Herbstzeitlotterie

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Oktober – Nun haben also auch wir einen Radioschorsch erhalten, und zwar für unseren Jingle mit dem Gunkl (zur Frage: “Was soll das?”), noch dazu hochanständig per Onlinevoting. Ein ganz ehrenwerter Weg zu einem Publikumspreis, fragt doch mal die Stefanie Sargnagel. “Die Bundes-SPÖ würde bei einem Wahlergebnis von annähernd 40% wohl ziemlich lang nicht wieder aus ihrem Glücksrausch auftauchen“, freut sich die Perlentaucher-Redaktion. Denn seit immerhin fast 8 Jahren verwursten Christopher Schmall und Norbert K.Hund “ringsum angespültes Treibgut der Kulturgeschichte” kongenial zu stets unterhaltsamen “Denkanstößen, Gefühlsräumen und Stimmungsbildern”. Im Sumpf von Salzburg – die etwas andere Collage aus Musik, Text und Themen

Herbstzeitlotterie 1Also feiern wir eine “lange Nacht der Preisträger_innen”, umgeben von Elfriede Jelinek, Bob Dylan, oder Thomas Bernhard… Warum heißt es dann Herbstzeitlotterie? Das ist wohl eine etwas längere Geschichte, abgesehen davon handelt es sich aber um ein recht passables Wortspiel, also in sich selbst sozusagen. Demokratische Prozesse und Zufallsereignisse, das wäre ein paar Betrachtungen wert, in diesen Zeiten der Zeitumstellung sowie ihrer geplanten Abschaffenwollung aufgrund einer merkwürdigen europäischen Online-Befragung, an der ungefähr 0,9% der Gesamtbevölkerung teilgenommen hat. Sommerzeitlotterie, Winterzeitlotterie, kauft Herbstzeitlose für die kommende Herbstzeitlotterie, im Gackpot befinden sich bereits XYZ Millionen – oder wie ich längst zu sagen pflege: “Je Geld desto Oasch” Womit sich der Kreis zwar nicht schließt, allerdings eine Andeutung gemacht wäre.

Herbstzeitlotterie 2Was die Radiofabrik als Freies Medium auszeichnet, ist dagegen das völlige Nichvorhandensein von kommerziellen Interessen – und dem ganzen damit einhergehenden Lobbyistengsindel. “Journalism is publishing what someone else does not want published. Everything else is public relations.” (Nach George Orwell zitiert). Seit über 20 Jahren bewahrt sich der Sender mit dem Schorsch unsere Unabhängigkeit von allen wirtschaftlichen und weltanschaulichen Sachzwänger_innen. Und das ist gut so. Zwanzig Jahre sind noch lange nicht genug. Wir gratulieren, jetzt erst recht! Bei all den hochfliegenden Plänen für die nähere Zukunft – Stichwort Lehrredaktion – soll dieses Zitat von Pippi Langstrumpf immer mit dabei sein: “Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.” Ein weises Wort, das zudem auch ausgezeichnet zur Gestalt der heurigen Auszeichnung passt.

Herbstzeitlotterie 3Weshalb es bei uns diesmal eher beschwingt als besinnlich zugeht. Wobei, ZeiT. von Wortfront kann ja durchaus als nachdenkenmachend angesehen werden: Gewinnen oder verlierenHerbstzeitlotterie halt. Die Uhrzeit ist ohnehin ein soziales Konstruktnur die Jahreszeiten sind (noch) nicht menschgemacht. Stellen wir die Uhren halt wieder um eine Stunde vor (oder doch zurück), bevor uns alle die Hysterie einholt. Im Zweifel mit dem Gunkl: “Es muss die Möglichkeit bestehen. Eine Gesellschaft ist dann stark, wenn sie sich etwas leisten kann. Eine Gesellschaft, die sich Querdenker oder lautradikal Nichtdenker nicht leisten kann – also, wenn man das nicht abfedern kann, dann ist das ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Davon abgesehen passiert in diesen Freien Radios auch etwas, was ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen.”

Abfedern – da ist der springende Punkt.

 

Die letzten Tage

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. September –  Wie heißt es so schön schon bei Element Of Crime? “Ich will immer so gern berauscht sein und werde doch immer nur breit. Und kaum, dass ich einmal nüchtern bin, ist der Sommer schon wieder vorbei.” Was waren die Sommer nicht unendlich, als wir noch jung und lustig waren, trunken allein von der Welt und all ihren Versprechungen, das schien einfach nie aufhören zu wollen, jeden Tag aufs neue! Der Herbst des Schulbeginns war so weit entfernt wie einst die Gestade des Columbus, von denen wir damals noch nichts wussten, naturgemäß. Und die letzten Tage vor dem Wiedereinritt in den Ernst des Lebens mit seinen Stundenplänen waren für uns als Kinder noch irgendwie heiter, unbeschwert und verspielt. Doch schon bald spürten wir die ersten Wehmutstropfen

