DAS LYRISCHE WIR – TENEBRA

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. MärzVor genau 79 Jahren “döppelte der gottelbock mit hünig sprenkem stimmstummel pirsch!” nämlich “von Sa-Atz zu Sa-Atz” und “den weibern ward so pfingstig ums heil zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte” Soweit Ernst Jandl in dem genialen Gedicht wien : heldenplatz, worin er seine an jenem 12. März 1938 als 12-jähriger selbst gesammelten Eindrücke verarbeitet. Es war jener Tag, an welchem der später als Gröfaz bekannte schnauzbärtig deutschdeutsche Hupf- und Brüllkasper aus Braunau pathetisch die Einverleibung seiner “Heimat” vermeldete, während es dabei “im männechensee balzerig würmelte”. Soviel erst einmal zum historischen Bezug dieser Sendung, in der das hervorragende Album TENEBRA aus der Wort- und Klangwerkstatt der so vielseitigen ONchAIR Bros. vorgestellt wird.

tenebra“Mit dem Album starten wir in den Zyklus Das lyrische Wir: Gedichte aus verschiedenen Epochen, inhaltlich einem übergeordneten Thema entsprechend, interpretiert in Stimme und klassischer Musik”. So liest sich die Selbstbeschreibung des ambitionierten Projekts der beiden Styrnol-Brüder aus Lahr im/am Schwarzwald auf ihrer gut durchstrukturierten Homepage. Und es ist nur eines von vielen, neben Filmen wie “Der geflohene Boxer” oder “Winter in Lviv” (Ukraine) gibt es noch allerlei Glossen, Hörspiele und Radioserien wie zum Beispiel die legendären “Momente des Sports”, deretwegen unser länderübergreifendes Zusammenwirken ursprünglich begann. Deutschland ist eben nicht Österreich (oder umgekehrt), doch das kreative Myzel der wechselseitigen Inspiration unterwuchert naturgemäß jede gesetzte Grenze (zwischen Genres, Generationen oder Weltgegenden), so dass auch auf friedlichem Weg ein sprichwörtliches Best of Both Worlds entstehen möge! Vorläufiger Höhepunkt dieser Kunnst-Fertigkeit ist nun TENEBRA, wo nicht nur Texte von Matthias Claudius, Friedrich Nietzsche, Paul Celan und Marie Luise Kaschnitz zu ebenso zeitlosen wie zeitgemäßen Melodramen ver-be-arbeitet wurden, sondern auch “letzter wille” aus dem Gedichtband seelen.splitter von Christopher Schmall:

wir haben uns zu tode verwaltet
und alles brav protokolliert
sind uns am ende selbst im weg gestanden
und erklärten uns zum feind

Geschrieben für und gelesen in “Sarajevo, nicht nur 1914” (ab Min. 22:15 gut zu hören)

Und hier die Liste aller im Album TENEBRA dargestellten Texte (mit Entstehungsjahr):

01 Hiroshima – Marie Luise Kaschnitz 1957
02 Letzter Wille – Christopher Schmall 2014
03 Vereinsamt – Friedrich Nietsche 1887
04 Todesfuge – Paul Celan 1944-45
05 Kriegslied – Matthias Claudius 1778
06 Arabeske zu einer Handzeichnung von Michelangelo – J.P. Jacobsen 1873
07 Der Gefangene – Rainer Maria Rilke 1906
08 Das Lied der Verzweiflung – Pablo Neruda 1924
09 Im Klang der Nacht – Albert Vöhringer 2011
10 Traurigkeit – Hermann Hesse 1944

 

Bettie Serveert – Venus in Furs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Februar“Bettie Serveert plays Venus in Furs and other Velvet Underground Songs” heißt der tatsächliche und auch unsäglich lange Titel des ganzen Albums, welches wir vorzustellen die durchaus erhebliche Freude haben. Denn auf unserer Suche nach besonderen, gelungenen oder sonstwie aus dem Standardsumpf kommerziösen Nachklapperns herausragenden Coverversionen haben wir ja schon jede Menge Scheißdreck nicht angehört (oder halt nur fast). Dabei fällt auch auf, dass die sonst so hyperaktiv hechelnde Zuplärre der üblichen Industrie-Promotoren sich genau dort lauthals ausschweigt, wo unserwelchen außerohrentliche Variationen der interpretativen Genussküche entgegenschwelgen. Soll heißen, dass kaum irgendwo verhandelt wird, was nicht auf die Seichtbahn des Schachterlns passt.

