Museum der Träume

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Dezember“We believe dreaming is one of the most important means through which we can envision and transform the collective world that lies between us.” Dieses Zitat von der unbedingt empfehlenswerten Seite “Museum Of Dreams” möge uns als Motto für unser eigenes “Museum” dienen – denn damit meinen wir eben keinerlei Aufbewahrungsanstalt für aus der Gesamtschau gefallene Artefakte, mit denen die Bezahlbetreiber derselben eine gewollte Version von Geschichte(n) erzählen. Wir wollen uns stattdessen einem unvorhersagbaren Musentanz aussetzen, um all den Gestalten, die uns heimsuchen, mitsamt ihren und unseren Geschichten und Gefühlen ein genauso offenes Ende zu erlauben wie nach dem Erwachen aus jedem Besuch am Tummelplatz der Träume.

Museum der Träume 1 (Sethembile Msezane Freedom Day)Ob wir das absichtlich tun oder es einfach nur so daherbehaupten, weil wir sind wer wir sind – das soll offen bleiben. Einst sagte ein Reisender: “Ich bin es und ich bin es nicht. Geblendet vom Scheinwerferlicht seh ich mich selber nicht.” – Und was siehst du? Darum handelt sichs. Wie es die Selbstbeschreibung des Museum Of Dreams ausdrückt: “We focus on the way dreams can serve as a medium for articulating the things we have trouble expressing – the experiences, feelings and ideas that we struggle to voice to ourselves and each other. There is an urgent need to find ways to incorporate this not-yet-conscious material into our shared social imaginaries – to identify and integrate what Toni Morrison once named the ‘unspeakable things unspoken’. Among other things, dreaming serves as a means to narrate and work through that which has been rendered silent – marginalized either by exclusion or repression.” Das inspiriert uns – und dem fühlen wir uns auch verwandt.

Museum der Träume 2 (C. G. Jung)Das Träumen findet in einer bemerkenswerten Begegnungszone statt. In der Traumwelt gehen verschiedenartige Welten ineinander über, indem unsere Phantasie (sozusagen im kontrollfreien Betrieb) ganze Erlebniswelten aus Bewusstem wie Unbewusstem zu hochsymbolischen (und oft sehr seltsamen) Episoden verschmilzt. Doch wer arbeitet, erschafft und gestaltet das alles? Wer ist unser Unterbewusstsein, wenn nicht wir selbst? Das Träumen ist ein besonderer Zustand und eng verwandt mit psychedelischer Extase und künstlerischer Schaffenslust. Und wie die Poesie (wenn sie nicht bloße Behübschung ist) kann das Träumen himmelhochjauchzend oder abgrundstrudeleinschlürfend oder auch beides zugleich werden. Wenn wir uns ihm oder ihr überlassen, dann ist das Ergebnis nie vorhersehbar. Was allerdings im Umgang mit jener “anderen Welt”, die hier “zu Tage tritt”, durchaus hilfreich sein kann, ist ein fortwährendes Erforschen und Erlernen von allen möglichen Techniken, Traditionen, Ritualen und Erkenntnissen aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten der Menschheit. Sei es die Kunst, sei es die Philosophie, seien es irgendwelche Religionen (die man erst ihrer Konfessionalität entkleiden muss) oder traumdeutende Psychotherapie mit Märchen und Mythen.

Museum der Träume 3 (Little Nemo)Ich bin niemand. Und wer bist du? In einer Artariumsendung mit dem Titel “Scenes from a Night’s Dream” kam der gleichnamige Genesis-Song vor, der sich auf die Comicreihe “Little Nemo in Slumberland” von Winsor McCay bezieht. Dort erlebt ein kleiner Junge allnächtens die sonderbarsten und bizarrsten Abenteuer im Traum. Sein Name bedeutet kleiner Niemand und das scheint mir ein augenfälliger Zusammenhang mit der ausufernden Intensität seiner Traumreisen zu sein. Denn beim Träumen bist du niemand, und zwar in dem Sinn, dass das Du, das du sonst (im Wachzustand) bist oder darstellst oder zu sein glaubst, nicht mehr kontrollieren kann, was oder wie oder wovon du träumst. Die alles entscheidende Macht deines sonstüblichen Du ist also auf Urlaub. Und vielleicht hat es sie in der wirklicheren Wirklichkeit, aus der uns der Traum erzählt, sowieso nie gegeben

Little Nemo rubbed his eyes and got out of bed,
Trying hard to piece together a broken dream.
His visions lifelike and full of imagination
It′s strange to think they came from such a tiny head.

Dragons breathing fire, but friendly.
Mushrooms tall as houses.
Giant Nymphs and goblins playing,
Scenes from a night’s dream, poor Little Nemo!

Eating all kinds of food so close to bedtime
They always made him have these nightmares, it seemed.

Helped young Washington in the garden,
Cut the cherry tree down.
Now we all know that′s not history,
Scenes from a night’s dream, poor Little Nemo!

„Nemo, get out of bed!“
„Don’t tell me stories, I don′t want to know!“
„Come on you sleepy head, we′re waiting to go!“

Once he went to the ‚Carnival of Nations′
Dancing with the princess through the night.

Found themselves on a moving platform
Ten ton weights above them,
Seeking audience with King Morpheus.
Scenes from a night’s dream, poor little Nemo!

„Nemo, get out of bed!“
„Don′t tell me stories, I don’t want to know!“
„Come on you sleepy head, we′re waiting to go!“

Wir sind ein geiles Museum.