Die letzten Tage des SommersDie letzten Tage des Sommers oder Der kleine Tod des Lebens. Wir alle wissen zwar nicht, wann (oder wie) wir sterben – doch dass unser Dasein endlich ist, das sollte uns doch eigentlich klar sein. Genau genommen zählt unsere Lebensuhr schon seit wir geboren sind einen gnadenlosen Countdown, ticktack, ticktack, ticktack, aus. Den Umstand beschreibt keine Textzeile treffender als jene von Das trojanische Pferd “Mein Herz schlägt mich innerlich tot.” Und wiewohl wir alle um die eigene Endlichkeit wissen, blenden wir diese Wahrnehmung ein Leben lang erfolgreich aus, verdrängen sie in den Keller unseres Unterbewussten – und machen halt weiter wie bisher. Was sollten wir auch sonst tun? Also tanzen wir fröhlich auf dem Vulkan und hoffen, dass er noch nicht so bald ausbricht, während sich in unserem seelischen Untergrund längst das Unvermeidliche zusammenbraut. Versteht mich bitte nicht falsch, ich glaube auch keineswegs, dass ein fortwährendes Memento-Mori-Singen unserer Lebensfreude allzu dienlich wäre. Doch ein gewisser Zusammenhang zwischen diesem “ewig so weiter” und all den Vorstellungen von “Wirtschaftswachstum” oder “unendlichen Ressourcen” scheint mir da schon zu bestehen. Was für eine morbide “Realität”

Die letzten Tage der MenschheitDie letzten Tage der Menschheit oder vielleicht Die letzten Tage der Menschlichkeit? Wenn rundum die Menschenfresser tanzen – und es sich unter Polizeischutz gut gehen lassen, wenn die menschförmigen Politbarometer verbindlich lächelnd unverbindliche Phrasen dreschen, sollten da nicht erst recht und vor allem die verstummten Stimmen der Gefressenen hörbar gemacht werden? Ich sage, dass es keinen Unterschied macht, ob man den Fisch, den man gefangen hat, aktiv erschlägt, oder ob man ihn bloß neben sich an der Luft verzappeln lässt. Schon gar nicht, wenn der Fisch ein Mensch ist. Die Politik der Europäischen Union zum Außengrenzschutz und zur “Migrationsbekämpfung” in Afrika sieht allerdings längst so aus, wie es der Dokumentarfilm “Türsteher Europas” aufzeigt. Zitat: “Mittlerweile sterben wohl mehr Menschen in der Wüste als im Mittelmeer.” Da freuen wir uns jetzt aber ganz furchtbar auf einen “Informellen EU-Gipfel” zum Thema Migration und Sicherheit, den unser oberster Routenplaner für Donnerstag, 20. September in Salzburg einberufen hat. Vielleicht können wir demnächst auch in ein Auto sprechen wie Matta und Lisbett. Oder Elfriede Jelinek als Sprechuppe sein. Weil Kunnst ist und bleibt grenzenlos.

Die Letzten sollen die Ersten seinDen Letzten beißen die Hunde?  Die Letzten sollen die Ersten sein! Stellen wir doch die verrückte Welt vom Kopf zurück auf die Füße und rücken wir ihre so verschrobenen Verhältnisse wieder einigermaßen zurecht. Zu RECHT! Dazu hat uns eine ehemalige Sendungsgästin, die in einer legendären Aufführung Patti Smith verkörperte (Artarium) informiert, dass am 19. September Studierende und Dozent*innen des Thomas Bernhard Instituts an der UNI Mozarteum (wo der EU-Gipfelsturm in Szene gesetzt wird) mit den Mitteln der Kunst gegen die Gefühllosigkeit der akuten Politik auftreten werden. Ihre Veranstaltung “NIGHT OF RESPONSIBILITY” findet ab 21 Uhr (bis ???) im Theater im Kunstquartier als Beitrag zum Alternativgipfel der Plattform Solidarisches Salzburg statt. Und in ihrem Manifest dazu schreiben sie:

“Mit Lesungen, Performances, Musik und Diskussionen wollen wir daran erinnern, dass Europa und unsere Universität ihrer Idee nach nicht als Festungen erbaut wurden. Sie dürfen es auch nicht werden. Hierfür treten wir als Studierende und Lehrende des Thomas Bernhard Instituts ein. Wir können und wollen uns nicht abschotten gegen Menschen in Not. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Verrohung im gesellschaftlichen und politischen Umgang so weit fortschreitet, dass wir unempfindlich werden für das Leid anderer.”

PS. Hier ist nun auch der gesamte Text dieser einladenden Einladung zu haben.

 

Der Sender mit dem Schorsch

Ein Schorsch mit Ohren – seit zwanzig Johren. Was soll das? In der Radiofabrik unseres Vertrauens werden Wahlen noch mit Geschmack gewonnen – und deshalb können ALLEganz nach Gehör – den ihrer Ansicht nach “besten” Jingle wählen, und zwar hier: Anhörung und Online-Abstimmung, ein Demokratie-Hörtheater für Anfänger und Insider. (Jeder nur ein Kreuz) Woselbst auch wir, die Perlentaucher, gleich mit 4 Beiträgen quasi gegen uns selbst antreten. Genug kann nie genügen, auch nach 20 Jahren nicht, das erkannte Konstantin Wecker ja schon vor vielen… Und so tauchen wir tief in unser Archiv, um der Fragestellung “Was soll das?” ein paar Perlen beizufügen, die sowohl unser Selbstverständnis als Sendungsmacher als auch die Wesensart der Radiofabrik darstellen. Die Ursuppe, eine Anstiftung:

Der mit dem Schorsch tanztDas Sinnbild oder die Grundidee des Perlentauchens ist ungemein zeitgemäß: Durch immer mehr und immer noch zäheren Schlaaz zu tauchen, um einzelne Perlen des Besonderen und somit subjektiv Wertvollen hervor zu stöbern, auf dass wir sie in diesem öffentlichen Raum Radio mit anderen kreativen Individualist_innen teilen können. Und passt auch wie der Topfdeckel aufs Freie Radio, einem der letzten öffentlichen Räume, der noch nicht von kommerziellen und/oder machtpolitischen Interessen verseucht ist. In dem genau jener Erfolgs- und Anpassungsdruck nicht herrscht, der sonst ja schon die meisten Lebensträume molochgleich verschlungen hat. Jener zutiefst soziopathische Wachstumswahn, der schöpferisches Arbeiten unmöglich macht und seelische Ausgeglichenheit zerstört. Diese Zerdepperung des Menschlichen durch Populismus, Krone und Fernsehblah. Jede Menge dicht verdichteter Schlamm also, Unflat und Gatsch, aus dem solche Kostbarkeiten wie etwa Eigenartiges oder Wesentliches hervorzusuchen immer anstrengender wird. Jedoch ein von unbeugsamen Sender_innen bevölkertes Radio hört nicht auf, all den Dringlingen Widerspruch zu leisten. Hier die Zutaten zu unserem Zaubertrank:

