Kein Jahresrückblick

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Dezember – Wenn wir auf das demnächst vergehende Jahr zurückblicken, dann sehen wir da so einiges, das wir lieber nicht gesehen (oder überhaupt erlebt) hätten. Und inmitten des ganzen Schlamms einer zunehmend aus den Fugen geratenen Welt entdecken wir durchaus noch das eine oder andere kostbare Kleinod, das uns wieder aufbaut und uns das Herz wärmt. Also doch ein Jahresrückblick? Derer gibts ja derzeit aufdringlich viele, zumeist klingelnder Quotenbimbam und semantischer Quatsch, aber auch ein paar sehr gelungene, wie etwa der von Jan Böhmermann oder jener von Werner Doyé und Andreas Wiemers. Da wollen wir jetzt aber nicht hintanstehen und auch den einen oder anderen Scheißhaufen prämieren. Oder das eine oder andere Wunderding

Kein Jahresrückblick

ein passendes Foto von Bernhard Jenny

Einige der vergessenen sowie von der medialen Wichtigwelt oft kaum beachteten Aspekte dieses speziellen Jahres 2020 wiederum ins gemeinsame Bewusstsein befördern, das unternimmt unser etwas anderer Jahresrückblick, der eben keiner (daher der Titel) im herkömmlichen Sinn ist. Vor allem ein solcher Aspekt ist in der überbordenden Pandemie-Panik geradezu “untergegangen” – die eigentliche Bedeutung von Kunst und Kultur für das Wohlergehen der Menschheit. Andauernd wird  fast nur noch von Arbeitsplätzen, Einkommen und wirtschaftlicher Relevanz gesprochen, von “Kunstmarkt” und “Kulturindustrie” – allein die Wortwahl beweist, wie verblendet (oder verbrecherisch?) die offiziell Hampelnden generell sind. Sogar die Kunstschaffenden selbst scheinen ob ihrer Existenzbedrohung schon zu vergessen, was ihre Arbeit für das Menschsein leistet. In der Auseinandersetzung mit Musik, Literatur, Theater, Film, bildender Kunst jeglicher Art, mit Brauchtum wie mit Hochkultur, entwickelt ein Mensch seine Identität, lernt sich von anderen zu unterscheiden und erwirbt somit die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Und pflegt und trainiert dadurch auch sein Leben lang diese Eigenschaften, die ihn (und sie!) erst dazu befähigen, ein für alle gedeihliches Gemeinwesen zu gestalten. Genau diese Lebenskunst brauchen wir doch in diesen Zeiten am notwendigsten!

Wer derart wesentliche Grundlagen – des Einzelnen wie der Gesellschaft – einem obskuren ökonomischen Imperativ unterwirft, ist in keiner Weise geeignet, für das Gemeinwohl Verantwortung zu tragen und sollte sofort aus jedem Regierungsamt entfernt werden. Wer durch politisches Handeln Kunst und Kultur zum optionalen Freizeitspaß herabwürdigt, begeht auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Demaskieren der Gesinnung!

PS. Alles Gute zum 40. Bandgeburtstag, New Model Army!

 

Irgendwas mit Georg Kreisler

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Dezember – Eigentlich wollten wir in unserer vorweihnachtlichen Bastelsendung “Irgendwas mit Texten” machen und hatten dafür schon zwei Ideen des großen Heimatlosen in Vorbereitung. Doch dann entschlossen wir uns angesichts der Überfülle an abgründigem Wortwitz in seinem Lebenswerk, die gesamte Sendung mit musikalischen Sprachspielereien von und mit – und rund um Georg Kreisler zu bestreiten. Und selbst das kann nur eine Andeutung bleiben. Thomas Rothschild schrieb in einem Nachruf in der Zeit, “dass der, neben Robert Gernhardt, die komischsten Reime seit Wilhelm Busch erfunden habe.” Das ist die eine Seite. Die andere beruht auf seiner zutiefst anarchistischen Weltsicht und bringt so eine geradezu prophetische Ablehnung der “herrschenden Verhältnisse” hervor.

Alles nicht wahr - Ein Georg Kreisler Abend

Salzburger Kulturvereinigung 10. 10. 2020 Foto: Franz Neumayr

Man braucht Kesselflicker
und Autobuslenker,
Elektrotechniker
und Serviettenschwenker,
vor Gericht braucht jeder
einen Verteidiger,
dieser Verteidiger
ist Akademiker.
Ich bin kein Zyniker
und kein Polemiker,
ich verehre diese Leute
wirklich sehr!
Aber was für Ticker
ist ein Politiker?
Eines Tages gibts den sicherlich nicht mehr!

