Übungen in Phantasie

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. OktoberIch bin stolz, ein Hase zu sein. Und darauf, zu den drei Hasen zu gehören. Wer da jetzt “der dritte im Bund” ist, ist nicht nach den Maßstäben der Wettbewerbswelt zu beurteilen, in der es immer ums “Erstersein” geht – auf Kosten aller anderen. Was beim Downhill-Racing der Wichtigtümer funktioniert, würde jeden Hasentanz sofort aus dem Gleichgewicht werfen. So verdanken wir dem tapferen Christoph, der unsere Welt erst zu “Dreierlei Hasen in frischer Bewegung” abgerundet hat, eine bedenkenswerte Überlegung zu der Frage: “Was ist eigentlich Phantasie?” (wie sie in “Palmen Unter” gestellt wird). Nämlich, dass sich im “Vorstellungsvermögen” eher die Imagination von Erlebtem und in der realen Welt Möglichem abspielt – wohingegen aber in der “Phantasie”

Übungen in Phantasie unsere Imagination vornehmlich surreale Bilder verarbeitet, wie sie unter Außerachtlassung von Natur- und sonstigen Gesetzen in unseren Träumen vorkommen. Wohl nicht ganz zufällig ist bei dem, was da jenseits der Realität entsteht, oft auch von “Visionen” die Rede, von “anderen Welten” und auch von “übersinnlichen Erfahrungen”. Wie wirklich aber sind diese “anderen Wirklichkeiten”, von denen wir auf jeden Fall wissen, dass sie überaus wirksam sein können? Sie als Kinderkram und Phantastereien abzutun, wie das in der “einzig wahren realen Welt” aller von Herrschaft und Unterdrückung geprägten Gesellschaften leider allzuoft vorkommt, kann offenbar nicht die Lösung sein. Einerseits hört man Sätze wie: “Sie sind ja ein Phantast.” oder “Sie leiden an Realitätsverlust.”, die eine öffentliche Entmündigung der Angesprochenen bedeuten,

Übungen in Phantasieandererseits ist das kommerzielle Internet übervoll mit Angeboten zur Phantasieschulung, um mit diesem “Selbstoptimierungswerkzeug” andere erfolgreicher übertrumpfen zu können. Bin ich blöd – wenn ich hier einen eklatanten Widerspruch erkenne? Wütet hier der Weltkrieg zwischen Phantasie und Realität? Muss ich mich da für eine Seite entscheiden oder gibt es die Möglichkeit einer Versöhnung dieser zwei Gegensätze? Wo ist der dritte Hase, wenn der Tanz blockiert? Fragen über Fragen, die den Untertitel mehr denn je bewahrheiten: “Musikliterarische Gefühlsweltreise mit tiefgründigen Themen.” Und so wollen wir ein paar Bewegungsübungen erleben, die die Phantasie kräftigen – zur Selbstbestimmung, zur Selbsterhaltung – und durchaus zur Selbstverteidigung: Denn wem die Phantasie vergeht, den springt die Realität an – und frisst ihn auf.

Übungen in PhantasieEs ist ein wohlgemerkter Denk- und Arbeitskniff, wie oben angeregt, die Imaginationen in Vorstellung und Phantasie zu unterscheiden. Es hilft beim “geistig in Bewegung bleiben”, doch soll nicht unerwähnt sein, dass es eine synonyme Schnittmenge der Begrifflichkeiten gibt, in welcher eins ins andere übergeht – und diese Übergänge zudem noch fließend sind, bewegt, veränderlich – und schlicht nicht dingfest zu machen in irgendeiner Definition. Im besten Fall begegnet uns das Lebendige. Wie auch in verfremdeten Texten oder in vielschichtiger Musik. Wie in ambivalenten Stimmungen – und überhaupt in einem “offenen Ende”. Womit wir inmitten unserer Übungen angelangt wären – oder wer kann den Verlauf seines/ihres Lebens durch wasauchimmer vorherbestimmen? Eben. Besser in Bewegung bleibendamits nicht so quietscht wenns gwetzt wird …

Der Ernst des Lebens muss nämlich auch lustig sein.

 

Wie viele bist du?

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 12. August um 22:06 UhrWir sind viele. Und Anlässe gibt es auch. Ilija Trojanow etwa fordert uns in seiner Festspielrede auf, zu desertieren“aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst.” “Ciao, ciao, Commandante!” Ein Chor aus verschiedenen Stimmen vereint – gegen die Befehlsgewalt der Gleichmacherei. Staatsbürgerstaatsbesitz abkommandiert zum Opfergang gehorcht lieber der inneren Stimme: “Ich bin des Menschen Kind.” Doch in jeder und jedem streiten sich mehrere – ja, sogar viele. Wie viele bist du? Auch nur ein Trottel, der glaubt, Stimmenhören sei eine Krankheit oder ein Album von André Heller? Kunnst dir vorstellen, die Dramen der Welt spielen sich auch in dir und in mir ab? In uns allen? Hiermit erklären wir diese Vorstellung für eröffnet…

