellungen von “80 Jahre Anschluss” heuer zeigten: Viel Betroffenheit über den “Untergang Österreichs”, kaum ein Bewusstsein darüber, dass der “Austrofaschistische Ständestaat”, dessen nationale Souveränität da nämlich unterging, schon seit 1933 als Einparteiendiktatur auftrat – und mit der “Ersten Republik” so gut wie nichts mehr gemein hatte (abgesehen vom Namen Österreich). Lernens a bissl Geschichte, Herr Reporter, oder wer auch sonst. Doch nicht nur, dass “Allerheimlichen” sich (allein schon versmaßtechnisch) besser auf “Allerheiligen” beziehen lässt – “Allerheimlichen” spiegelt zudem auch unser Interesse am unter den Oberflächen Verborgenen geradezu programmatisch wider.

Allerheimlichen KriegsdenkmalSo soll neben dem Gedenken an die Opfer des Weltkriegswahns, des Antisemitismusirrsinns und der Republik Österreich speziell das Leben und Überlebthaben der eigenartigen Abweichler und nicht in die Norm der Verwertzweckung passen wollenden Brötler, Tümler und überhaupt Künstler eine Rolle spielen. Und naturgemäß _innen… Als besonderes Beispiel Axel Corti, der schon 1989 in einem legendären Schalldämpfer dergestalt prophetische Anschauungen zum Thema Kunst und Macht in diesem, unserem ach so schönen Land vorgebracht hat, dass man meinen möchte, er bezöge sich noch 25 Jahre nach seinem Tod auf die aktuelle politische Situation. So ist das mit der Kunst, bitte, die Regenwürmer scheißen auch nicht umsonst in den Boden. So ähnlich ist das auch mit uns, den Hasen, dem Kommando Welpentier oder der Festspielpräsidentin. Je nachdem und überhaupts, solange es der Lebensfreude dient, schichten wir Dramaturgisch-durchkonzipiertes und Spontan-assoziatives in- wie durcheinander, dass die Empfängnisgeräte eures Vertrauens nur so scheppern. Und eure Gehirnwindungen, Gehörknöchelchen und Minderwertigkeitskomplexe.

“Wofia brauchtsn de? Na lossts es weg!“  Karl Ferdinand Kratzl

 

Herbstzeitlotterie

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Oktober – Nun haben also auch wir einen Radioschorsch erhalten, und zwar für unseren Jingle mit dem Gunkl (zur Frage: “Was soll das?”), noch dazu hochanständig per Onlinevoting. Ein ganz ehrenwerter Weg zu einem Publikumspreis, fragt doch mal die Stefanie Sargnagel. “Die Bundes-SPÖ würde bei einem Wahlergebnis von annähernd 40% wohl ziemlich lang nicht wieder aus ihrem Glücksrausch auftauchen“, freut sich die Perlentaucher-Redaktion. Denn seit immerhin fast 8 Jahren verwursten Christopher Schmall und Norbert K.Hund “ringsum angespültes Treibgut der Kulturgeschichte” kongenial zu stets unterhaltsamen “Denkanstößen, Gefühlsräumen und Stimmungsbildern”. Im Sumpf von Salzburg – die etwas andere Collage aus Musik, Text und Themen

Herbstzeitlotterie 1Also feiern wir eine “lange Nacht der Preisträger_innen”, umgeben von Elfriede Jelinek, Bob Dylan, oder Thomas Bernhard… Warum heißt es dann Herbstzeitlotterie? Das ist wohl eine etwas längere Geschichte, abgesehen davon handelt es sich aber um ein recht passables Wortspiel, also in sich selbst sozusagen. Demokratische Prozesse und Zufallsereignisse, das wäre ein paar Betrachtungen wert, in diesen Zeiten der Zeitumstellung sowie ihrer geplanten Abschaffenwollung aufgrund einer merkwürdigen europäischen Online-Befragung, an der ungefähr 0,9% der Gesamtbevölkerung teilgenommen hat. Sommerzeitlotterie, Winterzeitlotterie, kauft Herbstzeitlose für die kommende Herbstzeitlotterie, im Gackpot befinden sich bereits XYZ Millionen – oder wie ich längst zu sagen pflege: “Je Geld desto Oasch” Womit sich der Kreis zwar nicht schließt, allerdings eine Andeutung gemacht wäre.

Herbstzeitlotterie 2Was die Radiofabrik als Freies Medium auszeichnet, ist dagegen das völlige Nichvorhandensein von kommerziellen Interessen – und dem ganzen damit einhergehenden Lobbyistengsindel. “Journalism is publishing what someone else does not want published. Everything else is public relations.” (Nach George Orwell zitiert). Seit über 20 Jahren bewahrt sich der Sender mit dem Schorsch unsere Unabhängigkeit von allen wirtschaftlichen und weltanschaulichen Sachzwänger_innen. Und das ist gut so. Zwanzig Jahre sind noch lange nicht genug. Wir gratulieren, jetzt erst recht! Bei all den hochfliegenden Plänen für die nähere Zukunft – Stichwort Lehrredaktion – soll dieses Zitat von Pippi Langstrumpf immer mit dabei sein: “Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.” Ein weises Wort, das zudem auch ausgezeichnet zur Gestalt der heurigen Auszeichnung passt.

