Auf der Flucht (Chriss)

Die Perlentaucher Nachtfahrt vom 12. September (hier hören) läuft um ihr Leben, flieht ins Unbekannte, zieht hinaus in die weite, ferne und beängstigende Welt. Wir sind auf der Flucht, sind heimatlos, entwurzelt, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft, kein Zuhause, kein Ort, an dem wir bleiben können, niemand, der uns aufnimmt und niemand, der uns wirklich versteht… Memory Under Construction. Giving the voiceless a voice. Forgotten Memory. Diese Nachtfahrt ist ein Beitrag zum länderverbindenden GRUNDTVIG-Projekt „Memory Under Construction“ und setzt sich nicht nur mit dem Thema „Flucht“ auseinander, sondern auch mit vergessener Geschichte – den Geschichten Einzelner, jenen Geschichten, welche gekonnt unter den Teppich gekehrt werden. Natürlich in unserer ganz eigenen Art. Unterschwellig, atmosphärisch, zwischen den Zeilen…

den vergessenenNeben der allseitsverstandenen Vorstellung von Flucht, den Gründen und den Folgen, reizen uns vorallem auch jene Aspekte, die einem
möglicherweise erst auf den zweiten Blick auffallen. Die Flucht aus der
Heimatstadt, aus dem Alltag, aus Systemen, Hierarchien, die innere
Emigration, Völkerwanderung, Seelenwanderung, innere Wanderung von Ich zu Ich, in andere Welten flüchten, durch lesen, schreiben, malen, musizieren, träumen, sich wegträumen… Wo ankommen? Überhaupt ankommen? Reisend bleiben? Nomadenleben, der Sonne entegegen, weg, fort, beyond, woanders ist besser als hier, vielleicht stimmt das, weiter gehen, weiter, immer weiter, on the road, losgelöst, frei, irgendwie schön, nichts zu haben ausser sich selbst und einen Rucksack voll Erinnerung, unterwegs, nach…

Tod.LebenWir sind alle Flüchtlinge. Tragen alle den Fluchtgedanken in uns. Jeder möchte mal ausbrechen, weggehen, in die andere Richtung, fliehen vor sich selbst und der Welt. Doch manche werden dazu gezwungen. Durch Krieg, Armut, Verfolgung, weil sie die falsche Hautfarbe, das falsche Geschlecht, die falsche sexuelle Orientierung, die falsche Religion haben, oder weil sie nicht mitmachen wollen bei den Spielchen der jeweils Mächtigen. Und dann verwandelt sich dieses schöne Bild des stets Weiterwandernden in einen Horrortrip, der realer nicht sein könnte. Bei dem es um Leben und Tod geht, der einem alles nimmt und alles verschlingt, nur noch grausam, hässlich, ohne Hoffnung, ohne Zukunft…

„Wir sind umstellt von den Bauten des nicht stattfindenden Lebens.
Sie sind riesenhaft. Es sind Riesen und sie stellen den Horizont voll
und die Riesen stampfen herbei und sie kommen näher
und ich, ich werde kleiner und mein anderes Leben wird kleiner.
Mein anderes Leben ist ein kommender Riese
und irgendwann wird sich irgendwas irgendwie ändern.
Das ist eingeschrieben in die DNA.
Es kündigt sich an, es staut sich auf – es entlädt sich.
Und meine Geste ist der Trotz und die Wut.
Und das sind nicht die Gesten des Riesen,
der Riese hat keine Geste – die braucht er nicht.
Seine Haltung ist das Kommen und seine Sache die Ankunft.
Und da ist er! Hallo Riese! Hallo mein anderes Leben!
Hallo mein stattfindendes, nicht stattfindendes Leben!
Gegrüsset seist du Maria! Ich werfe mich dir durch die Wand!“

aus „Fluchtstück“ von PeterLicht

> Zu diesem Thema gibts auch einen Artikel vom Norbert 😉

> sowie zum Nachhören die einstündige Zusammenschau

 

Dichterwerdung… (Norbert)

