Gesicht im blinden Spiegel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. November – Advent, Advent – und gerade jetzt müssen die Buchhändler unseres Vertrauens geschlossen halten! Das braucht uns trotzdem nicht zu verdrießen, denn viele von ihnen bieten einen unkomplizierten Bestell- und Lieferservice an, so dass wir nicht auf die üblichen Verdächtigen des internationalen Versandhandels angewiesen sind. Die von uns ob ihres vielseitigen Engagements sonst oft besuchte Rupertusbuchhandlung etwa bleibt in den Zeiten der Corona telefonisch erreichbar und hält zudem in ihrem Regionalen Onlineshop jeglichen Lesestoff per Gratisversand und auf Rechnung zum kontaktlosen Erwerb vorrätig. Zum Beispiel den neuen Roman von Brita Steinwendtner namens “Gesicht im blinden Spiegel”, den wir im Rahmen unserer Sendung exemplarisch vorstellen.

Gesicht im blinden SpiegelDer Anlass zu dieser Auswahl beruht sicherlich auf einer fruchtbaren Freundschaft, die uns mit der Salzburger Autorin schon seit den Anfängen unseres gemeinsamen Radiomachens verbindet. Dieses Buch jedoch gut zu finden, es in einer eigenen Sendung vorzustellen und – ja, es für überaus empfehlenswert zu erachten – das ist in unserem Fall kein Freundschaftsdienst und keine “reine Gefälligkeit”, sondern entspringt dem Erleben dessen, “was es mit uns macht”. Der Roman ist ja mittlerweile von zahlreichen Berufenen und/oder Beruflichen beschrieben, besprochen und beurteilt worden, wie auf ihrer wunderschön übersichtlichen Homepage zu erfahren ist. Warum dieser Roman allerdings gerade in den aktuellen Umbrüchen und den damit verbundenen Unsicherheiten ein hochwirksames Therapeutikum sein kann, das wollen wir hier in einer Collage aus Berichten, Leseproben und Musik darstellen. Wie bereits im Alten Testament festgestellt wird, “ist des vielen Bücherschreibens kein Ende”. So gibt es in dieser heutigen Zeit des ständig beschleunigten Gedudels auch jede Menge modischen Schnickschnack in Buchform zu kaufen, marktgerecht aufgebrezelt und mit aller Geldmacht beworben. die Pandemie der Pestseller bestenfalls. Mitten dazwischen im Gatsch der Geschäftigkeit ein sicherer Hafen aus sorgsam verdichteten Bildern, in denen sich das Leben selbst feiert, als gäbe es die alltägliche Bedrohung nicht. Dennoch ist sie immer da, wenn dir im Spiegel das Gesicht aus dem Gesicht fällt

Ein Buch, das nicht die Hochleistung des Gezeichneten (und sind wir das nicht alle irgendwie?) hervorkehrt, sondern das genauso die Beiträge der Gesellschaft wie die Rhytmen und Melodien des Lebendigen aufnimmt – und vielstimmig wiedergibt. Die immer gleichzeitige Gegenwart von Überleben und Untergehen; ein lebensweises “Sowohl-als-auch” macht diesen Roman zu einem großen Ganzen. Und genau das vermag auch unser verborgenes Gebrochensein zu heilenvielleichttrotzdem!

PRÉLUDE ZWEI

Und wieder kommt der lange Zug von Menschen über die gebrochene Leinwand. Langsam zieht er darüber hin und verschwindet, taucht wieder auf und geht aus dem Bild. Müht sich im Trommel- und Trompetenwirbel durch das Leben. Jede Figur durch ihr eigenes und unverwechselbares Leben. Die Gestalt, die aus einem dicken Stapel von Zetteln einen immer neuen herauszieht und ihn langsam über ihre Schulter wirft in die Achtlosigkeit, geht immer noch dem Zug voran. Und immer, wenn sie wiederkommt, knie ich nieder und versuche, ein Blatt, das in meine Hände taumelt und mir Fortsetzung verspricht, aufzufangen, um es vor den Füßen der ewig Wandernden zu bergen und dieses eine Schicksal zu retten vor dem Vergessen im Perpetuum der Zeit.

Brita Steinwendtner – Gesicht im blinden Spiegel, Seite 85

Inspiriert von  William Kentridge – More sweetly play the dance

 

Euer Pestilenz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. November“Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.” Dieses von Goethe her rührende Zitat würde ich wahrscheinlich verwendet haben, wenn ich damals den Beitrag des Schülers Sebastian Kurz zu beurteilen gehabt hätte. Ein Siegerbeitrag wäre es damit wohl auch nicht geworden. Der aktuelle Bundeskanzler soll nämlich erstmals damit aufgefallen sein, dass er einen Redewettbewerb gewann. Seitdem galt er in der ÖVP als herausragendes rhetorisches Talent. Mein zutiefst empfundenes Mitgefühl! Wenn das die Krönung der politischen Ambitionen dieser Partei darstellt, dann ist Niveau eventuell doch eine Hautcreme. Der traurige Umgang seiner Regierung mit der Corona-Pandemie beweist allerdings: Selbst der gewiefteste Populismus zerbröselt an der Pestilenz.

