Gepflegte Koinzidenz

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Februar – Ein sprachverliebt soundpoetischer Rundflug durch den Chaosmos unserer vielleicht doch nicht so zufälligen Begegnungen. Was berührt uns, was hinterlässt Spuren und stiftet uns zu Eigenem an – sowohl im künstlerischen als auch im zwischenmenschlichen Ausdruck? Welche Aufgaben stellen wir uns selbst, bewusst oder unbewusst, wenn wir ein Thema beackern, eine Textsammlung herstellen, eine Sendung vorbereiten? Und wie funktioniert das, inmitten einer Sprachwelt, die fast nur noch auf das funktionale Übermitteln von Anweisungen und deren Bestätigung ausgelegt ist? Was halten wir den Verschluckungen des alltäglichen Humpftraras entgegen – in unserem verletzbaren Wesen, unserer gefährdeten Kreativität, unserer bedrohten Feinheit?

Norbert K.HundBeim Entstehen dieser Sendung zum Beispiel kommt schon ein recht komplexes Geflecht aus Anstößen und Assoziationen zur Anwendung. Zuerst die Einigung zweier Personen auf das eigentliche Thema, in diesem Fall die „Gepflegte Koinzidenz“. Wie oft beschäftigt uns im Hinterstübchen oder im Keller des Bewusstseins eine bestimmte Überlegung, der wir jedoch, auch bei allem Drängen, noch keine genaue Gestalt zuordnen können. Und dann ruft der andere, der mit uns verbundene Mensch auf einmal an und erzählt von – Musik etwa – päng, schon hat unser Gefühl eine Form, unsere Idee einen Klang und unser Gedanke ein Gesicht. Zeitgleich, ohne von einander zu wissen, haben zwei Verschiedene an einem Gemeinsamen gearbeitet. Die momentane Erkenntnis dieses Vorgangs bewirkt sogleich eine weitere Stufe in der Gestaltung der eigenen Welt – und zwar für beide Beteiligten.

Gedenken SplitterDann die Namensgebung für die drei Stunden – „denkengrenzen, körpernwärmen, seelensplittern“ – sie symbolisiert unterschiedliche Anwendungen des einen roten Fadens, der wieder dem Leitthema innewohnt. In welchen Aspekten pflegen wir also unsere Koinzidenz, unsere Kongenialität, unsere Kooperation? Um uns nämlich durch sie zu schützen – und mit ihr bewaffnet dem allumverschlingenden Einheitsbrei der niedersprachlichen Funktionäre und ihrer ferngesteuerten Funktionswichtel entgegen zu treten. Denn Inseln zu stiften und zu bewahren für eine zweckfreie Sprachkunst diesseits der kommerziellen Gefälligkeit, das ist wohl bitterer nötig denn je, wo ringsumher eine erfolgsorientierte Beschleunigung sonder gleichen im Interesse gottähnlich bestaunter Großkopfzerne alles verspielt Schöpferische schon in den kleinsten Kindern auszumerzen trachtet.

Christopher SchmallUnd auch das Zustandekommen der Wortbeiträge und Musikstücke für ein immerhin dreistündiges Programm, das nicht festgeschriebene Wissensvermittlung sein will, sondern vielmehr Hörwelt, Kopftheater – und Überraschung, auch für uns! Wie viele eigene Entscheidungen und gegenseitige Einflüsse stecken hinter der Auswahl der vorzutragenden Textbeispiele. Und welch eine thematische Dichte erwächst aus dem dazu stimmigen Sound, wenn er spontan aus der jeweiligen Situation des Gesprächs heraus eingespielt wird. An diesem Punkt endet der Plan – und das Leben geschieht. Hören wir also SpokenWord von Georg Danzer, Franzobel, Ludwig Laher, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker – sowie Christopher Schmall, der seinen als Work in Progress entstandenen Gedichtband „seelen.splitter“ vorstellt. Lassen wir uns unsere Zeit nicht stehlen – denn nur allzu schnell sind wir sprachlos gemacht – und gehen schweigend unter!

Wir sind ein geiles Institut. Und wir haben Klang
😀
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November

> Sendung anhören: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. November – Passend zur Jahreszeit zwischen Allerheiligen und Adventanfang befrachten wir uns in dieser Sendung mit allerlei Zwischenzuständen von Licht und Dunkel, Nacht und Nebel, Tod und Leben. Dabei begleiten uns Gedichte und Prosatexte von Georg Trakl, des wohl radikalsten Salzburger Totalverweigerers staatsbürgerlicher Pflichtbestimmung. Sein ebenso selbst gewählter wie ihm auch aufgezwungener Tod, schon kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, ist untrennbar mit dem 100-Jahres-Gedenken an diesen Wahnsinn verknüpft – und wird doch leider oft nur als individuelles Scheitern verstanden! Wir wollen daher einige Facetten seines Lebens und Wirkens nochmals eingehender betrachten, als uns dies im Rahmen einer knappen Artarium-Themenstunde möglich war. Die Sendung  „Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor“ ist hier online verfügbar.