Stream/Download: Nachtfahrt der Perlentaucher vom Freitag, 9. August – Eine Sendung über die Faszination der Sprache, über das Dichten und immer noch dichter werdende Verdichten, über das Wachsen und Werden von Ausdrucks-Weisen – und überhaupt über uns und unsere Wortwelten, in die wir uns verliebt verlieren. Dichterwerdung ist dabei sowieso ein Ausnahmeausdruck, beschreibt doch gerade seine Doppelbedeutung jenseits sprachkünstlerischer Reifung oder schriftstellerischer Karriere eher einen Aggregatumstand zunehmender Innenweltverwandlung. Da sind Dichtheit und Dichtung also durchaus nicht nur etymologisch artverwandt, zumindest was die Veränderung des Wahrnehmens anbelangt. Was allerdings das schöpferische Einwirken auf seine Mitmenschen betrifft, da kann es dem Dichter ab einer gewissen Dichtheit schon zur Implosion geraten. Doch Dichtheit umgibt uns ja auch noch anderweitig. Daher diesmal mein Plädoyer für einen eher revolutionären Umgang – vor allem mit Sprache 😉

Abendkonsum„Das kann kein Film, kein Buch, keine Musik – und keine Droge – die Welt verändern.“ So tönen sie alle heutzutage, die damals die politisch-psychedelische Aufbruchstimmung mitgeprägt haben und mittlerweile wohlbestallt als Autobiographen, Ex-Terroristen, Musikkritiker oder Verlagsleiter ein Teil jener globalen Unterhaltungsindustrie geworden sind, deren Ausbreitung sie damals so vehement bekämpft hatten – und von deren reichlicher Dividende sie nunmehr so angenehm leben. Könnte ja durchaus sein, dass sie sich einfach haben einkaufen lassen. Dass sie sich ihre abgebrüht wirkenden Statements recht gut versilbern und vergolden lassen. „Das ist eben so. Die ganze Welt ist ein Markt. Man muss halt schauen, dass man im Geschäft bleibt. U.S.-Imperialismus, Coca-Colonialization, die kulturelle Hegemonie, ein Naturgesetz.“ Mediale Präsenz, Umsatzzahlen und Einschaltquoten, marketingmechanisch werbungskünstliche Aufmerksamkeitserregung in einem Meer massenideologisch gleichgeblödeter Kaufkasperln, Konsumidioten, Kulturverbraucher. – Das sind doch genau die Parolen der herrschenden Wirtschaftsreligion – das ist doch die nächste „Big Lie“ nach Augustinus, Luther und Goebbels – dass nämlich die Welt als Ganzes „endverbrauchbar“, also auftragsgemäß aufzufressen sei. Und Mahlzeit!

OpferweisheitDoch drehen wir den Spritz einfach wieder um – ins Majim. Wie sagt das alte jüdische Sprichwort und Motto der in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrten Listenschindler und Flüchtlingsverstecker: „Wer einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“ Und seien wir uns ehrlich – haben die nicht auch die Welt verändern wollen? Denn wenn nicht, dann hätten sie ja wie viele andere in der Mitte der Gesellschaft auch brav Ja, Amen und Heil Hitler gesagt und weiter mitgemacht bei der Ausrottung der Andersseienden. Es gibt kein menschliches Werk – egal ob in Taten, Worten oder Liedern (geschweige denn Filmen) – das von irgendwelchem Interesse sein könnte, nämlich im Sinne einer Beförderung der Entwicklung zur Menschlichkeit – außer ein solches, das aus dem elementaren Verlangen nach Veränderung der Welt entstanden ist. Kein menschliches Werk ist von irgendwelchem Wert für seine Mitmenschen – seien es Zeitgenossen oder kommende Generationen – das nicht aus dem tiefen Bedürfnis nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse zum Friedlicheren, zum Gerechteren – also zum Besseren – geboren ist. Diesen Umstand abzulehnen, auszublenden, ihn durch welche Verdrängung auch immer zu verneinen – ihn durch bloße Nichterwähnung außen vor zu lassen – das ist im Grunde schon ein Kapital(aha!)verbrechen – nämlich das Verbrechen des Verschweigens.