 

Jenseits von Schatten

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. NovemberDie Schatten werden länger. Sagt man so – und passt auch in die Jahreszeit. Das hat – in unserer Außenwelt – mit dem Stand der Sonne zu tun. Wie verhält sich das hingegen mit den anderen möglichen Bedeutungen der Begrifflichkeit? Den Schattenanteilen der eigenen Persönlichkeit, etwa dem “Archetyp Schatten” nach C. G. Jung? Oder den dunklen Stellen in unserer Vergangenheit, die nicht nur die eigene Geschichte, sondern auch die der gesamten Familie, sogar die eines ganzen Landes überschatten? Welches Licht der Erkenntnis kann hier an die Stelle der Sonne treten? Oder ist es ein Licht des Lebenwollens (wie auch immer das ausschaut), ein wärmendes Feuer vielleicht, das nicht nur das Dunkle erhellt, sondern die tanzenden Schatten verwandelt, in …

Jenseits von SchattenIch stelle mir ein neugieriges Kind vor, das herausfinden möchte, was unter seinem eigenen Schatten ist. Es bückt sich zu ihm hinab, nimmt ein Ende zwischen die Finger, dreht ihn behutsam zur Seite (so wie man ein Etikett von einem Buch löst) und ja, blättert regelrecht um in seiner Welt, schlägt eine neue Seite in der Wirklichkeit auf und … Was ist da, hinter dem Schatten?

An dieser Stelle mag jemand einwenden, dass es sich bei solchen Überlegungen um nichts anderes als reine Illusion handelt. Um Hirngespinste und Phantastereien, die nur Zeit kosten und “in der realen Welt da draußen” keinerlei Nutzwert haben. Bevor wir nun entgegnen, dass genau dieses Nützlichkeitsdenken sich in der Realität der Zuvielisation mit all ihren unerwünschten Wirkungen bis zur Infragestellung allen Lebens wiederspiegelt (und dabei wie ein Glaubenssatz andauernd unhinterfragt vor sich her wiederholt wird), wollen wir doch lieber in die Welt der Poesie eintauchen

Jenseits von SchattenDie beginnt nämlich dort, wo uns das scheinbar so selbstverständliche Unterscheiden von Licht und Finsternis, oben, unten, richtig, falsch, hinter meiner, vorder meiner, links, rechts, wir, die anderen … zwischen den Definitionen verschwimmt. Wir leben nicht nur da draußen sondern zugleich auch in einer Welt jenseits von Kasterln und Kategorien. So wie es auf der Welt derzeit zugeht, hat es den Anschein, als gäbe es da zwei verschiedene Welten, die sich noch dazu in einer Art Kriegszustand mit- oder eigentlich gegeneinander befinden. Doch ist dem wirklich so? Oder sind die zwei Welten nicht vielmehr zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit? Die es nur im Zusammenwirken dieser beiden Wirklichkeitsanteile gibt? Dann wäre das Ausblenden und in weiterer Folge das Abspalten (das Verleugnen, Negieren, Nichtfürwahrhalten) einer der zwei Hälften des Ganzen so etwas ähnliches wie ein teilamputiertes Leben. Dann wäre das Fürnichtexistenterklären und bei trotzdemiger Wiederinsbewusstseindrängung das Ausradieren- und Zerstörenwollen die logische Konsequenz und damit einhergehend die sich bei vollem Bewusstsein selbst lobotomiert habende Restmenschheit. In diese Regionen eigener Schuld an sich selbst vorzudringen – das tut wirklich weh.

Jenseits von SchattenJenseits von Schatten – das wäre dann also dort, wo sowohl Körper als auch Geist und Seele wieder ins Lied des Lebens einstimmen, ohne gegeneinander kämpfen zu müssen. Dort, wo Innen- und Außenwelt ein und derselben Wirklichkeit dienen, ohne lebenskraftraubenden Krampf und selbstverbehindernde Spaltung. Eine Wirklichkeit, in die einzutreten mit den Mitteln der Kunst befördert werden kann, die sich aber oft auch der Zugänglichkeit entzieht, weil manch schreckliche Erfahrung uns in ein dauerhaftes Erstarren versetzt hat. Und weil ja die meisten von uns an diesem oder jenem Punkt der Gefühlswahrnehmung mit der Zeit blind, taub oder sonst unempfindlich gemacht worden sind. Darum sei an dieser Stelle auf den Wert der therapeutischen Beziehung verwiesen, denn der schrecklichen Medusa lässt sich nur mit Hilfe eines Spiegels der Kopf abschlagen. Dann aber entspringen ihr Pegasus (das geflügelte Pferd) und Chrysaor (der Krieger mit dem goldenen Schwert). Hier gedeutet von Peter Levine.

Wer keine Visionen hat, sollte zumindest neugierig bleiben.

 

Whatever, Anyway

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. OktoberZwei von uns beiden besonders gern benutzte Symbolwörter. Immer dann, wenn der Redefluss ans Unendliche aussagbarer Möglichkeiten gelangt und es daher notwendig wird, dass der Gesprächspartner selbst weiterdenkt und spontan-assoziativ in die schier unerschöpfliche Welt der Wortbilder “hineingreift”, um das “hervorzuformulieren”, was immer schon im Gefühl da war, jedoch noch nie als Sprache gesagt werden konnte, immer dann, wenn das Erzählen von Gedankenbildern an seine Grenzen kommt (weil die Bilderfluten zu vielgestaltig werden, um sie in Gleichzeitigkeit zu beschreiben), darf eine Kunstpause entstehen … Und danach als Überleitung von einem zum anderen, als Einladung zum Eigenen ….“Whatever” ….“Anyway” ….