Schorsch 1: Was soll das feat. Norbert K.Hund (Kunstbiotop-Jingle) via CBA

Moderatorin: “Über die Alternativen einer lebendigen Salzburger Kultur machen sich nur die wenigsten Gedanken…”

Norbert K. Hund: “Und das, was wir unter Kultur verstehen würden, ist, dass Menschen etwas machen, das vergleichbar wäre mit einem Biotop. Das vergleichbar wäre mit einem kleinen Tümpel, einem Schlammloch, da stehen drei Bäume, da ist ein hohes Gras – und irgendwann einmal zwischen Nachmittag und Abend kommen dort zwei Verliebte vorbei oder ein Dichterling oder sonst irgendjemand, einfach Menschen. Und die genießen das, denen sagt das was. Und das ist in keiner Statistik festzuhalten, das kann man in keinem Subventionsansuchen rechtfertigen, und das kann man in keiner Weise systematisch dingfest machen.”

Schorsch 2: Was soll das feat. Thomas Oberender (Oberender-Jingle) via CBA

Interviewer: “Leidet der Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele an so etwas wie einem Salzburg-Syndrom?”

Thomas Oberender: “Alsozusagen, wenn sie über die Identifikation oder Identifizierung – des Aggressors sprechen, der sind wir. Ab da tuts weh, ja. Dass sie sich selber sozusagen auch als Täter erleben. Das ist die Urerfahrung des Dramas oder der Tragödie, die da eben lautet: Wir sind sterblich – und Leben heißt schuldig werden. Immer. Für jeden einzelnen von uns. Und dafür ein Auge zu öffnen und sich mit dieser Erfahrung zu konfrontieren – das ist das Privileg, aber auch die Aufgabe von Kunst.”

Schorsch 3: Was soll das feat. Perlentaucher (Perlentaucher-Jingle) via CBA

Christopher Schmall: “Vor allem, wenn man jetzt Romane schreibt und da wirklich sehr viele Personen irgendwie in sich hat, und über die Bescheid weiß und ihr ganzes Leben teilt – die lassen einen auch nicht los. Deswegen hat die Joanne K. Rowling, die ja Harry Potter geschrieben hat, jetzt wieder neue Bücher geschrieben, weil sie einfach nicht aus dieser Welt raus kann. Sie hat diese Welt für sich erschaffen und ist einfach so in dieser Welt drinnen…”

Norbert K.Hund: “Ah, du meinst, würde sie jetzt zuhause sitzen und mit diesen ganzen Charaktären schwätzen, dann würd man sie bald einmal holen…”

Christopher Schmall: “Ja, aber nachdem sie das in Büchern verpackt…”

Norbert K.Hund: “Genau. Um das zu vermeiden, schreibt sie immer weiter…”

Christopher Schmall: “Ja, voll. Also, ich glaub schon, dass Kunst einen vor psyschischen Krankheiten auch retten kann.”

Schorsch 4: Was soll das feat. Günther Paal aka Gunkl (Gunkl-Jingle) via CBA

Günther Paal (Gunkl): “Es muss die Möglichkeit bestehen. Eine Gesellschaft ist dann stark, wenn sie sich etwas leisten kann. Eine Gesellschaft, die sich Querdenker oder lautradikal Nichtdenker nicht leisten kann – also, wenn man das nicht abfedern kann, dann ist das ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Davon abgesehen passiert in diesen Freien Radios auch etwas, was ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen.”

…………

Nicht zuletzt und nicht umsonst endet jedes der hier transkribierten Statements mit dem selben Dialog: “Die Radiofabrik – was soll das? – Freies Radio für Salzburg!” Ebenso absichtsvoll heißt der Titel des zitierten Musikstücks “Nothing else matters!” Und jetzt nehmt euer demokratisches Wahlrecht (oder wie das Ding heißt) endlich in den Mund – und gebt uns eure Stimme! Wir machen höchstens einen Jingle draus…

 

Aus dem Tod eine Jugend machen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Januar – Und wenn es überhaupt keine Tabuthemen mehr gäbe, wäre damit das Ende der Kunstgeschichte erreicht? Oder ist unsere Gegenkultur nicht immer auch ein Aufbegehren gegen die jeweils grad aktuelle Interpretation der Herrschmächte, ihre “schöne neue Welt” sei ein neugeborenes Kindlein und ihre einzige Absicht sei Frieden auf Erden? Ich lach mich tot! Der Zyklus des Lebens hat doch nichts mit Weltpolitik zu tun – und der Markt (was immer das sein soll) ist auch kein Weltgeist, der uns “Stuf um Stufe heben will, und weiten”. Hier werden die Begrifflichkeiten (seit Jahrtausenden) höchst absichtsvoll vermischt, um dem versklavten Pöbel vorzuschwindeln, seine Armut sei Naturgesetz. So wie der unvermeidliche Tod. Ob wir aus dieser Not eine Tugend machen können?