VerwandlungWenden wir den obigen Spruch doch einmal auf die Motivation zum Kunstschaffen – und auf die Motivation zum Kunstgebrauch an – dann würde er wohl heißen: „Wer eine einzige Welt (etwa die eigene) verändert, der verändert auch die Welt im Ganzen.“ Wer also dichtet, singt und spielt, sich selbst auf- und anderen etwas vorführt, um so die Welt zu verändern, der verführt seine Leser, Hörer und Zuschauer ebenfalls dazu, in eine sich verändernde Welt einzutauchen – und ihre eigene Welt als durchaus veränderbar zu verstehen. Und dieser Prozess vermag den inneren Wert von Veränderung auch in die Welt da draußen zu befördern. Da ist nämlich kein Unterschied zwischen Innen- und Außenwelt – und es gibt einen direkten und kausalen Zusammenhang zwischen Phantasie (der Vorstellung von der Welt, wie sie sein könnte und eigentlich sein sollte) und Realität (der Wahrnehmung unserer gemeinsamen Welt, wie sie durch handelnde Personen gestaltet wurde) – auch wenn das Gegenteil dessen andauernd und mit aller verfügbaren Geldgewalt wiederkäuend behauptet wird, ein Umstand, der übrigens keine Aussage jemals „wahrer“ gemacht hat – allerbestenfalls „geglaubter“ – bis hin zur alternativlosesten Mehrheitsfähigkeit.

 

Straight Strange Special (Chriss)

Podcast/Download: Die Nachtfahrt vom Freitag, 9. November setzt sich einem sehr ambivalentem Thema aus: Was ist jetzt eigentlich Normal? Wir haben (noch) keine Ahnung. Und nehmen euch mit auf eine Reise in die tiefen Schluchten der menschlichen Psyche, der Standards unserer Gesellschaft, des Wahnsinns der Normalität, dabei  möchten wir euch zum eigenen Denken, zum Reflektieren anstiften. Diesmal werden der gute Norbert K Hund und ich, der Chriss, von einem außergewöhnlichem Menschen unterstützt. Nämlich von Jakob Weinhäupl. Wer das ist, was der so macht und warum Gitarre spielen Meditation, Sex, Rückzug und gleichzeitiger Aufbruch ist, erfahrt ihr zum Teil im Artikel vom Norbert und vor allem in der Sendung. Ich freue mich schon wieder auf unsere Dialoge, die untermalt werden von den verrücktesten und normalsten Liedern. 

Dies ist auch kein gewöhnlicher Artikel. Ab jetzt ist alles eine einzige Collage von Seelensplittern und Gedankenfragmenten…

Der Himmel zerträumt
meine schliebeinigen Äste und
mein Mund
tastend nach Lichtspiegel
lebensstumm schattentrunken gehend
durch mein mich selbst sein
kein Stein ist gelegt
worden von ihnen
denen die Nacht leben
nach Leben leben
und sein wie ein Tropfen

will ich selber in mich
hinein kommen über dich
und über den Satz
über Kaffeesatz den du rauchst
wie loses Papier
und Wolkentrauma
in anstaltlosen Gassen
wo du mich nicht finden
willst du mich finden
wenn ich will dich finden
als du willst mich finden
du willst dich finden.

Also streue ich dich in mein
Glas und trinke dich ausEinander
sehen und spüren wie man
niemals sein kann
und einsichtig auf Knien
über den Sand schaukeln
und spielen eine neue Melodie
aus Seidentönen und Muschelbangen
über Wellenwassergänge liegen

schafft eins zwei drei hundert Seelen
die fliegen durch den Bruch
zwischen den Zeilen
Wahrheit spüren
die Wahrheit trennen
wie Feuer das stirbt und gebiert
einen neuen Abend
an dem die Sonne
alles ausspuckt
wie schnöde Lampen
lächerliche Gesten
und den Mond
anheulen
wie damals
als Licht noch dunkel war
und Schatten
mein Zuhause

Strange Straight Special (Norbert)

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. November – „Hilfe, ich bin normal!“ – Keine Angst, das kommt nur auf den Standpunkt an. Wenn wir den Exkursen unseres Experten Prof. Weiherer folgen, dann stellen wir schnell fest, dass alle Beteiligten (zwischen Songwriting und Stratosphärensprung) jeweils ihren Schlag abhaben, je nach dem Blickwinkel der Betrachtung. „Wie bitte? Was redt er?“ Eine Sendung über die Relativität des „Normalen“ (einer Vorstellung, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt) und ein Plädoyer für die individuelle „Verrücktheit“, welche letztendlich unser aller „State of Mind“ darstellt. Und zwar atmosphärisch und assoziativ, denn die menschliche Wahrheit findet sich (wenn überhaupt) zwischen den Zeilen! Was unsere drei Reisenden verbindet, das ist ihr täglicher Umgang mit dem Außergewöhnlichen, dem Nichtdurchschnittlichen und mit der Überraschung an sich…

Christopher Schmall leistet seinen Zivildienst beim Verein Menschenrechte und hat es dort mit dem Recht von Menschen zu tun, sich in einer für uns fremden Muttersprache über die Hintergründe ihres Asylansuchens oder dessen behördliche Ablehnung auszutauschen. Eigentlich ganz normal, möchte man meinen. Oder etwa nicht?