Herbstzeitlotterie 3Weshalb es bei uns diesmal eher beschwingt als besinnlich zugeht. Wobei, ZeiT. von Wortfront kann ja durchaus als nachdenkenmachend angesehen werden: Gewinnen oder verlierenHerbstzeitlotterie halt. Die Uhrzeit ist ohnehin ein soziales Konstruktnur die Jahreszeiten sind (noch) nicht menschgemacht. Stellen wir die Uhren halt wieder um eine Stunde vor (oder doch zurück), bevor uns alle die Hysterie einholt. Im Zweifel mit dem Gunkl: “Es muss die Möglichkeit bestehen. Eine Gesellschaft ist dann stark, wenn sie sich etwas leisten kann. Eine Gesellschaft, die sich Querdenker oder lautradikal Nichtdenker nicht leisten kann – also, wenn man das nicht abfedern kann, dann ist das ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Davon abgesehen passiert in diesen Freien Radios auch etwas, was ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen.”

Abfedern – da ist der springende Punkt.

 

Maikäufer und anderes Ungeziefer

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freutag, 12. Mai“Die Sonne, ein radikalsozialistischer Leuchtkörper, eines der wenigen Objekte dieser Welt, deren private Ausbeutung deshalb noch nicht gelungen ist, weil es keine Großhimmelsgrundbesitzer gibt, diese Sonne nimmt sich die Freiheit, allen Menschen gleich zu leuchten und die dürre Haut des Hungernden ebenso zu wärmen wie den fetten Bauch des Satten.” So schreibt Joseph Roth in einer Hausarbeit namens “Der Frühling, die schönste Jahreszeit”, deren Wiederauffindung wir dem Nachlass des umtriebigen Sprachpflegers Axel Corti verdanken. Und deren Grundstimmung wir uns allein schon wegen des Grünens und Blühens ringsumher gern anschließen! Ganz zu schweigen von der temperatürlichen Lieblichkeit, welche uns im sinnlichen Erfahren einer lauen Maiennacht überkommt.

Maikäufer 1Lässt sich dieser Wonnemonat, der uns mit so schönen Wortkreationen wie Maibaum, Maibock, Mailand, pardon, Maiandacht beschenkt, so zur Handelsware machen wie die etwas weniger laue Weihnacht? Zur gesetzlich geschützten Wortmarke wie (zum abschreckenden Beispiel) Thomas Bernhard? Oder wessen Sprache ist ein Grunzbesitz? Peste Grüße hierorts an Herrn Fabjan, der Urheber ächzt, der Urheber rächts! Und an alle Verleger, die uns damit in Verlegenheit bringen, dass sie jemandes Sprachperlen so derart verlegt haben, dass kein Mensch sie je wiederfindet, es sei denn als Konsumwichtel. Ja, Maikäufer gäbe es zuhauf, wenn der revolutionäre Frühling endgültig als Pop-Ikone verklärt zum Merchant-Scheiß umgetupft wird wie einst das Che-Guevara-Bild zum T-Shirt. Die Maikäfer hingegen werden immer weniger, so wie auch die Honigbienen und zu schlechter Letzt noch die Singvögel, in diesem wahnsinnigen Weltkarussell von Allesverkäufern und entfessellten Endverbrauchern. Es lebe die schrankenlose Gierokratie, let’s have a Crispy Himmelfahrt, straight outta Appgrund! “Jeder weiß, was so ein Mai-Käfer für ein Vogel sei.” Gell ja, das Geldsäckulum verleiht Flüüügel

Maikäufer 2Ich wage also das Dicktum. Wer sich derlei Wortakrobatik (und Akribie) gern bis zur Überdosis ungefiltert reinschraubt, mag sich die Sauwaldprosa in der von BR2 verhörspielten Fassung zufügen, da feiern nebst Arno Schmidt noch aberzig andere im Uwe-Dick-Kopf so feuchtfröhliche Urzuständ, doss grod a so rauscht, vastehst? Inhaltlich eingängiger, wenngleich wesensverwandt im Aufbau seiner unerwarteten Wendungen, stopfen auch wir uns ein Sackerl voll mit Krabbelgetier und lassen es ungeheuer auf euch los: Maikäufer, flieg, die Wirtschaft ist ein Krieg, zu haben wär das Heimatland, doch ich bin leider abgebrannt. Maikäufer, flieg! Da mögen sich ganz neue Synapsen verknüpfen im Großmyzel jenseits des Flachbildhirns. Etwa wenn wir Zitate von Karl Markus Gauß in unsere Musikdramaturgie einstreuen oder Schüttelreime von Franz Mittler. Apropos: Kaum war der uns von Gott verlieh’ne Mai da,
schon sah ich Fräulein Wilhelmine, leider.
Sie hängt auf ihre Wäscheleine Mieder
und trällert “Leise flehen meine Lieder”

Maikäufer 3Eine erhebliche Errungenschaft des Frühlings sind die allgegenwärtigen Schaufenstersprüche von diversen Autor_innen, durch die uns das auch demnächst wieder ausbrechende Literaturfest Salzburg im Wortsinn mit prächtigen Blüten versorgt. Aus dem Fundus dieses genialen Einfalls stammen die oben erwähnten Zitate. Der allergenialste Einfall aller Zeiten ist allerdings die Frankfurter Küche von Grete Schütte-Lihotzky, der ich es verdanke, dass ich mich trotz des inzwischen erheblichen Verschleißes an meinem Stütz- und Bewegungsapparat (so heißt das, glaub ich, orthopädisch korrekt) nach wie vor selbst bekochen kann. Chapeau! Und wie es zur Entwicklung dieser Jahrhundertidee kam, zeigt dieses großartige Video von Robert Rotifer – The Frankfurt Kitchen. Wenn wir jetzt schon beim Videoschaun und Rundumverlinken sind, sei hier noch Achab – Un Monde formidable angepriesen, deren ausgezeichnete Arbeiten ich durch die unlängst auf ARTE ausgestrahlte Doku “Kein Gott, kein Herr! Eine kleine Geschichte der Anarchie” entdeckt habe. Weitere Einzelheiten dazu im Artarium “Erster Mai – Vorbei?” Womit wir wieder beim Frühling wären, dessen revolutionärer Kraft wir diesmal huldigen. In diesem – wasauchimmer …