Whatever, AnywayIndem wir uns also mit Sprache und mit den durch sie nach Möglichkeit auszudrückenden Empfindungen oder Seinszuständen beschäftigen, sind wir immer in zwei Richtungen unterwegs. Sowohl vom Gefühl her in die bestmögliche Ausdrucksform als auch vom Ausgesagten her in die ihm jeweils zu Grunde liegenden Aggregatzustände der Seele, des Geistes, des Lebenswhatever. Und genau so herausfordernd, wie ein sich bewegendes Lebewesen auf einem Bild einzufangen, ist es auch, die Regungen und Bewegungen des Lebens an sich als eine sprachliche Momentaufnahme darzustellen. Lebenslanges Lernen ist dafür die Grundlage, sollen doch Aufnahme und Wiedergabe des mitzuteilenden Gefühls mit zunehmender Erfahrung immer zutreffender und wirksamer werden, uns selbst wie auch den/die anderen berühren und so etwas in uns allen bewegen und bewirken. Wenn Stillstand den Tod bedeutet, dann bedeutet Unterkomplexität nur Langeweile.

Whatever, AnywaySchnitt. Was war zuerst da? Das Gefühl oder sein Ausdruck? Wir reisen also auch in der Zeit hin und her, vorwärts, rückwärts. Während wir uns voran bewegen zugleich in die entgegengesetzte Richtung”. Ursache und Wirkung? Wirsache und Urkung. Viele Andeutungen. Stellen wir uns die Fragen unserer Vorfahren, die sie ihr Leben lang unterdrückt haben, weil sie sonst nicht überlebt hätten? Zum Beispiel, ob wir überhaupt in dieser Gesellschaft leben wollen? Oder wie diese Gesellschaft beschaffen sein müsste, damit wir sie bejahen können? Wir mäandern durchs vorhandene ABC auf der Suche nach neuen Worten. Wir fühlen den Klang der weiten Räume zwischen LSD und DNA. Und Antworten? Unsere eigenen Akkorde in die sich ständig fortschreibende Symphonie des Lebens einbringen, ihre Harmonie aus Schrägklang und Erhebung durch ein paar unerhörte Wendungen, uns unserer Endlichkeit bewusst werdend, ins Unvollendete denken.

Whatever, AnywayIch sehe uns als Geschichten Geschichten, die wiederum Teil von anderen Geschichten sind und dabei zugleich eigenständig erzählte. So ist unsere Geschichte einerseits das, was uns erzählt, andererseits aber genauso das, was wir verändern, indem wir uns erzählen. Einschub: “Das ist ein toller Gedanke. Lass ihn uns ausformulieren! Und schauen wir gleich, was er mit uns macht.” Genau so funktioniert das Mediopassiv, eine Verbform oder ein die Handlungsrichtung bestimmendes Genus Verbi, das etwa wie im altgriechischen “Medium” bedeutet, das Subjekt (in unsrem Fall die erzählende Person) ist beides zugleich, also sowohl aktiv das Geschehen gestaltend als auch passiv die Auswirkungen desselben Geschehens erfahrend: Eine Geschichte, die wir erzählen, ist zugleich eine Geschichte, die sich uns erzählt. Und in diesem Vorgang verändert, ja verwandelt nicht nur der Erzähler die Geschichte, sondern eben auch die Geschichte den Erzähler. Und so weiter

Denn wenn sich eine Geschichte und ein Erzähler verändern, dann verändert das ja auch alle anderen, damit in Beziehung stehenden Geschichten und deren Erzähler. Von hier an wirds echt komplex und … whatever

 

In Between Days

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. AugustDas Dazwischen fasziniert und beschäftigt uns eigentlich schon immer, von der Zwischeninsel Poesie über das Inzwischen Unterwegs bis zu unserer Betrachtung Zwischen Leben und Überleben. Was läge also näher in diesen dazwischenen Tagen – in der Mitte des Sommers, der Ferien und der Festspielsaison – als eine weitere Forschungsfahrt in die Untiefen jener Zustände zu wagen, die zwischen “sich auf den Weg machen” und “endlich angekommen sein” in uns allen stattfinden. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass es sich dabei um einen einzigen Dauerzustand handelt, der das Wesen des Lebens an sich beschreibt: Wir sind aufgebrochen und wir sind noch nicht angekommen – wir sind immer unterwegs in diesen unseren “In Between Days”

In Between DaysEin paar äußerst erhellende und weiterführende Gedanken (und Gedichte!) zum Thema “Auf der Reise im Dazwischen” hat uns der syrisch-österreichische Autor Omar Khir Alanam zugänglich gemacht. Und die werden sich wie von selbst in die Gestaltung unseres Musik- und Gesprächsteppichs verweben oder, was noch besser gesagt wäre, mit den Schichten der sich nach und nach wie von Zauberhand aus den Untiefen unseres Grenzbewusstseins entfaltenden Assoziationen verschmelzen. Hören sie genau hin! Denn die Fragestellungen und Zwischentöne, die er etwa in dem genialen Dokumentarfilm “Jedermann auf Reisen – Die Weltvermessung eines Heimatlosen” aufleuchten lässt, sind wie ein Kompass auf einer naturgemäß dunklen Nachtfahrt durch die unendlichen Weiten der menschlichen Seelenlandschaft. In der Begegnung mit Philipp Hochmair wird zunehmend deutlich, dass “Heimat” etwas ist, das wir in uns selbst erschaffen können – und zwar indem wir unterwegs sind.

In Between DaysSpinnen wir diesen Gedanken weiter, dann ist “Heimat” sogar etwas, das wir eigentlich nur in uns selbst erschaffen können. Alles andere ist im wahrsten Sinn des Wortes flüchtig. Wie eine sich fortwährend verwandelnde Erinnerung an etwas, von dem wir glauben, dass es einmal gut und schön und wahr gewesen sein muss. Irgendwo zwischen dem verlorenen Paradies und “Zauberland ist abgebrannt”. Der Weg zurück in den Mutterbauch ist für uns in der Außenwelt nicht mehr zu beschreiten und das Ziel allen irdischen Lebens ist der Tod. Wo also wollen wir unsere Heimat verorten, wenn nicht in uns selbst, in der unendlichen Welt, die schon immer in uns ist und die nur darauf wartet, dass wir uns nach unseren eigenen Regeln und Gesetzen in ihr wohlfühlen. Dass wir sie nach unseren eigenen Bedürfnissen und Gefühlen gestalten, so wie sie uns und nur uns und niemandem sonst entspricht. Alle anderen, äußeren Heimaten sind ein verzweifelter Versuch, so zu tun, als wären wir nicht sterblich, als gäbe es kein Erschrecken, keinen Abschied, keine Trauer und keinen Schmerz. Die totale Diktatur der guten Laune in einer für immer heilen Eiapopeiawelt. Ein trügerisches Idyll, das dauerhaft gegen jedwede Störung verteidigt werden muss – und auch wird.