Vor dem TodWas will der Dichter damit sagen? Sollte uns das zu denken geben? Oder sollten wir doch lieber gleich aussterben? Die international legalisierte Zergrunzung unserer Lebensgrundlagen hat immerhin ein solch erschreckendes Ausmaß angenommen, dass wir versucht sind, alle Hoffnung fahren zu lassen wie einen Schas. Davon wusste bereits der Verstopfungskünstler Martin Luther, der ja gesagt haben soll: “Lass fahren dahin…“ Desselbigengleichen schiss er, wider Erwarten genüsslich, so einen Riesenhaufen in die Landschaft, dass ihm ganz transzendent zumute ward und er darob augenblicks die Erlösung durch Gottes Gnade erfand. Was allerdings spricht Thomas Bernhard an, wenn er in seinem Buch “Die Ursache” über Salzburg sagt: “Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit oder “ein unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche”.  Wenn er gar ihre Atmosphäre einen “durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden nennt?

Nach dem Tod“Ich bin Lyriker. Wenn man Gedichte schreibt, kann man den Tod nicht ausklammern. Was die Welt bewegt und im Innersten zusammenhält, sind Leben, Liebe und Tod. Der Tod ist immer da.” Das sagt Konstantin Wecker, den viele aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Thema als einen regelrechten “Sänger des Todes” bezeichnen. Doch sein Singen und Schreiben hat sich im Lauf seines Lebens durchaus gewandelt, sein Verhältnis zum Tod ist vom jugendlichen Wegblödeln in ein respektvolles Vertrautsein übergegangen. Und interessant ist auch, was er in diesem Kurier-Interview über die religiös-kulturelle Prägung unserer Wahrnehmung von Leben und Tod ausdrückt: “Es gibt kein Leben ohne Tod. Es ist diese schreckliche Erkenntnis der Vergänglichkeit, die man mit 30 Jahren noch nicht hat. Die Buddhisten setzen sich schon als junge Menschen damit auseinander, dass alles vergänglich ist.” Also fragen wir uns, wie denn der Tod jenseits aller Jenseitsvorstellungen gedacht werden könnte. Jenseits von “ihn wegsaufen” oder “sich mit ihm als Freund ansaufen”.

Wobei, Herman Van Veen (und der darf das) fiele da bestimmt noch Abgrundblödes zwischen allen Stühlen ein! “Ich will einen jungen, kräftigen Tod” (Textauszug):

Wenn ich dreiundsiebzig bin,
mit einem gesunden Gefühl für Tumor,
will ich bei Morgengrauen niedergemäht werden
von einem roten Mercedes,
auf dem Weg nach Hause von einem Fest,
das die Nacht über dauerte.

Oder ich bin einundneunzig,
mit silbernem Haar,
und ich sitz im Stuhl beim Friseur,
und dorthin kommen plötzlich verfeindete Mafiosi
mir ihrem Maschinengewehren
und machen aus mir ein Sieb.

Oder ich bin hundertundvier
und aus den meisten Cafés rausgeflogen,
und meine letzte Liebe,
die mich bei ihrer Tochter ertappte,
bei der sie ihren Sohn vermutete,
schneidet mich in kleine Stücke,
die sie wegwirft,

bis auf ein Stück,
aus dem sie einen Tabaksbeutel macht.

 

Unendlichkeitsversuch

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Oktober – Diese wunderschöne Wortanstiftung soll Anlass dafür sein, wieder mal etwas über unser Sendungskonzept auszusagen, verkörpert sie doch mit sich selbst genau jenen Unendlichkeitsversuch, den wir allmonatlich unternehmen – und der wir auch sind! Lässt man sich diesen Begriff sozusagen auf der Seele zergehen, dann schillert er sogleich in den verschiedensten Farbenund Bedeutungsnuancen. Ähnliches versuchen wir ja auch jedesmal mit unseren vielschichtigen Freitagnachtcollagen auszulösen. Deshalb passen sie auch nicht wirklich in irgendein Genreschachterl. Kommunikationswissensgschaftliche Formatradiozuschreibungskategorien haben in unseren Phantasieweltbildern sowieso überhaupt nichts zu suchen. Pfuigack!

RauchpauseDabei gibt es schon Hintergründe, die hier erhellt werden können: Zum einen der Ausstrahlungstermin in der Nacht von Freitag auf Samstag, wo zumeist eher fortgegangen als daheimgeblieben wird. Und zum anderen die erklärte Absicht, just zu dieser Partynacht der Jungnation definitiv KEIN für irgendein Festl hintergrundtaugliches Hullatrulla zu produzieren. Folglich richten sich unsere Schwebwelten eher an den einzelnen Kopf von inmitten des Jubeltrubels Alleinseienden. Was nicht heißt, dass sie nicht auch gemeinschaftlich zu genießen wären. Wir halten damit eine der Grundideen unseres Freien Radios hoch, dass es nämlich nicht darum geht, immer noch mehr Publikum zu erreichen, indem man auf Durchschnitt und Üblichkeit abzielt, sondern darum, dass vor allem das Eigenartige, das etwas Andere wie das sehr Spezielle seinen prominenten Platz haben muss. So erreichen wir in dieser ersten Wochenendnacht zum Beispiel Menschen, die gerade im Auto unterwegs sind, krank zu Hause liegen, genüsslich in der Badewanne knotzen, sich sonstwie verkrochen haben, die zu alt oder zu jung sind fürs Geschubse ums Bierhäusl, einfach Menschen, und denen sagt das was…