Bettie Serveert ArtworkSo auch im Fall der längst arrivierten und dabei überaus schaffensfrohen Indie-Band Bettie Serveert aus den Niederlanden. Anbei Aufnahmen aus ihrem Video Had2Byou – produziert von Tinca Veerman und Hannelore De Decker. Zum gegenständlichen Cover-Album mit den 1997 live im Paradiso aufgenommenen zehn Velvet-Underground-Songs findet sich kaum ein etwas Substanzielles aussagender Artikel. – Halt, doch, dieser hier auf INK19 sagt sogar etwas höchst Interessantes zum Thema Coverversionen im allgemeinen aus: “…at least I know what it is about these Dutch and Belgian bands I like.Despite a willingness to stick to traditional guitar/bass/drum forms, the bands seem to have a unique melodic character that sets them apart from British and American counterparts, using these tried-and-true formulas as a basis for experimentation, rather than simply parroting what’s cruising up the charts.”Parroting bringts aber sowas von auf den Punkt! Ich übersetze es daher mit “nachpapageien” und es versinnbildlicht mir augenblicks, was ich speziell auch im österreichischen “G’schäft” oft so unsäglich vermisse. Just neulich fiel mir da wieder einmal entsetzlich entgegen, was für schlechte Schauspielchargen die hiesigen Provinzpoptrotteln doch sind. Dann schon lieber was Wesentliches: Bettie Serveert – gut zu hören.

 

Sebastian Hackel Tageszeitenkurier

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Januar – Es begann damit, dass der Chriss unlängst bei einer Freundin ein Lied von Sebastian Hackel entdeckte, das tatsächlich mit den Worten “Und ich hab Hasen gesehn” anfängt. Es war “Warum sie lacht”, von dem zwei schöne Videoversionen unterwegs sind, nämlich eine offizielle mit Band sowie ein herbstfarbener Acoustic-Clip (bitte auswählen oder einfach nur genießen). Nachdem wir den melancholisch lebensbejahenden Song schon im letzten Artarium gespielt haben, waren wir uns sehr schnell einig, das ganze Album Tageszeitenkurier unserem (mehr oder weniger) breiten Publikum nahebringen zu wollen. Handelt es sich doch bei Sebastian Hackel um einen Künstler “der sich das Erwachsenwerden verboten hat” und “der am liebsten dann seine Lieder schreibt, wenn es dunkel ist.” – Mögen wir!

TageszeitenkurierZudem sind die Miniaturen, die der Songwriter hier erstmals mit seiner Band arrangiert, von solch still leuchtender Qualität, dass sich auch der Flowerpornoes-Altbarde Tom Liwa davon beeindruckt zeigt. Und unter anderem über ihn sagt: “In einem Genre der waidwunden Selbstdarsteller schafft er es, tief emotional und zugleich frei von Selbstmitleid zu dichten – zu wundervoll einfachen Melodien und Gitarrenbegleitungen.” Darüber hinaus haben die Stücke allesamt etwas zutiefst Paradoxes (einen gewissen Witz) an sich, weil sie zunächst nicht zusammen zu passen scheinende Elemente miteinander in Verbindung bringen. Man spürt augenblicklich die unendliche Kraft ruhiger Betrachtung, einfacher Worte – oder des Barfußgehens. Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann gewaltiger sein als alle Militärmacht des Monsters Mensch. Ein Witz? Oder ein Zauberspruch. Wir sind es gewohnt, das Vorgegebene zu glauben. Das Wagnis schöpferischer Phantasie ist durchaus nichts Unvernünftiges. Oder wie es der Tageszeitenkurier selbst ausdrückt: “Das kindliche Wesen ist gefährdet – und zu sehr Zukunft, als dass es in vager Erinnerung verloren gehen darf.” – Mögen wir sehr!