In Between DaysDoch das funktioniert genauso nicht wie der Versuch, sich durch einen selbstgezimmerten Bretterverschlag vor dem unendlichen Universum zu schützen, das uns ja nicht nur “da draußen” umgibt, sondern das uns ebenso im Inneren durchströmt und aus dem wir ohnehin bestehen. Im Gegesatz zu so einem mühsam selbst hergestellten Büdchen oder eben Identitätchen, windschiefen, gefährdeten und zerbrechlichen “Heimaterl”, der selbstbeschränkten Selbstversion derer, die Angst vor allem und vor allem vor sich selbst haben, ist die selbstentdeckte Heimat im Unterwegssein das, was uns allen zusteht, weil wir Menschen und weil wir am Leben sind. Nicht da, nicht dort, nicht dann vielleicht, sondern jetzt und hier. Diese Erkenntnis ist das große Geschenk der Geflüchteten – und ich meine damit wirklich alle, auch uns, die wir aus den Kriegen unserer Familien und ihren psychischen Folterkellern fliehen mussten – es ist also unser großes Geschenk, unsere Heimat in uns selbst zu begründen

 Ich bin ein souveräner Staat.

 

Poesie und Widerstand

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli – Diese beiden Begriffe beschäftigen uns offensichtlich schon seit Anbeginn unserer gemeinsamen Radioarbeit. Sowohl Poesie als auch Widerstand treten immer wieder in den unterschiedlichsten Zusammenhängen hervor, sowohl im Artarium als auch bei den Perlentauchern. Die Suche nach ihrem Verhältnis zueinander bildet dabei einen roten Faden, der sich in den bisherigen Sendungen meist unter der Oberfläche verborgen hat. An ihm wollen wir jetzt einmal kräftig ziehen, um dieses “und” bewusster wahrzunehmen. Wir gehen der Frage nach, was Widerstand mit Poesie (und umgekehrt) zu tun hat – und ob und inwieweit widerständige Poesie oder auch poetischer Widerstand für eine bessere Welt geradezu not-wendig sind. Eine Expedition in die Abgründe der Kunnst

Poesie und Widerstand“Wer sich auf einen Weg macht, etwas zu erleben und sodann zu beschreiben, ist dabei immer allein unterwegs. Ins eigene Gefühl reisen, dort verweilen und die Eindrücke auf sich wirken lassen, sich selbst und vielleicht später auch anderen davon berichten – das ist ein Unterfangen außerhalb der Gesellschaft. Ein dichtender Mensch handelt als Individuum und widersteht so, in seinem poetischen Akt, jedem Versuch, ihn zum Teil einer bestimmten Gruppe zu machen. Wie auch immer diese Menschenmenge beschaffen sein, und wem auch immer sie dienen soll, der Wortbildjäger und -sammler seiner eigenen Innenwelt bleibt davon ausgenommen. Zumal er ja während dessen mit ganz etwas anderem beschäftigt ist, als mit dem, was da draußen rundherum vorgeht. Du musst dich erst von all dem trennen, was man von dir erwartet und was du glaubst, erfüllen zu müssen, um zu deinem ganz eigenen Gefühlseindruck – und daraus resultierend (hoffentlich) auch Ausdruck zu gelangen.

Poesie und WiderstandWelche Techniken wir dabei verwenden, uns auf diesen Weg zu machen, ist sicher von Mensch zu Mensch verschieden. Es kann die eine oder die andere sein oder auch eine Kombination aus vielen. Was immer uns dazu verhilft, allein und ungestört von jedem äußeren Einfluss die Bilder zu sehen und die Worte zu finden, die unser großes Verlangen stillen, uns einen Reim darauf zu machen, was wir erleben – und von dem wir nicht wissen, wie es zusammenhängt. Indem wir dies tun, sind wir Poesie. Im Widerstand gegen die Verallgemeinerungen von außen. Und im Widerstand gegen die Angst und die Unruhe und die Feigheit und die Bequemlichkeit in uns selbst. Widerstände, die zu überwinden wir dichten.” Diesen Gedankengang habe ich unter dem Eindruck eines Interviews von Klaus Kastberger im ORF-Kulturmontag entwickelt, das den Titel “Literatur als Rettung des Individuums” trägt. Nach meiner Erfahrung ist dieses “In sich gehen und dort etwas gestalten”, wie es eben im Kunst- und Kulturschaffen, aber auch in der Therapie und – above all – in der Liebe stattfindet, ein probates Mittel zur Korrektur des Ungleichgewichts zwischen individueller Ohnmacht und einer zunehmend dominanten Massenpsychose, die ihre Gewalt als Wahrheit ausgibt.