Wir beleuchten also einerseits den phonetischen Sprachspaß, wie er in diesem Lied (und auch in anderen) vorkommt, anderseits die radikal zugespitzten Aussagen zum Zustand der menschlichen Gesellschaft. Wir erspüren die vielfältigen Inspirationen des Georg Kreisler, sowohl die ihn prägenden als auch die von ihm ausgehenden, von seiner Zusammenarbeit mit Charlie Chaplin in den 40ern bis zu ihm posthum gewidmeten Bühnenwerken von Nikolaus Habjan und Franui. Und mit dieser dichten Collage möchten wir insgesamt eines bewirken – dass zu diesen heurigen von Corona überwölkten Feiertagen ein altbewährtes Überlebensmittel des Menschseins nicht in Vergessenheit gerät – der Humor. Wir möchten dazu anstiften, Georg Kreisler und seinen Witz als ein Lachenkönnen auch in schwierigsten Verhältnissen zu feiern.

Eigentlich wollte er ja selbst einmal in unsere Sendung kommen. Doch dann ist er unvorteilhafterweise gestorben, bevor wir das realisieren konnten. Traurig besuchten wir sein Grab am Aigner Friedhof. Was uns allerdings immer bleibt, ist sein Humor.

Frohes Fest oder was auch immer …

Schuldig!

 

Symphonie Symposion

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Dezember – Das etwas andere Kunnst-Biotop ergeht sich anlässlich des andventlichen Eingesperrtseins von Kunst und Kultur in seinem selbsterteilten Bildungsauftrag. Zur Einführung hören wir John Lennon, Leopold Figl sowie Tony Levin. Und naturgemäß würdigen wir am Schluss des Beethovenjahres auch diesen herausragenden Musikrevolutionär, ohne dessen Aufbrechen der klassischen Formensprache es keine Romantik, keine Programmusik und keinen Progressive Rock gegeben hätte. Zeitreise rückwärts. Beginnen wir mit einigem davon, was sich aus heutiger Sicht aus dem Erbe der 9. Symphonie weiter entwickeln ließe. Das Schöpferische will seinem Wesen nach zu eigener Kreativität inspirieren – und nicht als musealisierte Mumie unfruchtbar vor sich hin verfaulen.

Lauscht die Raucherin einer Symphonie?Bevor wir dann zu unserem selbst zusammengestellten Hörerlebnis kommen, halten wir doch kurz bei dem Bild von Mirek Kuzniar inne. Ob die Raucherin hier wohl gerade hoch konzentriert einer Symphonie lauscht? Oder doch eher Jazz? Ob ihre Hingabe hier überhaupt einer Musikdarbietung gilt? Oder sind es Erinnerungen? Oder Phantasien? Es geht darum, sich einzulassen auf das, was sein könnte. Eigene Bilder und Assoziationen hervor steigen und sich selbst mitreißen zu lassen in den Strom dessen, was da alles auf- und wieder untertaucht. Das wäre eine gute Einstimmung in die Klangmalerei, die auch das heutige “ganze Album” charakterisiert. Denn dafür haben wir eine gute halbe Stunde symphonischer Musikstücke aus der Hochblüte der Romantik und der Programmusik herbeigeschafft. Und wenn wir jetzt schon dabei sind, die Anstifter zu würdigen, es war die Beschäftigung mit Brita Steinwendtners neuem Roman (der ja hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt), die unsere Auswahl maßgeblich angeregt hat. Die Sätze und ihre Bezeichnungen lauten entsprechend:

01 Nikolai Rimski-Korsakov – Der Hummelflug (Langversion)

02 Bedrich Smetana – Vltava (Die Moldau) aus “Ma Vlast” (Mein Vaterland)

03 Antonin Dvorak – Adagio (Symphonie Nr. 9 “Aus der Neuen Welt”)

04 Anton Bruckner – Scherzo (Symphonie Nr. 9 “Die Unvollendete”)

Wir wünschen unseren Hörer*innen dabei eine gedeihliche Reise durch nicht enden wollende Klangwelten und Bilderfluten.