NovemberUrsprünglich sollte diese Nachtfahrt einfach nebelig und soundverhangen werden, ein wechselvoller Aufzug von düsteren, seltsamen, aber auch tröstlich wärmenden, anheimelnden Musikstimmungen, die wir einander dann mit entsprechenden Wortbildern garnieren würden. Dann kam jedoch die recht intensive Beschäftigung mit Georg Trakls zutiefst ambivalentem Sprachschaffen dazwischen – oder, besser noch, hinzu. Et voilá! 🙂 Tauchen wir den irrlichternden Taumel dieses von Wort zu Wort gehetzten Sinnsuchenden einer untergehenden Epoche als roten Faden in unser spätherbstliches Gefühlsdestillat und harren wir der kommenden Kristallisierungen. Von Sehnsucht und Schrecken, von Sexualität und Strenge, von Selbstangst und Schuld wird da zu hören sein, von rauschhaften Visionen, von Weltüberdruss und Zerstörung. Doch darin auch immer vom Ahnen, Ringen und schließlich Wissen um ein Ganzes, ein mögliches Heiles – inmitten des durch dünne Haut spürbaren Unheils.

Totengedenken„Am Heimweg traf er ein unbewohntes Schloß. Verfallene Götter standen im Garten, hintrauernd am Abend. Ihm aber schien: hier lebte ich vergessene Jahre. Ein Orgelchoral erfüllte ihn mit Gottes Schauern. Aber in dunkler Höhle verbrachte er seine Tage, log und stahl und verbarg sich, ein flammender Wolf, vor dem weißen Antlitz der Mutter. O, die Stunde, da er mit steinernem Munde im Sternengarten hinsank, der Schatten des Mörders über ihn kam. Mit purpurner Stirne ging er ins Moor und Gottes Zorn züchtigte seine metallenen Schultern; o, die Birken im Sturm, das dunkle Getier, das seine umnachteten Pfade mied. Haß verbrannte sein Herz, Wollust, da er im grünenden Sommergarten dem schweigenden Kind Gewalt tat, in dem strahlenden sein umnachtetes Antlitz erkannte. Weh, des Abends am Fenster, da aus purpurnen Blumen, ein gräulich Gerippe, der Tod trat. O, ihr Türme und Glocken; und die Schatten der Nacht fielen steinern auf ihn.“ (Georg Trakl, aus „Traum und Umnachtung“)

WasserlichtUnd wie ergeht es einem jungen Menschen heute, nach 100 Jahren abendländischer Kulturgeschichte, auf der Suche nach Selbstausdruck und Übereinstimmung? Finden sich überhaupt noch Zwischenwelten diesseits der Verwertbarmachung – von auch noch dem allerletzten Gefühlsrülpser? Welche Drogen muss einer im Jahr 2014 zu sich nehmen, um den aktuellen Weltkrieg noch halbwegs zu ertragen? Den Eroberungsfeldzug der Etablierten auf Kosten der Zukurzkommenden? Den Ausverkauf aller Phantasien und Ideale – im Namen des Konsums, der Leistung und des Wirtschaftswachstums? In Ewigkeit, Amen! So viel hat sich in den 100 Jahren des Fortschritts und der Zivilisation dann halt doch nicht geändert, stellen wir betroffen fest. Die einige Dreiheit daherbehaupteter höchster Werte heißt nicht mehr Gott, Kaiser, Vaterland, sondern je nachdem Geld, Investor, Marktanteil. So what? Same Shit as ever! Doch ab 22 Uhr wird jetzt zurück geschissen… 😉

 

Auf der Flucht (Norbert)

  > Sendung anhören: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. September – Flucht und Vertreibung einmal etwas anders betrachtet als aus dem Blickwinkel aktueller Berichterstattung oder engagierter Migrationsstatistik. Wir alle kennen die Bilder der vor Lampedusa ertrunkenen oder gerade noch so mit dem bloßen Leben davongekommenen halbverhungerten Habenichtse aus den Abendnachrichten. Oder die fast schon endlos wiederholte Darstellung von Displaced Persons, KZ-Überlebende wie Heimatvertriebene, etwa aus den Geschichtsdokus von Hugo Portisch bis Guido Knopp. Ganz zu schweigen vom mittlerweile zu einer medialen Ikone des 20. Jahrhunderts gewordenen Foto, das ein weinend flüchtendes, durch Napalm verbranntes Mädchen im Vietnamkrieg zeigt. Was wir da jeweils zu sehen bekommen, das prägt unsere Erinnerung ans Weltgeschehen.

Erinnern Verstehen 1Wie aber verhält es sich mit unseren eigenen Geschichten? Jenen, die wir selbst bebildern, darstellen, erzählen können? Bei denen die Kommentare von uns selbst gesprochen – und die Zusammenhänge von uns selbst hergestellt werden? Die weichen oft stark von allgemeiner Geschichte ab – und auch davon, woran wir uns so zu erinnern glauben. Können wir etwas dazu beitragen, dass solche persönlichen Lebens- und Familiengeschichten nicht nur in der Erinnerung bewahrt bleiben, sondern darüber hinaus als ebenbürtige Elemente kollektiver Geschichte in Erscheinung treten? Dies ist die Fragestellung der dreistündigen Sendung rund um das Thema Flucht und ihre jeweiligen Anlässe und Auswirkungen – aber auch einem damit verbundenen dauernden Unterwegssein. Und zugleich unser Beitrag zum EU-Projekt „Memory under Construction: Giving Voice to Forgotten Memory“, einer 2-jährigen Grundtvig-Lernpartnerschaft unter Mitwirkung der Radiofabrik zu Salzburg. Wir finden das Konzept des emotional-assoziativen Zugangs zur Atmosphäre des Flüchtens besonders geeignet, derartige Fluchtgeschichten möglichst unverstellt zu erleben.