Wie viele bist du?Eine der wirkmächtigsten Fragen meiner Therapeutin (wenn ich etwa verdächtig Unterwürfiges äußere) lautete: “Wer spricht da?” Im Lauf der Zeit nahmen diese Stimmen, aus denen mein Gedankenfluss wohl offenbar besteht, in meiner Vorstellung Gestalt an – und es wurde mir möglich, je nach meinen Bedürfnissen, mit ihnen inwendig ins Zwiegespräch zu kommen, sie auszulachen – oder mich von ihnen zu verabschieden. Wohin das führen wird, bleibt offen. Das Drama findet nach wie vor statt. Nur werde ich zunehmend zu dessen Autor und Regisseur – statt lediglich eine mir vorgeschrieben vorkommende Rolle darin auszufüllen. Wenn weniger mehr ist, dann ist auch mehr weniger. Kommt darauf an, wovon. Wenn ich in dem Stück, das sich in mir abspielt, mehr zu bestellen habe, dann brauch ich mir in dem Drama, das da draußen vor sich geht, bestimmt weniger zu bestellen. Nicht, dass ich nicht atmete oder weiterhin äßenur aufgeblasene Wichtigkeiten werden mir immer wurschter.

Wie viele bist du?Einfalt und Vielflat, Kulturtod und Kunnst?, Konsumismus und die Digitale Diktatur. Wenn sich zwei oder drei Stimmen gemeinsam im Namen des Lebens erheben, wird ein Freiraum erschaffen. Gelebte Ambivalenz gegen die auferlegte Eindeutigkeit, die Interessen der Machtausübung. Mehrdeutigkeit, Vielstimmigkeit. Schichten von Gedichten jenseits gefühlsarmer Gebrauchsmusik. Wir basteln uns Festspiele außerhalb der verwalteten Welt und Teodor Currentzis erklärt uns ein System, das perfekte Maschinen ohne Phantasie und Emotion hervorbringt. Au! Toren, die den Menschen im Namen der Entrüstung vorauseilend schlechtschreiben, sind im besten Kreislerschen Sinn “Musikkritiker”, also zutiefst unmusikalisch und zudem noch existenziell frustriert. Schriftstehler, zwischen deren Zeilen nichts als Leere herauszulesen ist – wenn man sich die vergebliche Liebesmüh sinnloserweise antun will. “Zeigen sie dem Orchester, was nicht in der Partitur steht.” Eben.

Wie viele bist du?Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen und Gegen Blödheit hilft auch keine künstliche Intelligenz. Wir haben die Vorstellung, all das zu spielen, was sonst nirgedwo in dieser Form zusammen klingt und dessen Geist und Gefühl zwischen seinen vielen Stimmen andernfalls abgehen würde im Chaosmos der Möglichkeitsformen. Zutritt nur für Verrückte! Hermann Hesse hat in “Klein und Wagner” die Vielheit der Stimmen im Universum sprachlich atemberaubend dargestellt (und zwar lang bevor LSD entdeckt war) und die Instrumentalgruppe Between hat diesen Höhepunkt der Wortgewalt gemeinsam mit Gert Westphal 1974 zu einem eindrucksvollen Hörstück namens “Suicide” verbearbeitet, dass es einem die Weltreligionen und Philosophien nur so durcheinanderhaut. Und Chorleiter Cyprien Sadek hat die 40-stimmige Motette “Spem in alium” von Thomas Tallis mit seinem Choeur Altitude lustvoll wiederbelebt (nach alter Aufführungspraxis, mit den Sänger_innen rund ums Publikum stehend).

“Hören sie genau hin!” – Dieses Mal zwischen die Töne und hinter das Gefühl

 

Liebe in Zeiten

>>> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. AugustIst es die Liebe in den Zeiten der Corona? Die Liebe in den Zeiten der Cholera? Die Liebe in den Zeiten der Choleriker? Oder eben einfach Liebe im Wandel der jeweiligen Zeit? Liebe ist ja sowieso eine mit Bedeutungen vollgestopfte Begrifflichkeit wie kaum eine andere, weil da doch Jedermann und Frau und sonstiges reinprojizieren kann, was auch immer. Und genau deshalb machen wir keine Sendung über “die Liebe” (denn was soll das auch sein). Ein bloßes Aufmarschierenlassen unterschiedlicher (angeblich allgemein anerkannter) Bedeutungen wäre ja ebenso elendslang wie zu schlechter Letzt einschläfernd. Stattdessen einige Aspekte aus unserer ureigenen Anschauung von Liebe, wie wir sie erleben – in jenen Zeiten, in denen wir leben.

