Der große Schaspreis

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. JuniDer Preis ist heiß. Eigentlich dampft er noch. Und auch wenn es sich nicht um den großen Schaspreis (oder eine andere staatliche Heißluft) für Literatur handelt, geht es rund um den Wörtersee meist mit einiger Erregung zur Sache. Denn die Veranstaltung, die schon im Jahr 2000 nicht mehr “Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb” heißen durfte, war ja von Anfang an als fernsehgerechte Show konzipiert, als ein unterhaltsames Theater der Literaturkritik. In einem der zahllosen Artikel des deutschsprachigen Feuilletons, die Tag für Tag während des laufenden Wettlesens erschienen sind, hat man uns immerhin einige der bisherigen Bachmannpreis-Erregungen nachgereicht. Es haben eben auch alle tagesaktuell bemarkteten Verwurstwaren ihre jeweils sehr eigenen Geschichten

Der große Schaspreis…durch welche sich die Geschichte erst wirklich lebendig erzählen lässt. Nicht, dass wir mit der diesjährigen Preisträgerin Helga Schubert nicht einverstanden wären! Ihre spezielle Bachmannpreisgeschichte begann bereits 1980, als sie aus Gründen der DDR nicht teilnehmen durfte – und Sten Nadolny sein Preisgeld zu gleichen Teilen auf alle Autor*innen aufteilen ließ, weil er befand, dass Literatur nicht Gegenstand von Wettbewerben sein sollte.” Seine daraus entstandene “Entdeckung der Langsamkeit” ist überhaupt eine unverzichtbare Kritik am herrschenden Immernochschneller und Immernochmehr. Das wäre ja auch die große Chance von Corona-Lockdown und Digital-Distancing, endlich zur Besinnung zu kommen im Hinblick auf die kranken (und kränkenden, im Wortsinn krank machenden) Ziele und Werte, mit welchen die Weltbevölkerung zum Zweck ihrer besseren Beherrsch- und Verwertbarkeit fortlaufend neu infiziert wird.

Publikumspreisträgerin Lydia Haider und gebenedeit – Die Viren sollen krepieren

Der große Schaspreis kann jedoch auch das Strafgeld für einen beamtshandelten Darmwind bedeuten. Wie bitte, was? Wenn jeder Schas klagbar wäre, dann liefen (lauferten) doch ein Haufen Politwichteln, Religionskoffer und Finanzhoudinis (um hier nur einige anzuführen) hoch verschuldet in der Landschaft herum. Oder geht es darum, aus welcher Öffnung des Körpers die heiße Luft entweicht? Ob man bloß ein Arschloch hat – oder ob man eines ist? Vielleicht hat Martin Luther auch den ersten Satz des Johannesevangeliums verkehrt übersetzt und es müsste heißen: “Im Anfang war der Sinn.” – Weil da steht ja Logos – dann bräuchten wir uns forthin nur noch mit dem Sinn von Vorschriften und Gesetzen zu befassen – und nicht mit deren Wortlaut.

Höchste Zeit für einen gepflegten Exorzismus mit Torsten Sträter

 

Bachmann Loops

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Juni“Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!”, schrieb Ingeborg Bachmann 1961 in ihrer Erzählung Undine geht”. Was sie wohl heute von dem nach ihr benannten Preis halten würde? Jene Dichterin, die 1967 aus Protest gegen die Übersetzung der Gedichte von Anna Achmatowa durch den ehemaligen NS-Funktionär Hans Baumann ihren bisherigen Stammverlag verließ, weil sie verstand, dass eine Frau, die gegen den Totalitarismus Stalins anschrieb, nicht von einem Mann bearbeitet werden durfte, der den Totalitarismus Hitlers mit befördert hatte. Jene Ingeborg Bachmann, die 1973 zugrunde ging, auch an ihrer jahrelangen Verzweiflung über jederlei kritiklosen Gehorsam, nunmehr dem alles zersetzenden ökonomischen Diktat gegenüber. Das Virus Macht hat viele Gesichter.