 

Das etwas andere R.E.M. Biotop

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Dezember R.E.M. waren eine wichtige Band, soviel steht allgemein fest. Doch warum eigentlich? Weil sie international erfolgreich waren und dabei eine Unmenge an Tonträgern verkauft haben? Geh bitte, wir sind ja nicht vom Förderverein der Entertainment-Industrie! Vielleicht, weil sie dem zuvor eher randständigenen Genre des Alternative-Rock zu weitreichender Popularität verhalfen – und dadurch auch das Erstarken der Independent-Musikproduktion mit anschoben? Das geht unseres Erachtens schon mehr in die richtige Richtung, denn wie heißt es in Justin Sullivans Nachruf auf John Peel (BBC), den Hervorzauberer sogar noch des Entlegensten an klanglicher Inspiration: “Music is music and the cult of celebrity is something totally irrelevant to it (or to anything else).” – Unterschreiben wir sofort!

r-e-m-michael-stipeSo ist es wohl in der Hauptsache die zum Mitgestalten einladende Haltung, wie sie besonders vom nimmermüden Multikünstler und Hansdampf in allen möglichen Grassroots-Aktivismen, R.E.M. Sänger Michael Stipe, verkörpert ward, die den feinen Unterschied ausmacht zwischen bloßem Erfolg und wirklicher Bedeutung für die Gefühlswelt originärer Menschen. Wir sind ihm über die Jahre nicht nur als Frontman einer in diesem Sinne wichtigen Band begegnet, sondern eben auch als Filmproduzent des Glam-Rock-Spektakels Velvet Goldmine (Trailer), als Leonard-Cohen-Interpret (First we take Manhattan), als Gesangspartner von Patti Smith (E-Bow the Letter, LIVE) oder von Dashboard Confessional (Hands Down, LIVE), um hier nur ein paar Beispiele zu nennen. Und passend zum Adventsonntag basteln wir uns eine sehr persönliche Best-Of-Auswahl von R.E.M. Songs (in chronologischer Abfolge) aus diesen Studio-Alben: Document, Green, Out of Time, Automatic for the People, Around the Sun, Accelerate sowie Collapse into Now. Den Schlusssegen hierzu spricht Bruder Justin von New Model Army (und der stammt ebenfalls aus dem eingangs erwähnten Nachruf auf John Peel):

“There would always be something that you’d never heard before, a sound, a song, a riff or a beat that would set off all kinds of creative ideas. And … RADIO is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.”

 

Heather Nova – Redbird

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. November – Als Gegenpol zur schwelenden Herbstschwermut entführen wir uns heute in die lichtdurchfluteten Bermudas. Das Album Redbird von Heather Nova vereint in sich so viele Gefühlsnuancen und Stilrichtungen wie das bisherige Lebenswerk der Dichterin, Malerin, Komponistin und Sängerin sonst auch. Dabei ist es stimmig, rund und ausgewogen, wohl das am meisten “wie aus einem Guss” wirkende Studioalbum der Künstlerin. Das hat auch sehr viel mit der Geburt ihres Sohnes Sebastian während der Entstehung der Songs und Arrangements zu tun. “Ich war das Verwundbarste und zugleich das Stärkste, das ich je gewesen bin.” So beschreibt sie ihren Seinszustand beim Songschreiben, wie es die nachfolgende Interviewpassage (auf Englisch halt) wiedergibt:

redbird“It was probably the most difficult album I have ever made because for the first time I had something else besides music (my baby) taking up my time and attention. So instead of having endless days with nothing to do but write, I had 2–3 hours on a good day. And that meant focusing in and working very intensely in a way I hadn’t done before. It was a challenge, but at the same time I was incredibly inspired to write for this album. I had just had a life-altering experience! I felt like my heart had been blown wide open and I was the most vulnerable and yet the strongest I had ever been…”

Insbesondere der dritte Track “Motherland” (den wir in unseren Sendungen ja schon des öfteren verwendet haben) offenbart eine gefühlsambivalente Grundhaltung, die etwas vom Gesündesten darstellt, das in der Popmusik je über die Beziehung von Müttern zu ihren Kleinkindern ausgesagt wurde: Das Heilsame und Kraftvolle dabei ist das erstaunliche Gleichgewicht von zwei gleichzeitig spürbaren Impulsen – sowohl zum Beschützen als auch zum Freilassen. Und wie in diesem Lied verbinden sich Freude UND Schmerz auf dem Album Redbird (und auch im gesamten Schaffen der schönen Frau mit der schönen Stimme) zu einer ganzheitlichen Gefühlswelt, die dem Frieden in der Seele merkbar auf die Sprünge hilft. Dieses Album ist gute Medizin, sagte der Hund, bevor er schließlich noch die Refrainzeilen aus “Motherland” hinzufügte:

The waves roll in, I help you swim
You take my hand
And through the years and through the fears
I’ll be your rock, the motherland

 

Demand the Impossible

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Oktober – Das vorläufig letzte Album der schwedischen Musikerin Jenny Wilson überwindet bescheuerte Zuschreibungen wie “Elektro-Pop-Queen” durch seinen existenziellen Tiefgang. Daran hat vermutlich auch ihre Auseinandersetzung mit der Brustkrebsdiagnose erheblichen Anteil. Fragen in dem Zusammenhang pariert sie aber höchst charmant, so etwa in diesem Interview:

“Would you say you wrote this album as a way of fighting for your life and also against the cancer?” – “Maybe. But most, I guess, because it’s the most natural way to stay alive in general, for me, through creating. And, as a matter of fact, I never had such hunger for kicking ass, for do what ever I wanted in the studio. I never felt so alive and brave while recording an album. I think you can hear that. Demand The Impossible! is a nasty knock!”

demand-the-impossibleMich hat da sogleich das spezielle Artwork des Grafikkünstlers Finsta in seinen Bann gezogen. Es lohnt sich auch, seinen diversen Arbeiten eine nähere Würdigung zukommen zu lassen, die hier auf Finstafari und Finsta Graphics zu sehen sind. Da mischen sich Graffiti, StreetArt und Gebrauchsgrafik mit Einflüssen von Robert Crumb und Keith Haring zu einem unverwechselbar eigenen Stil. Inspirierend, erfrischend, bereichernd und im allerbesten Sinn eigen-artig!

“How did the artwork for the album come about? It’s very different to what you have aesthetically done before.” – “I had this artist, Finsta, in mind for many years. He has something very urban to his drawings. So I contacted him long before the album existed. The woman on the cover is this warrior, this street prophet. I love it!”  (selbes Interview)

Auf der Radiofabrik war schon Wilsons Vorgängerwerk Blazing (2011) in der Reihe Hörenswert als Album der Woche vertreten. Damals schrieb der Kollege Nikolaj Fuchs aus der Musikredaktion noch: “Mit Blazing schenkt uns Jenny Wilson ein im besten Sinne vorhersehbares und gänzlich durchhörbares Pop-Album.” Es kann also nur (noch viel) besser werden! – Denn wie heißt es inzwischen auf ihrer Homepage?

“FREEDOM AND POETRY TO THE PEOPLE!”

 

Let Yourself Be Huge

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. SeptemberGewaltig endet der Sommer, gewaltig geistern die Arme des Herbstes, komm zu mir liebes Kätzchen, ich nehm‘ dir die Furcht, die alte, die gräßliche; fühle mich manchmal als Teschek, indes singen Blätter und Zweige von Tausch und Täuschung, wer pflückt dereinst die Gaben? Wir glätten die Wellen, nein, lass es uns lassen, was mir halt so ein- und zufällt, zufällig auf Zufälle vertrauend, und ihre verwegene Braue, das Herz der Harpyie frisch gebraten, ein Baby im Schlaf, es schmelzen Gesichter unscheinbar, grau melierte Kinder in Armani-Anzügen die hektisch ihre Smartphones betouchen; darf ich mich aufsprengen?

cloudkickerWelch viskoser Fall, mir scheint alles träge und dämmrig, es zirkuliert = heil(ig)e Welt! Schwalbentanz, ein Blick in die Wolken, weit fort zu gehen, oh Lady of Shalott, dein Leib, dein Lied, stets Schatten im Spiegel / Gemütsaquarelle, schleichende Färbung, der gesichelte Mond gleitet aus Baumkronentrichtern, scheue Laternen, das Finster ruft mit wächsernen Stimmen, so seidene Stimmchen : gekrauste Sturm= orchidee. Theodizee zwischen Tür und Engel, oder der Blutakt weicher Uhren, indes nachmittägliche Ausflüchte, umgeben von einem Rauschen unbekannter Art, mehr Holundersaft aus der Bierflasche … Collagenleben und Splitterkunst, unzähmbarer Sanftmut; ich werde gewaltig.

