Fetzenhelgas Heckenklescher

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Juli – Dass es einen nach reichlichem Gebrauch desselben “in die Hecken klescht” (mit Nachdruck ins Gebüsch befördert) – das ist einmal die vordergründige Bedeutungsebene, sofern man “Heckenklescher” ausschließlich als Beschreibung der Wirkweise von Weinsorten ansehen möchte. Hinter solch allgemein üblicher Oberfläche lauern allerdings weitere, dem flüchtigen Blick des Vorübergehens meist verborgene Schichten, die “in einem Theater, wie wir es hier haben wollen” auch enthüllt werden möchten. Dass einen etwas, was man als Aufführung erlebt (wovon man also mit all seinen Sinnen reichlich Gebrauch gemacht hat), dergestalt aufwühlt, berührt und erschüttert, dass es einen sinngemäß “in die umliegende Landschaft schmeißt” – das soll durchaus schon vorgekommen sein…

Fetzenhelgas HeckenklescherUnd woher manche Spielfiguren im großen Welttheater ihre “sprechenden Beinamen” haben – das verführt uns in einer geradezu mythenmetz’schen Abschweifung zu der Frage, inwieweit “Fetzentandler” nicht auch als mundartliche Bezeichnung für “Gastwirt” durchginge, zumal solche ja kostenpflichtig “Räusche unters Volk bringen”. Was im übrigen auch die Theaterleute” sowie deren einladend wirkende RepräsenTANTEN der kommerziellen Willkommenskultur machen, in Gestalt von Sinnesräuschen und anderen das Bewusstsein erweiternden Zuständen: “Herr Ober, noch ein Vierterl Katharsis bitte!”

 

Mitten im Stück öffnet sich eine Geheimtür und wir betreten feuertrunken das Reich der “angewandten Ambivalenz des Sowohl-als-auch”. Seit mich die langjährigste aller Festspielpräsidentinnen freundlich in den Arm nahm und mir den sprechenden Beinamen „Der Herr Pirat” umhängte (wobei sie mir den Piratenpulli zurecht zupfte), habe ich ein hochgradig ambivalentes Verhältnis zu ihr entwickelt, welches sich in vielen unserer Sendungen wiederspiegelt – so auch (noch einmal und mit Wumms) in dieser. Oder wie das schon Roxanne in Apocalypse Now (Redux) ausdrückte:

 

“In dir wohnen zwei Seelen, weißt du das? Eine, die tötet – und eine, die liebt.”

 

Einerseits vermissen wir das Zusammenspiel von Bodenständigkeit und Glamour, das die von vielen Schauspielern liebevoll “Fetzenhelga” genannte “Festspielmutti” überallhin verströmte, ihr unverwechselbares Auftreten, Konglomerat aus Kuhstall und Hochkultur, Salzburger Original, Diva und Dirndl, Beschützerin der Bohéme, Verfechterin der Kunstfreiheit … Oder doch nicht? Denn andererseits floh die “frühe ÖVP-Feministin” ausgerechnet aus einer Aufführung, die Gewalt gegen Frauen zum Thema hatte, mit dem Satz: “Das ist nicht das Theater, das wir hier haben wollen.”

 

Wie das Thomas Oberender in unserem Interview 2011 ausdrückte:“Es ist die Urerfahrung des Dramas: Wir sind sterblich – und Leben heißt schuldig werden.”

 

Das gilt für uns alle

Wir sind das eine

Und wir sind das andere

Wir sind beides zugleich

Und wir sind noch viel mehr

 

 

Wir spielen die Hitz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Juli“Wie man weiß, ist es heiß…” Und wir haben heuer schon einige Sommertage erlebt, an denen wir feststellen mussten, dass unsere Temperaturwahrnehmung im Bereich über 36° Celsius eigentlich neu kalibriert werden müsste, um einigermaßen verzerrungsfreie Ergebnisse zu liefern. Abgesehen davon gibt es noch jede Menge anderer Konnotationen mit dem Wort “heiß” – wie etwa den “heißen Scheiß” (den man unbedingt haben möchte) oder die “heiße Kartoffel” (die man schnell wieder fallen lässt) oder jägersprachlich “heiß” (eine zur Begattung bereite Hündin), überhaupt ein “heißer Typ” (eine heiße Typin), sogenannt “heiße Hasen”, dazu noch “heiße Himbeeren” oder “heiße Würstl” …. Wir spielen mit der Hitz, naturgemäß, und völlig frei nach: “Wir spielen die Hits!”