UnendlichkeitsversuchUnd so stiften wir unsichtbare Verbindungen zwischen vielen Molekülen in einem Germteig der Gesellschaft, bilden wir ein Myzel zwischen den zahllosen vereinzelt erscheinenden Schwammerln, die ja doch allesamt das große Ganze des Lebens sind. Darüber hinaus sprechen wir mit unserer äußerst weit gespannten Musikauswahl auch möglichst unterschiedliche Einzelgeschmäcker an, so dass gleichermaßen Wiedererkennen wie Neuentdecken über einen längeren Zeitraum des Zuhörens hinweg stattfinden kann. Des weiteren ermöglichen unsere immer live und spontan zu allen möglichen Themen stattfindenden Zwischengespräche sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Wie ebenfalls die mit Bedacht eingestreuten Statements und Zitate von Gastautor_innen, die zusätzlich das Gehirn massieren und so unweigerlich zum Denken anstiften. Ganz zu schweigen von unserer Sendungsdramaturgie, die sich stimmungsabhängig in die eine oder andere Richtung entwickelt, je nach dem… Doch das sind auch nur die ohrenfälligsten der vielen Schichten, die wir seit fast sieben Jahren zu immer neuen Nachtfahrten verweben. Ein echter Unendlichkeitsversuch.

 

Wir spielen die Hitz

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. JuliSalzburgs einzigstes Hitzradio aus dem heuer noch nicht klimatisierten Saunabereich der Radiofabrik. Wir schwitzen für euren Genuss und entblöden uns nicht, auch die Fenster zu schließen, wenn im Gastgarten wieder der Grölpöbel stöhnt. Doch womöglich regnets ja eh. Wie dem auch sei, die Doppeldeutung des Titels ist absichtsvoll gewählt. Nicht jeden Preis, der heiß ist, wollen wir auch gewinnen! Und zumeist ist “die beste Musik aller Zeiten” zugleich der größte Scheißdreck aus industrieller Künstlerhaltung. “Die größten Hits” sind es mit an tödlicher Sicherheit grenzender Wahrlichkeit immer. Die größte Hitz hingegen herrscht hier in diesem Brutschrank der Möglichkeiten, sobald es auch nur einen Tag lang Sommer ist…

Österreich Hitz“Ein Musikprogramm abseits des Mainstream” verkündet arbeitsfroh und hoffnungsreich das Leitbild der Radiofabrik. Ein “Audiovergnügen der Extraklasse” wird da verheißen, prophetisch “Der Protection-Plan für EnthusiastInnen & IndividualistInnen” genannt. Und was kann er? “Schützt vor Einheitsbrei.” Alles klar! Das ist schon mal Musik in unseren Ohren und wirkt vorbeugend gegen Kotzen und Hirnbluten. Des weiteren heißt es da: “Neben der inhaltlichen ist die musikalische Vielfalt ein Markenzeichen des Programms von Salzburgs Community Radio. Radiomacher und Radiomacherinnen sowie die Musikredaktion der Radiofabrik achten hier auf Qualität abseits des Mainstream und quer durch alle Genres.” Ob sich jetzt nicht gleich manch eins unter den Kolleg_innen erschrocken an den schweißnassen Kopf greift? Die Hitparade bringt uns nicht in Wallungen – das macht vielmehr die Hitz, ihr Dudelsäcke! Tabularasa in exzentris trihullioh, wie das Patridiotenbrettl nahebleicht.

Musik aus SalzburgEin möglicher Gedankenanstoß aus unserem Gespräch mit dem ehemaligen Schauspielchef der Salzburger Festspiele: Warum hört Thomas Oberender gern die Radiofabrik?

“Mal ganz egoistisch gesprochen, weils die beste Musik ist. Ich bin sozusagen immer mit Shazam bewaffnet vorm Lautsprecher, weil ich auch gemerkt hab, dass viele Musiktitel nicht in der Playlist im Internet stehen, grade beim moderierten Programm müsste man dann auf die eigentliche Website des jeweiligen “Veranstalters” gehen. Es gibt da eine sehr besondere Form von Musik, die selten Mainstream, aber immer aufregend anders und innovativ ist – und ungewöhnlich. Das ist das eine, also jetzt mal der unmittelbare Grund, weil ich das Musikprogramm toll finde und mir das auch zum Teil neue kulturelle Bereiche erschließt. Da ist ja nicht nur europäische, oder sagen wir, westeuropäische Musik, sondern man hört da in alle möglichen Welten hinein. Und ich mag diese Geste “Musik aus Salzburg”, mitten ins internationale Programm gemischt kommen Bands, die man sonst nie wahrnimmtund die gut sind.”

Potzblitz Hitz

Und was sagt unser geschätzter Günther Paal (Gunkl) da dazu?

“In diesen freien Radios passiert ja auch etwas, das ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen. Das ist ein ganz kurzer Weg von der Operation zum Resultat. Wenn jemand, sagen wir mal, Musik präsentieren will, dann will der, dass diese Musik gehört wird. Und dann sagt so jemand: Freunde, da gibts was, das find ich ganz toll. Hörts euch das an, das ist wirklich gut. Man hört sichs an und denkt: “Find i jetzt ned” oder “Bist du deppert!”, irgendwas – aber das IST es. Ein sehr direkter Weg, um etwas zu vermitteln. Und nicht eine Behauptung von einer Gebärde, die vorgibt, etwas heißen zu wollen, mit dem Schielen auf ein Resultat, das wir uns aber alle verheimlichen – damit die Zeit vergeht. Wo ich mir dann denk, Freunde, das rareste Gut, das wir haben, ist Zeit, also tuts jetzt nicht Zeit schinden. Wenns euch um nix geht – gehts weg!

Dem haben wir (abgesehen von unserer Sendung) überhaupt nichts hinzuzufügen.