 

Sammelsurdistan

> SENDUNG: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. FebruarWillkommen in dem Land, das es nicht gibt und für das Google bis dato noch keinen Eintrag fand. Worauf wir übrigens stolz sein dürfen. Inspiriert von “Sammelsurium” (als was unsere Sendungen häufig bezeichnet werden) und der einst legendären Radiofabrik-Sendung namens “Willkommen in Absurdistan” sowie naturgemäß auch von Rio Reiser oder Karl May (Ardistan und Dschinnistan) haben wir dieses Kunnstwort zum Sendungstitel gemacht. Derlei Quellenstudium zwischen Artefakten und Artefiction soll uns ja noch öfter begegnen, wie Figura und Dramaturgia zeigen. Mit dem Affenschrei wird es also Umpf Uhr. Und schon befindet ihr euch gegen alle Hörgewohnheiten in diesem etwas anderen Geschmacksbiotop namens Sammelsurdistan. Mahlzeit und Guten Morgen!

Bettie Serveert Zur Erinnerung: Als Perlentaucher wollen wir aus realexistierendem Informationsvielflat jene seltenen Kleinodien ans Licht befördern, die uns deshalb sinnvoll erscheinen, weil sie nahrhaft, förderlich und inspirierend sind, wenn es um ein friedvolles und gerechtes Leben geht, in einer Welt, die eben auch ein nichtnachwachsender Planet ist. Und als kunnst-schöpferische Menschen mit Ambitionen zur Weltrettung (oder zumindest Verbesserung) wollen wir diese von uns gesammelten Kleinodien in neue Gestalten überführen und in unübliche Zusammenhänge stellen, so dass wir mit euch gemeinsam die Hoffnung hegen und das Plänzchen Perspektive begießen können. Die heiligen Collagen von Sammelsurdistan, nur durch Verwendung zu verehren, ein fröhliches Vernügen inmitten von Dreck und Tristesse. Schpritzmajim und Amen.

SammelsurdistanZudem auch eine etwas andere Spurensicherung quer durch alle Ursachen: “Wollt ihr die globale Seppublik des Humpfhiasltums? Oder darfs a bissal mehr sein?” Wenn Dummheit grenzenlos wird und Ignoranz international, dann ist es höchste Zeit, Inseln des Echten zu stiften, vom Guten, Wahren und Schönen ganz zu schweigen! Oder kreativ zu sein mit dem Eigenen im angeblich Fremden, so wie unsere unendlich produktiven Kollegen von der drittbesten Sendung der Radiofabrik (nach Artarium und Nachtfahrt) “Battle & Hum”, die in ihrer 52. Ausgabe (ab Minute 10 gut zu hören) eine Mundartübertragung des Velvet Underground Klassikers “Venus in Furs” zum Allerbesten gaben, das sich nur vorstellen lässt. Und die zudem einen Sendungsblog haben, der Phantasie und Wortwitz zu literarischer Qualität malmt. Almdudler akbar!

Mathias EnardEin weiteres Kleinod werden wir diesmal als Mittsendungseinlage vorstellen, ein Interview aus dem schier unerschöpflichen Fundus von Druckfrisch (ARD Das Erste) dem wir immer wieder inhaltliche wie musikalische Anregungen verdanken. “Sie betreiben hier in Barcelona auch ein libanesisches Restaurant…” Und schon gewinnt ein Gespräch Geruch, Geschmack, Gestalt. Da unterhält sich nämlich der Frontman der deutschen Literaturkritik, Denis Scheck, mit dem französischen Autor Mathias Enard über dessen Roman Kompass – im besten Sinne zur Lektüre appetitanregend. Wir senden dies mit Erlaubnis der Produzenten im Radio – für die Hör_innen unserer Aufzeichnung verweisen wir auf die ungemein übersichtlich gestaltete Mediathek von Druckfrisch sowie den entsprechenden Beitrag allhier. Wie schon gesagt, Mahlzeit

und Guten Morgen!

 

Straight Outta Finsterworld

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Januar – Als “schön grausam und grausam schön” wurde Finsterworld von Frauke Finsterwalder schon beschrieben, für uns ist es der abgründigste und aushängigste deutsche Spielfilm seit längerem, schräg, seltsam, sonderlich, also höchst bewusstseinsverdrehend. Das Drehbuch zu diesem Kindheitswortspiel verfasste die Regisseurin zusammen mit ihrem Ehemann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, und der heißt auch tatsächlich so. Willkommen bei den Artarium-Filmempfehlungen zur finsteren Nacht! Man merkt eben sofort, wenn profunde Literaten und Theaterleute das Handwerk des Geschichtenerzählens ausüben, und nicht funktionalisierte Bezahlschnipsler aus einer der Verwurstfabriken ewigdesselben umettikettierten Gammelfeilschs.