Wie aus alldem unschwer zu erkennen ist, präsentieren wir diesmal das ganze Album “Let Yourself Be Huge” von Cloudkicker, einem One-Man-Projekt von Ben Sharp, der seine mittlerweile 8 Alben und 4 EPs nach wie vor im Eigenvertrieb anbietet. Auf diesem speziellen Album gewährt der sonst im Progressive-Metal beheimatete Musiker allerdings durch diverse Themenskizzen einen geradezu intimen Einblick in das Entstehen seiner komplex geschichteten Klangwelt, was zudem vom Artwork (oben die vergriffene Pink-Vinyl-Version) kongenial begleitet wird. Auch der längste uns bekannte Songtitel vom Album Subsume stammt aus seiner Denkstatt. Es ist ein Zitat aus dem Roman 1Q84 von Haruki Murakami. Dazu fällt mir ja sofort DIE Löffler ein…

„He would be riding on the subway or writing formulas on the blackboard or having a meal or (as now) sitting and talking to someone across a table, and it would envelop him like a soundless tsunami.“

 

Nils Petter Molvaer – Khmer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. AugustHaltet ein, haltet ein! Bloß weil da als Musikgenre Jazz oder Elektronic geschrieben steht, müsst ihr weder frohlocken noch die Flucht ergreifen. Denn das heute hier zu hörende Album enthält wohl diese beiden Elemente, geht allerdings in seiner Gesamtheit noch weit darüber hinaus. Der norwegische Jazz-Trompeter Nils Petter Molvaer hat sich schon früh auf die Suche nach den unterschiedlichsten psychoakustischen Klanglandschaften begeben. Und so ist auch sein Debutalbum Khmer (1997) eine abenteuerliche Expedition in allerlei Möglichkeitsformen des Hörens und Erlebens jenseits von schon längst Bekanntem. Was wurde diesem Werk nicht alles zugeschrieben, Cool-Jazz à la Miles Davis etwa, gechillt treibende Lounge-Beats à la mode, Grenzgängerei à la Brian Eno, whatever.

khmerDabei lässt sich unendlich viel mehr aus dieser grenzgenialen Klangsammlung heraus hören, akustische Perkussion, Ethno-Beats, ein Anton-Bruckner-Zitat, innovativste Gitarrensounds, Meeresbrandung, Nebel, Traum, Weite… Oder wie es dem Meister himselbst also nachgesagt wird:

„Für ihn gebe es diese Grenzen zwischen Klassik, Pop und Jazz nicht, wenn die Musik gut sei.“

Ich begegnete dieser inspirierenden Instrumentalmusik zum ersten Mal durch den Musikfeingeist David Reger (Gamelan Altenberg, Maracatu Minimal, Daisy O’Hara) und hatte schon kurze Zeit später die Gelegenheit, Nils Petter Molvaer und Band im Salzburger Jazzit livehaftig beizuwohnen. Nur ein einziges Mal zuvor war ich mir beim Eintauchen in eine Musikperformance nicht mehr sicher gewesen, welche Drogen da plötzlich auf mich einwirkten, wiewohl ich ja eigentlich vollends nüchtern war – und das war 1987 bei Peter Gabriel in der Wiener Stadthalle.

Molvaer

Vielschichtige Klänge, vereinnahmende Rhythmen und überraschende Übergänge, welche sich im Zusammenspiel als ebenso hypnotisch, psychedelisch und verzaubernd erweisen wie ein Kopfsprung in den Kaninchenbau von Alice im Wunderland, das Befreitwerden aus der Matrix oder ein mehrtägiger Aufenthalt in einem wirklich guten Phantasy-Roman.

Vor allem aber wird hier eins verstanden und auch vermittelt: Die Balance zwischen dem Aufmerksamsein und dem Abdriftenkönnen. Die Vermessung der Welt mag ja lustig sein, doch sie kann warten! Inmitten von klar umgrenzten Klangräumen darf sich die Seele ihr eigenes Neuland erschließen – und dabei zugleich im Unvermessenen verweilen.