Liebe in Zeiten 1Und für unser Publikum ein paar undefinierte Übergänge zwischen den einzelnen Elementen, auf dass sich in jeglichem Hörgehirn eine persönliche Nachtfahrt entfalten kann. Immersives Radio von den Festspielhasen eures Vertrauens! Da wird Dopamin produziert, dass es selig macht – und sämtliche Lautsprecher des Liebeslebens euer ureigenes Stück aufführen. Gewiss, wir hupfen euch immer noch “eine Sendung” vor, textmusikalisch, spontan-assoziativ, vom Ablauf und der Auswahl der Beiträge her – doch die sinnstiftende Interpretation des Ganzen (als eine Geschichte) findet letztendlich in euren Köpfen statt, je nach dem, was sie euch erzählt. Für eine solche Vorgehensweise eignet sich unsere Themenwahl aus “Liebe” und “Zeit” ganz vortrefflich, zumal jeder Mensch “Liebe” höchst individuell interpretiert (auffasst und ausdrückt) sowie “Zeit” ebenfalls höchst einzigartig erlebt, begreift, verbringt. Beides wird unendlich vielfältig gestaltetund das ist gut so!

Liebe in Zeiten 2Die Theorie zur Umsetzung dieser Art von Darbietung haben wir 2011 bei Thomas Oberender entdeckt – und stante pede einer praktischen Überprüfung unterzogen – als ein spontanes Tischtheater out of the Box sozusagen. Es hat wunderbar funktioniert und bleibt fürwahr ein fester Festspielflash. Während im Vordergrund das hintergründige Drama seinen Lauf nimmt, proben die Gestalter von “Druckfrisch” (Andreas Ammer & Denis Scheck) für ihr Gespräch mit dem dazumals frisch gekürten Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa über den Dächern von Salzburg. Es herrscht also ständiges Kommen und Gehen. Do you know if you are coming or going? Wir wären nicht überrascht, wenn ja. Aber wie viele? || Abschweifungen wie diese und andere angewandte Entknüpfungen sind notwendig, um allzu eingeprägte Denkmuster zu lösen, damit überhaupt neue Bedeutungen entstehen und so die Belohnungsdrogen für das Selbstentdecken, Selbsterfinden und Selbstgestalten ausgeschüttet werden.

Liebe in Zeiten 3So irgendwie muss das mit der Katharsis gemeint gewesen sein. Die Auflösung der Vorstellung von sich selbst als Voraussetzung für die eigentliche und dann erst recht heilsame Selbsterfahrung. “Der Aggressor, das sind wir, ab da tuts weh, ja – dass wir uns selbst auch als Täter erleben ….. das ist die Urerfahrung des Drama, oder der Tragödie ….. Wir sind sterblich und Leben heißt schuldig werden, immer, für jeden einzelnen von uns. Und dafür ein Auge zu öffnen, sich mit dieser Erfahrung zu konfrontieren, das ist das Privileg, aber auch die Aufgabe von Kunst.” Täglich müssen wir erfahren, wie Kunst an sich in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen funktioniert und nicht durch ihr bloßes Stattfinden die Welt verändert. Andererseits führen wir uns eben nicht für ein exklusives (also beschränktes) Publikum auf, das in künstlicher Extase befriedigt mit sich selber verschmilzt. Fleischliche Gemüse! Wir nehmen lieber den Individuensalat. Thomas Oberender würde dann auch sagen:

“Hören sie genau … Hirn”

Oder? Alles hin.

 

Allerleih Raunacht

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 13. Dezember (Teil 1) sowie Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 13. Dezember (Teil 2) – Heiliger Bimbam! Was für eine Reise! Quer durch den Gemütsgarten des Adventskrampfs vom Nikolausi bis zum Weinachteln – dann noch nach Silbvesper, nach Neu-Ja und Dreigönning, da verrutscht selbst das rauheste Haus der Nacht in die Allerleih. Denn zu dieser unserer (nun schon) 9. Dezembriade haben wir illustre Gäst*innen aus Wort und Bild eingeladen, uns einige ihrer Werke zur Gestaltung der Sendung anzuvertrauen. Wir leihen uns sozusagen allerlei Kunnst für unsere Themencollage aus – so entsteht Allerleih. Wir lesen Textbeiträge von Salzburger Autor*innen und präsentieren ausgewählte “Glimpfungen” von Helmut Xö. Dafür bedanken wir uns ausgesprochen saftig – speziell bei der SAG sowie bei Helmut Xö (Facebookprofil).

Orkanspende zur Rauhnacht“Here comes two of you. Which one will you choose?” Dieses legendäre Zitat aus dem Velvet-Underground-Cover von Bettie Serveert ist in der diesjährigen Signation gut zu hören. Und auch einige Zitate aus unseren bisherigen adventdezemberischen “Perlentaucher-Nachtfahrereien” seien allhier angefügt. So etwa aus dem Artikel zum Weihnachtsfeuer von 2016: “Ob Advent oder Event, Kranz oder Krampf – Kerzen sind nicht zum Scherzen, wiewohl es mannigfach Gründe fürs Anzünden geben mag. Und fürs Aufregen, in Zeiten wie diesen, wo eine derartige Vollverdodlung um sich greift, dass bald auch die Schneeräumung mit dem Laubbläser erfolgt. Halleluja! Was ganz oben sitzt und allen auf den Kopf scheißt, das ist in jedem Fall ein Arschloch, ganz egal welche Weltanschauklung, Religwution oder Idiotlogie es auch immer vertritt. Auf den Kopf scheißen ist niemals gut.” Oder wie Georg Kreisler sagte: “Jede Macht ist falsch.“