Euer PestilenzIn Zeiten wie diesen braucht es Politiker, die darin glaubhaft sind, Verantwortung für das Gemeinwohl zu tragen und nicht endlos zugecoachte Imagetandler, die sich (und uns) noch das offensichtlichste Versagen als großen Erfolg verkaufen. Wer “schön reden” zum Hauptmerkmal seines Karrierewegs machen möchte, der soll Schauspieler werden – und besser nicht als Bundeskasperl herumhupfen. Wer als Politiker “schön reden” betreibt, der wird sich (und uns) früher oder später selbst den größten Scheiß schönreden. Nur, auch kein noch so schöner Schein übertüncht derzeit das Scheiße sein … Genau diese Diskrepanz zwischen “gewählten Worten” und “unausgesprochenen Inhalten” hätte ich als Jurymitglied des damaligen Redewettbewerbs aufgezeigt. Mir wäre die Eleganz der äußeren Form künstlich erschienen, die Eloquenz der Performance abgespalten von den zugrunde liegenden Emotionen, alles in allem zusammenhanglos, unstimmig, nicht nachvollziehbar, irgendwie irritierend. Und wenn sich mir nicht und nicht erschließt, was der da eigentlich will während er mich mit Schöngetön salbt, dann vermute ich dahinter schnell mal eine Hidden Agenda. Auf gut Deutsch, der erzählt da was vom duftenden Topfenstrudel, aber eigentlich will er mir einen Versicherungsvertrag andrehen, ohne mich um Erlaubnis zu bitten. Meine Detonation, euer Pestilenz! Ja glaubst denn du, dass ich ein Depp – bist?

Nachdem bereits von vielen und weithin kritisiert wurde, dass der “Bundeskasperl” bei seinen inflationären Pressekonferenzen immer viele schöne Worte machen und dabei nicht wirklich viel sagen würde (abgesehen von “ich habe”, “ein großer Erfolg” oder “ich sehe ein Licht”), ist nun endgültig der Punkt erreicht, an dem Realität und Satire ineinander übergehen: In der ZiB 1 vom 14. 11. sollte seine Ankündigung des neuerlichen Lockdown gesendet werden – doch wahrlich, ich sage euch, es begab sich ohne Ton. Und zwar dreimal. Man sah ihn dreinschaun, man sah ihn hampelnaber man hörte nichts. So wie einst bei Frau Lehmann-Brak auf dem Klo (Missfits)

Nicht ohne Augenzwinkern: ICH WILL NICHT MEHR

 

Weckers Weltenbrand

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. November – Einen Weltenbrand nannte man einst den ersten Weltkrieg (von 1914 bis 1918) und mit Weltenbrand betitelte man später auch Dokumentarfilmreihen darüber. So funktioniert die Verknoppung von Weltgeschichte in Wort und Bewegtbild. Konstantin Wecker jedoch verwendet diese apokalyptische Metapher lieber als Überschrift seines aktuellen Livealbums, welches wir bereits als Konstantins Kindheitstraum vorgestellt haben. Den zweiten Ausschnitt daraus widmen wir nun der Verbindung von politischem Widerstand und poetischer Zärtlichkeit, die sich wie ein roter Faden durch Weckers Werkwelt zieht. Ohne diese zwei Pole menschlichen Seins zusammen zu bringen ist auch keinerlei menschliche Politik zu gestalten, kein gewaltfreies Gemeinwesen je zu erreichen.

Weckers WeltenbrandWenn wir bestürzt feststellen, was für empathielose Psychopathen unser Gesellschaftssystem in die höchsten Machtpositionen spült, wie der bekennende Anarchist hier so zutreffend zeigt: “Eine kriminelle Vereinigung von unbelehrbaren oder korrupten Politikern, bestechlichen Wissenschaftern und geldgeilen Lobbyisten, aber Profis allesamt…”, ja, dann ist es allerhöchste Zeit, über eine “herrschaftsfreie Regierung” nachzudenken. Denn das Peter-Prinzip führt in unserer so hierarchisch aufgebauten Wirtschaft und Politik zwangsläufig dazu, dass führer oder später jemand ganz oben auf dem Thron hockt, den (oder die!) man mit Fug und Recht “Euer Hohlheit” nennen kann. Doch anstatt Hierarchien generell zu beseitigen und sich zu überlegen, wie in einer an allen Ecken und Enden zu zerplatzen drohenden Welt “regiert” werden kann (mehr im Sinn von “Regie führen” als wie bisher “herrschen” wie wir das so kennen), versucht man mit allerlei Reförmchen am Bestehenden das Schlimmste abzumildern. Werden etwa Rassisten sich auf wundersame Weise in weltoffene Menschenfreunde verwandeln, wenn das Wort “Neger” gesetzlich verboten ist? Da würde man ja noch eher in absehbarer Zeit das längst überfällige Heilmittel gegen die Dummheit finden!

