Gepflegter Kulturpessimismus

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Juni – Eine gepflegte Beschreibung des Begriffs Kulturpessimismus findet sich in den prophetischen Freibeuterschriften von Pier Paolo Pasolini, welche kurz nach seiner Ermordung 1975 erschienen sind. Im Untertitel “Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft” wird die Zielrichtung seiner Polemik deutlich, speziell die kulturvernichtende Kraft des “Konsumismus”, zu dem sich alle herrschenden Mächte vereinigen, wird hier beleuchtet. Und wenn wir uns heute, über 40 Jahre danach, vergegenwärtigen, wie sich die globalen Gegebenheiten der Zivilisationskultur sowie die kleinräumigen Gewohnheiten unserer Gesellschaft seitdem entwickelt haben, dann drängt sich schon die Frage auf, ob wir unseren Untergang überhaut noch abwenden können.

KulturpessimismusDies eben nicht mehr zu glauben, insbesonders was die Erhaltung einer lebenswerten Gesellschaft betrifft, auch dem Erreichen von Gewaltfreiheit und Gerechtigkeit skeptisch gegenüberzu stehen – darin äußert sich der klassische Kulturpessimismus. Aber, sind wir diesbezüglich schon über den viel zitierten “Tipping Point”, unseren “Point of no Return” hinaus? (Ein geniales Video übrigens von unser aller Physikpropheten Harald Lesch, quasi zur Begriffsbestimmung im Kontext des Klimawandels). Auch bei Pasolini spielt die menschgemachte Naturzerstörung eine wesentliche Rolle. Man könnte sagen, er hat das alles damals vorausgesehen, aber aus heutiger Sicht scheint diese Entwicklung unumkehrbar zu sein. Und dabei soll man nicht depressiv werden? Alles geht den Bach runter, Dystopien beherrschen die Popkultur (oder sind es die zwanghaft fröhlichen Autotunes mit ihren “Davon geht die Welt nicht unter” Botschaften?). Jede Auflehnung gegen das Unmenschliche erodiert unaufhaltsam zur Anpassung der Selbstoptimierer, zur Eucalypse Now!

Nichtsdestotrotz oder getreu dem Motto “Du hast keine Chance, also nutze sie” wollen wir das hierum Gesagte in einen musikhistorischen Zusammenhang stellen. Denn sowohl vor als auch nach Pasolinis Freibeuterschriften sind textmusikalische Untergangsszenarien entstanden, denen jedoch immer auch die Perspektive einer möglichen Veränderung innewohnte. Seit dem 11. September 2001 (so eine neue These) ist allerdings Schluss mit lustig. Hören wir dazu “Chew” (1991) von Jello Biafra & NoMeansNo, “The Black Plague” (1967) von Eric Burdon & The Animals sowie “The Decline” (1999) von NOFX, letzteres mit sehr vielsagendem EP-Cover.

Zu Risiken und Nebenwirkungen lernen sie einfach mal selbst Geschichte…

 

Nachwurf auf Stefan Weber

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. JuniDer große Vorsitzende von Drahdiwaberl, der “exzessivsten Band Österreichs”, ist nunmehr auch von uns gegangen. Wir werfen ihm daher, ganz in seinem Sinn, ein paar Reminiszenzen und, ja, natürlich, Fleischbatzerln hinterher. Mit Stefan Weber, der diese Musikkapelle seit dem Jahr 1969, zuletzt sogar trotz seiner schweren Parkinson-Erkrankung, als ein sich immer wieder neu erfindendes Aktionskunstprojekt betrieb, verliert die heimische Kunstszene einen ihrer besten Referenzwerte für kritisch-abgründiges Hinterfragen, nämlich all dessen, was hierzulande “allgemein anerkannt” ist – und somit “normal” und “üblich” sei. So zum Beispiel der “gute Geschmack” oder das “gesunde Volksempfinden”, wie es der Boulevard bis zum Erbrechen zelebriert.

Nachwurf GummibeidlMa konn den Parki überlisten,
oba leida ned total ausmisten.
Ma konn den Parki ignoriern,
ma wird eam trotzdem imma spürn,
genauso wie die Midlife-Krise,
sich nix scheißen is mei Devise.