Erinnern Verstehen 2Daher wenden wir unseren Blick zunächst von heftigen Bildern und damit verbundenen Schicksalen ab. Stattdessen spüren wir ins Innere und Ungewisse des fremdbestimmten Nomadentums unserer Gesellschaft und suchen nach den Ursachen für das unfreiwillige Unstetsein inmitten von Heimat und Überfluss. Lassen wir dazu Autoren vom respektablen Literaturprojekt Denk ich an Heimat der Straßenzeitung Apropos zu Wort kommen, oder Hans Rauscher (nein, nicht der Journalist) vom bestechenden Musiksampler Über den Wolken, unter der Brücke der Wiener Augustin-Redaktion. Erzählen wir selbst die Geschichte(n) von entwurzelten Angehörigen, von äußerem Druck und innerer Unruhe, von der heimlichen Brutalität des „normalen“ Alltags, von Anpassung, Auflehnung und angemaßter Autorität. Vom Hunger nach Gerechtigkeit, vom Verzweifeln an den Verhältnissen, vom Bedrohtwerden der eigenen Existenz, vom Auswandern in die innere Emigration. Von dir und von mir und von uns. Und von der Hoffnung, die bis zuletzt nicht sterben will! Denn das macht uns zu Menschengeschwistern, dass wir miteinander teilen, was wir erleben, einander mitteilen…

„…bald sah er aus wie viele, die zur Wanderschaft gezwungen sind, weil sie kein Heim haben oder keines wollen. Weil sie keine Ruhe finden, oder weil sie sich ein Ziel gesetzt haben, das mehr ist und ferner als irgendein Ort auf dieser Erde, auf der sie nur unstete Wanderer sind – wie wir alle.“  (Joseph Roth – Tarabas. Ein Gast auf dieser Erde)

> Zu diesem Thema gibts auch einen Artikel vom Chriss 😉

> sowie zum Nachhören die einstündige Zusammenschau

 

Schlafens Brüder

> Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Juli – Schlafen, träumen, verwandeln – so selbstverständlich uns das auch erscheint, so unerforscht bleiben doch die einzelnen Vorgänge und Zustände jener eigenen Zwischenwelt, die wir da allnächtlich durchreisen, um anderntags überrascht wiederbelebt aufzuerstehen. So selbstverständlich sind uns die versammelten Übergänge von dem einen in immer noch andere Unterbewusstseinsformen, dass wir sie erst dann wahrnehmen, wenn sie uns abgehen – oder anderweitig in Schräglage geraten. Schlaflosigkeit, Schlafsucht, Schlaftrunkenheit, Schlafwandlerei – alles Phänomene, die den Geist so gründlich in bewusstseinsandere Sphären versetzen, wie das sonst nur erhebliche Portionen schwindelerregender Anwendungen vermögen – in der Gestalt des Rausches.

Schlaflos in SalzburgWollen wir hier also nunmehr der Phänomenologie schlafverwandter Inzwischenheit wissensgschaftlich zu Leibe (oder zu Traumgestalt) rücken? Keineswegs, das sei sehr, sehr ferne von uns! Viel zu vertraut ist uns doch das Traumtänzerische der „blauen Stunden“, in denen oft das Phantastische ins Festgefügte hineinragt – auch eins ins andere übergeht, unmerklich sich mischend und doch immer getrennt, in zauberhafter Berührung verwandter Verschiedenwesen. Wie immer man diesen Aggregatzustand des Seelenerlebens bezeichnen möchte – als kreatives Vakuum, schöpferischen Prozess, visionäre Befruchtung – er entzieht sich seiner physikalischen Fassbarkeit ebenso wie unserem beschreibenden Zugriff. Er oder es oder sie bleibt zwischen dem Gemeinsamen inmitten der Gegensätze unerkannt unterscheidbar wohnen als flüchtiger Moment möglicher Begegnung von Tag, Nacht und…

Freundschaft…Inspiration beim Formulieren, tastendes Suchen nach einem verlorenen Begriff, Aufregung über das Aussterben der Idealisten, Träume von einer besseren Welt, gestohlene Ideen und Identitäten, entgleiste Assoziationsketten, versunkenes Nasenbohren und unendliche Müdigkeit, gleichzeitig da – und doch woanders sein, müssen, sollen und wieder nicht wollen dürfen, entrückt, versetzt, zerbrieselt, im Aufschwung zum Ausguss stürzen, kilometerschwer hintangedrückt, fallend im Liegen flattern, von schlaf kunnst, erst, mehrmals, nichts, lohnender Abgrund, die Verschiebung der Perspektive auf morgen, bleizeitig Kaffee trinken, ringsüber zu Wort kommen, nieweder zur Geltung, Hirndrang verspüren, sich Beleichterung erschaffen, frei sein – und langweil ich, entoder wer, na von froh herein, zum zweiziegsten Mal, in Luft tauchen, traumreich, schlaftrunken, nachtwach…

 

Ein Fest der Liebe

> Download: Nachtfahrt der Perlentaucher im Dezember 2013 (Part 1) und/oder Nachtfahrt der Perlentaucher im Dezember 2013 (Part 2) – Ein feuchtfröhlicher Seelenstriptease durch alle 24 Fenster des Adventskalenders. Wir öffnen eins nach dem anderen und uns/euch einander Aussichten und Einblicke hinter die verchristlichte Betriebsamzeit dieses stilldunklen Übergangs vom Friertod ins Neuleben. Freilich zaubern wir dabei auch Verborgenes hervor, längst vergessen Geglaubtes, vielschichtig Verwobenes oder überhaupt vollkommen Verrücktes. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird – aber irgendeinen dramaturgisch roten Faden braucht es halt immer, auf dass sich all unsere konfusen Mitbringsel daran zu mitteilender Gestalt kristallisieren. Alles weitere werden wir erleben, hören, sehen, spüren. In diesem Sinne „Keine Macht der Seistaadsgewalt!“ und „Wir sind ein geiles Medium…“

