Krieg und Frieden

-> Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. März – Unsere erste Themencollage zum 100. Jubiläum des Ersten Weltkriegs – oder sollte man besser sagen „zur 100. Wiederkehr“? Kommt der Krieg schneller zurück, als du denkst (wie Judith Holofernes es im gleichnamigen Lied ausdrückt – passenderweise mit der Band Wir sind Helden) oder ist in unserem unierten Europa ohnehin längst der Frieden ausgebrochen? Justin Sullivan von New Model Army zitiert in der Anmoderation von „Here comes the War“ in San Francisco eine interessante historische Studie, nach der es seit Beginn unserer Zeitrechnung („Christi“ Geburt) weltweit zusammengerechnet bloß etwa 18 Monate Frieden gab. Frieden? 😀 Abwesenheit definitiv kriegerischer Auseinandersetzungen, das möchten wir hier ergänzend hinzufügen! Ausbeutung und Unterdrückung der Schwächeren durch die Stärkeren gab es da ja wohl trotzdem. Also, wie verhält sich Krieg zu Nichtkrieg – und was wäre wirklich Frieden – womöglich?

Zack Lee - War or Peace, America 1Der sogenannte „äußere Krieg“, also das tatsächlich stattfindende Vernichten von Menschen und menschlichen Existenzen durch Rundumermordung, aber auch durch Vergewaltigung und Vertreibung, immer im Namen eines „höheren Ideals“ und immer auf Befehl einer „höheren Macht und höhergestellter Personen“, diese uns aus Geschichtsbüchern und Dokumentationen vielhundertfach entgegengrinsende Unternehmung zur „höheren Ehre Gottes, Rettung des Vaterlandes, Verteidigung der Freiheit oder Sicherung der wirtschaftlichen Interessen“, diese jedwedes echte Menschenrecht mit Füßen tretende unmoralische, unsinnige, unverantwortliche Ungeheuerlichkeit einer vorgeblichen Problemlösung durch Gewaltmittel, also durch Schänden, Töten und Zerstören, diese fürwahr zutiefst soziopathische Verhaltensweise – ist nach wie vor im kollektiven Bewusstsein der Weltmenschheit als eine durchaus normale Möglichkeitsform fest verankert – und wird vielerorts auch als eine erstrebenswerte und vielversprechende politische Handlungsoption befürwortet und betrieben, in ganz besonderem Ausmaß und in schrecklicher Perfidie von der finanzglobalen Führungsnation, den Vereinigten Staaten von Amerika. Tauchen hier erste Zusammenhänge auf? Was für ein Wahnsinn!

Zack Lee - War or Peace, America 2Neuere Studien zur Posttraumatischen Belastungsstörung beschreiben die mögliche „Vererbbarkeit“ der Schadenssymptome von Gewalterfahrungen bis in die dritte Generation. Das bedeutet dann aber, dass eine Gesellschaft vier Generationen lang mit der Aufarbeitung ihrer Kriegserfahrung beschäftigt sein müsste, bis der „innere Krieg“ in der Psyche ihrer Mitglieder überwunden wäre. Dazu dürften dann aber während dieser Zeit keine erneuten angstauslösenden und ohnmachterzeugenden Traumatisierungen mehr erfolgen, wie sie etwa durch die strukturelle Gewalt politischer Instabilität, sozialer Verwerfungen und wirtschaftlicher Krisen gegenwärtig an der Tagesordnung sind. Ganz zu schweigen von den etablierten Zwängen, weite Bereiche der eigenen Gefühlsregungen nicht ausdrücken zu können, sondern unterdrücken zu müssen, um nicht von der „herrschenden Obrigkeit“ sanktioniert zu werden. Man passt sich an…