Allerleih Coca-Coala“I have my books and my poetry to protect me.” Von wegen “Niemand ist eine Insel”. Simon & Garfunkel bringen die Selbstverteidigung in Zeiten zwischenmenschlichster Betriebsamkeit auf den Punkt: “I am a rock. I am an island.” Dazu die Gedanken der Inselstifter aus dem Café Unstet (2015) mitten im Mittelmaßmeer der organisierten Durchnittlichkeit: “Gewähren wir einander doch Unterschlupf – an den Ufern unserer einstweilenen Zwischenweltinseln – und wenns nur für heut Nacht ist. Begleitet von Boker Tov Iran sowie No No Keshagesh winken wir euch zum Abschied noch einmal nach und wünschen viel Glück beim Selbstsein – im Wortschwall des Weltblabla!! Doch Augenblick mal – was sind das für verwegene Verrückte, die da am Lampedusa-Lagerfeuer noch lang nach der EU-amtlichen Sperrstund Musik machen und Herz und Hirn für die Freiheit der Verfolgten hinhalten?” Entsetzliche Klischees mit Häschen.

Allerleih Punk Ratius“Ein Faustschlag ins Gesicht der Pietät gehört zu den Taten, ohne welche man nicht von der Schürze der Mutter loskommt.” Meditiert einmal gründlich über diesen Satz von Hermann Hesse, enthalten im Album “Hesse Between Music“. “Hofft eigentlich heute noch wer auf sowas wie eine flächendeckende Volkserleuchtung? Oder befinden wir uns inzwischen alle im Zeitalter individualisierter Erkenntnis? In dem uns zwar noch gelegentlich ein Licht aufgeht, wir aber längst nicht mehr bemerken, dass wir alle Teil einer perfickten Weihnachtsdekoration sind? “So muss Weltherrschaft!” Und der Letzte macht das Licht aus. Nichtsdestodessen oder aber auch hinwiedertrotz: Frieden auf Erden und den Menschenähnlichen was Nettes ohne Konsumzwang. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ruft ja nicht zum heldenhaften Helfen auf, sondern zum sich Hineinversetzen in die Lage des Bedürftigen.” Auf der Suche nach dem Licht (2017)

Allerleih Schal und Rauch“Er wüsste wie er geht, der letzte Beweis. Von oben fliegt die Erde einen elliptischen Kreis.” Diese Passage aus dem lieblichen Lied “Sie mögen sich” (ausgefuchste Animation!) von Shaban & Käptn Peng beschließt nun diese erste Etappe der musikliterarischen Gefühlsweltreise. Die zweite gibts als buntes Allerleih: “Alles schläft, einsam wacht – bist du da? Was wird sein am anderen Ende der Nacht, wenn du dir begegnest, gleichsam beschenkt und entblößt? Hast du Angst vor dem Schweigen des Lärms, vor dem Gähnen des Abgrunds, vor dir selbst? Hast du Lust, dich zu spüren und in ein neues Jahr zu springen, einen neuen Tanz zu vollführen, ein neues Bild anzufangen, mit einer neuen Idee ins Bett zu gehen, die dich liebkost – und die du danach nie mehr vergessen kannst? Was also macht diese Nacht mit dir, was machst du mit ihr? Wer bist du – in deiner eigenen Zeit, wenn du sie dir selbst schenkst?”

Christgsindlmarkt (2012)

Und jetzt? Allerleih Rausch!

 

Die Nachtfahrt des Grauens

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. JuliDie Gestalten des Grauens können vielfältige sein. Und auch das Wort selbst bringt auch einiges an Bedeutungen mit sich, vom Grauen des Colonel Kurtz in Apocalypse Now bis zum Morgengrauen nach einer durchtauchten Nacht. Wobei sämtliche Wortbildungen mit Grau (Shades of Grey) wie hier in “Morgengrauen” von einer Wurzel stammen, die “glänzen, leuchten, strahlen” bedeutet, das Grauen im Sinn von sich fürchten wiederum von einer anderen, die zunächst so etwas wie “zerreiben und zerstoßen” vermitteltt, die dabei aber auch Kummer oder Traurigkeit mit anspricht. Grauenhaft. Eine zutiefst depressive Obdeulung. Ich bin schon ganz zerbrieselt davon. Warum ergötzen sich jedoch so viele Menschen an den Darstellungen des Grauens?

Die Nachtfahrt des GrauensAls Kinder liebten wir die Krypta der Herrnauer Kirche mitsamt den dort dargestellten Kreuzwegszenen und gingen uns nach der Schule gern darin gruseln – bis uns der Pfarrer Tomaschek ob solch pietätloser Zweckentfremdung theaterreif hinauswarf. Allerdings denke ich heute, dass wir damals durchaus etwas vom Wesen der kirchlichen “Horror-Stories” erspürt haben – und auf unsere kindliche Art eine Aussage dazu darboten. Auch wenn diese danach im allgemeinen Regelwerk des “Gehörtsichnicht” unwahrgenommen verglomm. Ein langjähriger Freund erzählte mir von einem anderen Erlebnis aus seiner Kindheit, als er nämlich in der Parscher Kirche den Jesus vom Kreuz herunter nehmen wollte, weil der ihm leid tat, so angenagelt, wie er da hing. Der dortige Pfarrer, der ihn dabei antraf, befragte ihn eingehend nach seinen Beweggründen und unterhielt sich dann länger mit ihm über diese Darstellung des Gekreuzigten. Es ist doch immer wieder ein seltsames christliches Abendland.