Schnaitl SpiritIch weiß nicht, seit wann dieses Bild dort schon herum hängt (aber es kommt mir vor, als wäre es mindestens eine Ewigkeit) oder wer es überhaupt gemalt hat (auf jeden Fall ist es saugut und verkörpert für mich den Spirit jenes Ausnahmelokals, das seit den späten 80ern dem „etwas anderen Publikum“ in Salzburg Herberge bietet). Beginnen wir also hier diesmal unsere Adventreise. Man sollte eh viel öfter mal wieder ins Schnaitl schaun! Eine jener Perlen, die ich unlängst entdeckt habe, ist übrigens der Song „Gilead“, den der sonst aberwitzig schnellsprechende und -singende Rainald Grebe über seinen 15-monatigen Zivildienst in einer deutschen „Nervenheilanstalt“ gemacht hat – oder besser, über die Stimmen der dort von ihm angetroffenen Insassen, Patienten, „Verrückten“ (und was ist bitte „normal“ ??) – sehr betroffen, sehr innerlich – und eben unaufgelöst. Hier schon mal ein Textauszug:

am eingang, an der pforte saß ein mann, der war schon alt.

„treten sie ein, ich bin der förster vom silberwald. ich wünsche ihnen einen schönen arbeitstag. und jetzt stecken sie ihren penis nach links. das linke hosenbein ist weiter, hat ein weiser schneider gesagt.“

wahnsinn, wahnsinn, wahnsinn, wa-wa-wa-wa-wa-wahnsinn.
wahnsinn, wahnsinn, wahnsinn, absurdes theater.

„gott sei dank – ich bin entmündigt! fotze fotze fotze fotze fo…! na, verhaften sie mich doch! fotze fotze! die gedanken sind frei!“

manisch heißt konkret, dass du sieben tage nicht mehr pennst. sie betreten den platz des himmlischen friedens und landen in der wannsee-konferenz.

und als ich ging, da war ich guter dinge. ich vergess‘ euch nie, ich steig jetzt in mein boot. und ich hab gesagt, ich will immer für euch singen. mein katamran steht vor der tür und der ist feuer-, feuerrot. gilead…

Hinter der FassadeDerlei bedenkend ergeht es einem kaum besser mit anderen ausgelöschten Existenzen, auf deren Luftgräbern diese Stadt aufgebaut wurde – und immer noch wird! In dem Zusammenhang sei an ein Salzburger Musikprojekt erinnert, das wie kein anderes den hierorts herrschenden Gewaltsinn der Gleichgültigkeit in Liedern und Texten darstellen – und somit entlarven konnte: Rotz! 😉 Eine Band, die besagte Ausnahmequalität in den Jahren ihres vierköpfigen Auftretens (und bei ihrer Teilnahme am FM4 Protestsong-Contest) in einem solch erheblichen Ausmaß erreichte, dass wir hier schon von einer (längst vermissten und schlechterdings für unmöglich erachteten) „Salzburger Schule“ des Sehens und Aussagens sprechen müssen – zumal die Rotz’schen Songstrukturen nie nachgebastelt wirken, sondern stets eigensinnig selbsterdacht daher kommen. Auch hierzu ein Textauszug aus Faule Wörter:

Ja dein Urteil kennt keine Gnade
Deine Botschaft hat viel Biss
Dabei weißt du doch genau
Nichts ist für immer, nichts gewiss
Ich sehne mich nach dem in dir
Der nichts beweisen muss
Weil wir alle Schatten sind
Und gar jämmerlich zum Schluss
Und du siehst mir in die Augen
Doch du erkennst mich nicht
1000 Welten voneinander entfernt
1000 Wörter – und jedes sticht

Faule faule Wörter

Du spuckst auf deine Liebe
Nennst dich selbst Rebell
Du kennst die beste, neue Mode
Mit deinem Urteil bist du schnell

Bruder komm befreie mich
Mit deinem zarten Kuss
Weil wir sonst Schatten bleiben
Und Idioten bis zum Schluss

Faule faule Wörter

Noch Fragen? Dann einfach einschalten, mitleben, zuhören… 😛 Und keine Angst – das Witzige am wirklichen Frohsein ist ja doch, dass es unvermittelt aus den Trümmern des Abgrundstürzens auftaucht. So auch in dieser Sendung, versprochen! Tjo, tjo, tjodürü… Und jetzt Muuuuuuuh!

 

Dichterwerdung… (Norbert)

Stream/Download: Nachtfahrt der Perlentaucher vom Freitag, 9. August – Eine Sendung über die Faszination der Sprache, über das Dichten und immer noch dichter werdende Verdichten, über das Wachsen und Werden von Ausdrucks-Weisen – und überhaupt über uns und unsere Wortwelten, in die wir uns verliebt verlieren. Dichterwerdung ist dabei sowieso ein Ausnahmeausdruck, beschreibt doch gerade seine Doppelbedeutung jenseits sprachkünstlerischer Reifung oder schriftstellerischer Karriere eher einen Aggregatumstand zunehmender Innenweltverwandlung. Da sind Dichtheit und Dichtung also durchaus nicht nur etymologisch artverwandt, zumindest was die Veränderung des Wahrnehmens anbelangt. Was allerdings das schöpferische Einwirken auf seine Mitmenschen betrifft, da kann es dem Dichter ab einer gewissen Dichtheit schon zur Implosion geraten. Doch Dichtheit umgibt uns ja auch noch anderweitig. Daher diesmal mein Plädoyer für einen eher revolutionären Umgang – vor allem mit Sprache 😉