Zack Lee - War or Peace, America 3Kommen wir somit letztendlich zur These vom „ewigen Krieg“ oder besser von einem „sich fortwährend perpetuierenden Kriegszustand“ sowohl des Individuums wie der gesamten Gesellschaft. Wer andauernd Angst haben muss, nur ja nicht zu kurz zu kommen, wer sich immerfort unterordnen muss, nur um ja nicht aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden, wer sich tagtäglich gegen die Konkurrenz durchsetzen muss, nur um ja nicht Arbeit, Wohnung oder Studienplatz zu verlieren – kann niemals im Frieden leben. Oder wie Thomas Bernhard es darstellte: „als ein in Ruhe Gelassener“. Eine Gesellschaft mit Kriegsverletzungen an Land, Leib und Seele benötigt dieses „vier Generationen lang in Ruhe gelassen werden“, um mit sich selbst und der Frage nach Krieg und Frieden wieder ins Reine zu kommen. Doch wir werden (weltweit übrigens) partout nicht in Ruhe gelassen, wir werden stattdessen dermaßen abgelenkt und behupfdudelt, dass wir nicht mehr wissen, wo uns der Kopf – und überhaupt! Wir werden derart beherrscht, bewirtschaftet und staatsvergewaltet, dass einem schwindlig – und das Werden vergeht! Wir werden dergestalt flächenbombardiert mit Informationen und Marktfreiheit, dass niemand mehr auf die Idee kommt, mit sich selbst anzufangen, geschweige denn – was? Es herrscht immer Krieg, und zwar gegen uns, damit „die Herrschaft“ die Welt kriegt.

Den Themenschwerpunkt „100 Jahre Erster Weltkrieg“ gestalten wir mit freundlicher Unterstützung der profil-Redaktion. Alle Fotos „War or Peace, America“ haben wir von Zack Lee (flickr) unter Creative Commons übernommen. Zum Konzept unserer heurigen Collagen-Sendereihe siehe auch „Artarium – Krieg und Frieden – Eine Andeutung“.

 

Ein Fest der Liebe

> Download: Nachtfahrt der Perlentaucher im Dezember 2013 (Part 1) und/oder Nachtfahrt der Perlentaucher im Dezember 2013 (Part 2) – Ein feuchtfröhlicher Seelenstriptease durch alle 24 Fenster des Adventskalenders. Wir öffnen eins nach dem anderen und uns/euch einander Aussichten und Einblicke hinter die verchristlichte Betriebsamzeit dieses stilldunklen Übergangs vom Friertod ins Neuleben. Freilich zaubern wir dabei auch Verborgenes hervor, längst vergessen Geglaubtes, vielschichtig Verwobenes oder überhaupt vollkommen Verrücktes. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird – aber irgendeinen dramaturgisch roten Faden braucht es halt immer, auf dass sich all unsere konfusen Mitbringsel daran zu mitteilender Gestalt kristallisieren. Alles weitere werden wir erleben, hören, sehen, spüren. In diesem Sinne „Keine Macht der Seistaadsgewalt!“ und „Wir sind ein geiles Medium…“

Schnaitl SpiritIch weiß nicht, seit wann dieses Bild dort schon herum hängt (aber es kommt mir vor, als wäre es mindestens eine Ewigkeit) oder wer es überhaupt gemalt hat (auf jeden Fall ist es saugut und verkörpert für mich den Spirit jenes Ausnahmelokals, das seit den späten 80ern dem „etwas anderen Publikum“ in Salzburg Herberge bietet). Beginnen wir also hier diesmal unsere Adventreise. Man sollte eh viel öfter mal wieder ins Schnaitl schaun! Eine jener Perlen, die ich unlängst entdeckt habe, ist übrigens der Song „Gilead“, den der sonst aberwitzig schnellsprechende und -singende Rainald Grebe über seinen 15-monatigen Zivildienst in einer deutschen „Nervenheilanstalt“ gemacht hat – oder besser, über die Stimmen der dort von ihm angetroffenen Insassen, Patienten, „Verrückten“ (und was ist bitte „normal“ ??) – sehr betroffen, sehr innerlich – und eben unaufgelöst. Hier schon mal ein Textauszug:

am eingang, an der pforte saß ein mann, der war schon alt.

„treten sie ein, ich bin der förster vom silberwald. ich wünsche ihnen einen schönen arbeitstag. und jetzt stecken sie ihren penis nach links. das linke hosenbein ist weiter, hat ein weiser schneider gesagt.“

wahnsinn, wahnsinn, wahnsinn, wa-wa-wa-wa-wa-wahnsinn.
wahnsinn, wahnsinn, wahnsinn, absurdes theater.