 

Bittersüßvermischt

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. MärzIm Leben, so übersetzte es der Professor für Altgriechisch einmal, sei das Bittere stets im Süßen enthalten – und umgekehrt. Also quasi vermischt, wie es in zahllosen Zitaten aus verschiedenen Kulturkreisen seit Anbeginn der Aphoristik überliefert ist. Das kommt unserem Interesse am Zweideutigen im Zwischen naturgemäß entgegen, so dass wir uns sogleich (gibts eigentlich auch “soanders”?) eine Sendung daraus drehen, die wir mit euch zusammen verrauchen lassen und/oder inhalieren. Nicht ohne die nötige Drogenwarnung, liebe Kinder, das muss schon sein, Finger weg von die Drogen! Eine alte Frau kocht nämlich Rüben. Und so ergehen wir uns alle in Fragen, auf die es keine vorgefertigten Antworten gibt, außer man macht sich selbst einen Reim

Bittersüßvermischt neu UND schönUnd so ergingen wir uns neulich auch in der Josefiau-Siedlung zwischen Überfuhrsteg und Membergerstraße, um die bauliche “Entwicklung” (!) derselben zu dokumentieren. Was der Gestalt gewordene Zeitgeist da ringsum in die Gegend scheißt, das strapaziert noch die hartgesottensten Geschmacksnerven. Das einstmals von vielen kleinen Häusern mitten in den Gärten drum herum geprägte Ensemble mit seinen verschlafenen Gassen und oft uralten Obstbäumen atmete eine ebenso schräge wie heimelige Atmosphäre, die dort wohnenden Menschen wurden gemeinsam mit ihren Geräteschuppen und Komposthaufen alt, ungepflegt, verworren und windschief. Alles in allem ein Szenario, in dem man auch der eigenen Lebenszeit entspannt beim Vergehen zuschauen konnte. Unbezahlt – und zudem unbezahlbar, wo doch heute die Zeitkomprimierung (immer noch mehr in immer noch kürzerer Zeit) das idiotische Unmaß allen Dingens zu sein hat: Homo rotationis in turboladrioh

Bittersüßvermischt FlaggschissDer gelungene Flaggschiss einer vom Verwertzweck nutzschwindlig gepuderten Arschitektur ist dieses gestrandete Dumpfschiff (sogar mit Fahne) in der Josefiaustraße. Auf dem diesem Bauklotz geopferten Grunz-Stück befand sich ehemals ein winziges Häuschen sowie eine große Wiese mit vielen Bäumen… Doch aus sowas kann man ja Geld quetschen, indem man möglichst zahlreiche Zahlende zum “Wohnen” (im Klonzoo) zusammen zwängt. Schöne neue Lebenswelt für ferngesteuerte Konsumtrotteln, deren Selbstverstand nicht über ihr Hochglanzbild vom Realitätenbüro hinaus reicht. Keine Realität ohne Realitäter! Wenn ich mir überlege, wen aller “der Blitz beim Scheißen treffen” sollte, dann sind diese Zerschandler alles Gewachsenen im Namen der Gewinnsucht ganz vorn dabei. Denn deren Auswirkung tötet das gedeihliche, sich langsam lohnende Leben ab, sie löscht zudem durch die Verbauung des Freiraums jede Erinnerung daran aus

Bittersüßvermischt NutzmenschentumDoch dieser Wahnsinn hat längst noch nicht genug von sich. Schon protzt der nächste werbefeuchte Weihrauchschwall seine perfide Ideolügie in unsere Wahrnehmung: Der ultimative Menschenkäfig mit Erlebnisklo und Lifestyletribüne für die Normlebensdarsteller aus der globalisierten Statistiktrommel. Der beigespiebene Text entlarvt sich als genau das Auseinander von Sein und Schein, welches er doch eigentlich so behübscht zu verbergen sucht. Oder nicht einmal mehr? Wir sind diesfalls auch demnächst bezucksfertig. Bis dahin fahren wir aber noch mit aller Ambivalenz durch die Nacht – und euch um die Ohren. Nicht nur im Erinnern geht es nämlich bittersüßvermischt zu, feiern Wahnheit oder Lücke fröhliche Zuaständ, auch im Entäußern unserer Überdrücke begegnen sich scheinbare Gegentümer und Sätze zu überraschend neuen Geschmacksrichtungen. Ganz zu schweigen von unseren Musik- und Textbeiträgen, doch ganz gut zu hören

Wie dem auch immer sein mag – Es muss auf jeden Fall weitergehn!

 

Mondfallsüchtig – Nachwort

Ein Nachwort zur Nachtfahrt vom Freitag, 10. Juni

Angst vor dem Tod hatte ich eigentlich nie. Angst vor dem Sterben, meine ich, die Straße löst sich, auf unbestimmte Zeit verborgt euer Schöpfen, von Wasser oder betrittst fremde Welt, zum ersten Mal, unbekannt noch, unbefleckt; da hört man das Singen des Schreibens und Pausen wie Perlen aufgefädelt, Korallenkette viel feiner als gedacht, ein Hauch nur / Wimperntäuschung, du schreitest Samt