FinsterworldEgal ob Hollywood oder privat-kommerzielles Fernsehen, sobald es über einen gewissen Grad hinaus nur noch ums Geld geht, merken wir sofort die Absicht, und sind – völlig zu Recht – verstimmt. Es ist die Verflachung der Dramaturgie ins rein Funktionale zum Zweck der Behumpfung irgensodeiner statistisch erfassbaren und für irgendjemandes Quotenagenda relevanten All- und Gemeinheit, die uns beim fallweisen Erdulden so eines Machtwerks gequält aufjaulen lässt: “Für wie deppert haltets ihr uns eigentlich?” Als ginge es weltweit nur mehr noch ums Bezupfen der dreieinhalb rudimentären Gefühlsreflexe, damit möglichst zahllose Konsumkasperln irgendwelche Konsumgurkerln kaufenkaufen, um sich irgendwie verbunden zu vermeinen. Ach so, genau darum geht es ja doch, in der uns täglich als einzige Wirklichkeit servierten Realität der Realitäter und innen. Genau deshalb wollen wir hier auch eine alternative Knotzwelt zu diesem Scheißdreck etablieren.

ProphetenpassionDenn der Mond wird sich lila färben und es werden vielerorts aufstehen die Propheten einer anderen Welt, welche längst in uns ist und nur ihrer Verwirklichung dort draußen harret, wo jetzt die falschen Götter der Gier und ihre Scheinepriester, die Geldgunstgewerblein, an der Vernichtung der Vielfalt jeglichen Lebens arbeiten, sie sind brav und anständig und arbeiten ordentlich, ja, ja, in der Funktionstrottelfabrik und bei der Nutzmenschenzucht, sehr respektabel, fürwahr!“Hört ihr sie predigen und singen – ganz wie sie früher, mit der Pfeife, Ratten fingen?”Fette Jahre von Lokomotive KreuzbergEine Prophetenpassion, wie sie leibt und speibt. Man möchte depressiv werden inmitten all dieser Moloche und anstatt Straight Outta Finsterworld lieber kopfüber mitten hinein stürzen, dass es einen endlich zerreißt. Da braucht es schon immer wieder eine gehörige Distanz zu den Grausligkeiten und Gemeinheiten des Weltgedümmels, um nicht vollends darin unterzugehen…

Sound and SilenceSeien wir daher also nicht bloße Perlentaucher, die alles mögliche aus dem Schleimsumpf der Kultur hervor befördern – seien wir doch auch wahrhafte Inselstifter, die ihre Knotzzonen gescheit gebrauchen, etwa um auf all ihren Reisen stets bei sich selbst zwischenzulanden – und diese Form der Selbsterdung anderen zu deren Selbstwerdung wiederum weiter zu reichen:

“If again the seas are silent in any still alive, it’ll be those who gave their island to survive.” Peter Gabriel – Here comes the Flood Oder noch viel Prophetischeres rund um so hochakute Themen wie Heimat, Flucht, Flut: Ernst Jandl – Etude in F, unlängst überraschend in einem Tatort (Regie Markus Imboden) wieder aufgetaucht: “Land in dieser Zeit” – ARD-Mediathek noch bis 8. 2., was uns genau deshalb so gut gefällt, weil da eben “profunde Literaten und Theaterleute das Handwerk des Geschichtenerzählens ausüben”.

Nunmehr jedoch genug gepredigt – hier schließt sich nämlich der Greis:

falfischbauch

 

Emotional Soundtrack

Nachtfahrt Spezialausgabe von Freitag, 30. Oktober und Samstag, 31. Oktober: Dieser Sendung erster Teil (1968-1984) sowie derselben zweiter Teil (1985-2015)

Den Soundtrack meines ganzen Lebens in 4 Stunden verhandeln? Meine musikalische Gefühls- und Geschmacksbildung anhand von knapp 40 Songs/Titeln darstellen? Ja, geht das denn? Ich glaube, nur sehr bedingt. Es könnten ja einerseits noch viel mehr sein, andererseits aber auch wiederum ganz andere. Auf jeden Fall gibt es sie, diese ganz speziellen Nummern, die einem lebenslang in Erinnerung bleiben, weil sie mit starken Emotionen verbunden sind. Sie können Aufbrüche, Einschnitte, Höhepunkte oder Weichenstellungen bedeuten. Sie können diese sogar mit ausgelöst – oder einfach nur begleitet haben. Das Leben ein Film, kongenial mit dem dazu passenden Soundtrack versehen. Der Selbstversuch einer Chronologie aus Gänsehaut, Nießreiz und Weite

norbert 74Pubertäre Prototypie (1968-1978) Von einigen noch in den Radios der Altvorderen aufgeschnappten oder von bereits in die Weltrevolution aufgebrochenen Verwandten zur Verfügung gestellten Hörstücken entspinnt sich die Lustreise des heranwichsenden Pubertiers zu allerlei selbstentdecktem Soundgut alternativ-emotionaler Ausprägung. Von Sandy Shaw bis Nina Hagen, um es verschärft auszudrücken. Von Wolfgang Ambros bis Pink Floyd. Kann Spuren von Lou Reed, The Byrds, aber auch Schobert & Black enthalten. Zwischen Sex und Selbstmord pendeln die Gefühle in dieser wichtigen Zeit des Ausbrechenwollens aus den überkommenen Verhältnissen. Feuchtfröhliche Erforschung des eigenen Selbst, anschließend Verschleuderung aller Möglichkeitsformen. Here comes the story of the Hurricane, the man the authorities came to blame.