„gott sei dank – ich bin entmündigt! fotze fotze fotze fotze fo…! na, verhaften sie mich doch! fotze fotze! die gedanken sind frei!“

manisch heißt konkret, dass du sieben tage nicht mehr pennst. sie betreten den platz des himmlischen friedens und landen in der wannsee-konferenz.

und als ich ging, da war ich guter dinge. ich vergess‘ euch nie, ich steig jetzt in mein boot. und ich hab gesagt, ich will immer für euch singen. mein katamran steht vor der tür und der ist feuer-, feuerrot. gilead…

Hinter der FassadeDerlei bedenkend ergeht es einem kaum besser mit anderen ausgelöschten Existenzen, auf deren Luftgräbern diese Stadt aufgebaut wurde – und immer noch wird! In dem Zusammenhang sei an ein Salzburger Musikprojekt erinnert, das wie kein anderes den hierorts herrschenden Gewaltsinn der Gleichgültigkeit in Liedern und Texten darstellen – und somit entlarven konnte: Rotz! 😉 Eine Band, die besagte Ausnahmequalität in den Jahren ihres vierköpfigen Auftretens (und bei ihrer Teilnahme am FM4 Protestsong-Contest) in einem solch erheblichen Ausmaß erreichte, dass wir hier schon von einer (längst vermissten und schlechterdings für unmöglich erachteten) „Salzburger Schule“ des Sehens und Aussagens sprechen müssen – zumal die Rotz’schen Songstrukturen nie nachgebastelt wirken, sondern stets eigensinnig selbsterdacht daher kommen. Auch hierzu ein Textauszug aus Faule Wörter:

Ja dein Urteil kennt keine Gnade
Deine Botschaft hat viel Biss
Dabei weißt du doch genau
Nichts ist für immer, nichts gewiss
Ich sehne mich nach dem in dir
Der nichts beweisen muss
Weil wir alle Schatten sind
Und gar jämmerlich zum Schluss
Und du siehst mir in die Augen
Doch du erkennst mich nicht
1000 Welten voneinander entfernt
1000 Wörter – und jedes sticht

Faule faule Wörter

Du spuckst auf deine Liebe
Nennst dich selbst Rebell
Du kennst die beste, neue Mode
Mit deinem Urteil bist du schnell

Bruder komm befreie mich
Mit deinem zarten Kuss
Weil wir sonst Schatten bleiben
Und Idioten bis zum Schluss

Faule faule Wörter

Noch Fragen? Dann einfach einschalten, mitleben, zuhören… 😛 Und keine Angst – das Witzige am wirklichen Frohsein ist ja doch, dass es unvermittelt aus den Trümmern des Abgrundstürzens auftaucht. So auch in dieser Sendung, versprochen! Tjo, tjo, tjodürü… Und jetzt Muuuuuuuh!

 

Musique

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Mai – Freihändig assozierte Musik und Textbeiträge oder auch: Ich zeig dir meins – du zeigst mir deins. Das wollten wir wieder einmal erleben – einander vorlesen und vorspielen, was uns so beschäftigt, begeistert, bewegt. Vor allem beim Wiederhören unserer ersten gemeinsam gestalteten Nachtfahrt „ZwischenInsel Poesie“ spürten wir so eine unbefangen schöne Spannung zwischen den Zeilen. So etwas Ähnliches wollten wir eigentlich noch einmal entstehen lassen – doch geht das überhaupt, nach fast zweieinhalb Jahren, zusammen unterwegs, im Radio, auf Reisen? Wie lässt sich das anfängliche Faszinosum ängstlich aufgeregten Kennenlernens abermals aufgreifen und mit der inzwischen gewachsenen Vertrautheit in spontanen Doppelconferencen verschmelzen? Eine Frischhaltepackung!

