Lost and Found

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 12. Dezember um 22:06 Uhr – Damit hier kein Mistverständnis aufkommt: So einfach ist es auch wieder nicht. Lost and Found ist nicht irgend ein Fundbüro, wo verloren gegangene oder vergessen geglaubte Sachen sich ansammeln, auf dass man sie irgendwann später vielleicht einmal wieder anfindet. Aber irgendwie halt schon auch. Nur nicht ausschließlich. Das wäre uns einfach zu eindimensional. Schließlich begehen wir mit dieser Sendung unser feinsinniges 15-jähriges Bühnenjubiläum auf den Frequenzen, die nicht nur uns die Welt bedeuten. Und da hat sich durchaus so einiges angelagert, das wir in der bewährten Weise einer näheren Betrachtung unterziehen wollen. Themen, Ideen, Konzepte, rote Fäden, sich wiederholende Formulierungen, ausgefranste Versuche, ein paar lose Enden

Lost and Foundund ein Sackl voll ambivalenter Gefühle. Der Geist des Hasen ist uns erschienen. Die Vergangenheit wirft ihre Schatten voraus und die Dämonen der Nazizeit lassen sich nicht so einfach abschütteln. Eine Verschwörung des Verschweigens, die uns über Generationen hinweg derart gefühlsbehindert sein lässt, dass wir den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge gar nicht mehr spüren, geschweige denn lebensecht ausdrücken können. Was auch dazu führt, dass wir uns selbst hassen und diese Grundhaltung (oft sogar in aller Freundlichkeit) an andere Menschen weitergeben. In Familien führt dies zu einer tragischen Vererbung von lebensfeindlichem Verhalten und weltweit führt dies zur Vernichtung der Natur. Wie ist der Gedankensprung von der Naziideologie zur globalen Lebensfeindlichkeit erklärbar? Nun: “Alle Schweinderln sind aus Nazipan.” Anders gesagt: “Auschwitz war von Anfang an als Möglichkeit in unserer Kultur enthalten.” Vilém Flusser

Lost and FoundDer Boden, auf dem wir stehen (unsere Kultur) ist also morsch. Und dennoch leben und arbeiten wir weiter IN BETWEEN zwischen den Möglichkeiten des Aufgebens, des sich Fallenlassens in den Untergang (das wäre der eine Tod) und jenen des Verdrängens, des sich Ablenkens bis zur totalen Unbewusstheit (das wäre dann der andere). Da dazwischen gibts aber noch einen, den eigenen, der naturgemäß am Ende unserer physischen Existenz auf uns wartet. Der lässt sich sowieso nur er-leben (und nicht vermeiden, egal wie sehr man ihn auch ausblendet). Also leben wir, möglichst echt, möglichst intensiv und möglichst unserer Natur entsprechend (Natur steht hier auch ganz bewusst als Gegenpol zu “Kultur”) uns entgegen und dem, was unser Leben ist. Mit allen Fragen, die noch offen sind … beantworten wir uns selbst und einander und verurteilen wir uns nicht. Das haben, wie bereits angeführt, eh schon andere. Wir sind lebenswertes Leben … und mit unserer Suche nach den Leerstellen der Geschichte(n) und mit der Frage nach den Aufgaben der nachfolgenden Generationen (den heutigen Zeitzeugen) in der Artarium-Ausgabe “Unzerstörbar” für den heurigen Radiopreis der Erwachsenenbildung nominiert. Mich bestärkt das in meiner Absicht, den “Pakt des Schweigens” zu durchbrechen.

Lost and FoundDazu, sowohl Familienforschung als auch Traumatherapie in der Richtung eines selbstbestimmten Akts sprachlichen Ausdrucks mit der Radiogestaltung zu verbinden, hat mich einerseits meine Arbeit an Misha Schoenebergs Manuskript “Mein Vater, Auschwitz und der 7. Oktober” – andererseits auch das Buch “Sag du es deinem Kinde” über Nationalsozialismus in der eigenen Familie von Friedemann Derschmidt inspiriert, das auf einem noch viel umfänglicheren und vielschichtigeren Kunst- und Forschungsprojekt namens “Reichel komplex” aufbaut. Für mich als ebenfalls von einigermaßen komplexer Familienvererbung Betroffenen eines der fruchtbarsten, bringendsten und zum Selbstweiterforschen anregendsten Bücher zu diesem Themenkreis. Schauen wir einmal (gern auch mit den Ohren), was aus dieser Art von Entdeckungsreise in die angeblich nichtvorhandenen Abgründe unserer Familien noch so alles entsteht …

 

You found what was lost … and now?