Poesie und WiderstandWenn ich mich auf den Weg zu mir selbst mache, dann wird mir das, was da draußen an Wahnsinn und Weltzerstörung vor sich geht, aber sowas von weit entfernt, dass ich es gar nicht mehr mitbekomme. Was in meinen Welten wesentlich ist, das bestimme ich allein. Und da gibt es mehr als genug, mit dem ich mich zu beschäftigen habe. Kinder wollen in Sicherheit gebracht werden, Ängste entsorgt und Hoffnungen formuliert, längst verschüttete Gefühle wollen wieder entdeckt, ernst genommen und ausgehalten werden, Knoten entwirrt und neue Möglichkeiten erfunden, ausprobiert, bei Gefallen eingeübt und verwendet. Worte wollen erlaubt, Namen gegeben und der Wirkung von nie zuvor angewandter Phantasie anvertraut werden. Der unendliche Kreativreaktor verwandelt die Trümmerlandschaften der Kinderseele und ihr Fragmentarium in einen Fundus. Für Gedichte. Für Gespräche. Für Gedankenstöße. Für mich. Für dich. Für die Welt. Für wirre Träume. Für frohes Aufwachen. Für alles. Für nichts.

Fürs Leben.

Für die Poesie.

 

Das angewandte Paradoxon

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. JuniDie Liebe ist ein angewandtes Paradoxon. Oder ein guter Witz, in dem zwei eigentlich nicht so recht zusammen passen wollende Ebenen zueinander in Beziehung geraten. Paradoxes ereignet sich unvorhersehbar und gerade das macht seinen Charme aus. Wie wenn auf einmal eine Tür aufgeht, dort wo nie zuvor eine war – oder eben doch? Man weiß es nicht, und das ist gut so. Andernfalls wäre es ja orthodox, und das haben wir nicht so gern. Bilddenker reagieren besonders positiv auf Paradoxien, endlich einmal sind sie nicht mehr unterfordert beim Herstellen von neuen Zusammenhängen. Und wie ein guter Witz bringt einen das zum Lachen, wie die Liebe macht einen das glücklich. Daher soll man diese Sendung nicht “einfach nur anhören”man soll sie erleben.

Das angewandte ParadoxonMan sollte das Paradoxon jedoch nicht mit dem gezielt erreichbaren “erweiterten Bewusstsein” und seinen lustigen Nebenwirkungen velwechsern. Es ist vielmehr eine recht unverfügbare Draufgabe zu solcherlei Erfahrungen, seien sie nun durch Mystik, Trance, Drogen oder was auch immer bewirkt. Die Wahrnehmung des Paradoxen und seiner näheren Verwandten vom Surrealen bis zum Absurden tritt allerdings in psychischen Ausnahmesituationen gehäuft in Erscheinung (aber eben nicht ausschließlich, sonst wärs ja nicht paradox). Ein wahrer Meister in der Anwendung und Darstellung dieser Phänomene ist der als Käptn Peng bekannte Robert Gwisdek, in dessen Video “Der Anfang ist nah” auf vielen Ebenen Phantasie und Wirklichkeit … hahaha, glücklich! Der Umkehrschub ist eingeschaltet und die Welt kann so erlebt werden, wie sie wirklich ist. Ein Füllhorn der Phantasien und Wünsche. Meine Heimatstadt ist ein Friedhof der Ursache

Das angewandte ParadoxonAn dieser Stelle wollen wir uns bei der unglaublichen Facebookseite “Street Art Utopia +” bedanken, von der wir die Bilder für diesen Artikel empfangen haben. Und zu Entdeckungsreisen in deren weite Bildwelten anregen, aus denen sich kunstvoll gestaltete Paradoxien zu tiefgründigen Themen finden lassen. Und gleich noch eine Würdigung, die im Zusammenhang mit unserer Sendungsgestaltung steht: Heidi Neuburger-Dumancic von GOOD MEDIA SOLUTIONS (die neulich für einen Filmdreh bei uns zu Gast war) illustriert ihr Verhältnis zur Sprache mit einem Zitat aus dem Internet: “Words cast spells. That’s why it’s called SPELLING.” Damit unterbrechen wir diesen Artikel indem wir ihn fortschreiben (wie paradox) und sagen hiermit: “Was die spontan-assoziative Aufführung dieser Radioreise ins angewandte Paradoxon anbelangt, können sie uns vertrauen. Wir sind Bilddenker und somit oft in psychischen Ausnahmezuständen unterwegs, da kann also grundsätzlich nichts schiefgehen. Lehnen sie sich zurück (oder wohin auch sonst), entspannen sie sichund erwarten sie das Unerwartete.”

Das angewandte ParadoxonEs wird geschehen. Sobald die Menschenvernichtungsmaschine, eine Art Fleischwolf, dessen Zweck es ist, die Phantasiekinder, die von oben in ihren Trichter hinein gestopft werden, zu angepasst verviereckten Bravhampeln zu zerquetschen, in die entgegengesetzte Richtung”, also umgekehrt funktioniert, werden all die lebenslang abgetöteten, zur bloßen Funktion degradierten, von Wut auf die enttäuschte Liebe verstopften Gefühle, Phantasien, Spontanismen und Ideen wieder zu Lebewesen zusammengesetzt und entsprießen dem Todestrichter in den unendlichsten Wunderfarben sich ständig verändernder Möglichkeitsformen (und ich deute nur an). Wenn der Umkehrschub also erst einmal aktiviert ist – und ja, da ist ein Hebel außen am Gehäuse, den das missbrauchte Kind selbst umlegen kann – dann gibt es kein Halten mehr, dann geschieht es, dann ereignet es sich … all das, von dem immer schon klar war, dass es so sein sollte wie es nun einmal ist.

Na dann … Wer bist ich?

 

Hinter den Spiegel

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Mai – Der Spiegel scheint eine letzte Grenze zu sein. Und er kann viel bedeuten: Wie wir uns selbst sehen. Wie andere uns wahrnehmen. Wie wir gelernt haben, uns selbst zu begreifen. Aber der Spiegel ist tückisch, zeigt er uns doch alles spiegelverkehrt. Und nicht nur das, unser Gehirn glaubt, aus den einzelnen Eindrücken des Spiegelbilds eine allgemeingültige Aussage über unsere Wesensart hochrechnen zu müssen. Und bald stecken wir fest – in einem Selbstbild, das nur noch wenig mit dem zu tun hat, wer wir eigentlich sind. Dieses Phänomen lässt sich bei einem Besuch im Spiegelkabinett recht einleuchtend nachvollziehen. Oder beim Versuch, der Zahnärztin ohne hinzuzeigen zu erklären, wo es weh tut. Doch, wie gesagt, Spiegelungen betreffen nicht nur unser äußeres Abbild.