„Das Ringen um Worte für Gefühlszustände, die bislang noch nicht ausdrückbar schienen, das ist Spracharbeit. Den Zuhörer daran teilnehmen zu lassen, wie Emotionen aufplatzen oder versickern, ihn anzustiften, heraus zu fordern, mit einzubeziehen, diese Unsagbarkeit des Betroffenmachenden auch selbst um den einen oder anderen Begriff zu vermindern – das ist lebendige Dichtung. Alles andere ist leider nur Literatur. Ist Herrschaftssprache. Und ein Geschäftsmodell. Ist alles zwangsfreiwillige Selbsteinordnung in die bestehenden Sprachverhältnisse. Amtssprache, Fachsprache, Schulsprache, Staatssprache… Das alles hat mit den Lebenswirklichkeiten von uns aufgrund unseres Andersseins Ausgegrenzten nicht das Geringste zu tun. Das ist Ablenkung und Behübschung, also Unterhaltung im Staatsdienst. Darum heißt es wohl auch Staatspreis. Und der „freie Markt“ als die gegenwärtige herrschende Staatsreligion bildet da keine Ausnahme – im Gegenteil!“

Norbert K.Hund regt sich schon seit Jahrhunderten auf über die sexualnormative Strukturgewalt in unserer Gesellschaft. Gute Gesetze hin oder her, der heimliche Heterrorismus behindert seit je her die Entwicklung der eigenen Identität. Kein einziger junger Mensch mit anderssexuellen Interessen ist wirklich gleichberechtigt, diese ungestört zu erleben.

„Wenn du nur ein bisschen abweichst von der dich umgebenden Vorstellung von Nützlich und Normal – dann haben sie dich! Dann fallen sie über dich her, deine Nachbarskinder und Spielgefährten, deine Schul- „Freunde“ und „Kameraden“ ? Warum heißen die eigentlich so, wenn sie dich auslachen und bedrohen, dich unterdrücken und zur Anpassung zwingen? Sollten die nicht besser „Schulfeinde“ heißen und „Spielgefährliche“ und „Nachbarskiller“? Und woran solltest du dich denn anpassen? Wovor sollst du Angst haben? Davor, anders zu sein als die Allgemeinheit? Ihre blöde, hirn- und gefühllos hineingefressene Vorbildscheiße? Ihren Hass auf alle, die einen Gewissensgrund haben, sie selbst sein zu wollen, ja zu müssen, um eine eigene Identität zu entwickeln? Die sich noch nicht in eine vorgekaute Existenz als „Erwachsene“ hinein verstopft haben? Die sich nicht ins Hirn ficken lassen wollen – nicht ins Herz scheißen, nicht ins Gefühl trampeln, nicht ins Denken umweltverschmutzen, verweltwirtschaften und zärtlichkeitszerstören…“

Jakob Weinhäupl ist ein begnadeter Musiker und nicht nur auf der Gitarre ein feiner Gefühlsmensch. Außerdem strahlt er ein dergestalt integratives Selbstverständnis aus, dass einem ganz schwindlig ums Herz wird. Nicht umsonst betreut er als Zivildiener schwerstbehinderte Kinder in der Anna-Bertha-Königsegg Schule.

Die Frau, nach der diese spezielle Schule benannt ist, setzte sich übrigens in der Zeit des Nationalsozialismus als Leiterin eines kirchlichen Behindertenheims im Land Salzburg außergewöhnlich mutig und sehr direkt gegen die „Euthanasie“ genannte Ermordung ihrer Schützlinge ein und krachte schon seit 1940 heftig mit den Bonzen des Regimes zusammen. Anna Bertha Königsegg wurde mehrfach verhaftet, verurteilt und zuletzt unter Hausarrest gestellt, ihr Lebenswerk im Widerstand ist heute weitgehend vergessen. Gegen dieses Verblassen der Geschichte von Gewalt gegen wehrlose Menschen wollen daher auch unsere Hörstolpersteine als Gegenmittel wirken. Also aufgepasst!