rememberPsychedelisches Panoptikum (1979-1984) Vom Konzeptalbum Spartacus (gern gehört während meiner Unzeit beim Bundesheer) über diverse (im wahrsten Sinn) Film- und Reisemusiken bis zu sozialkritischen Kampfliedern sowie Verdichtungshymnen gegen zernüchternde Salzburgrealität prägten ur- und untypische Titel diese Zeit ersten Berufstätertums inmitten der ARGE Rainberg Proteste. Die Schroeder Roadshow war mit Anarchie in Germoney im Petersbrunnhof zu Gast. Nina Hagen, Herman Brood und Lene Lovich gab es als abgefahrene Punkrockpartie in dem genialen Film “Cha Cha” zu sehen. Mike Batt lieferte mit Tarot Suite den Soundtrack zu den verbreiteten spiritistischen Spinnereien der Späthippiezeit. Überall keimte Hoffnung, und eine offene Gesellschaft schien für kurze Zeit wirklich möglich zu sein. Bierjodlgasse? Hanfjodlgasse!

septemberPostpunkoide Projektpoesie (1985-1999) Oft sind es ja Freunde, Mitbewohner, Bandkollegen, die einen mit für den Lebenssoundtrack unverzichtbaren Musiktiteln versorgen und so die Entwicklung zum eigenen Stil und Geschmack vorantreiben. Von der Wiener Kunststudienzeit über die Kulturfreizone und das Streiklager gegen Schubhaft in Salzburg bis zum Jugendtreff in Mariazell erfuhr ich so immer wieder Anregungen, die bis heute bestimmend blieben. Dazu gehören Manfred Mann’s Somewhere in Afrika ebenso wie Hansi Lang oder x-beliebig. Manchmal bringt einen dazwischen das Interviewtwerden auf den Punkt: Was wir unter Kultur verstehen, ist vergleichbar mit einem Biotop. Irgendwann einmal zwischen Nachmittag und Abend kommen dort zwei Verliebte vorbei oder ein Dichterling oder sonst jemand, einfach Menschen. Und die genießen das, denen sagt das was.

unterführungPerlentaucher Performances (2000-2015) Je kürzer der zeitliche Abstand zu beeindruckender Musik ist, desto schwerer ist es natürlich auch einzuschätzen, ob sie wirklich prägende, bleibende Qualitäten haben wird, denn dies erweist sich eben erst rückblickend und über die Jahre hinweg. Aber stellen wir halt einfach einmal ein paar begründete Behauptungen in die Welt. Denn was sich auf der Anreise zu dieser Nachtfahrt sowie in den Kunnst-Biotop oder Perlentaucher geheißenen Sendungen als wirkungsvoll erwiesen hat, dem dürfte durchaus ein gewisses Potenzial zum Dauerhaften innesein. So beschließe ich meinen Einhandsegler-Runfunkenflug noch mit einigen schönen Entdeckungen von Rotz, Panik, The Waterboys und Wir sind Helden. Habe die Ehre! Die Verletzten sollen die Ärzte sein. Die Letzten sollen die Ersten sein. Sieh‘ es ein…

…the meek shall inherit the earth.

 

Heimat under construction

Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. April -> Download: Part 1 with our Guests from Slovenia -> Download: Part 2 mit Chriss & Norbert als Duo – Heimatkunde für Fortgeschrittene oder Brauchtumspflege für angewandte Außenseiter. Eine weit gespannte Themenreise, etwa durch den Heimatbegriff unserer slowenischen Nachbarn oder das uns Salzbürger_innen von altersher angeerbte und von oben verordnete Heimatgefühl – sowie einige Betrachtungen dessen, worin wir uns womöglich selbst von vornherein wohl und zuhause fühlen können. Eine Materialsammlung zur kritischen Wiederaneignung des immer wieder missbrauchten Begriffskonglomerats „Heimat“ und eine Denkanstiftung zum gedeihlichen Selberbasteln einer ureigenen Ausdrucksform von „Do bin i dahoam – und do gehts ma guad!“ Eine rituelle Wissenschaftsausgießung mit den einfachsten Mitteln jeglichen Kindes: Hören, sehen, riechen, schmecken, beurteilen, wie es sich anfühlt – und sich sodann selbst einen Reim drauf machen ohne allzuviel nachzudenken, wer das für richtig hält oder obs wem was bringt. 🙂

fexgrafik von salzburgEine „andere Heimat“ kennen zu lernen, kann einem die Augen für die „eigene Heimat“ öffnen. Also nutzen wir gleich die Gelegenheit des Salzburg-Besuchs unserer Kollegen von einem der ältesten freien Radios in Europa (Radio Študent Ljubljana) und erörtern wir mit ihnen ein paar Aspekte von Heimat aus dem slowenischen Erleben. Damit dies auch passend zur Musiktradition unserer Nachtfahrten geschehn kann, werden wir uns hauptsächlich über die Band Laibach unterhalten, die seit Anfang der 80er Jahre immer wieder wegen ihrer künstlerischen Verwendung/Entfremdung bezw. Entwendung/Verfremdung von totalitären Symbolen kontrovers diskutiert wird. Das Video zu „Life is live“ (Cover des Opus-Hits) geriet wegen seiner brachial übertreibenden Heimatdarstellungen schwer in die Kritik und seine Macher auch gleich in den Verdacht faschistoider Heimattümelei.