Hinter den SpiegelWir widmen uns in dieser Sendung verschiedensten Versuchen, die wahrnehmbare Wirklichkeit so zu verändern, dass ein Betreten von Räumen jenseits der gewohnten Vorstellungswelt möglich wird. So formuliert der Künstler Alexander Schreilechner: “Spiegelbilder von dreidimensionalen Objekten ….. lassen Objekte und Zeichnungen magisch, lebendig und in einem völlig neuen Licht erscheinen.”

Das Abenteuer, in uns selbst neue Welten zu erschaffen, enthebt uns nicht nur aus der frustrierenden Mühsal, einzig und allein in der immer bevölkerteren Außenwelt um unseren Platz zum Leben zu kämpfen. Viel mehr noch befähigt es uns endlich auch dazu, die unendlichen Räume unseres inneren Seins nach unseren Bedürfnissen zu gestalten und die dabei hinderlichen Täuschungen (Fehleinschätzungen und Lügen), die von außen in uns hinein gespiegelt wurden, umfassend unschädlich zu machen.

Hinter den SpiegelDas klingt doch zu schön, um wahr zu sein. Ist es aber, auch wenn alle auf uns einprasselnden Unkenrufe, Fernsehwerbungen und schlechten Gewissensbisse immer und immer wieder das genaue Gegenteil behaupten. Man kann sich im Labyrinth der Spiegelwelt so sehr verirren, dass man durchaus nicht wieder “nachhause” findet. Doch hinterfragen wir an diesem Punkt einmal das uns innewohnende Welt- und auch Selbstbild. Auf welches Abenteuer sollen wir uns auf keinen Fall einlassen? Auf uns selbst und die unendlichen Möglichkeiten unserer Entwicklung? Oder auf das andere, das (ich sage das hier einmal frei heraus) keines ist. Oder was soll an einem sklavischen Dasein als Befehlsempfänger vererbter Verhaltensweisen mit einem minimalen Spielraum für Veränderung überhaupt abenteuerlich sein? So etwas riecht nach Langeweile und zunehmender Depression, nach gähnender Leere genau dort, wo eine Frage nach dem Sinn gestellt werden könnte. Geh bitte! Und noch eins: Wer spricht denn da in deinen, meinen, unseren Gedanken? Wer soll das sein, der/die uns Angst macht vor uns selbst? Es ist das Wesen des Abenteuers, ein Wagnis einzugehen, sich auf das Schreckliche wie auf das Schöne einzulassen, ohne den Ausgang vorher zu kennen.

Hinter den SpiegelMancherlei Methoden, Techniken und Kunst-Kniffe können uns dabei helfen, die Einschränkungen des alltagsüblichen Bewusstseins zu überwinden und sozusagen hinter den Spiegel vorzudringen. Nicht immer ist es ratsam, diese allein und ohne gute Begleitung anzuwenden. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, haben wir auf dieser Reise einen Weggefährten aus der Welt der inneren Entdeckungen mit an Bord, der es uns ermöglichen wird, zwischen den Zerrbildern und Projektionen eine dritte Perspektive zu etablieren. Die Methode der triangulären Peilung wird hier im Gespräch und in der Sendungsgestaltung zur eigenen Positionsbestimmung im oft undurchdringlichen Dickicht innerseelischer Störsignale angewandt. Über diese Metapher hinaus freuen wir uns ganz allgemein auf “einen frischen Wind” sowie auf jedwede Einlassung, die unser neuer Mitnachtfahrer Matteo aus dem unendlichen Unverfügbaren mitbringen wird. Das Abenteuer dieser Sendung kann beginnen

Wir sind ein geiles Institut

 

The Spirit carries on

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 19. April — Ist da ein tieferer Sinn hinter dem Scheinbaren? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist das Leben überhaupt und ist da nicht doch mehr als das, was wir jeweils gerade erkennen können? Die großen Menschheitsfragen widerspiegeln sich im kleinen Welttheater unserer Radiokunst. Ausgehend von einem alten Hadern der Band Dream Theater mit dem Titel The Spirit carries on versammeln wir Beiträge und Gedanken, die das Entstehen und Vergehen verschiedener Welten ansprechen. Und die darüber hinaus den einen oder anderen Zusammenhang erahnen lassen. In der Gespensterbahn der Weltgeschichte wohnt ein wissendes Kind und zündet einen potemkinschen Schreck nach dem anderen an, um jeden Untergang in ein fruchtbares Land zu verwandeln.

The Spirit carries onDas ist schon ein Vermächtnis des inneren Kindes, dass es weiß, was es gebraucht hätte, um sich seinem Leben und seinen Anlagen gemäß zu entwickeln. Daher weiß es auch, wie die Welt, auf die es gekommen ist, beschaffen sein müsste. Und so können wir ihm schon vertrauen, wenn es den Zustand der Welt, in der es jetzt als Erwachsener lebt, kritisiert und sogar verurteilt. Die Aufgabe, die sich uns im Umgang mit ihm stellt, ist der liebevolle Dialog. Hannah Arendt hat es einmal so formuliert: “Denken ist Zwiesprache mit sich selbst.” Das ist zutreffend beobachtet und doch möchte ich an dieser Stelle hinzufügen: “Nicht alles, was sich in deinem Geist abspielt, ist erwachsen.” Nur wer sein oder ihr inneres Kind (die eigene Kindheit, die nach wie vor in uns umgeht) nicht abweist, wenn es sich bemerkbar machen will, kann die Welt da draußen so reparieren, dass auch tatsächlich neue Kinder (im obigen Sinn) in ihr leben wollen. Wer seine Kindheit ablehnt, wird von ihren unerlösten Geistern verfolgt.