Abendkonsum„Das kann kein Film, kein Buch, keine Musik – und keine Droge – die Welt verändern.“ So tönen sie alle heutzutage, die damals die politisch-psychedelische Aufbruchstimmung mitgeprägt haben und mittlerweile wohlbestallt als Autobiographen, Ex-Terroristen, Musikkritiker oder Verlagsleiter ein Teil jener globalen Unterhaltungsindustrie geworden sind, deren Ausbreitung sie damals so vehement bekämpft hatten – und von deren reichlicher Dividende sie nunmehr so angenehm leben. Könnte ja durchaus sein, dass sie sich einfach haben einkaufen lassen. Dass sie sich ihre abgebrüht wirkenden Statements recht gut versilbern und vergolden lassen. „Das ist eben so. Die ganze Welt ist ein Markt. Man muss halt schauen, dass man im Geschäft bleibt. U.S.-Imperialismus, Coca-Colonialization, die kulturelle Hegemonie, ein Naturgesetz.“ Mediale Präsenz, Umsatzzahlen und Einschaltquoten, marketingmechanisch werbungskünstliche Aufmerksamkeitserregung in einem Meer massenideologisch gleichgeblödeter Kaufkasperln, Konsumidioten, Kulturverbraucher. – Das sind doch genau die Parolen der herrschenden Wirtschaftsreligion – das ist doch die nächste „Big Lie“ nach Augustinus, Luther und Goebbels – dass nämlich die Welt als Ganzes „endverbrauchbar“, also auftragsgemäß aufzufressen sei. Und Mahlzeit!

OpferweisheitDoch drehen wir den Spritz einfach wieder um – ins Majim. Wie sagt das alte jüdische Sprichwort und Motto der in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrten Listenschindler und Flüchtlingsverstecker: „Wer einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“ Und seien wir uns ehrlich – haben die nicht auch die Welt verändern wollen? Denn wenn nicht, dann hätten sie ja wie viele andere in der Mitte der Gesellschaft auch brav Ja, Amen und Heil Hitler gesagt und weiter mitgemacht bei der Ausrottung der Andersseienden. Es gibt kein menschliches Werk – egal ob in Taten, Worten oder Liedern (geschweige denn Filmen) – das von irgendwelchem Interesse sein könnte, nämlich im Sinne einer Beförderung der Entwicklung zur Menschlichkeit – außer ein solches, das aus dem elementaren Verlangen nach Veränderung der Welt entstanden ist. Kein menschliches Werk ist von irgendwelchem Wert für seine Mitmenschen – seien es Zeitgenossen oder kommende Generationen – das nicht aus dem tiefen Bedürfnis nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse zum Friedlicheren, zum Gerechteren – also zum Besseren – geboren ist. Diesen Umstand abzulehnen, auszublenden, ihn durch welche Verdrängung auch immer zu verneinen – ihn durch bloße Nichterwähnung außen vor zu lassen – das ist im Grunde schon ein Kapital(aha!)verbrechen – nämlich das Verbrechen des Verschweigens.

VerwandlungWenden wir den obigen Spruch doch einmal auf die Motivation zum Kunstschaffen – und auf die Motivation zum Kunstgebrauch an – dann würde er wohl heißen: „Wer eine einzige Welt (etwa die eigene) verändert, der verändert auch die Welt im Ganzen.“ Wer also dichtet, singt und spielt, sich selbst auf- und anderen etwas vorführt, um so die Welt zu verändern, der verführt seine Leser, Hörer und Zuschauer ebenfalls dazu, in eine sich verändernde Welt einzutauchen – und ihre eigene Welt als durchaus veränderbar zu verstehen. Und dieser Prozess vermag den inneren Wert von Veränderung auch in die Welt da draußen zu befördern. Da ist nämlich kein Unterschied zwischen Innen- und Außenwelt – und es gibt einen direkten und kausalen Zusammenhang zwischen Phantasie (der Vorstellung von der Welt, wie sie sein könnte und eigentlich sein sollte) und Realität (der Wahrnehmung unserer gemeinsamen Welt, wie sie durch handelnde Personen gestaltet wurde) – auch wenn das Gegenteil dessen andauernd und mit aller verfügbaren Geldgewalt wiederkäuend behauptet wird, ein Umstand, der übrigens keine Aussage jemals „wahrer“ gemacht hat – allerbestenfalls „geglaubter“ – bis hin zur alternativlosesten Mehrheitsfähigkeit.

 

Dichterwerdung und Sprachfaszination (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. August verdichtet sich zu einem dichten Gedicht, welches die Dichtheit der Sprache auf dichterische Weise abdichtet und sich fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten der Dichtung in eine Textase stürzt, die dichter nicht sein könnte! Zumal es endlich wieder an der Zeit ist der Sprache zu huldigen und sie gleichzeitig in ihre Einzelteile zu zerlegen, neu zu formen, sie umzugestalten und kreativ mit Wörtern zu spielen! Also, willkommen im Einmachglas der Möglichkeiten! 😀 

blätterfallenWir wachsen so selbstverständlich mit der Sprache auf, dass uns teilweise gar nicht mehr auffällt, wie zauberhaft und magisch sie sein kann. Sie kann Welten öffnen -fantastisch und traumhaft; sie vermag es aber auch uns zu verletzen, hässlich zu sein, widerlich und ekelerregend. Sie ist unendlich weit, farbenfroh und so facettenreich; dennoch stoßen wir hin und wieder an ihre Grenzen. Sprache kann wirklich sprachlos machen. Manchmal verschlagt es uns die Worte, wir können nichts mehr sagen, bringen keinen Satz mehr hervor, als hätten wir verlernt zu sprechen…