Der Notausstieg des GrauensHier wird der freie Wille freundlich umgebogen. Und bist du unwillig, so brauch ich Gewalt. “Heinrich! Mir graut’s vor dir.” – Goethes Gretchen nimmt das Wesentliche dieses teuflischen Pakts um die totale Machtausübung emotional wahr – und beschreibt ihr Gefühl zutreffend – mit Grausen. Wem würde bei der Begegnung mit dem Faustischen (dem rücksichtslosen Streben nach Macht und Kontrolle, nach Beherrschung von allem und jedem, das buchstäblich über Leichen geht) nicht im wahrsten Sinne die Grausbirn aufsteigen? Und was erzählt uns die Kirche? Eine Geschichte der Befreiung – oder eine Zurechtschreckung zur Unterwerfung unter die jeweilige Macht, Gewalt, Herrschaft? Die Gestaltungen des Grauens sind wahrlich vielfältig, von der Gleichgültigkeit beim organisierten Menschenzertreten bis zum perversen Glücksgefühl in der Fernsehwerbung. Wenn (nach Arno Gruen) “Terror in Geborgenheit kippt”, dann lässt man sich gern von Mephisto regieren

Die Apokalypse des GrauensDie Darstellung des Grauens ist also vielseitig, speziell in der Kunst. Nicht immer geht es dabei um die Angstlust wohligen Gegrusels, wie etwa beim Anschauen eines Horrorfilms aus der Sicherheit seines eigenen Sofas heraus. Unlängst ward die Dichterlesung “Das Grauen” wie folgt beworben: “Es umgibt uns, ist allgegenwärtig, durchzieht sämtliche Bereiche des Lebens, schreit uns ins Denken aus Zeitung, Fernseher und Smartphone. Wird ausgeblendet, aus der Wahrnehmung gestrichen, darf nicht genannt werden. Paradox. Die Auseinandersetzung mit dem Grauenhaften ist jedoch essentiell, wollen wir in einer friedvollen Gesellschaft leben. Man muss ihm schon ins Gesicht blicken, dem Grauen, dieser grauen Eminenz unserer Zeit, um aufzuzeigen, wie Schmerz, Angst, Missmut, Unrecht, Gier, Gewalt die Welt zersetzen, um sich aus Lethargie und Machtlosigkeit zu schrecken, um die versteckten Zusammenhänge zu erkennen – und um Gegen-Sätze zu (ent)werfen.”

 

Bäume schlagen aus

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Mai – Als Kind konnte ich mir die beiden Wortbilder nicht wirklich zurecht reimen: “Pferde schlagen aus”, schon klar, aber Bäume? In meinem Hinterhof hat sich allerdings unlängst eine Geschichte ereignet, die das Ausschlagen (altertümlich für “austreiben”) der Bäume nachgerade unausweichlich illustriert. Diese Geschichte, die auch noch ein Dreiteiler ist, werde ich in dieser Sendung erzählen, die dramaturgisch passenderweise drei Stunden dauert. Zur phantasieanregenden Vorhereinstimmung sei sie allhier schon mal in Gestalt von Bildern gezeigt, den Assoziationen zu “Die Bäume schlagen aus” sind dabei keinerlei Grenzen gesetzt. Wenn ich so ein Baum wär, ich würd ja am liebsten zurück schlagen, und zwar mit Schmackes. Und ganz abgesehen davon, “Der Mai ist gekommen…”

Bäume bleibenJenseits von Maibaum, Volkstum und Salzburger Heimatwerk findet sich noch so einiges an Bäumen gewidmeter Frühlingsnatur. So etwa in Konstantin Weckers Lied “Der Baum”, in dem es sogleich mundartgerecht zur Unsache der Verwüstung alles Lebendigen geht: “I hab Angst. Lang lassn si de nimma aufhoitn, und da werds hold mi jetzt boid als oan vo de erstn dawischn. Angeblich spüren wir ja nichts, wir Felsn, wir Viecher, wir Bleamen, wir Bäum – angeblich habn wir kein Gefühl. Und wie wir spüren und denken, lieben und fluchen – ja hörts ihr uns denn ned schrein, den liabn langa Tag, hörts ihr uns alle mitanander ned schrein, landauf, landab, alle, die noch am Lebn sind, das is ein Wehklagen, das ist ein Jammern – ihr hörts uns bloß nimmer, weils koaner mehr aushoitn dad. I hab Angst. Jetzt tragns die ersten weg. Die wehrn si gar ned. Jetzt tretns es und knüppelns es – und die wehrn si immer no ned. Bleibts mir bloß vom Leib, ich hab eich doch nix getan, wir ham eich alle mitanander doch no nia wos doa, und dabei kanntn wir doch so guat auskumma mitanand, des konn doch ned so schwer sei, wir ghörn doch alle zsamm, wir san doch alle vom selben Schlag.“ Textauszug von Konstantin Weckers Homepage, eine Momentaufnahme…