The Spirit carries onNun sind aber im Leben von vielen von uns schlimme Dinge passiert, die uns schon in der Kindheit dazu veranlasst haben, einen Teil unserer Gefühlswahrnehmung nicht mehr stattfinden zu lassen, um nicht den Verstand zu verlieren. Wir haben den Tod überlebt – und doch fehlt uns oft irgendwo im Innersten ein “guter Vater”, eine “gute Mutter” oder sonst eine das Urvertrauen herstellende Instanz. Irgendwas in uns schreit nach der liebevollen Zuwendung, die wir anstelle des Verlassenseins gebraucht hätten und die wir trotz aller Verdrehung und Verdrängung nach wie vor zum Lebendigsein brauchen. Für ein Kind ist jede Art von Missbrauch/Misshandlung ein lebensgefährliches Fallengelassenwerden. Wir sehnen uns nach dem verlorenen Sinn. Hier sind wir offenbar schon mitten in die Traumatherapie hinein geraten und so verweise ich auf das sehr schlüssige Konzept “Das Innere-Kinder-Retten” von Gabriele Kahn. Es atmet diesen gewissen Spirit.

The Spirit carries onUnterwegs im Unfertigen begegnen wir in uns wie auch außerhalb den zu rettenden Kindern. Und erfinden über magische Kräfte verfügende Phantasiegestalten, die sie retten. Die Idee dahinter ist, dass wir das, was in uns zerstört wurde, wieder finden und für uns lebensfreundlich machen. So verwandeln wir uns mit der Zeit in die Menschen zurück, die wir von Anfang an waren, bevor wir der Schwindligmachung zum Opfer fielen und vom Gespensterkarussell der Realitäter*innen eingeschlürft wurden. In die Menschen, die wir schon immer sind. Ja, dürfens denn das? Aus der Bastelkiste der Kulturgeschichten, aus dem Fundus aller denkbaren Religionen, aus der Ursuppe hinter jedweder Mythologie einfach so, freihändig und ganz nach eigenem Bedarf die jeweils entsprechenden Gestalten aufrufen, verändern und zur Selbstrettung ins eigene Seelenleben stellen? Ist dafür nicht irgendein Gott zuständig? The Great Spirit oder eine andere das Urvertrauen (wieder) herstellende Instanz? Man wird sehen

Danke, Stiller Has!

 

Verdrängungen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Februar – Rainer Maria Rilke drückt es in seinem bekannten Buch Briefe an einen jungen Dichter folgendermaßen aus: “Vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im Grunde das Hilflose, das nur von uns Hilfe will.” Und Peter Gabriel sagt in seinem Song Darkness über jenes Abgespaltene in uns, das einerseits wunderbares Leben verspricht – das zu spüren uns andererseits mit Todesangst erfüllt: “The monster I was so afraid of lies curled up on the floor, is curled up on the floor just like a baby boy. I cry until I laugh.” Verdrängungen aber sind so viel mehr als nur ein psychologisches Phänomen, das uns durch Herausfiltern und Ausblenden sich aufdrängender Überreizung schützt.

VerdrängungenWir kennen Verdrängung meist aus dem Zusammenhang unrühmlicher “Vergangenheitsvergewaltigung”, womit ein hierzulande verbreitetes “So tun, als ob nichts gewesen wäre” als Reaktion auf das Trauma des 2. Weltkriegs sowie aller damit einher gehenden Schrecklichkeiten des Nationalsozialismus beschrieben wird. Und als individuelle Antwort der Psyche auf Bedrohung, Verletzung und jede andere außergewöhnliche Belastung. Ganz Österreich, so könnte man daher sagen, ist eine posttraumatische Belastungsstörung. Und wir möchten da antworten: Ganz Österreich? Nein! Ein von unbeugsamen Kindern bevölkertes Radio hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten … Und so nähern wir uns dem magischen Vorhang, der uns von uns selbst trennt, während wir ganz weit hinten im Unbewussten wissen, dass wir mit dem, was wir nicht spüren können, schon immer verbunden sind und es auch immer sein werden. Es müssen andere Verdrängungen geschehen als die, die wir zu kennen glauben.

VerdrängungenEine andere Wirklichkeit dringt unmerklich ein und verdrängt wie von selbst die bisherige. So wie (ja, es muss wieder ein Scheißbeispiel her) ein anderer Stamm von Darmbakterien, der das Verdaute zu wohlgeformter Wurst verklärt, jene bisherigen verdrängt, die sich unförmiger bis hin zu formlos auf das auswirken, was wir stets unbemerkt verstoffzuwechseln trachten. Oder wie eine neue Luftmasse aus wärmeren Gefilden den schon viel zu lange im Talkessel gestauten Kaltluftsee einfach ob ihrer schieren Ausbreitung daraus hervor verdrängt. Diesen Bildern ist eins gemeinsam – sie verdeutlichen Vorgänge, die in unserer inneren Entwicklung genauso stattfinden wie rund um uns in der Natur. Warum also leiden wir wie die Zerrissenen am Nichtzusammenkommen mit uns selbst, wo doch überall, vom Klima bis ins Gedärm, alles so zueinander findet, wie es sein soll? Liegt es vielleicht daran (und Klima ist hier ein gutes Stichwort), dass wir durch menschliche Einwirkungen von unserer Natur (und der Natur im allgemeinen) entfremdet worden sind? Der gespaltene Mensch, ein Zivilisationskrüppel, der sich für den Rest seines Daseins nur noch mühsam auf den Krücken einer künstlichen Intelligenz durch die zerfallenden Landschaften seiner untergehenden Welt schleppt?