Laibach Band SymbolsAls starker Einstieg in die zweite Stunde, die wir mit „Heimat von Amts wegen“ betitelt haben, eignet sich das nunmehr aufgerissene Spannungsfeld zwischen Hirschgeweih, Lodenjanker und Bergpanorama ganz vorzüglich, liegen doch allerlei Assoziationen zum erzieherisch beförderten Hurranationalismus und Jubelpatriotismus hiermit in greifbarer Nähe. Und das ist es ja auch, was einem selbstbestimmt denken – und unverbaut fühlen wollenden Menschen den unbefangenen Umgang mit seiner näheren Umgebung so oft erschwert, wenn nicht gar ganz verunmöglicht: Dieses in weiten Bevölkerungskreisen für allgemein üblich und daher für „normal“ gehaltene „Heimatbild“ – ein durch Erziehung in Schule und Familie weitergegebenes Konstrukt, welches aber seit Generationen von handfesten Interessen geprägt worden ist, die der „Allgemeinheit“ dann meist nicht bewusst sind.

Ton Steine Scherben im RockhouseWas könnte denn dann „unsere Heimat“ sein, jenseits der Definitionen von Kirche, Staat und Marktwirtschaft? Und jenseits der Blut-und-Boden-Bande, die uns mit Familie verbindet, deren herausragendstes Merkmal allzu oft der Umstand ist, dass man sie sich eben nicht aussuchen kann? Ein mögliches Konzept wäre da das Kunstkollektiv oder die „Wahlfamily“ – ein Freundeskreis von gleichgesinnten Mensch_innen 😉 mit denen sich gemeinschaftlich etwas von dem verwirklichen ließe, was man als im guten Sinne „heimatlich“ verstehen kann. Eine Insel von Anerkennung und bestärkendem Zuspruch inmitten der erstarrenden Kälte all des von vorn herein über uns Verfügten. Für viele verkörpern zum Beispiel die Lieder und Texte von Ton Steine Scherben diese Hoffnung auf einen anderen Lebensentwurf, der sich den herrschenden Verhältnissen zu entziehen verspricht, so dass die eigene Lebensnachbarschaft endlich auch wieder zu einer richtigen Heimat umgestaltet werden könnte. Inwieweit diese Vision speziell mit jungem Publikum immer noch funktioniert, werden wir beim Konzert im Rockhouse am Samstag, 12. April ergründen! Inwieweit die Dekonstruktion der Herrschaftssymbole durch Laibach’sche Hintergründigkeit uns beim Heimweh hilft – ist hier gut zu hören.

Das ganze Album „Opus Dei“ von Laibach bringen wir am Sonntag, 13. April um 17:06 Uhr zu Gehirn. Unseren Stimmungsbericht vom „Ton Steine Scherben“ Konzert hört ihr dann am Ostersonntag, 20. April ebenfalls um 17:06 Uhr. Begleitet uns wieder zu der einen oder anderen Erfahrungund lasst euch mit uns einaufs Leben! 😀

 

On the inner road

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Oktober„The Beat Generation“ (die geschlagene, fertige, erledigte Generation) nannte Jack Kerouac die zahllosen Aussteiger und Außenseiter, die im allgemeinen Siegestaumel nach dem 2. Weltkrieg aus der sich stetig angepassenden „Mitte der Gesellschaft“ rausfielen – oder rausgeschmissen wurden. Wohl, weil sie zu empfindsam, zu kreativ, zu prophetisch oder sonstwie zu anders waren. Einige von ihnen wollten sich ums Verrecken nicht mit einer stummen Statistenrolle im Maschinenmoloch des anbrummenden Wirtschaftswunders zufrieden geben – sie dichteten geradezu um ihr Leben und erschufen so eine bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte, unerhörte, unverfrorene Ausdrucksweise – jene Bildwelt, Lebensweise und Sprachkultur, die sich bis heute in vielerlei Formen als „Beat Poetry“ erhalten hat. Und so wollen wir diesmal auf unserer Nachtreise den Gefühlen der Beatniks und Dharma Bums nachspüren – die uns auf ebenso beängstigende wie doch zugleich tröstliche Weise als zeitlos gültig erscheinen. Und – wo sind wir jetzt?

Anpassung

Es hat sich in den letzten paar Jahrzehnten doch einiges verändert, will sagen verschärft, verdichtet, verbeschleunigt. Die alten Bilder sind verblasst und taugen nicht mehr so recht zum Veranschaulichen dessen, was tagtäglich rings um uns und eben auch in uns vor sich geht. Erinnern wir uns doch noch einmal an die schöne Metapher vom angepassten Funktionstrottel in seinem Hamsterrad: Angetrieben von einer rätselhaften, unablässig zuckenden Betriebsamkeit läuft und läuft und läuft er – nämlich auf der Stelle. Ihm erscheint es dabei allerdings so, als steige er auf der vor ihm liegenden Karriereleiter immer eine Stufe um die nächste empor, als bewege er sich also nicht nur vorwärts, sondern eben auch aufwärts! Dass dem nicht so ist, er vielmehr in einem veritablen Fitnesstudio der Käfighaltung vor sich hin rotiert und dabei genau gar nichts weiter bewegt außer jenes kleine Rädchen, in welchem er doch tatsächlich gefangen ist – unbemerkt, verdrängt, was weiß ich – das erkennt jedes fein beobachtende Kind, etwa im Zoofachgeschäft.