Bäume klopfen an“Wer klopfet an?” – “Nur ein gar alter Baum.” So war es tatsächlich, in jener vorletzten Adventnacht des letzten Jahres. Und wenn meine Lieblingsnachbarin da unten nicht kurz zuvor gestorben wäre, sie hätte sich dabei wahrscheinlich zu Tode erschreckt. Fast, als ob die uralte Trauerweide extra auf sie Rücksicht genommen und mit dem Umstürzen bis nach ihrem Tod gewartet hätte. Ich erzähl ja schon den Anfang… Wollen wir hier lieber noch einen weiteren Schwerpunkt oder “roten Faden” unseres Nachtfahrtprogramms vorstellen: den völlig zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geratenen Dichter Alois Hergouth. Aus seinem Lyrikband “Umkreisung der Nacht” werden wir im Verlauf dieser Sendung ebenfalls einiges vortragen. Denn sein Werk, an das der wackere Max Oravin hier auf babelsprech.org erinnert, ist wahrhaft weltgültig:

AUCH SO KANN ES SEIN:
wie ein Glas
voll köstlicher Leere
durchstrahlt
von erloschenem Glanz

Bäume schlagen ausAUSBRUCH DES SOMMERS
der schwirrenden Schwüle:

Der Tod
trägt eine Maske aus Gras
Er blüht durch die Augen
treibt Schierling und Wein
und tänzelnde Schlangen

Entschleiert
das Licht im Zenith
Die sirrenden Schwalben

SO WAHR!
So entsetzlich wahr!

‚Bringt Steine
es totzuschlagen!’

‚Bringt Öl!’

 

Aus dem Tod eine Jugend machen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Januar – Und wenn es überhaupt keine Tabuthemen mehr gäbe, wäre damit das Ende der Kunstgeschichte erreicht? Oder ist unsere Gegenkultur nicht immer auch ein Aufbegehren gegen die jeweils grad aktuelle Interpretation der Herrschmächte, ihre “schöne neue Welt” sei ein neugeborenes Kindlein und ihre einzige Absicht sei Frieden auf Erden? Ich lach mich tot! Der Zyklus des Lebens hat doch nichts mit Weltpolitik zu tun – und der Markt (was immer das sein soll) ist auch kein Weltgeist, der uns “Stuf um Stufe heben will, und weiten”. Hier werden die Begrifflichkeiten (seit Jahrtausenden) höchst absichtsvoll vermischt, um dem versklavten Pöbel vorzuschwindeln, seine Armut sei Naturgesetz. So wie der unvermeidliche Tod. Ob wir aus dieser Not eine Tugend machen können?

Vor dem TodWas will der Dichter damit sagen? Sollte uns das zu denken geben? Oder sollten wir doch lieber gleich aussterben? Die international legalisierte Zergrunzung unserer Lebensgrundlagen hat immerhin ein solch erschreckendes Ausmaß angenommen, dass wir versucht sind, alle Hoffnung fahren zu lassen wie einen Schas. Davon wusste bereits der Verstopfungskünstler Martin Luther, der ja gesagt haben soll: “Lass fahren dahin…“ Desselbigengleichen schiss er, wider Erwarten genüsslich, so einen Riesenhaufen in die Landschaft, dass ihm ganz transzendent zumute ward und er darob augenblicks die Erlösung durch Gottes Gnade erfand. Was allerdings spricht Thomas Bernhard an, wenn er in seinem Buch “Die Ursache” über Salzburg sagt: “Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit oder “ein unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche”.  Wenn er gar ihre Atmosphäre einen “durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden nennt?

Nach dem Tod“Ich bin Lyriker. Wenn man Gedichte schreibt, kann man den Tod nicht ausklammern. Was die Welt bewegt und im Innersten zusammenhält, sind Leben, Liebe und Tod. Der Tod ist immer da.” Das sagt Konstantin Wecker, den viele aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Thema als einen regelrechten “Sänger des Todes” bezeichnen. Doch sein Singen und Schreiben hat sich im Lauf seines Lebens durchaus gewandelt, sein Verhältnis zum Tod ist vom jugendlichen Wegblödeln in ein respektvolles Vertrautsein übergegangen. Und interessant ist auch, was er in diesem Kurier-Interview über die religiös-kulturelle Prägung unserer Wahrnehmung von Leben und Tod ausdrückt: “Es gibt kein Leben ohne Tod. Es ist diese schreckliche Erkenntnis der Vergänglichkeit, die man mit 30 Jahren noch nicht hat. Die Buddhisten setzen sich schon als junge Menschen damit auseinander, dass alles vergänglich ist.” Also fragen wir uns, wie denn der Tod jenseits aller Jenseitsvorstellungen gedacht werden könnte. Jenseits von “ihn wegsaufen” oder “sich mit ihm als Freund ansaufen”.