Ich als Dichter lebe von ihr. Ich liebe und ich hasse sie; und bin auf sie angewiesen. Es ist schon merkwürdig wie ein Wort den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann. Es ist ein ständiges Abwiegen, ein andauerndes Überlegen und Feilen, eine Arbeit, eine Beschäftigung, die niemals aufhört, immer weiter geht. Ich bin im Bann der Worte. Und kann doch über sie bestimmen! Ich glaube, es ist eine Art Symbiose. Ohne Worte könnte ich nicht meine Gedanken nieder schreiben und ohne mich blieben sie nur seltsame Hieroglyphen…

Ich werde versuchen mich der Sprache anzunähern, doch sie wird sich mir wohl nie ganz erschließen. Es ist ein Mysterium, genauso wie die Zeit. Sprache verbindet und Sprache unterscheidet. Sie stiftet Missverständnisse und schließt Freundschaften. Sie lebt und verändert sich unaufhaltsam. Genauso wie wir Menschen, denn wir lassen sie erst lebendig werden, hauchen ihr Magie ein und sollten sie auch vor Verfall und Zersetzung bewahren. Denn ich glaube immer noch und mehr denn je, dass Worte zaubern können.

 

Woher Wohin (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli begibt sich auf die Reise. Wiedereinmal und umso mehr. Es wird Zeit aufzubrechen, wegzugehen, sich selbst kennenzulernen. Es wird Zeit sich zu fragen: „Wer bin ich und wo komme ich her?“ Wir begeben uns auf die Suche nach unseren Wurzeln, unseren Ursprüngen. Und dies sicherlich nicht ohne ein Augenzwinkern 😉

Meine Reise begann eigentlich mit dem Gedanken an dieselbe. Zunächst war es noch der Jakobsweg mit seiner Jahrhunderte alten Tradition des Pilgerns. Ich merkte, dass ich meinen eigenen, ganz persönlichen Weg zeichnen wollte, der auch wirklich etwas mit mir zu tun hat. Und so fing ich an eine Route zu planen, die mich zu besonderen Orten, zu heiligen Orten der Kelten führen sollte. Doch drei Wochen alleine, zu Fuß? Innerlich stellten sich mir die Haare auf und ich änderte schließlich abermals meine Pläne… Eine Reise verwandelt sich in viele Besuche, in ein- und mehrtägige Ausritte in die Natur und zu Plätzen denen seit jeher eine besondere Bedeutung innewohnt. Ich werde auf alten Pfaden wandern, sehen was Generationen vor mir sahen. Ich werde ein Wanderer sein. Ein Wanderer der mit neu geöffneten Augen durch die Welt schreitet und immer auf der Suche bleibt.

Wer?Ich fühle mich lose. Irgendwie heimatlos. Ich weiß nicht wirklich wer ich bin, was ich hier eigentlich zu suchen habe, wo ich hin gehöre… Ich beginne gerade mich auf die Reise zu machen… Ich will weg! Weg von Salzburg! Weg von Zuhause! Weg von den Straßen, deren Namen ich kenne! Weg von den Gebäuden, deren Anblick mich anwidert! Weg von den barocken Kirchen, Lustgärten und den ewig-gestrigen maskierten Nazis, die alles Andersdenkende versuchen auszurotten! Ja, mir ist schon bewusst, dass ich mich diesen Mechanismen und gesellschaftlichen Standards nicht völlig entziehen kann, aber ich muss raus! Ich möchte andere Landschaften sehen, andere Leute und Dialekte kennen lernen. Ich möchte zumindest temporär fliehen. Und sei es nur für einen Tag…

Wohin?Also, wohin geht die Reise? Jetzt, da sich mir ein ungeahntes Zeitfenster anbietet, in dem ich unabhänging sein und frei gestalten kann. In dem keine Pflicht ruft und niemand sich die Chef-Krone aufsetzt und anschaffen lässt. Keine tagtägliche  Selbstvergewaltigung in die lohnbüroarbeitsabsterbenden Räume einer unmenschlichen Welt, sondern befreit atmen und Gedanken verdichten zu leuchtenden Farben, die mich in das Jetzt des nächsten Augenblicks rufen! Doch wohin werde ich gehen? Eigentlich egal… Der Weg ist das Ziel. Oder wie der chinesische Philosoph Lao-Tse sagte: „A good traveller has no fixed plans, and is not intent on arriving.“

woherDenn Pläne müssen sich ändern dürfen! Wenn man zu sehr an einer Vorstellung oder einem Konzept festhält, erstarrt man und wird unflexibel, unbeweglich, unvorbereitet auf Dinge die man nicht beeinflussen kann! Und im Endeffekt bleibt man enttäuscht auf dem kalten, nassen Boden der Erkenntnis sitzen… Wenn man allerdings die Planung etwas lockerer und offener angeht, sich einlässt auf Neues und vielleicht alles Bisherige auf den Kopf stellt, können sich einem Bilder, Begegnungen und Abenteuer eröffnen, die man niemals erahnt hätte. Ich halte die Naivität des Kindes sehr hoch und wenn ich durch eine Stadt gehe, öffne ich Augen, Ohren und Hände für die kleinen Details, die unbeachteten Facetten, die schwer wahrnehmbaren Zwischentöne, die Energie der Bewegung, das Unerwartete. Ich bleibe im Fluss, der sich stetig wandelt, der sich immer verändert. Ich bleibe unterwegs. Ich höre nie auf zu wandern. Ich höre nie auf zu entdecken. Ich höre nie auf zu suchen.