geschmückt für die nachtMusique – das Musische. Die anregende Inspiration. Der ätherische Kuss. Das beinah schon Unspürbare. Und dennoch unafhaltsam sich manifestierend gewinnt da etwas Gestalt und tritt schließlich hinaus ins Leben, in die Nacht, in die Welt. Verführen wir einander zu neuen Ideen und ergehen wir uns in überraschenden Bildwelten. Verdichten wir Augenblicke zu Ewigkeiten und lassen wir ebenso schnell wieder los, um zum nächsten Ufer aufzubrechen. Vergehen wir im Verweilen, springen wir von Stein zu Stein und sammeln wir Eindrücke für unser Lagerfeuer. Wärmen wir uns im silbrigen Mondlicht und lassen wir uns vom dunklen Fluss forttragen. Vertrauen wir der steten Verwandlung, fassen wir uns an den Händen – und ein Herz für die stürmischen Zeiten, die unsere Strände umbranden. Leisten wir uns den Urlaub vom Gewohnten, brechen wir auf, fahren wir los, leben wir…

literatur und politikMusique – das Unfass- und Unberechenbare. Das ist dann in keinem Subventionsansuchen zu rechtfertigen und in keiner Weise systematisch dingfest zu machen. Und wie es nicht passender sein könnte, fällt mir anlässlich der unlängst stattgehabten Wiedereinschwärzung unserer Salzburger Landesregierung dieses Sonderheft des Vereins für Politik und Zeitgeschichte der steirischen ÖVP in die Hände. Es stammt aus dem Jahr 1988, widmet sich dem Thema „50 Jahre Anschluss 1938“ und lässt ausgewiesen gesellschaftskritische Autoren wie etwa Michael Scharang zu Wort kommen, der die Einladung zum Mitgestalten folgendermaßen quittiert: „Ich höre weg, wenn von sogenannten Aufgaben gesprochen wird, welche die Literatur erfüllen soll. Ein Schriftsteller ist nicht der Erfüllungsgehilfe von Oberlehrern. Könnte Literatur jedoch hin und wieder erreichen, dass den Politikern das Lachen vergeht, würde ich mich dazu hinreißen lassen zu sagen, sie habe ihre Aufgabe erfüllt.“ Derartiges ist allerdings vor allem von Seiten der Herausgeber mutig! In dem Zusammenhang ist nicht unwitzig, wie ich diesen Band einst „erwarb“ – der wurde nämlich vor einigen Jahren von der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek (ÖVP Salzburg) zur Abholung als Altpapier aussortiert.

marsch blasen!Musique – die Musik! Kräftig den Marsch blasen – und gut zu hören. Denn was uns da dieses Mal in der Playlist widerfährt, das vereint die beiden Aspekte unserer ursprünglichen Idee, dass wir einander überraschen wollen mit Altgewohntem wie auch mit Neuentdecktem. Nur langweilig soll – und wird es auch – sicher nicht werden. Unsere Stimmungen sind wohl nach wie vor geprägt von dem, womit wir uns in den letzten Wochen beschäftigt haben, zumal von der Gedenksendung 75 Jahre Salzburger Bücherverbrennung. Das wirkt sich natürlich auf die Auswahl der von uns selbst gelesenen Texte wie auch der Musiktitel und sonstigen Spoken Word Beiträge aus. Doch weil wir hier eben eine ganz eigene Art von Sendung machen, dürfen und sollen sich unsere Gefühle auch aufführen und einmischen. Wir sind nämlich nach wie vor ein geiles Institut – und somit auch sehr gut zu spüren! 🙂

 

the soul is a bird (chriss)

Podcast/Download: Die Nachtfahrt vom Freitag, 14. September macht sich in einer 4-stündigen Reise auf ins Herz der Finsternis, durch die Urwälder der menschlichen Seele, hinab in die tiefen Wasser des Geistes und hinein in die Ruinen der eigenen Furcht, dem eigenen Schatten… Ein Unterfangen inspiriert von Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse Now“ und initiiert von Laurie Andersons Spokenword „The soul is a bird“. Mein Artikel wird ein Gedicht. Ein literarische Annäherung zum Thema. Eine poetische Auseinandersetzung mit mir selbst, euch, der Sendung und…