I wü liaba a Dauererektion,
i scheiß auf den Parkinson.
(The show must go on)

Geh weg, Parki!
Geh scheißn, Parki!
*zähnefletschknurr*

Diese Zeilen aus dem Parkinson-Blues (vom Drahdiwaberl-Album Sitzpinkler 2004) haben mich damals schwer beeindruckt – und sind eins von vielen Zeugnissen, wie radikal ernst es ihrem Autor mit seiner aktionistischen Selbstinszenierung immer war. Und dafür, Nachwurf 1, ist ihm unsere Bewunderung auch über den Tod hinaus sicher. In der legendären ORF-Sendung “Phettbergs Nette Leit Show”, über die wir das Portrait “Die Krücke als Zepter” gestaltet haben, ragte Stefan Weber als Gast naturgemäß ebenfalls heraus. Dieses übermenschelnde Künstlergespräch spielen wir, quasi als Nachwurf 2, in seiner vollsten Länge – und Schönheit. Und zum dritten Nachwurf gereicht uns eine der wenigen Drahdiwaberl-Nummern, die auch von der Konserve gespielt den Live-Exzess der Truppe rüberbringt: Die Nazioper von 1994.

Reminiszenzen gibt es hinsichtlich einer eigenen Performance-Oper (“White Noise – Mark will leben” 2007 in der ARGEkultur, zusammen mit Markus Janka, Daniel Toporis und Mea Schönberg). Theaterblut, Gummibeidl, Onanieren, da sind durchaus einige Parallelen erkennbar. Oder bezüglich der Musik, die Stefan Weber Zeit seines Lebens inspiriert hat: derjenigen von Frank Zappa. Ganz abgesehen von den zahlreichen Künstlern und Musikern (und * und -innen), denen der Drahdiwaberl wiederum selbst zur Inspiration wurde, das eine oder andere davon werden wir auch auspacken

Warum diese Sendung überhaupt anhören? – Weil ich es kann. Hahahahaha!

PS. Wir empfehlen zudem heftigst diese schöne Aufnahme: “Stefan Weber und Walter Gröbchen” (Stream aus dem CBA-Archiv) von aufdraht: vagabundenradio. Lesung/Liveperformance/Künstlergespräch aus dem Wiener Rathaus 2007 oder die Lehrer-Schüler-Begegnung der etwas anderen Art.

 

Owie lacht (Bilgeri & Köhlmeier)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Juni (wegen Überlänge schon um 17 Uhr) Dies ist ein beinhartes Nostalgieprogramm. Allerdings richtet sich die Musik nicht gegen eine bestimmte Gruppe, sondern gegen Jedermann, der sich betroffen fühlt – auch gegen mich selbst. Owie lacht da ein jegliches, das die frühen Austropop-Hymnen der 70er Jahre noch selbst aus dem Radio gedudelt bekam. Etwa “Sein Köpferl im Sand” von Arik Brauer, dessen Vorspann ich hier eingangs verbrach. Oder die “inoffizielle Landeshymne” der beiden, vor über 40 Jahren auch mal im Duett als “Ray & Mick” auftretenden Hervorbringer des Albums “Owie lacht”, der unumstritten allererste alemannische Mundart-Ohrwurm “Oho Vorarlberg” von Michael Köhlmeier und Reinhold Bilgeri. Und wie verschieden sie dann sind…

owie lachtNachdem wir bereits in der Sendung “Die Köhlmeier Rede” auf Herkunft und Frühwerk des Schriftstellers verwiesen haben, um seine heutige Position in der medialen Erregung zu beleuchten (mit “March Movie”, dem legendären ORF-Hörspiel von 1983), reisen wir diesmal noch um ein weiteres Jahrzehnt zurück – in die Zeit seiner text-musikalischen Anfänge und fürwahr humoresken Mundart-Experimente. Als Beispiel für die interpretative Ergiebigkeit seiner damaligen Ergüsse sei hier der Zwischenspieljodler aus dem erwähnten Vorarlberglied angeführt (und genau so steht der Text im CD-Booklet):

Holleraggi, Dolleraggi, Ahiazolleraggi…
Roll roll roll Rolladen, Zwirnsfaden, Leberbraten usw…

Das sollte uns doch zu denken geben! Ganze Doktorarbeiten der Germanistik ließen sich daraus schnitzen, ja sogar Lehrstühle auf Lebenszeit – also, wenn man sich da mal Walther von der Vogelweide anhört?

Doch Scherz beiseite, hier noch ein paar Fußnoten fürs geneigte Sammelalbum unseres Publikums: Der auf Owie lacht enthaltene Song “Sus wär i sealbr dra” erinnert in seiner ganzen Aufmachung stark an “Ballad of a Thin Man” von Bob Dylan, wovon inzwischen auch eine schräge Coverversion von Laibach existiert. Michael Köhlmeiers sehr spezielles Verhältnis zu Urheberschaft und Inspiration verdichtet sich schön im Titel seines Albums “12 Lieder nach Motiven von Hank Williams” aus dem Jahr 2008. Und seine Vorliebe fürs Vervorarlbergisieren von internationalen Popmotiven ist ihm nach wie vor ungebrochene Leidenschaft, wofür diese Version von Lou Reeds “Walk on the Wild Side” als Beweis genügt.

Das Problem ist, mit der Arbeit fertig zu werden…