Aussage

Vielleicht sollten wir dagegen wieder mehr unsere eigenen Gefühlswahrnehmungen zu Wort kommen lassen, um so das gegenwärtige Weltbefinden einigermaßen entsprechend zu verdeutlichen. Wie geht es zum Beispiel mir – wenn ich mich mal außer der Zeit hinsetze um etwas schreiben zu wollen – dürfen, müssen, sollen? Und um dann doch beim Bild des Hamsters zu bleiben – es ist mir dabei, als liefe gar nicht mehr ich im Tretradl herum. Nein, irgend ein mental verrottetes Oberarschloch hat heimlich über Nacht einen Motor an der Radachse montiert, welcher die Trommel, in der ich mich jetzt befinde, immer schneller und schneller in Bewegung versetzt. Fürwahr, ich sitze mit Schreibstift und Papier mitten in einer Waschmaschine und es beginnt soeben das Schleuderprogramm. Und während ich noch versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, um ihn womöglich irgendwie zu notieren, schmeißt es mich schon kreuz und quer durch die rotierende Wäsche, haut es mir Jacke wie Socke und Hose luftraubend ins Gesicht und entreißt mir endlich zentrifugal beschleunigt jedweden Rest von Sinn, Plan und Verstand.

Aufstand!

Nein, wir sind alle längst nicht mehr die in den Trichter des Fleischwolfs hinein gestopften Schüler aus dem Pink-Floyd-Video „Another Brick In The Wall (Part II)“ oder aus meiner Kindergartenzeichnung „Die Menschenvernichtungs-Maschine“. Der Fleischwolf ist längst in unseren Seelen und Hirnen befestigt und aus ihm quetscht sich das langweilige Wurstbrät der Informationsgesellschaft – durch uns hindurch – Input, Output, kaputt – und verklebt auch noch die letzten echten Freundschaften mit unwirklich sinnlosem Zuviel. Wir leiden nicht an – wir sind die Verstopfung. Facebookstatusse und Fernsehnachrichten erschaffen in uns die Denkwelt unserer Ausweglosigkeit. Während wir noch am Rotieren sind, quillt es zugleich zäh und ätzend in uns hinein und sofort wieder aus uns heraus – ungefiltert, ungeordnet, unsortiert, ungesinnstiftet. Unsinngestiftet! Die globale Inkontinenz des Banalen, wichtigtuerisches Entertainment. Here we are now, blah our brains out! Wie widerlich…

Bevor wir jetzt alle aus dem Fenster springen, begeben wir uns doch erstmal auf diese spezielle Nachtfahrt durch die Abgründe der Aussätzigen, Unberührbaren, Zukurzgekommenen. Ha! Wir sind in Salzburg – was wäre denn ein besseres Mittel gegen die Monstrosität der Mozartkugel? Lauschen wir einigen Ausschnitten aus Allen Ginsbergs „Howl“ (Film) im englischen Original – und hören wir uns zudem ein paar Portionen von Chriss‘ „interpretativer Übertragung“ ins Deutsche an! Öffnen wir unsere Grenzen, gewähren wir unseren flüchtigen Gefühlen Asyl. Beginnen wir heute damit, die Abspaltung unserer „unerwünschten“ Emotionen zu beenden. Denn auch der Tropfen auf den heißen Stein kann der Anfang eines großen Regens sein. 😉

 

Dichterwerdung… (Norbert)

Stream/Download: Nachtfahrt der Perlentaucher vom Freitag, 9. August – Eine Sendung über die Faszination der Sprache, über das Dichten und immer noch dichter werdende Verdichten, über das Wachsen und Werden von Ausdrucks-Weisen – und überhaupt über uns und unsere Wortwelten, in die wir uns verliebt verlieren. Dichterwerdung ist dabei sowieso ein Ausnahmeausdruck, beschreibt doch gerade seine Doppelbedeutung jenseits sprachkünstlerischer Reifung oder schriftstellerischer Karriere eher einen Aggregatumstand zunehmender Innenweltverwandlung. Da sind Dichtheit und Dichtung also durchaus nicht nur etymologisch artverwandt, zumindest was die Veränderung des Wahrnehmens anbelangt. Was allerdings das schöpferische Einwirken auf seine Mitmenschen betrifft, da kann es dem Dichter ab einer gewissen Dichtheit schon zur Implosion geraten. Doch Dichtheit umgibt uns ja auch noch anderweitig. Daher diesmal mein Plädoyer für einen eher revolutionären Umgang – vor allem mit Sprache 😉

Abendkonsum„Das kann kein Film, kein Buch, keine Musik – und keine Droge – die Welt verändern.“ So tönen sie alle heutzutage, die damals die politisch-psychedelische Aufbruchstimmung mitgeprägt haben und mittlerweile wohlbestallt als Autobiographen, Ex-Terroristen, Musikkritiker oder Verlagsleiter ein Teil jener globalen Unterhaltungsindustrie geworden sind, deren Ausbreitung sie damals so vehement bekämpft hatten – und von deren reichlicher Dividende sie nunmehr so angenehm leben. Könnte ja durchaus sein, dass sie sich einfach haben einkaufen lassen. Dass sie sich ihre abgebrüht wirkenden Statements recht gut versilbern und vergolden lassen. „Das ist eben so. Die ganze Welt ist ein Markt. Man muss halt schauen, dass man im Geschäft bleibt. U.S.-Imperialismus, Coca-Colonialization, die kulturelle Hegemonie, ein Naturgesetz.“ Mediale Präsenz, Umsatzzahlen und Einschaltquoten, marketingmechanisch werbungskünstliche Aufmerksamkeitserregung in einem Meer massenideologisch gleichgeblödeter Kaufkasperln, Konsumidioten, Kulturverbraucher. – Das sind doch genau die Parolen der herrschenden Wirtschaftsreligion – das ist doch die nächste „Big Lie“ nach Augustinus, Luther und Goebbels – dass nämlich die Welt als Ganzes „endverbrauchbar“, also auftragsgemäß aufzufressen sei. Und Mahlzeit!