Meine Reise begann eigentlich mit dem Gedanken an dieselbe. Und mit meiner Auseinandersetzung mit mir selbst und meinem Leben, meiner Herkunft, meiner Zukunft. Ich schrieb einen Text und erkannte etwas sehr wesentliches: Je weniger ich weiß woher ich komme, desto weniger weiß ich wohin ich gehen möchte. Und dadurch bleibt mein „Eigentliches Ich“, der Mensch in mir, der nur darauf wartet geweckt zu werden, weiterhin im Dunkeln. Ich mache mich also auf die Suche nach meinen Wurzeln, meinem Stamm, meinen Ästen und Blättern, und folge unsichtbaren Wegen, die mir ein tieferes Verständnis für Mutter Erde lehren, eine tiefere Verbundenheit zur Natur zeigen, eine tiefe Bejahung meiner Selbst befördern und mich erkennen lassen, dass ich lebe.

 

0613

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Juni – Nur eine Nummer? Nicht wirklich. Doch unseren recht zeitaufwändigen Arbeiten am Marko Feingold Projekt (Interviews) nebst dem abschließenden 2-stündigen Zeitzeugen-Portrait sei es diesmal gern geschuldet, dass wir uns hier nicht auch noch für ein assoziativ sprachkreatives Thema entscheiden wollten. Nein, in aller Unbenanntheit sollen Musik- und Textbeiträge einander abwechseln und sich so wie von selbst zu einem roten Faden verzwirbeln, der durch die noch zu erfindende Geschichte führt, deren Titel sich dann – vielleicht – ganz am Schluss wie von selbst ergibt. Insoweit wir uns darauf einen Reim zu machen verstehen – oder aber auch nicht. Jedenfalls werden wir nach diesen 3 Stunden wieder Klang- und Wortwelten durchreist haben, die sich so noch nie zuvor ereignet haben. Und wir werden um eine Nachterfahrung reicher sein, unbeschadet…

Auch wenn ich gemeinhin nicht auf den Mund gefallen bin und böse Zungen sogar behaupten, selbigen müsse man nach meinem Ableben noch separat erschlagen – es gibt durchaus Situationen, in denen es mir bustäblich die Rede verschlägt und ich nachhaltig verstumme. So erging es mir zum Beispiel mit den dreieinhalb Stunden Tonmaterial, das wir in der Woche vor seinem 100. Geburtstag an zwei aufeinander folgenden Nachmittagen mit Marko Feingold aufgenommen hatten – und dessen Aufbereitung und Veröffentlichung mir anschließend oblag. Ich kann euch jedenfalls eines sagen – die detaillierte Geschichte eines solchen Überlebens von fast 5 Jahren Nazi-KZ-Terror anhörend mitzuerleben und dann nach Hause zu gehen, das ist eine Sache. Die selbe Geschichte aber danach wieder und wieder anzuhören, stundenlang und über mehrere Nächte verteilt, beim Zusammenstellen und Schneiden, beim Bearbeiten und Auszüge auswählen – das ist nochmal ein ganz anderer Abgrund. Du kannst plötzlich nicht mehr ausweichen, stehst fassungslos fühlend inmitten all der absurden Brutalität und weißt nicht mehr so richtig, wo die Geschichte anfängt und deine Person aufhört. Zuletzt hatte ich schon einigermaßen bizarre Albträume – unter anderem reiste ich von einer KZ-Gedenkstätte zur nächsten und wurde überall im Zuge der jeweiligen Museums-Neugestaltung zur Weinverkostung eingeladen. Dachau-Wein, Mauthausen-Wein, Buchenwald-Wein, Auschwitz-Wein, jede Mahnmal-Betreiberfirma hatte ihre eigenen Gedenk-Bouteillen im Programm. Mitten in so einer degoutanten Degustation (ich glaube, ich betrank mich allein schon aus Überforderung zusehends) wuselte plötzlich ein kleiner weißhaariger Mann quer durch uns peinlich Berührte und rief empört: „Ich war aber in Auschwitz! In Auschwitz hat es nie Wein gegeben!“

Auch den Chriss hat die Beschäftigung mit Marko Feingolds erlebter (und mitfühlbar gemachter!) Geschichte offensichtlich erschüttert. Man konnte seine Verstörung mitunter fast schon mit den Händen greifen, so etwa auch bei seinem letzten Auftritt im Literaturhaus zum Thema „Von Menschen und Unmenschen“ – Doch wie schön und erfrischend ist das eigentlich, wenn man jemand seine innere Bewegtheit noch abspüren kann! Vor allem bei einer öffentlichen Lesung, wo einem sonst hauptsächlich gut eingeölte Funktionsprofis entgegen quellen. Oder halt von der Formvollendung ihres Auftretens derart Vereinnahmte, dass sie es darob versäumen, die Perfektion ihrer Pose hinreichend mit Poesie auszufüllen. Aufmarsch der Klassengesellschaft! Hmm – welch neugestaltes Machtunrecht schleicht uns da schon wieder von hinten ins Haus – dessen Vordertür wir soeben gründlich gegen die „alten“ Nazis verrammelt haben? Wir möchten euch dazu noch einmal unsere gesammelten Beiträge zu Marko Feingolds 100. Geburtstag ans Herz legen – vier Interviews/Erzählungen und zwei Sendungsaufzeichnungen. 😉 Doch lassen wir das jetzt – und uns mit einem Gedicht vom Chriss auf diese Nacht ein:

Körpersingen

Die Sonne stirbt vor unseren Augen. Das Meer erwacht. Der Wind leitet unsere Gedanken. Wir brauchen kein Licht um uns zu erkennen.