„Ich fühle etwas. Ganz tief unten, in mir. Ich kann es nicht wirklich einordnen. Ein unbekanntes, mir völlig fremdes Gefühl. Wie ein Lichtstrahl der aufblüht und in sich, um sich und mit allem eine sich drehende und pulsierende Kette aus Licht und mehr Licht bildet. Es dreht sich in mir. Es steigt auf. Durch meinen Magen, hinauf in meine Lungen, in mein Herz. Ich bebe- ganz in weiß gekleidet, hinter mir eine mit Scheiße beschmierte Stadt, ein mit Scheiße beschmiertes Leben und ich- starr, benommen. Die Wolken werden sich schwarz färben, Regen wird fallen, doch die Scheiße – klebrig, mit der Zeit hart geworden wie Stein – wird bleiben. Ich nicht. Ich werde fort gehen. Ein Land suchen, das nicht so derbe stinkt. Ich werde mich aufmachen, etwas, jemanden suchen! Und finden! Ich werde groß sein! Ich werde Gott sein! Ich werde Alles sein! Und Nichts! Gleichzeitig! Ich steige hinab vom Hügel der Kinderleichen, die diese Stadt ausgeworfen hat und mache mich auf. Wohin weiß ich noch nicht. Aber weg! Weg von dieser Stadt, diesem Leben, diesen Schmerzen, dieser Verzweiflung. Ich werde dem Flusslauf folgen oder den Stimmen der Wälder. Den Sternen am dunklen Morgen oder dem Licht…

Da bin ich also… Allein auf der Straße ins Nichts auf der ich mein Leben lang schon war, die mich vorran trägt und meinen müden Geist. Meine Gedanken sind Nebelschwaden und Rattennester, mein Atem ein verfaultes Stück Holz, meine Beine und Arme nur Auswüchse eines Geschwürs das sich Körper nennt. Meine Lippen vermögen es nicht einen anständigen Satz zu formen und meine Augen sind erlöschende Flammen. Ich sehe nichts. Ich schmecke nichts. Ich fühle nichts. Nur meinen Herzschlag – immer weiter trommelnd. Ich höre Stimmen in den Baumwipfeln die mir flüstern: „Jeder trägt ein Totes mit sich.“ Ich verstehe. Aber ich will nicht verstehen, ich will be-greifen! Ich möchte jedes Wort, jede Silbe mit meinen verdorrenden Händen fühlen, zerlegen, neu zusammensetzten, einen neuen Sinn stiften, eine neue Sprache finden… ICH will NEU sein! Das ist wohl der Grund wieso ich mich auf diese Reise begeben habe… Aber der Grund verändert sich, verwandelt sich, schwebt vor meinen Augen als Licht – so nahe und doch so weit entfernt. Ich versuche es zu berühren, doch greife ich ins Nichts. Ich taumle, falle zu Boden, stehe wieder auf, gehe weiter. Ich sehe Tempel – alt, überwuchert – gepfählte Fratzen die mich auslachen, einen Mann gekleidet in schwarze Seide. Er reicht mir die Hand. Er reicht mir seine Stimme. Er reicht mir sein Herz. Er reicht mir seine Seele. Ich nehme an und erkenne…

Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut- ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen… Ich fühle die Schwärze die aufkeimt- ein Schatten des Waldes. Traumfänger. Wolfkind. Bärensohn. Rabenzauber. Trommeln. Trommeln. Trommeln. Schritte. Flügelschlagen der Nacht, der Bäume. Ein Vogel- eingesperrt in einen Käfig aus Knochen. Ich atme die Kälte. Einen dunklen Mund. Ein Kuss auf meiner Stirn. Ein Feuer brennt. Seltsame kosmische Trauer. Ich spüre mein Herz. Ich höre meine Stimme. Ich sehe mich selbst- vor mir stehend. Nur schemenhaft. Ein Schatten. Ich stehe auf. Ich sehe mir in die Augen. Hohle Löcher. Ich greife hinein. Ich küsse mich auf den Mund. Ich taste nach Leben, nach einem Grund. Finde nur Rauch. Ich stehe am Abgrund. Unter mir das tosende Meer. Wolken und Donner. Da sehe ich in der Ferne ein Gesicht, einen Lichtstrahl. Ich rufe einen Namen. Ich falle hinab. Sinke auf den Grund meiner Seele. Dort wo nichts ist und alles…“