Wobei, Herman Van Veen (und der darf das) fiele da bestimmt noch Abgrundblödes zwischen allen Stühlen ein! “Ich will einen jungen, kräftigen Tod” (Textauszug):

Wenn ich dreiundsiebzig bin,
mit einem gesunden Gefühl für Tumor,
will ich bei Morgengrauen niedergemäht werden
von einem roten Mercedes,
auf dem Weg nach Hause von einem Fest,
das die Nacht über dauerte.

Oder ich bin einundneunzig,
mit silbernem Haar,
und ich sitz im Stuhl beim Friseur,
und dorthin kommen plötzlich verfeindete Mafiosi
mir ihrem Maschinengewehren
und machen aus mir ein Sieb.

Oder ich bin hundertundvier
und aus den meisten Cafés rausgeflogen,
und meine letzte Liebe,
die mich bei ihrer Tochter ertappte,
bei der sie ihren Sohn vermutete,
schneidet mich in kleine Stücke,
die sie wegwirft,

bis auf ein Stück,
aus dem sie einen Tabaksbeutel macht.

 

Unendlichkeitsversuch

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Oktober – Diese wunderschöne Wortanstiftung soll Anlass dafür sein, wieder mal etwas über unser Sendungskonzept auszusagen, verkörpert sie doch mit sich selbst genau jenen Unendlichkeitsversuch, den wir allmonatlich unternehmen – und der wir auch sind! Lässt man sich diesen Begriff sozusagen auf der Seele zergehen, dann schillert er sogleich in den verschiedensten Farbenund Bedeutungsnuancen. Ähnliches versuchen wir ja auch jedesmal mit unseren vielschichtigen Freitagnachtcollagen auszulösen. Deshalb passen sie auch nicht wirklich in irgendein Genreschachterl. Kommunikationswissensgschaftliche Formatradiozuschreibungskategorien haben in unseren Phantasieweltbildern sowieso überhaupt nichts zu suchen. Pfuigack!

RauchpauseDabei gibt es schon Hintergründe, die hier erhellt werden können: Zum einen der Ausstrahlungstermin in der Nacht von Freitag auf Samstag, wo zumeist eher fortgegangen als daheimgeblieben wird. Und zum anderen die erklärte Absicht, just zu dieser Partynacht der Jungnation definitiv KEIN für irgendein Festl hintergrundtaugliches Hullatrulla zu produzieren. Folglich richten sich unsere Schwebwelten eher an den einzelnen Kopf von inmitten des Jubeltrubels Alleinseienden. Was nicht heißt, dass sie nicht auch gemeinschaftlich zu genießen wären. Wir halten damit eine der Grundideen unseres Freien Radios hoch, dass es nämlich nicht darum geht, immer noch mehr Publikum zu erreichen, indem man auf Durchschnitt und Üblichkeit abzielt, sondern darum, dass vor allem das Eigenartige, das etwas Andere wie das sehr Spezielle seinen prominenten Platz haben muss. So erreichen wir in dieser ersten Wochenendnacht zum Beispiel Menschen, die gerade im Auto unterwegs sind, krank zu Hause liegen, genüsslich in der Badewanne knotzen, sich sonstwie verkrochen haben, die zu alt oder zu jung sind fürs Geschubse ums Bierhäusl, einfach Menschen, und denen sagt das was…

UnendlichkeitsversuchUnd so stiften wir unsichtbare Verbindungen zwischen vielen Molekülen in einem Germteig der Gesellschaft, bilden wir ein Myzel zwischen den zahllosen vereinzelt erscheinenden Schwammerln, die ja doch allesamt das große Ganze des Lebens sind. Darüber hinaus sprechen wir mit unserer äußerst weit gespannten Musikauswahl auch möglichst unterschiedliche Einzelgeschmäcker an, so dass gleichermaßen Wiedererkennen wie Neuentdecken über einen längeren Zeitraum des Zuhörens hinweg stattfinden kann. Des weiteren ermöglichen unsere immer live und spontan zu allen möglichen Themen stattfindenden Zwischengespräche sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Wie ebenfalls die mit Bedacht eingestreuten Statements und Zitate von Gastautor_innen, die zusätzlich das Gehirn massieren und so unweigerlich zum Denken anstiften. Ganz zu schweigen von unserer Sendungsdramaturgie, die sich stimmungsabhängig in die eine oder andere Richtung entwickelt, je nach dem… Doch das sind auch nur die ohrenfälligsten der vielen Schichten, die wir seit fast sieben Jahren zu immer neuen Nachtfahrten verweben. Ein echter Unendlichkeitsversuch.