Im Unermesslichen…

 

Vanaprastham

>Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Juli – Wir tauchen mit dem Filmsoundtrack Vanaprastham – The Last Dance in ungewohnte Hörlandschaften ein und erkunden Kulturkreise der etwas anderen Art. Der Tabla-Virtuose Zakir Hussain steckt hinter jener magischen Musik des Malayalam-Films, welcher Liebesgeschichte und traditionelles Kathakali-Theater meisterlich vermischt, vielmehr noch, von einander abhängig macht. Traumhafte Bilder, oft nur flüchtig und unscheinbar weichen gerne der intensiven Musik; sie ist das Fundament, ist der Boden aus welchem erst die farbenfrohen Blüten sprießen können.

VanaprasthamEin Kuss hinter grüner Seide, hier fühlt man die Trommeln, zärtliche Explosion, er spitzt die Finger, kaum zu erkennende Gesten zum Takt der nahenden Liebe, welch Verfließen, welch Ekstase! Sie wendet sich ab, sie neigt das Gefieder, Meeresrausch, Zikaden im Schatten, Zikaden Zikaden, fällt nieder im Fluss der Gott, der tanzende Gott; die Dholak gebrochen, im Wasser die Flamme steigt nieder steigt auf steigt nieder und schweigt, bis er ihr Herz … die Musik und die Geschichte / die Musik ist die Geschichte. Jede Bewegung kontrolliert, bedeutsam, das Heben der Brauen, das Blinzeln, jeder Finger eine Figur, jeder Schritt eine Welt, und das Vibrieren während seine Augen in mich, die Flammen, die weißen Gewänder, er glänzt, er leuchtet : ungesehen ein Fenster ins Dunkel, eine Hand, goldene Bahnen, und Kreisen. Der grüngesichtige Gott spricht in fremder Zunge, säuselt dir zu, wiegt seinen Kopf voll Perlmutt und Jade, seine Schritte schellen, singen / der Mond in uneinigen Wassern und alles zugleich. Mal mir das dritte Auge, dein Lachen auf unsteten Seiten, du zögerst, Blumenschopf, karminrotes Sehnen, bald dieses Schreiten auf Wolken, auf Spiegeln – der vielsichtige Gott.

Metamorphose, Wandlung der Glocken, Sitarschlange, und wirf alles von dir, entferne die Schichten, löse die Farben, ein letzter Tanz, ein letzter Ton : Arjuna gleitet gen Himmel.

 

The Waterboys – Karma To Burn

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. JuniDie iroschottischen Missionare des Glaubens ohne Religion waren uns ja schon einmal eine ganze Albumsendung wert, nämlich mit “Cloud of Sound”, dem eklektischen Querschnitt durch das vielschichtige Schaffen rund um deren Mastermind Mike Scott, der seine Band durchaus auch als erweitertes Soloprojekt versteht. Ein Zitat aus meiner damaligen Aufbereitung: “Da stieß ich im Vorjahr bei der Vorbereitung einer gemeinsamen Nachtfahrt irgendwo im Internet auf die geniale Liveversion von “The Pan Within” aus dem Album “Karma To Burn” – und diese gut 13 Minuten sind mit Sicherheit das Extatischste, was mir in den letzten Jahren musikalisch zum Thema “richtig feiner Sex“ untergekommen ist!” Wenn das mal kein Grund ist, ein so rundum erregendes Werk hier explizitiert zu verbreiten…

karma to burnOder wie es mir gestern off records entfuhr: “Ich mag ja Gitarrensoli. Die kriechen in deine Ohren und haben Sex mit deinem Gehirn. Dabei sind sie dir nie böse, wenn du schon bald danach wieder ein anderes geiles Gitarrensolo entdeckst und zu dir in den Kopf einlädtst. Es liegt einfach in ihrer Natur. Da kann ich dann bloß noch sagen: Komm her, hau dich auf meinen Mandelkern – und gibs mir!” In den Songzeilen des Soundschöpfers selbst heißt das:

Put your face in my window
Breathe a night full of treasures
The wind is delicious
Sweet and wild with the promise of pleasure
The stars are alive
And nights like these
Were born to be
Sanctified by you and me
Lovers, thieves, fools and pretenders
And all we gotta do is surrender

Come with me
On a journey under the skin
Come with me
On a journey under the skin

And we will look together
For the Pan within