Hasen wie wir

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniJenseits des Osterhasen wäre noch Platz für ganz normale Hasen, wenn die in unserer seltsamen Kultur nicht immer nur als Jagdbeute gesehen würden. Vom Kulturimport Playboybunny einmal abgesehen, ist etwa das notpuderige Erlegen der Schihaserln durchaus wesensverwandt mit der blutrünstigen Mühlviertler Hasenjagd. Was jedoch passiert mit derartigen nur allzu gewohnten Weltbildern, wenn die Hasen einmal tatsächlich den Platz (und die Rolle) der Menschen einnehmen? Dazu können wir beispielsweise den Kurzfilm “Poilus” von ISART DIGITAL auf uns wirken lassen, in dem animierte Hasen die französischen Soldaten des 1. Weltkriegs verkörpern und dadurch die Grausamkeit des Gemetzels erst recht entlarven. Menschen als Schlachtvieh oder Hasen wie wir?

Poilus Hasen BegegnungIn anderen Kulturen wird der Hase als Sonnenschöpfer (First Nations), Spender des Lebenstranks (Japan) oder Begleiter von Gottheiten und zauberkundigen Frauen (keltisch) wahrgenommen. Bei uns nach der Christianisierung als böses Hexentier, das Symbol entfesselter Geilheit… Darob ließ ein gewisser Papst Zacharias im Jahr 751 sogar den Verzehr von Hasenfleisch verbieten, weil er dies als sitten- und moralgefährdend einstufte. Ein “unreines” Tier also. Jössas! Und wie war das mit dem Osterhasen? Achso, ein Überbleibsel der Zwangsbekehrung wie auch die Flurnamen keltischer Kultplätze, auf welche die Religion des Friedens sogleich ihre Wallfahrtskirchen und Maria Dingsbumse gewaltsam obenaufpfropfte. Wir leben in einer Kultur des Eroberns und Beherrschens, ganz nach dem Motto Töte oder stirb. Was für eine Errrungenschaft! Je gläubiger, desto wahnsinnig. Und höchst wahrscheinlich ist ein Grund für die hintergründige Kraft des skandinavischen Kunstschaffens eben die nie so ganz flächendeckende Christianisierung in den Herzen und Hirnen der dort Lebenden…

Poilus Hasen FerdinandDoch zurück zum Hasen an sich. Wie das alles anfing, dass wir zwei zueinander erstmalig Hase sagten, wie wir dieses Wort dann in immer neuen Verbindungen wie Hasenhund, Hasensalat oder Hasenschwall steigerten, sogar bis zu dem inzwischen legendären “Wir sind die Hasen!” Und wie sich daraus fast unbemerkt die Vorstellung entwickelte, in unserem Menschsein einige wesentliche Eigenarten dieses weithin unterschätzten Naturgefährten zu entdecken – und zu erforschen. Vom Wesen des Hasen inspiriert zu einem friedvolleren und gewaltfreieren Menschendasein – auf einer Welt voller Verbrecher und folgsamer Idioten. Da ist es wohl kein Zeitzufall, dass der Hase Ferdinand im wirklich ausgezeichneten Kurzfilm “Poilus” inmitten der Schlachtfelder des 1. Weltkriegs ausgerechnet jenes Thema von Beethovens “Ode an die Freude” spielt, das auch als Hymne des geeinten Europa bekannt ist. Darüber hinaus bietet das Künstlerkollektiv Institut Hasenbart Wissenswertes zum Selbstinterpretieren. Betrachten wir also die Welt aus der Perspektive der Hasen!

 

Ursonate (Excellent Birds)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuniKurt Schwitters‘ Ursonate ist beileibe kein Nonsens. Und das Orff-Institut für Elementare Musik- und Tanzpädagogik (Ernst Jandl hätte es nicht besser betitelen können) ist auch kein Ort für schwere Nöte. Dortselbst fand nämlich am Dienstag, 13. Juni eine Aufführung (von Ausschnitten) derselben statt, über welche wir hierselbst berichten. Alles MERZ, oder selbst? Eben. Denn dem genial schrägen Vogel war seinerzeit selbst Dada viel zu definiert, und so schuf er sich mit dem Kunstbegriff MERZ einen “absolut individuellen Hut, der nur auf einen einzigen Kopf passte” – nämlich seinen eigenen. Der Urdadaist und Wegbereiter beinah jeder späteren “konkreten” oder “Lautpoesie” von Ernst Jandl bis Christian Ide Hintze war also ein Individualanarchist, der sich nie einfügte. Sehr sympathisch!