„Das kindlich kreative Eigensein wird weltweit umgebracht. Genauso wie der Regenwald abgeholzt und die Ölreserven ausgeplündert werden. Genauso wie die Armen verhungert werden – und wie man uns das Artensterben, die Bankzinsen oder jedweden Reaktorunfall als eine Art unvorhersehbares Naturereignis verkaufen will. Deine Existenz als Mensch endet in dem Augenblick, in dem du beginnst, ihnen ihre Behauptung von Normalität und gottgegebener Ordnung zu glauben. Ihre einzige Ordnung besteht darin, dass du für ihren jeweiligen Vorteil nützlich bist. Und indem du anfängst, dich selbst nach ihren Werten zu bemessen, haben sie dich schon auf ihren Strich geschickt, musst du für sie anschaffen und dein Leben lang Leib und Seele für sie zu Markte tragen, ob du willst oder nicht. Deine spottenden und dich verächtlich machenden Klassenkollegen sind nichts anderes als ganz billige Kleinkriminelle in der großen Zuhälterei der Geldkirchenstaatsmafia. Wenn sie dich also wieder mal erniedrigen – dann glaub ihnen nicht!“

Alle Zitate wurden von Norbert K.Hund unterstellt. Passwort für den vollständigen Sendungsdownload auf Anfrage. Es wird gequatscht, gelacht, gelesen werden. Musik sowohl live & unplugged als auch von Konserve. Drei Interviewbeiträge zum Thema gibts vom Weiherer (unser Portrait) Den Rest vom Chaos/Kosmos müssts euch selbst sortieren: Radio für Selbstdenker! Wir sind ein geiles Institut 😀 -> Collage/Text/Artikel vom Chriss

 

„Untotigkeit“ (Norbert)

Podcast/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Mai erfindet sich schon wieder neu und wagt sich an ein weiteres Produktions-Konzept. Schon seit längerem wollte ich mit dem Fex gemeinsam eine freischwebende Themensendung gestalten, um einige dieser spontanen Assoziationen und philosophischen Aushängigkeiten zu veröffentlichen, die uns in vielen Gesprächen immer so unterhaltsam inspiriert haben. Allerdings sollte dafür schon auch ein geeignetes Zeitfenster gefunden werden, in dem sowohl Chriss als auch ich mit dem kreativen Input vom Fex gleichermaßen umgehen könnten. Nun ist es soweit – die Triade kann beginnen!

„Wir werden tatsächlich von frühester Kindheit an zu einem Höchstmaß an fremdbestimmter Zeiteinteilung gezwungen und außerdem noch zur Beschäftigung mit fremdbestimmten Themen und Inhalten vergewaltigt. Wir werden von klein auf mit System und Methode von uns selbst, von unseren Gefühlen und Bedürfnissen abgelenkt und dadurch nachhaltig von uns selbst entfremdet. Vor lauter Widerstand gegen dieses massive „woanders hin geschoben werden“ haben wir kaum noch Zugang zu unserem inneren Sein. Ein derart von sich selbst „ver-rückter“ Mensch glaubt, kauft, funktioniert – und fürchtet sich vor der Bestrafung für seine Nichtanpassung.“

Aus solchen und ähnlichen Gedankensplittern werde ich diesmal vortragen, während Chriss seine immer stärker ins rhythmische Spoken-Word gehenden Texte rezitieren und auch zur Gitarre singen wird. Und der Fex, der uns auf Anfrage spontan den Begriff der „Untotigkeit“ zuwarf, wird wohl ebenso spontan für dementsprechenden Gesprächs- und Denkstoff sorgen.

„Der vollständig entkernte und vom Empfinden seiner eigenen Lebendigkeit abgetrennte Mensch ist das Endprodukt der Gesellschafts-Erziehung und entspricht forthin nur noch den Interessen der Industrie. Ein profitorientierter Funktionsidiot, ein angepasster Hampelkasper, ein Reiz-Reaktions-automatisierter Arbeitshamster, ein ebenso blödböser wie tödlich-öder Restmensch, ein ins Produktionsprofil passender Placebowichtel und pseudopolitischer Programmpapagei, ein seelenamputierter, spezialisierter und sozialsedierter Staatssklave, ein wie untot umher irrender Untertan…“

Es muss einem ja nicht nur Sozialkritisches rund um den Begriff der „Untotigkeit“ einfallen – man kann durchaus auch über Zombies, Vampire, Werwölfe und andere Wiedergänger reden. Mir allerdings drängt sich bei dem Thema immer wieder der Totstellreflex von Tieren in ausweglosen Situationen auf – und eine Gesellschaft voller sich tot stellender Menschen.