Und von dort kannst du nur alleine zurückkehren. Jede Reise ist eine Reise zu dir selbst. Jede Schicht simplen menschlichen Daseins fällt weiter und weiter ab, bis du zu deinem eigenen Schatten kommst und mit ihm verschmilzt. Dann entsteht eine neue Sprache, eine neue Wahrnehmung. Dann be-greifst du dich und die Welt um dich herum. Wir sind nichts weiter als leere Hüllen, aus Kot geformt, die sich verkleiden um überhaupt existieren zu können. Und begreifst du das, erfährst du dich selbst –  in dir selbst, dann kann dein eigener Geist, dein eigener Gott, dein eigenes Herz wieder atmen. Und zwar frei von allen Giften und Waffen dieser Welt. Wir müssen uns lediglich fragen: „Wer sind wir. In Uns? Eigentlich?“

Und diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Ganz allein. Man muss sich trauen ins Herz der Finsternis zu gehen, den Fluss aufwärts, dorthin wo der eigene Schatten, der eigene Abgrund lebt und ihm gegenüber treten und – be-greifen!

 

The Soul is a Bird (Norbert)

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom 14. September (Die 48. Sendung!) – Wir erleben ein vierstündiges Abenteuer frei nach Apocalypse Now und entwickeln eine Expedition ins Herz der Finsternis. Was erwartet uns nach der Begegnung mit unserem inneren Schatten? Und ist solch eine Selbsterfahrungsfahrt nicht auch als modernes Märchen erzählbar? Wir wagen den Versuch – wie immer mit kontrastierender Musik und kontroversen Texten – doch ohne „Moral von der Geschicht“. Die ist und bleibt ein offenes Ende UND jeweils der eigenen Phantasie überlassen. Das Schöpferische in uns will nämlich zur Geltung kommen – und soll dabei schön zweckfrei bleiben dürfen! Die Entstehung dieser Sendung könnt ihr also auch in den zwei Artarien „Apocalypse Solo“ und „Apocalypse Duo“ nachvollziehen. Der Weg ist das Ziel…

Es beginnt alles mit einem Auftrag. Und mit einem seltsamen Gefühl, dass hier irgendwas nicht stimmt. Nicht stimmen kann. Noch nie gestimmt hat. Irgendwie beginnen Anspruch und Wirklichkeit zunehmend auseinander zu fallen. Zunächst unmerklich, mit dem nagenden Unbehagen, das wir in Alkohol und Drogen aufzulösen versuchen, das wir immer wieder beiseite schieben, nur um weiter machen zu können. Dann wird es persönlicher, trifft uns im Versuch, einen Menschen zu lieben und eine Gemeinschaft herzustellen. Wir stellen fest, dass wir das Wesentliche, das uns im Innersten beschäftigt, nicht mehr kommunizieren können, womöglich noch nie kommunizieren konnten. Uns fehlen die Worte, dies alles auszudrücken, wir sind wie betäubt, erschlagen – und wir resignieren, geben auf, lassen den Verlust zu. Noch mehr Alkohol, noch mehr Drogen, wir sehnen uns zurück ins Abenteuer, zurück in den Kampf, zurück in den Dschungel. Doch auch der neuerliche Auftrag, der uns den Fluss hinauf schickt, ins Herz der Finsternis, jenseits der Grenzen des Vorstellbaren, erscheint seltsam ambivalent und in sich selbst unstimmig zu sein. Ja, wir wollen endlich Klarheit, wollen wissen, was das für ein Wahnsinn ist, an dem wir alle so selbstverständlich teilnehmen und der uns gleichermaßen von Grund auf korrumpiert. Ja, wir verspüren eine unausweichliche Ahnung, eine fast schon übersinnliche Gewissheit…