Entzündet vom Weltenbrand,
ins Jetzt gepflanzt,
ewig in Rhythmen gebannt,
aus Klängen gestanzt,

tauchst in die Fluten du ein,
bis alles erlischt,
würdest gern Brandung sein,
endest als Gischt.

Dem Ganzen entzweit, doch ganz
auf dich gestellt
bleibt nur dein brüchiger Tanz
auf den Wogen der Welt,

und du erinnerst den Ton,
den großen Gesang,
dem vor Urzeiten schon
dein Wesen entsprang.

Trotzdem: was hält dich im Spiel?
Welcher Verdacht
leiht dir noch Licht und Ziel
in deiner Nacht?

Welches geheime Wort,
äonenfern,
schwingt sich im Geiste fort
durch Stunde und Stern?

Weshalb auch mancher Moment,
liebeverwebt,
der dir auf einmal bekennt,
warum es dich lebt?

Und so lugst du am Bug,
fährst nie im Hafen ein,
als wäre es Gnade genug,
Segel im Winde zu sein.

Entzündet vom Weltenbrand
ins Jetzt gepflanzt,
ewig in Rhythmen gebannt,
aus Klängen gestanzt,

tauchst in die Fluten du ein,
bis alles erlischt,
würdest gern Brandung sein,
endest als Gischt.

Weltenbrand (inspiriert von Rainer Maria Rilke), Gedicht von Konstantin Wecker

 

You’re Fired

> sendung: Artarium vom Sonntag, 8. November – Amerika ist anders. Allerdings anders anders als Wien. “Schleich di, du Oaschloch!” Im Land der Unbegrenzten heißt das “You’re fired!” There’s no Business like Showbusiness. Für Masochisten hier noch einmal die Zusammenfassung. Dieser Mensch ist eine Dauerbeleidigung für jedwede Regung intelligenten Lebens auf dem gesamten Planeten. Intelligenz ist fürwahr nicht die Fähigkeit, sich listig auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen oder sich hinterfotzig in ein hohes Staatsamt zu schwindeln. Vielmehr Gefühlsintelligenz, das Erkennen von Schönheit und Stimmigkeit, der Respekt vor dem Anderssein der Anderen, das Eintreten für die Bedürfnisse von Schwächeren, kurz gesagt Interesse am Gedeihen der Welt. Wer rücksichtslos Gewalt ausübt, soll sich bitte schleichen.

You're FiredUnd wer andauernd andere aus seinem Umfeld rausschmeißt, der soll endlich zu sich selbst sagen: “You’re fired.” Und sich aus dem Weg räumen, den andere gehen wollen. Die globale Verstopfung durch egoistsches Trotteltum ist dieser Welt nicht länger zuzumuten. Und bitte um Verzeihung, Bernd, dass wir dich hier zur Illustration von “Dumm wie Brot” verwenden, doch bei der Sprachsuche nach Beschreibungen für den unerträglichen Krawattenquader sind wir tatsächlich am Ende unserer Ausdruckskraft angekommen. Auch hier kann uns nur noch die Mundart retten: “Do schloft ma beim Speibn des Gsicht ein.”, soll einst Werner Geier auf Ö3 gesagt haben. Das waren Zeiten! Das war noch Radio! Gute Nacht, Österreich. Keine Realität ohne Realitäter.

Scheiße. Der Machtwechsel als Stoffwechsel. Ein quälend langsamer Prozess wird uns von allen Seiten tagelang live übertragen und dazu noch in Gesprächsrunden redundant kommentiert. Schon klar, wir sind alle froh, dass uns wenigstens irgendwas mal vom Dauerthema Pandemie ablenkt. Aber doch bitte nicht in allen grauslichen Einzelheiten. “Ich wähle Trump, weil Amerika sonst ein kommunistisches Land wird.” Bei dergleichen Schwachsinn mussten wir fortwährend schnappatmen, während wir eigentlich nur erfahren wollten, ob das Bemmerl endlich draußen ist. Ganz Amerika sitzt am weißen Häusel – und die Welt schaut dabei zu. Naturgemäß selten gab es erheiternde Momente wie etwa jene Replik von Gayle Tufts: “Wenn Joe Biden ein Kommunist ist, dann ist Florian Silbereisen der nächste Sänger von Rammstein.”

An dieser Stelle wünschen wir Till Lindemann lieber auch weiterhin alles Gute.