„Auf der einen Seite der Statistik brechen Menschen wirklich zusammen, werden im wahrsten Wortsinn verrückt oder bringen sich tatsächlich um. Auf der anderen Seite ziehen ganze Gruppen gemeinsam in die innere Emigration einer fortwährenden Vollnarkose. Dazwischen, wo die Mehrheit wohnt, in der Gauß’schen Normalmitte, im Main- und Allgemeinstream, in des Mozartpudels patzig-süßem Kugelkern, in der gestaltlosen Fettcreme der Durchschnitte, da werden die Geschäfte gemacht, die Massen bewegt und die Wahlen gewonnen, da gehen die Restfunktions-Lebenden scheintot und schreckstarr ans Werk.

Und wir? – Widerstand im Komaland!“

In diesem Sinne ist auch wieder einmal alles möglich, was uns in diesem Zusammen-Aushängen ein-, auf- und zufällt. Nicht zu vergessen die Dreieinigkeit der gemeinsamen Playlist, welche den Begriff der „Untotigkeit“ von allen unmöglichen (drei) Seiten zu beleuchten vermag. Verhellen oder erdunkeln, das ist hier nicht die Frage. Zu dritt verboten? Wir sind ein geiles Institut! 😀

 

POESIE UND ENGAGEMENT (CHRISS)

In der Sendung vom Freitag dem 14. Oktober (Download) begeben wir uns auf die Suche nach der Vereinbarung von Poesie und Engagement. Thomas Oberender – geschiedener Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele – beschrieb mit diesen zwei, anfangs kontrovers erscheinen wollenden Worten, das Album „Nervöse Welt“ der Wiener Band „the who the what the yeah“Rio ReiserTon, Steine, Scherben… Postkapitalistisches Lebensgefühl… eine junge Generation die sich sehr eigen engagiert… – Und das wissen wir, Norbert K Hund und Christopher Schmall, die zwei Perlentaucher und Sternpflücker vom Dienst auch. Engagement und Poesie. Eine interessante Verbindung…

The Who?

Aber wer sind eigentlich „the who the what the yeah“? Ja, eine Band aus Wien! Doch warum haben wir uns schon so oft mit ihnen beschäftigt? (Der Skaverda Effekt, Nervöse Welt- das ganze Album, Das Salzburg Syndrom… nur um mal die markantesten Sendungen zu nennen). „The who the what the yeah“ haben etwas geschaft, vor dem viele andere Bands zurückschrecken, resignieren, schweigen – mit dem sie sich schlichtweg nicht befassen. Und genau das ist der Punkt! „The who the what the yeah“ sprechen, nein, schreien ihre Wahrheit in die Welt hinaus und haben das Gedankengut von Rio Reiser aufgegriffen, für sich selber weiterentwickelt und so verdichtet, dass das Album „Nervöse Welt“ eigentlich als Manifest gelesen werden kann… So da habt ihrs! Selbst schuld! Ihr mit eurem System, das unsicher macht, einengt und verbraucht! Die Maus hatte also doch Recht… Tanzen wenn einem etwas gefällt… am Ende bleiben tausend offene Fragen, die sich wie von selbst stellen…

 The What?

Fragen die wohl oft gar keine Antwort haben oder haben wollen. Fragen die einfach Fragen sind, damit wir nachdenken, so lange bis wir einsehen, dass es nicht auf die Antwort ankommt, sondern auf die Gedanken die wir uns machen… die ganzen kleinen Schritte… denn wir sind ja eigentlich alle nur Maulwürfe, die am Zuckerberg des Konsumismus graben… Wir müssen’s nur noch einsehen! Und dann werden wir dieses System zum Kippen bringen… Und genau das ist es! Poesie und Engagement. Sich für etwas das einen selbst betrifft und berührt, verletzt und beunruhigt, angreift und betrifft einsetzten mit Sätzen und Bildern. Mit Worten, Musik, Farben, mit allem was die Fantasie zu bieten hat. Das ist Poesie! Poesie die aus dem Leben kommt und den Leuten etwas sagt. Schon beim bloßen Ansehen und Erkennen der einzelnen Worte…

 The Yeah!