moonchildkaramellisiertes Schweigen. Vanaprastham. Trommelnde Morgensucht während Radierungen, hier zeigt sich auch wieder meine Liebe : nocturnales Verhalten, vielleicht mehr als Lebensgewohnheit, vielleicht ja Instinkte der Nacht, die sich ergießen, über mich strömen, so glänzend Rabenfedern in erfundenen Gassen. Nicht nur Realität lässt sich biegen, keucht die alternde Entendame, der Kronkorken nickt, als ich mich nähernd : nahtloser Bruch, dass Bäume schweben, Mondhase oh wach über uns! Mein Herz dargeboten auf dem Altar der Sprache, noch schlägt es, vernarbt, zart, wer wiegt mir das Wohl, die Freude, wer die Last, das Fallen? Möglich, dass Schatten hinter mir grinsen, mit wilden Augen; Kopf gehoben und zurück in ein anderes Ich oder wie viele Leben kann ein Mensch füllen? Aufgehört mit dem Denken während des Denkens, so stiehlt sich Zeit, so durch die Finger, bald läuten die Glöckner; angeregt, beschleunigt durch leuchtende Stunden, welch Sturz in den Himmel! Diese stille Sucht, gar mondfallsüchtig, erinnernd an Haikus durch winterliche Flusslande

birthund all das Vergessen, all den Vergessenen, den Verstummten, den Geächteten : was da wuchert in meinem Kopf, neben Lichtmandalas gestreifte Farbandeutung rosé reifblau, das Knistern der Stille vor dem Schlaf, in der Früh vor dem Schlaf, sieben / siegen über Schlafkunst, Versuch einer Feststellung, zu Asche, zu Wasser, kaum saugt man die Gräser, die gläsernen Strahlen, die Schalen in Spiegelung, wohl metallische Klänge sinken ins Ohr … ihre Worte berühren etwas ganz tief in mir, wie Dunkel, das schon wieder strahlend … ich werde bald ruhen, es wandelt sich viel, halbfeuchter Asphalt unter den Kronen der Stadt, der knöcherne Traumfänger in perpetuierendem Kreisen, von Geisterhauch; so manches in regen Zuständen, ein Umwenden und -wälzen bis sich die Wellen dann glätten unter geblümten Himmeln, in Poesie verbunden

– Christopher Schmall

 

Alles neu, vorläufig

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 13. Mai – Kinder, was sind das für Zeiten! Alles scheint im Wandel zu sein, doch macht der Mai wirklich alles neu? Oder handelt es sich nur um den üblichen Handel, der eben gefälligst frei zu sein hat? Ein neuer Anstrich macht noch lang keine SPÖ. Und ein neurolinguistisch tefloniertes Fieberzapferl noch lang kein schöneres Wetter für unsere Heimat. Freimat, Reimat, Seimat? Gedeihmat! Guten Morgen, wir sind die Festspielpräsidentin und alles wird schön. Aber Schurz beiseite, wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man jetzt nicht unbedingt auch noch eine Sendung machen. Aber muss man schweigen – oder soll man als Verdichter und Gestalter nicht doch versuchen, dem Unsagbaren einen Ausdruck zu verleihen? Wir hätten da schon eine entsprechende Bedürfnislage

allesMan kann ein Leben lang gegen die Hohlphrasen der Schwarzpädagogik im eigenen Kopf ankämpfen – und dann doch mit Entsetzen feststellen, dass die zubetonierte Wirklichkeit des umgebenden Weltgeschehens noch die schlimmsten Horrorvisionen in den (eigenen?) Schatten stellt. Denn das Unterbewusstsein der in Fernsehbildern und Nachrichten so genannten Realität ist voll von all den Gespenstern aus der eigenen Kindheit, die man längst auf dem Abfallhaufen der Ur- und Frühgeschichte entsorgt zu haben glaubt. Und wenn man sich dann einmal so umspürt in der “Welt” genannten Unterdrückung des Lebendigen, da kanns einem schon ordentlich schrugel werden, wie im Schlumperwald. Sollte es zumindest, sofern man sich noch irgendwie anfühlt. Da bekommt gleich auch unserer mundartiger Ausdruck “Heast, gspiast di nu?” seine eigentliche Bedeutung zurück! Das Leben, ein Traum!

neuWas gibt es Neues? Immerhin eignet sich die eigenartige Herangehensweise dieser Sendung ganz vorzüglich dafür, die Wechselbeziehung von Dichtung und Realität oder Phantasie und Wahrheit darzustellen. Wobei zwischen Wahn und Wirklichkeit zwar ein Gegensatz bestehen mag, nur das Gegenteil voneinander sind sie deswegen noch lange nicht! Vielmehr wohl eher zwei Facetten ein und desselben Phänomens: einer unendlich vielschichtigen Wahrnehmung dessen, was ist, war, sein wird, sein könnte, etc. Also die Gesamtheit aller Geschehnisse in den inneren und äußeren Welten unseres Daseins. Doch genug philosophiert jetzt. Her mit den Beiträgen, die wir auch diesmal wieder drei Stunden lang aus der Situation heraus zu einem noch unbekannten Gebilde verschmelzen wollen. Noch besser, mit den Elementen, in denen wir dergestalt umrühren werden, dass aus ihrer spontanen Verbindung wiederum etwas ganz Neues entsteht, wobei dieses Neue naturgemäß auch viel Altes enthält. Oder wie es der als Dichter unterschätzte Der Nino aus Wien meisterlich bernhardesk in einem Lied formuliert hat “Es geht immer ums Vollenden”

vorläufig

Aber hinter dir und vor dir,
doch am meisten noch daneben,
steht der Himmel, stehen die Wolken,
steht die Stadt nur deinetwegen.
Still, versäume nicht zu sagen,
was dir wirklich viel bedeutet
es gibt Menschen, es gibt Freunde,
aber meistens sind es Leute.
Manche sprechen oft von Schönheit,
viel zu oft um wahr zu sein.
Schöne Bücher, oder Tücher,
oder auch ein schöner Reim.
Du willst wissen, suchst die Wahrheit, in dem Buch das einst hier lag,
zwischen Nettigkeit und Schönheit steckt oft mehr als nur ein Tag.