Wir spielen die HitzEin wegweisender Beitrag zum angewandten Wortspiel rund um “das Heiße” ist ja Rio Reiser mit dem Ton-Steine-Scherben-Song “Jenseits von Eden” gelungen: Diesen hervorragend dichten Text empfehlen wir einer gesonderten Würdigung, um seine zahlreichen ineinander verstrickten Metaphern hinter Verlangen und Gesellschaft möglichst individuell und subjektiv zu erschließen. Erstaunlich, was im Introjekt so alles an Verborg’nem steckt! Und schon geraten wir bei unserer Untersuchung der diversen Hitzen und Wallungen auf die feine Fährte des Weiblichen im Männlichen (und umgekehrt) oder dazwischen, außerhalb und darüber hinaus. Wie bitte? Ein Mann, der Männer liebt. Eine Frau, die zur Ikone der Emanzipation wird. Ein Mann, der wie eine Frau singt (und nicht wie irgendeine). Und eine Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die vielen aus der “Musikgeschichte” herausgefallen wordenen Frauen wieder aufzuerwecken.

Alles verschiedene Interpreten und -innen, die uns mit ihren Musikbeispielen als unterschiedliche Aspekte zur Annäherung an ein gemeinsames Thema begegnen. So etwa die Violent Femmes und ihr Sänger Gordon Gano, die uns in “Sweet Worlds Of Angels” eine überraschend pattismithoide Interpretation weiblicher Lustwellen aufbereiten. Oder die deutsche Cellistin Raphaela Gromes, die den aktuellen James-Bond-Titelsong “No Time To Die” von Billie Eilish dergestalt covert, dass sich die Hundstagshitze plötzlich ganz cool im Sinn von angenehm kühl anfühlt. Mmmm

Mundzumundbeatmung

 

Dieses Land hat Geschichte(n)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. JuliHinter der allgemein bekannten oder  “handelsüblichen Geschichte”, wie wir sie aus Unterricht, Tourismuswerbung und sonstigen, zumeist irgendwie “offiziellen” Selbstdarstellungsquellen gewohnt sind, besteht das Land, in dem wir leben, aus unendlich vielen Geschichten, die erzählt werden wollen. Und auch unbedingt erzählt werden sollen, weil sie eine unglaubliche Bereicherung in unserem Weltverständnis auslösen. Das ist wie plötzlich sehen zu können, was zuvor wie hinter einem Vorhang verborgen war – und was doch immer von dort hervor gewirkt und uns beeinflusst hat. Ein uns fast unbemerkt ereilendes Aha-Erlebnis, ein Entdecken und Erkennen und Verstehen des Zusammenhangs – ein möglicher Reim auf den Widerspruch zwischen Hochglanz und Hintergrund.