 

Mondfallsüchtig – Nachwort

Ein Nachwort zur Nachtfahrt vom Freitag, 10. Juni

Angst vor dem Tod hatte ich eigentlich nie. Angst vor dem Sterben, meine ich, die Straße löst sich, auf unbestimmte Zeit verborgt euer Schöpfen, von Wasser oder betrittst fremde Welt, zum ersten Mal, unbekannt noch, unbefleckt; da hört man das Singen des Schreibens und Pausen wie Perlen aufgefädelt, Korallenkette viel feiner als gedacht, ein Hauch nur / Wimperntäuschung, du schreitest Samt

moonchildkaramellisiertes Schweigen. Vanaprastham. Trommelnde Morgensucht während Radierungen, hier zeigt sich auch wieder meine Liebe : nocturnales Verhalten, vielleicht mehr als Lebensgewohnheit, vielleicht ja Instinkte der Nacht, die sich ergießen, über mich strömen, so glänzend Rabenfedern in erfundenen Gassen. Nicht nur Realität lässt sich biegen, keucht die alternde Entendame, der Kronkorken nickt, als ich mich nähernd : nahtloser Bruch, dass Bäume schweben, Mondhase oh wach über uns! Mein Herz dargeboten auf dem Altar der Sprache, noch schlägt es, vernarbt, zart, wer wiegt mir das Wohl, die Freude, wer die Last, das Fallen? Möglich, dass Schatten hinter mir grinsen, mit wilden Augen; Kopf gehoben und zurück in ein anderes Ich oder wie viele Leben kann ein Mensch füllen? Aufgehört mit dem Denken während des Denkens, so stiehlt sich Zeit, so durch die Finger, bald läuten die Glöckner; angeregt, beschleunigt durch leuchtende Stunden, welch Sturz in den Himmel! Diese stille Sucht, gar mondfallsüchtig, erinnernd an Haikus durch winterliche Flusslande

birthund all das Vergessen, all den Vergessenen, den Verstummten, den Geächteten : was da wuchert in meinem Kopf, neben Lichtmandalas gestreifte Farbandeutung rosé reifblau, das Knistern der Stille vor dem Schlaf, in der Früh vor dem Schlaf, sieben / siegen über Schlafkunst, Versuch einer Feststellung, zu Asche, zu Wasser, kaum saugt man die Gräser, die gläsernen Strahlen, die Schalen in Spiegelung, wohl metallische Klänge sinken ins Ohr … ihre Worte berühren etwas ganz tief in mir, wie Dunkel, das schon wieder strahlend … ich werde bald ruhen, es wandelt sich viel, halbfeuchter Asphalt unter den Kronen der Stadt, der knöcherne Traumfänger in perpetuierendem Kreisen, von Geisterhauch; so manches in regen Zuständen, ein Umwenden und -wälzen bis sich die Wellen dann glätten unter geblümten Himmeln, in Poesie verbunden

– Christopher Schmall

 

Musenschmusen (Chriss)

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. April

Inspiration sucht sich heute selbst. Musen schmusen, Feen gehen und Götter vergöttern einander. Was bleibt am Ende? Ein kränkelnder Stift und leere Blätter…

LakeLightWaysEin Wort. Ein Bild. Ein Zeigen.
Wer zeigt mir die Unterfläche? Wer zeigt mir die Schichten der eigenen Geschichten? Die einzelnen Daseinsformen der wachsenden Bedeutungen meines Erkundens der inneren Welt? Brauche ich einen Führer? Jemanden der mir eine Landkarte reicht, damit ich im Dschungel meines Hirns unbeschadet die andere Seite erreiche? Jemanden der mir Licht ist in den kalten, nächtlichen Stunden meiner Seele? Gibt es so jemanden überhaupt? Oder stelle ich diese Fragen nur um mich vom Eigentlichen abzulenken? Nicht hinschauen zu müssen? Nicht hineinschauen zu müssen in den Schattenspiegel? Oder führen mich all diese Fragezeichen genau dorthin, wo ich mich nicht mehr von mir unterscheiden kann und will? An diesem Punkt der Überlegungen beiße ich mir die Zunge ab um keine Worte mehr zu vergeuden. Doch Sprache muss nicht artikuliert sein um zu existieren. So stehe ich wieder am Anfang meiner Gedanken und erkenne, dass ich ein Kreis bin. Da mir Ellipsen lieber sind verbiege ich mich ein wenig. Jetzt wabere ich im Raum. Seltsam genug, dass ich mehrdimensional bin, meine Brennpunkte fangen Feuer -violett- und warum sollten sie auch nicht? Immerhin muss ich mich warm halten. Erfrieren wäre echt das Letzte!

AugenscheinIch öffne den Mond. Ich öffne den Mund. Ich schließe die Sätze. Ich verschließe mich.
Mein Schloss ist rosig oder bemoost. Auf dem Schlüssel wächst ein Wald. Sein Bart ist Jahrtausendalt. Und schon wieder geht es ums Finden, Erforschen, Durchschreiten, Wegebegehen, Pfadestreuen, Brotkrumenlegen. Labyrinthe haben auf mich schon immer eine große Faszination ausgeübt. Ich übe mich im Übertreiben und treibe meine Sprache an. Es gibt keine Grenzen mehr. Ich werde grenzenlos und losgelöst, löse mich auf und beginne wieder von vorn…

Inspiration sucht sich heute selbst. Musen schmusen, Feen gehen und Götter vergöttern einander. Was bleibt am Anfang? Ein sprachloser Stift und hungrige Blätter…