OpferweisheitDoch drehen wir den Spritz einfach wieder um – ins Majim. Wie sagt das alte jüdische Sprichwort und Motto der in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrten Listenschindler und Flüchtlingsverstecker: „Wer einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“ Und seien wir uns ehrlich – haben die nicht auch die Welt verändern wollen? Denn wenn nicht, dann hätten sie ja wie viele andere in der Mitte der Gesellschaft auch brav Ja, Amen und Heil Hitler gesagt und weiter mitgemacht bei der Ausrottung der Andersseienden. Es gibt kein menschliches Werk – egal ob in Taten, Worten oder Liedern (geschweige denn Filmen) – das von irgendwelchem Interesse sein könnte, nämlich im Sinne einer Beförderung der Entwicklung zur Menschlichkeit – außer ein solches, das aus dem elementaren Verlangen nach Veränderung der Welt entstanden ist. Kein menschliches Werk ist von irgendwelchem Wert für seine Mitmenschen – seien es Zeitgenossen oder kommende Generationen – das nicht aus dem tiefen Bedürfnis nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse zum Friedlicheren, zum Gerechteren – also zum Besseren – geboren ist. Diesen Umstand abzulehnen, auszublenden, ihn durch welche Verdrängung auch immer zu verneinen – ihn durch bloße Nichterwähnung außen vor zu lassen – das ist im Grunde schon ein Kapital(aha!)verbrechen – nämlich das Verbrechen des Verschweigens.

VerwandlungWenden wir den obigen Spruch doch einmal auf die Motivation zum Kunstschaffen – und auf die Motivation zum Kunstgebrauch an – dann würde er wohl heißen: „Wer eine einzige Welt (etwa die eigene) verändert, der verändert auch die Welt im Ganzen.“ Wer also dichtet, singt und spielt, sich selbst auf- und anderen etwas vorführt, um so die Welt zu verändern, der verführt seine Leser, Hörer und Zuschauer ebenfalls dazu, in eine sich verändernde Welt einzutauchen – und ihre eigene Welt als durchaus veränderbar zu verstehen. Und dieser Prozess vermag den inneren Wert von Veränderung auch in die Welt da draußen zu befördern. Da ist nämlich kein Unterschied zwischen Innen- und Außenwelt – und es gibt einen direkten und kausalen Zusammenhang zwischen Phantasie (der Vorstellung von der Welt, wie sie sein könnte und eigentlich sein sollte) und Realität (der Wahrnehmung unserer gemeinsamen Welt, wie sie durch handelnde Personen gestaltet wurde) – auch wenn das Gegenteil dessen andauernd und mit aller verfügbaren Geldgewalt wiederkäuend behauptet wird, ein Umstand, der übrigens keine Aussage jemals „wahrer“ gemacht hat – allerbestenfalls „geglaubter“ – bis hin zur alternativlosesten Mehrheitsfähigkeit.

 

Dichterwerdung und Sprachfaszination (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. August verdichtet sich zu einem dichten Gedicht, welches die Dichtheit der Sprache auf dichterische Weise abdichtet und sich fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten der Dichtung in eine Textase stürzt, die dichter nicht sein könnte! Zumal es endlich wieder an der Zeit ist der Sprache zu huldigen und sie gleichzeitig in ihre Einzelteile zu zerlegen, neu zu formen, sie umzugestalten und kreativ mit Wörtern zu spielen! Also, willkommen im Einmachglas der Möglichkeiten! 😀 

blätterfallenWir wachsen so selbstverständlich mit der Sprache auf, dass uns teilweise gar nicht mehr auffällt, wie zauberhaft und magisch sie sein kann. Sie kann Welten öffnen -fantastisch und traumhaft; sie vermag es aber auch uns zu verletzen, hässlich zu sein, widerlich und ekelerregend. Sie ist unendlich weit, farbenfroh und so facettenreich; dennoch stoßen wir hin und wieder an ihre Grenzen. Sprache kann wirklich sprachlos machen. Manchmal verschlagt es uns die Worte, wir können nichts mehr sagen, bringen keinen Satz mehr hervor, als hätten wir verlernt zu sprechen…

Ich als Dichter lebe von ihr. Ich liebe und ich hasse sie; und bin auf sie angewiesen. Es ist schon merkwürdig wie ein Wort den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann. Es ist ein ständiges Abwiegen, ein andauerndes Überlegen und Feilen, eine Arbeit, eine Beschäftigung, die niemals aufhört, immer weiter geht. Ich bin im Bann der Worte. Und kann doch über sie bestimmen! Ich glaube, es ist eine Art Symbiose. Ohne Worte könnte ich nicht meine Gedanken nieder schreiben und ohne mich blieben sie nur seltsame Hieroglyphen…

Ich werde versuchen mich der Sprache anzunähern, doch sie wird sich mir wohl nie ganz erschließen. Es ist ein Mysterium, genauso wie die Zeit. Sprache verbindet und Sprache unterscheidet. Sie stiftet Missverständnisse und schließt Freundschaften. Sie lebt und verändert sich unaufhaltsam. Genauso wie wir Menschen, denn wir lassen sie erst lebendig werden, hauchen ihr Magie ein und sollten sie auch vor Verfall und Zersetzung bewahren. Denn ich glaube immer noch und mehr denn je, dass Worte zaubern können.