Im Museum siehst du das Bild, in dem mehreres vereint ist,
in dem jeder Strich gemeint ist und nichts einzelnes allein ist.
Und es fließt alles zusammen und erzeugt ein Feuerwerk,
aus der Arbeit der Gedanken und der Farbe, die sie färbt.

 

Wohlfühlfriedhof

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. NovemberDer Tod ist kein Beinbruch oder Schöner Sterben in Salzburg. Zwischen kuscheln und gruseln am Friedhof der Phantasien und Wünsche. Unterhalten wir uns einmal mit den Toten und erleben wir die Auferstehung der verdrängten Geschichte(n). Zelebrieren wir die Poesie der scheppernden Weinheizung in einer nebelschwangeren Novembernacht. Entreißen wir dem Memento mori unserer nazikatholischen Abendlandsheimat etwas lebendige Lyrik – von gegen den Strom des Vergehens andichtenden, sinnsuchenden Selbstmenschen. Lassen wir uns hineingleiten in dieses seltsame Schattenreich aus Erinnern und Loslassen, diese eigenartige Übergangswelt zwischen Sommerlust und Winterschlaf, diesen doch illegalen Grenzwechsel von Tod, Leben und – was?

georg kreislerVor allem sei eines,
sei unzufrieden jederzeit,
denn Gleichmut ist schädlich,
Bescheidenheit macht dick.

Sei zornig, sei giftig,
vertraue nie der Obrigkeit,
sonst bist du verraten,
sonst bricht man dirs Genick!

Georg Kreisler Das Finale

Hier auf dem Aigner Friedhof befindet sich nun die Grabstätte dieses großen Unbequemen, gleich neben der von Rafi Chaimowicz übrigens, was wir ja bereits in unserem Artarium mit dem Titel Schuldig! (über Feindbilder, Judenhass und den Kapitalismus als Religion) beleuchtet haben. Doch auch in dieser Sendung wollen wir Geniales vom Grantgroßvater des Widerborstigen zu Gehör bringen, etwa das oben zitierte vielstimmige Protestlied aus dem Programm “Hurra, wir sterben!”

Wer sich nicht gefallen lässt, dass man ihn schikaniert,
muss es unterstützen, dass die Jugend rebelliert,
ihr seid mit verantwortlich, drum legt euch nicht aufs Ohr,
helft uns mit der neuen Welt, machts besser als zuvor!

gruseligDoch was ist das? Nur einen Steinwurf vom Grab Georg Kreislers entfernt erheben sich sonderbare Silhouetten gegen das Braun dieses herbstlichen Nachtlichthimmels. Riesenhaft wirkende Statuen und Stelen thronen am höchsten Punkt des Friedhofs und verströmen von dort eine unbestimmte, irgendwie unheimliche Atmosphäre

Draußt is koid und drunt is woam,
nua monchmoi a bissl feicht,
und wonn ma so drunt liegt, gfreid ma si,
wonns Groblaterndal leicht…

gruseligerTatsächlich, es ist das wuchtige Grabmal des NS-Lehrers und Organisators der Salzburger Bücherverbrennung Karl Springenschmid, nebstbei noch Autor des Lamprechtshausner Weihespiels, einer textlich üblen, dafür umso schwülstigeren Lobpreisung des Opfertods für Führer und Vaterland, die er aus Anlass der dortigen Schießereien während des NS-Juliputsches 1934 verbrach. Ekelweh!

Auf amoi is di Musi stü,
und olle Augn glänzn
wei duat drübn steht da Knochnmonn
und winkt mit seina Sensn

Recherchen zu den damaligen Ereignissen fördern die Geschichte des von den Nazis noch kurz vor Kriegsende ermordeten Bundesheer-Hauptmanns Franz Rosenkranz zu Tage – sowie die skandalös unbehelligten Nachkriegskarrieren seiner Ankläger und Denunzianten (allesamt üble Hetzer und Schergen), in einem Fall sogar auf Intervention des damaligen Erzbischofs Rohracher. Siehe auch: Stolperstein Franz Rosenkranz Über den dort erwähnten Dr. Stefan Balthasar heißt es andernorts: “…(1938) wurde er leitender Staatsanwalt und verfolgte nun die Repräsentanten der Vaterländischen Front ebenso vehement wie er vorher illegale Nationalsozialisten verfolgt hatte, als er selbst noch Mitglied der Vaterländischen Front gewesen war.” (Hubert Stock, Böhlau 2010)

nazikatholisch

Hier passt Thomas Bernhards Wendung vom “architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden wieder einmal wie die Faust aufs Auge. Und auch: “Die Stadt ist für den, der sie und ihre Bewohner kennt, ein auf der Oberfläche schöner, aber unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche.”

Doch einmal abgesehen von diesen einigermaßen gespenstischen “Zufällen” und Zusammenhängen werden wir uns naturgemäß in der allgemeinen Ambivalenz der Friedhofgefühle ergehen. Denn, so tröstlich es einerseits sein mag, dass die ganzen Arschlöcher tot sind und einem folglich nichts mehr anhaben können, so schmerzlich ist es andererseits, dass die hier an- und verwesenden (man verzeihe mir das sich aufdrängende Wortspiel) Weggefährten bestimmt kein Bier mehr mit einem trinken. Oder ähnliches. So beschweben wir jedenfalls ungeurteilt das Zwiespältige eines Verweilens im Unaufgelösten und assoziieren unser Eigenes drum herum

“Is there a heaven? I’d like to think so!”

Roxy MusicIn every dream home a heartache