Bachmann LoopsWie entstanden nun eigentlich 1976 jene Tage der deutschsprachigen Literatur, als deren Höhepunkt sich das “Wettlesen” um den Ingeborg-Bachmann-Preis etablierte? Schon wieder begegnet uns Humbert Fink, der weithin als “Konservativer vom Dienst” dargestellt wird – und der im legendären Club 2 mit Nina Hagen 1979 als gelangweilter Verächter der weiblichen Sexualität auffällig wurde. Und der ebenso notorische Marcel Reich-Ranicki (die Löffler?), der ja auch nicht gerade als Verfechter einer spezifisch weiblichen Sicht- und Schreibweise gilt – viel eher als Prototyp des Machtbildes vom “alten weißen Mann”. Hier tut sich auf einmal eine schwindelerregende Diskrepanz zwischen Behauptung und Tatsächlichkeit auf, die aufs erbrechenmachendste die hierzulande gebräuchliche Rundumverwurstung von toten Künstler*innen aufzeigt. Wurscht, wer Mozart wirklich war, zur Imagepflege und als Handelsware ist er super! Überhaupt, ein Literaturevent als “sportiver” Wettkampfdas gibt uns zu denken!

Einen angenehm anderen Umgang mit dem Vermächtnis von Verstorbenen pflegt der Berliner Produzent Tim van Jul, der schon vor 8 Jahren mit seinem Projekt “Seid was ihr wollt – Kinskys Villon” im Artarium zu Wortklang kam. Nun hat er unlängst einen Gedichtvortrag von Ingeborg Bachmann kongenial in elektronische Musik gebettet, noch dazu zuhause als Ein-Mann-Unternehmen, wie es in den Zeiten der Corona angesagt ist. Und wie es zur diesjährigen digitalen Darreichung der “Tage der deutschsprachigen Literatur” passt wie kein anderer Faust aufs Auge. Daher spielen wir sein aktuelles Album “Bachmann Loops” am Tag der Preisverleihung.

Die Woge trug ein Treibholz hoch und sinkt.
Das Fieber riss dich an sich, lässt dich fallen.
Der Glaube hat nur einen Berg versetzt.
Lass stehn, was steht, geh Gedanke!

Ingeborg Bachmann – Geh, Gedanke

 

Die trojanische Gunst

Artarium am Sonntag, 14. Juni um 17:00 Uhr“Der nächste, der Kunst sagt, kriegt eine aufs Maul.” Dieser wunderbare Satz stammt nicht von Ulrike Lunacek, sondern von Hubert Weinheimer, seines Zeichens Dichter und Spiritus Rector der Wiener Chanson-Punk-Kapelle “Das trojanische Pferd”, die uns schon seit Jahren immer wieder lustvoll inspirativ begleitet. Genau genommen aus dem sich in Sehnsucht verzehrenden Lied “Fahrstuhlmusik” vom allerersten Album. So weit, so bisher. Doch jetzt hat der gefühlsselige Kreativvulkan eine ganz und gar neue (die vierte) Textmusikeruption zur Welt gebracht: “Gunst”, unlängst bei grob, gröber, monkey erschienen, klingt irgendwie anders – und doch wohlvertraut. Über die Entstehung des Gunstwerks berichtet Hubert im mica-Interview allerhand Aufschlussreiches.

GunstBeim Ersthören hat mich irgendwas an diesem gewandelten Klangbild schon auch irritiert. Und erst nach einiger Zeit wurde es mir klar: Das Cello fehlt! Fürwahr, der kongeniale Kompositeur und Live-Cellist, der in der “Fahrstuhlmusik” besungen wurde: “Und Hans Wagner und ich, wir schlagen zurück …”, der ist auf diesem Album nicht mit an Bord. Schade – denn sein exzentrisches Cellospiel prägte den Sound des Pferds maßgeblich. Dafür kommt “Gunst” allerdings mit zahlreichen neuen klanglichen Facetten daher, die sich vielleicht erst im Zuge mehrmaligen Hörens erschließen, dann jedoch dadurch überzeugen, dass sie das akustische Bühnenbild für Hubert Weinheimers Gesänge derartig plastisch, eindringlich und vieldimensional gestalten, wie es der Dichtheit und Virtuosität seiner Liedtexte entspricht. Denn seien wir uns einmal ehrlich, deren Qualität ist das Beständige und Vertraute, auch in diesem Album. Mehr oder weniger verklausuliert, wie lernten wir es schon beim Meister der vielschichtigen Aufbereitung (Peter Gabriel): “… erst die richtige Mischung aus Enthüllen und Verbergen macht Kunst lebendig …” Oder so ähnlich. Ein kleiner Vorgeschmack auf Gunst und Kultur?

Alles was ich nicht kenn das gibt es nicht
Du fragst mich na wie schmeckt das Kriegsgericht
Und langsam glaub ich schon du liebst mich nicht
Weil sich das letzten Endes widerspricht

Alles was ich nicht kenn das gibt es nicht
Alles was ich nicht mag ist widerlich
Alles was mir gehört das kriegst du nicht
Wenn du die Augen zumachst siehst du mich

Wir werden sehen…