Umarmung. Tief wie Wurzeln. Umfassen wir einander. Du flüsterst mir zu. Ich werde zu Wachs. Du wirst zu Honig. Gemeinsam verlieren wir die Zeit und die Sinne.

Mein Blick wird dir Boden. Auf dem du lebst. Auf dem du atmest. Meine Wurzeln werden dein Bett. Du schläfst in meinem Anfang.

Deine Stimme wird mir Haut. Ich kleide mich in deine Worte. Schließe mich ein in deinen Herzschlag. Male uns eine Welt mit deiner Berührung.

Wir können versinken wenn wir es wollen.

Wir sind frei zu leben.

Wir können uns fallen lassen.

Ins Jetzt.

-> Zum Auftauchen gibts dann das ganze Album „Jiddische Lieder“ von Zupfgeigenhansel

 

D.I.Y.

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. April – diesmal rund ums Thema D.I.Y. oder explizit „Do It Yourself“ – wobei wir jetzt aber gewiss nicht die Industrialisierung des Heimwerkertums durch Bastelshops und Baumärkte beleuchten wollen, nein – ganz im Gegentum. Wer sich mit uns zusammen in die Begrifflichkeiten von D.I.Y. als Konzept kritischer Kunst- und Aussageproduktion einleben möchte, dem sei hier zunächst der ausgezeichnete Dokumentarfilm Noise and Resistance empfohlen (der sich wohl immer wieder unter wechselnden Links in unser aller Internet finden lässt) 😀 Und nachdem wir bekanntlich auch nicht die Hilfsprediger irgendwelcher Welterklärer sind, sondern durchaus die Spielfreunde der Selbstgestaltung im Kunnst-Biotop der unendlichen Möglichkeiten, könnt ihr in diesen drei Stunden ja auch selbst auf Entdeckungsreise gehen. Willkommen im kreativen Vakuum! Hören sie genau hin…

verschwindenWir haben Musik und Spoken Word Beiträge vorbereitet, aus denen sich der Impuls zum kreativen Selbermachen immer wieder heraus hören lässt – auch wenn es sich zum Teil um Werke von inzwischen nicht nur kommerziell höchst erfolgreichen Künstler_innen handelt. Und doch unterscheiden sich gerade diese oft auf wohltuendste Weise vom allumbrodelnden Einheitshype geldquetschender Berechnung. Was haben sie nun also gemeinsam mit den anderen Beispielen aus unserem Radiofundus, etwa den spontanen Gastauftritten und nächtlichen Aufnahmesessions aus jugendlicher Schaffensfreude? Was verbindet sie zum Beispiel auch mit den von uns selbst zumeist als Konzepte, Entwürfe und Anregungen vorgetragenen Texten? Sind es die persönlichen Geschichten, die da jeweils dahinter stecken, sind es die inneren Beweggründe, die einen zur Darstellung geradezu zwingen können? Oder geht es um die Notwendigkeit, etwas auszusagen über uns selbst und über die Welt, in der wir leben? Machen wir einen Versuch:

das kreative vakuumWas empfindest du bei diesem Bild? Was würdest du dazu sagen wollen? Stell es dir einfach vor! Hier ist das kreative Vakuum:

 

 

 

 

 

 

 

Und schon ist etwas von diesem D.I.Y.-Spirit verwirklicht. Zugleich veranschaulicht sich aber auch etwas ganz Wesentliches: Derartige Selbstaussagen brauchen Platz – und zwar in jeder Hinsicht. Um etwas Eigenes spüren zu können, braucht es schon einmal Zeit. Um es dann auch noch als Mitteilung an andere zu formulieren, braucht es noch mehr Zeit. Und Zeit in unserem Leben ist nun einmal nichts anderes als ein möglicher Raum, in welchem wir etwas gestalten können – oder auch nicht. Weil uns womöglich „keine Zeit bleibt“ für uns selbst – oder wer bestimmt eigentlich darüber, wie viel Zeit wir „haben dürfen“? Jetzt kommen wir allerdings dem Wahnsinn plötzlich ganz nahe, gegen den sich auch dieses öffentlich versteckte Mahnmal richtet…

auswandernNun braucht es aber nicht nur Zeit als persönlichen Freiraum, sondern auch den einen oder anderen Ort, wo man sich treffen und irgend etwas ausbrüten könnte. Wo man spontan hinmalen, sich aufführen, jemand etwas vorhupfen, die Wand anschreiben, den Raum umstellen oder sonstwie selbstbestimmt gestaltend tätig sein kann. Doch auch solche Örtlichkeiten und Plätze werden immer seltener, was unsere Bedürfnisse nach kreativem Ausdruck fortwährend in uns zurück hinein stopft und so unsere Köpfe zu restlos virtuellen Bühnen verkümmern lässt. Das kann doch aber alles nicht wirklich gesund sein, oder? Nichtsdestotrotz sollen wir immer noch mehr Zeit für irgendwelche fragwürdigen Leistungssteigerungen aufwenden, während uns ringsumher jedwede Stadt und Landschaft zur Wirtschaftszone wegverzweckt wird. Findet da ein regelrechter Eroberungskrieg gegen das Eigene in uns statt? Gegen unseren Raum, gegen unsere Zeit, gegen unsere individuelle Freiheit? Schauen wir genau hin – wie Aussagekunst entsteht – und lassen wir uns inspirieren 😉