Also liebe Mitorgler und Zerrinnenden, lasst uns dieses System von Macht, Hierarchie, Geld, Ansehen und nazi-katholischem Kreuzweh endgültig zum Einsturz bringen! Lasst die Gitarren plärren, die Orgeln den Weltuntergang verkünden und vor allem: Lasst uns endlich etwas tun! Schlafen können wir später immer noch lange genug! Jetzt müssen wir aufstehen, die Stimme erheben und uns wehren gegen diese Unterdrückung! Jedoch… wenn ihr nicht von alleine wollt, ich kann euch nicht zwingen, ich kann euch nur vor Augen führen, warum ICH mich wehre und mir nicht länger den Mund verbieten lasse…

Poesie und Engagement (Norbert)

Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Oktober (Download) untersucht eine wesentliche Aussage, mit der Thomas Oberender in unserem Gespräch Ende August aufhorchen ließ: „Es erinnert etwas an Rio Reiser. Spätkapitalistisches Lebensgefühl. Zum ersten Mal seit langem höre ich wieder eine junge Generation sich auf eine doch reife und sehr persönliche Weise engagieren. Da kommt eine tolle Mischung aus Poesie und Engagement zur Sprache.“ Wir unterhielten uns just über das Album „Nervöse Welt“ von the who the what the yeah aus Wien und in diesem einen Augenblick tauchte in uns allen gleichzeitig die Ahnung auf, dass genau in der Verbindung dieser beiden angeblichen Gegenpole ein wesentlicher Treibstoff für individuelle wie gesellschaftliche Entwicklung liegen könnte…

Um diesen Gedankengang weiter zu vertiefen, haben wir die Protagonisten der Nervösen Welt anlässlich ihres ebenfalls freitäglichen Salzburg-Konzerts zu uns ins Studio eingeladen. The who? Das werdet ihr bestimmt erfahren. The what? Könnt ihr ab 22:00 Uhr live im Radio hören – und auch wenn ihr es nicht versteht, ab 23:00 Uhr im Denkmal dazu tanzen. Sagte die Maus zum Elefanten. The Yeah! Eine Synthese aus Radiosendung und Livekonzert, Gespräch und Musik, Dichtkunst und Politik. Und angewandtes Perlentauchen zwischen Parolen und Poesie, überraschend, unorthodox und unvorhersehbar…

Es gibt, ähnlich wie bei einem plötzlichen Aha-Erlebnis durch Schmunzeln über sich selbst oder durch Lachen über einen gelungenen Witz, eine Art Impuls zum Aufstehen und sich Einmischen, zum nicht mehr hinnehmen Wollen der bestehenden Welt, zum Gestalten der Gegenwart und zum Verändern der Verhältnisse, einen Impuls also, der durch das gleichzeitige Wahrnehmen von Vollkommenheit und Zerstörung ausgelöst wird. Oder sagen wir durch das Einfühlen in das Leiden (auch das eigene!) an der Unfertigkeit, Ungerechtigkeit, Unvollkommenheit menschlicher Gemeinschaft – und die gleichzeitig vorhandene Phantasie, Sehnsucht, Vorstellung einer Lebenswirklichkeit, in der sich Alltag und Realität mit Gefühl und Bedürfnis deckt. Oder zumindest mehr in Einklang und Übereinstimmung zu bringen wäre, als dies in bisheriger leidvoller Entbehrung erfahren wird. Phantasie und Realität? Poesie und Engagement!

Ein gelungenes Beispiel poetischen Engagements ist der rassismus-ironische Smir Fink, hier neben dem Eingang zur Salzburger Synagoge. Ein jüdischer Witz unterwandert humorverwandelnd die x-te Metaebene postmoderner Zitatensammlung und entzieht sich so der Verhaftung ins Normative der Hierarchien. Chapeau!

Und wir ergehen uns somit wieder in allerlei Abgründen, Assoziationen und Aushängigkeiten – auf Messers Schneide, im Schatten der Mozartkugel und unter dem Einfluss von Musen, Wahrheit und Zukunft. Die definitive Playlist gibts demnach auch wieder erst im Anschluss an unsere Selbstüberraschung!