VerdrängungenVerdrängungen. Aus der Bedrängnis entspringt ein Drang. Ein dringendes Bedürfnis, all die sich fortwährend vordrängelnden Aufdringlichkeiten der Zivilisationskultur irgendwohin abzudrängen, wo sie uns nicht mehr beim Scheißen stören (will sagen beim Selbstwerden und Verdauen).

Was will uns der Dichter sagen?

Im Verdrängten liegt die Kraft

dring, drang, drung – Verdrängtes treibt uns um
steuert heimlich oder schläft bis zur Explosion
schützt zwar eine Zeit lang gut doch wird alsbald zu Gift
so drängt das Stillgemachte ohne Dringlichkeit
will wieder sprechen, singen und aus der Versenkung
heraus zurück zum Rest, der ja nur darauf wartet
die Ausgestoßenen in die Arme zu nehmen
dring, drang, drung – Verdrängtes treibt uns um

Verdrängungen eben ….. Gfrei di

 

Auf in ein neues Jahr

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Januar – Nachdem wir im letzten Jahr bis zur Wintersonnenwende vorgedrungen sind, jener finstersten aller Nächte, in der das Licht des Lebens zum einen verschluckt zu werden droht und zum anderen doch in seltener Klarheit vom Grund allen Seins hervor glitzert, wenden wir uns jetzt dem neuen, noch ungestalteten Jahr zu. Dem wohnt, und das ist wohl bei jedem Neuanfang so, “ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben”. So steht es geschrieben, jedenfalls bei Hermann Hesse, und dem wohnt überhaubst einiges an Wahrheit inne, liebe romantische Rebellen und alle Menschen, die hier zuhören. “Out of the Dark – Into the Light”, das ist so ein Seelenthema zwischen Weihnachten und Neujahr – und weit darüber hinaus in vielerlei Lebensaspekten.

Auf in ein neues JahrSchon bei der Auswahl einer entsprechenden Bebilderung kamen die beiden gleichzeitig vorhandenen Aspekte der noch nicht Gestalt gewordenen, doch bereits erkennbaren Eigenheit dieses gerade erst begonnenen Jahres zur Geltung. Dazu drängte sich die gespiegelte Perspektive von feststehenden Bäumen durch bewegtes Wasser auf, Lichtspiel zahlloser möglicher Formen hinter all dem, was im Augenblick zu erscheinen scheint. Und genauso ergeht es uns auch bei der Auswahl der verschiedenen Hörbeiträge – ganz egal ob da am Fenster eine Kuh vorbeifliegt oder ob das in dem Fall Socken sind – es spielt diesmal vieles mit unserer Wahrnehmung und mit unseren Gewohnheiten, deren Befreiung aus dem unverspielt Eingekasterlten oftmals erst im surrealen Moment gelingt. Dies sollte uns aber keine Angst vor dem Verlust jeglicher Orientierung machen, zumal die ja ohnehin aus ganz anderen Erfahrungen des “am Leben Seins” gespeist wird …

Auf in ein neues JahrNatürlich wird uns dieser Übergang von einem alten in ein neues Jahr mit unseren bisherigen Erlebnissen sowie mit dem, was wir uns wünschen und demgemäß vorhaben, konfrontieren. Und es wäre kein organischer Übergang, wenn nicht auch der Titel unserer letzten Nachtfahrt zusammen mit dem Titel der nunmehrigen einen sinnstiftenden Satz bilden könnte: “Durch die Nacht … auf in ein neues Jahr.” Vorbehaltlich dessen, was nicht in unserer Macht liegt. Das Unverfügbare ist eben unverfügbar – doch wo es beginnt und wo es endet (und ob überhaupt) – das bleibt offen. Und so schöpfen wir aus aus unseren gemeinsamen Radioabenteuern und werfen unsere Entwürfe für etwas Neues voll vewegenen Vertrauens in die Welt. Dieses noch Unbekannte, jedoch in der Rückschau auch immer schon Vorhergewusste ist unser Selbstdarleben im Zwischenreich der Gestaltwerdung. Wir balancieren auf einem schmalen Grat zwischen dem Geplanten und dem sich Ereignenden, über ein Meer aus Bewusstem und Unbewusstem und aus fortwährend vom einen ins andere Übergehendem. Und wir lernen die Kunst, dies sowohl zu steuern als auch geschehen zu lassen, ohne dabei zu verzweifeln oder den Verstand zu verlieren

Auf in ein neues JahrZu abgründig? Nun, wir sehen dem neuen Jahr, in das wir uns auch mit euch gemeinsam aufmachen, voller Zuversicht entgegen, dass es so gut und schön wird, wie wir es vorhaben. Es gibt keinen Unterschied zwischen Abgrund und Glückseligkeit, bloß zwei Seiten ein und desselben. Wir sind sowieso damit beschäftigt, die Welt zu reparieren, und das ist das beste Jahresmotto, das uns bislang untergekommen ist. In diesem Sinn wird es auch heuer wieder genug Platz für die widersprüchlichsten Stimmungen in unserem Radiotum geben, und wir laden euch ein, dieselben gemeinsam mit uns zu durchwandern, sie euch anzuverwandeln – und dadurch besser zu verdauen, was uns allen vollkommen zu Recht schwer im Magen liegt. Auf ein fröhliches Scheißen, möchte man da sagen. Und wer schon einmal tagelang an Verstopfung gelitten hat oder die Lebensgeschichte von Martin Luther kennt, der kann nachempfinden, was das alles mit Erlösung zu tun hat. Allen anderen wünschen wir ein erfahrungsreiches

Ach Herrgott, jetzt zeig doch mal bitte den verschissenen Hasen!