UrsonateNoch sympathischer finden wir die Urheberrechtsgroteske rund um den Berliner Subkulturforscher Wolfgang Müller, der 1997 auf der norwegischen Insel Hjertøya eine ehemalige Strandhütte Schwitters‘ untersuchte und dabei die Stare (genau, die Amseldrosselfinkund- Vögel) Motive aus der Ursonate singen hörte. Er nahm sie auf und veröffentlichte ihren Gesang – zwar als “Naturgeräusch” deklariert – nichtsdestotrotz brach der üblich-läppische Copy-Riot über ihn herein, samt Erbenstiftung und Verleger. Heiliger Thomas Burnout, bitt für uns arme Künstler!” Und so war auch die überaus anregende Vorstellung der Ursonate im Gunild-Keetman-Saal von solcher Vogelperspektive inspiriert, was in den Kostümen (auf dem Foto vom Schlussapplaus) kenntlich wird. Überhaupt haben die Studierenden hier eine sehr vielschichtige Interpretation der Urpartitur entwickelt, die Bewegung, Stimme und soziale Emotionsdramaturgie mit Elementen der Naturbeobachtung dergestalt verflicht, dass einem da regelrecht die Sinne aufgehen. Eine Aufgabe von Kunst besteht wohl darin, uns empfindungsfähiger zu machen für all das, was wir im beschleunigten Alltagsvollzug fast gar nicht mehr wahrzunehmen imstande sind …

Vor allem eben uns selbst (ein herzliches Prost auf den Kiepenheuer Bühnenverlag!)

In diesem Sinnlichen:

böwörötääzää Uu pöggiff

fümmsböwötääzää Uu pöggiff

fümms bö wö tää zää Uu, pöggiff,

kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee.

kwiieee!!!

 

Fever Ray

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Juni Karin Dreijer Andersson ist eben anders – und macht seit jeher auch solche Musik. Ganz besonders anders ist das gleichnamige Debutalbum ihres Soloprojekts Fever Ray, das wir mit Ausnahme des Schlusstracks Coconut (hier zu genießen) in dieser Sendung vorstellen. Sozusagen fast ein ganzes Album, aus Gründen, die alle irgendwie etwas mit Zeit zu tun haben. Jenseits von Zeit und Raum hingegen scheint sich die eigenartige Musikwelt von Fever Ray aufzutun, die sich im besten Sinn mit geheimnisvoll, hypnotisierend und mehr noch als vielschichtig beschreiben ließe. “Wenn Terror ins Vertrauen kippt” oder die gepflegte Verstörung. Von da ist es auch zum Meister des Mehrdeutigen nicht mehr weit – zu Peter Gabriel nämlich und den Fourteen Black Paintings.

Fever Ray AlbumFrom the pain come the dream
From the dream come the vision
From the vision come the people
From the people come the power
From this power come the change

Völlig folgerichtig hat Fever Ray einen Gabriel-Klassiker aus den 80ern in einer Art und Weise gecovert, dass einem die liebe Gänsehaut besonders wohltuend über den Rücken rinnt. Nämlich Mercy Street, das auch in unserer Signation verstörensvoll anklingt.

Und so klingt auch die eine oder andere Stimmung ihres Albums im folgenden Gedicht nach, welches der etwas anderer Musikredakteur aus unserem etwas anderen Kunnst-Biotop wohl noch unter dem Eindruck desselben verfasst hat:

deine hand weiß
die nackten nächte
am strand am rand
des walds unter sternen
die suchen nach dunkel
im dämmern im glühen
tropfender worte einer
noch zu erdenkenden welt