Das, was wir verloren haben, das, was uns fehlt, das, wonach wir schon immer auf der Suche sind, zumindest solange wir denken können, solange wir uns zurück erinnern – was ist das überhaupt? Es hat etwas mit dem Entdecken von sexueller Lust zu tun, damals als der Blitz einschlug bei der ersten intimen Berührung durch jemand anderen. Es ist nah verwandt mit den ersten Erfahrungen des Rauschzustands, mit jener euphorischen Entgrenzung im gemeinsamen Taumel von Trinken und Tanzen. Mit Verliebtheit und mit Küssen und mit dem ersten Joint im jungfräulichen Bewusstsein. Mit einem Sonnenaufgang in den Bergen nach einer durchwachten Nacht. Mit Motorradfahrten in unbekannte Landschaften, mit Sonnenuntergängen am Meer und unglaublich wohlschmeckenden exotischen Speisen in fremden Ländern – und mit dem Gefühl, ganz wo anders – unvermutet – eine neue Heimat zu finden. Diese feinen Funken beim Entdecken von etwas Neuem, dieses unvoreingenommen unschuldige Staunen in elementarer Begeisterung, sprachlos machende Naturgewalten, die über uns herein brechen und unser Bewusstsein nachhaltig verändern. Sex, LSD, ewiges Kind sein im Hier und Jetzt. Der multiple Orgasmus der Verschmelzung mit sich selbst und dem Weltall. Reine Natur. Das Sein an sich. Gott. Mensch. Leben…

Gibt es das überhaupt? Da war einmal was – und wir fühlen, dass es uns entgleitet, dass wir es eigentlich schon längst nicht mehr wiederfinden können – egal, wie viel wir trinken und wie sehr wir uns mit dem „immer mehr nehmen, haben, wollen, tun“ abmühen. Sex, Sex, Sex – langweilig. War das schon alles? Da muss doch noch – etwas? – jemand? – gewesen? – sein! – Ich? – Es? – Wir? – Wollen wir dorthin zurück, wo alles zugrunde ging, um zu verstehen, weshalb? Wollen wir begreifen, was – und warum uns das fehlt, um zu akzeptieren, dass es nun einmal so ist, und um uns damit abzufinden, uns einzurichten im Unvermeidlichen – das ist nun mal der Lauf der Dinge, unsere Vergänglichkeit? Oder wollen wir dorthin, weil wir „es“ zurück haben wollen? Müssen? Das Verlorene – ohne das wir nicht leben können – im eigentlichen Sinn. Nur vegetieren, funktionieren, als angestellte Auftragskiller einer Kolonialwarenwelt, die aus dem angeblichen Nicht(mehr)vorhandensein des ursprünglich Essenziellen gute Geschäfte macht – mit den Ersatzdrogen der Lust? Ist es nicht der blanke Wahnsinn, dass wir genau dasjenige nich mehr antreffen, nicht mehr wiederfinden können in dieser schönen neuen Welt des Fortschritts, des Wohlstands und der verwalteten Bedürfnisse, das uns zu Menschen macht, die sich auch lebendig fühlen?

Ist es nicht gerade das wesentlichste aller menschlichen Bedürfnisse, dass wir nicht nur versuchen, zu verstehen, warum und wie wir dieses Lebendigmachende überhaupt verloren haben, sondern auch mit aller Kraft versuchen, es wieder zu finden, es wieder herzustellen und es dann wieder und wieder anzuwenden? In einem solchen Augenblick umfassender Klarheit haben wir mit dem etablierten Wahnsinn gebrochen, sind ausgestiegen – und haben uns von den Betreibern dieser betrügerischen, psychopathischen, verbrecherischen Weltkonstruktion losgesagt. Wir sind aufgebrochen in dem Versuch, uns so weit als nur irgendwie möglich davon zu entfernen. Seither verfolgt uns ihr „moralischer Terror“ als unser schlimmster Feind. Gibt es noch eine andere Lösung, als deren Wahnsinn verinnerlicht widerspiegelnd im Untergang zu versinken – von sich selbst und überhaupt allem?

Eine mögliche Verwandlung – einen Übergang – eine neue Sinn-Stiftung?

Die Selbst-Erfahrung ist eine Fahrt nach innen, eine Reise zu sich selbst, hinter die Ideale und Vorstellungen, wo Schicht um Schicht alles von einem abfällt – bis man auch dem eigenen Grauen ins Gesicht sieht. Zurück kommst du von dort immer allein! Ist nicht hinter der größten Angst und inmitten der tiefsten Verstörung, dort, wo nichts mehr anderes ist als Leere, Schicksalsergebenheit, das Ende von allem – ein neuer Anfang, eine Grenzüberschreitung – der Dreh- und Angelpunkt wirklichen Lebens?