Dieses Land hat Geschichte(n)Auf der Suche nach einem ganzen Album für den Sonntag nach der Nachtfahrt sind wir in der Ideenwerkstatt darauf gekommen, wieder einmal ein thematisches Konglomerat selbst herzustellen. Und zwar aus Schåttseitnkind von den Querschlägern und den Sagen aus Salzburg von Michael Köhlmeier. Diese zwei Zusammenstellungen erzählen Geschichten aus einer völlig anderen Wirklichkeit als der, die uns ållerweil rundumadum einitrenzt wird – und die wir als die einzig wahre zu glauben gelernt haben. Einzig Ware? Es ist ein kleiner Schritt – vom Fürstbischof zur Familie Putz. Vom Feudalstaat zur Fernsehwerbung, wenn ihr versteht, was ich meine … Nun, lassen wir die Geschichten für sich selbst sprechen, auf dass die zahllosen Verdrängten und unter den Teppich Gekehrten endlich wieder als genau die “unverwechselbaren Menschenexemplare” mit uns leben dürfen, die sie von Anfang an waren – und die sie nach wie vor sind. Das gilt nicht nur für jene “wirtschaftlich randständige” Bevölkerungsgruppe, wie sie in der “Bettlerhochzeit” gezeigt wird, sondern genau so auch für jene “Andersgläubigen”, die uns etwa hinter der “magischen Welt” der Märchen und Sagen begegnen. Es geht darum, was uns ihre Geschichten erzählen.

Und darum, wie wir ihnen begegnen. Wie wir uns von ihnen anreden, gar berühren lassen. Was sie in uns bewirken, sobald wir mit ihnen in Resonanz geraten. Eine ganze Welt, die uns immer schon umgibt – und innewohnt, erschließt sich da. Geschichten erzählen Geschichte anders. Zeigen uns, was wirklich war, bevor wer auch immer (und mit welcher Absicht) angefangen hat, durch Weglassen und Hinzufügen ein bestimmtes Bild, einen Eindruck, eine Vorstellung zu erzeugen – davon, was “wirklich” ist. Geschichten, nie waren sie so wertvoll wie – immer

Wie sagte schon Thomas Oberender: “Hören sie genau hin.”

 

With a little help from my friends

Artarium am Sonntag, 9. Juli um 17:30 Uhr“John Lennon hat es sehr einfach gesagt: All you need is love. Und genau so ist es auch.” Mit diesen Worten bringt es Oskar Haag auf den Punkt. Auch unser heutiges Hohelied auf die Freundschaft hat viel mit dem Vermächtnis jener vier Herren aus Liverpool zu tun, die wir gemeinhin als “The Beatles” kennen. “I get by with a little help from my friends”. Treffender lässt sich kaum beschreiben, was den Wert “wahrer” Freundschaft im Inneren ausmacht: Dieses bedingungslose Dasein für einander ohne Fragen- oder Erklärenmüssen. Es ist bestimmt kein Zufall, dass Arno Gruen die freischwebende Aufmerksamkeit in einer Psychotherapie mit jener in einer Liebesbeziehung vergleicht. Denn “Liebe” (als Grundkraft des Lebens) ist genau das, was wirklicher Freundschaft innewohnt.

With a little help from my friendsUnlängst hat mich eine Nachbarin dabei ertappt, wie ich vergnügt den Beatles-Song Getting Better vor mich hin zwitscherte. Erst in ihrer Wahrnehmung wurde mir klar, wie depressiv ich während der letzten Jahre durch unser gemeinsames Stiegenhaus geschlichen war. Ich habe es meinen guten Freunden  zu verdanken, dass ich mich heute auch inmitten von einstürzenden Weltgebäuden am Leben weiß – und dass ich das spüren und mich darüber freuen kann. Und meiner Therapeutin, die mir die oben erwähnte Aufmerksamkeit über Jahre hinweg zur Verfügung stellte. Das wohlwollende Wahrgenommensein als der Mensch, der man ist (und den man sich selbst oft nicht mehr glauben mag), in Zeiten des Zusammenbruchs muss das von außen kommen – von Menschen, die einen ohne versteckte Absicht befürworten. Ja, ich habe das Grauen gesehen (und ich sehe es nach wie vor). Doch wie heißt es schon in Apocalypse Now: “Sie sind am Leben. Das ist alles, was zählt.”

In diesem Sinn (und darüber hinaus) wollen wir uns der Weisheit eines weiteren großen Propheten der Popkultur zuwenden, der es auch sehr einfach gesagt hat:

Every heart, every heart
To love will come
But like a refugee

Leonard Cohen

 

Und ganz einfach:

I love to be loved

Peter Gabriel