Vergänglichkeitsbewältigung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. NovemberHeiliger Bimbam! Das Wort zum Totensonntag, wie er im evangelischen Umfeld heißt. Andächtiges Gedenken an das Lebenswerk der österreichischen Ausnahmeband EAV, die uns viele nicht unwesentliche Betrachtungen abendländischer Geistes(un)kultur hinterlassen hat. Vergänglichkeitsbewältigung ist eine schöne (und sehr lebendige) Wortschöpfung, ganz im Gegensatz zu Vergangenheitsvergewaltigung, wie sie gern (und grausam) von den Machtinstanzen des Menschenfleischwolfs ausgeübt wird. Erinnern wir uns daran, was wir erlebt haben, bevor es Religion gab. Schließlich sind wir die Lebendigen und nicht die Ausgedachten. Bevor wir in eine Funktion abgerichtet wurden, waren wir stimmig. Und das wollen wir sein, indem wir sind, wer wir sind.

VergänglichkeitsbewältigungIch erinnere mich an einen Ausritt in die Vereinigten Staaten”, von wo ich einen Haufen Schallplatten der Beach Boys mitbrachte, die später über Umwege in den Fundus von Manfred Deix gerieten. Schon in jüngeren Jahren sprach mich das irgendwie mehrdeutig schillernde “Break Away” von Brian Wilson mehr an als all die radiotauglichen Sunshinesongs, die sich da sonst so tummelten. Es klang nach einer noch größeren Welt mit unendlich vielen Möglichkeiten – und nicht nach dem eintönigen Freiheitsbrei aus Gehorsam und Langeweile. Es war wie das Versprechen eines Aufbruchs in etwas Eigeneres als das Vorhergedachte, das sich aber wohl erst viel später erfüllen sollte. Jedenfalls kommt es darauf an, dass man überhaupt etwas daraus macht, was einem begegnet. Damit meine ich (God bless America, Fuck) fürwahr kein Geschäft, sondern Kunnst oder eben eine verwandlerisch verbearbeitende Weiterentwicklung auf der Suche nach der nächsten neuen Welt. Und vertrauen sie mir, da gibt es noch sehr viele.

Was aber hat es mit diesem heutigen Titel “Vergänglichkeitsbewältigung” auf sich? Nun, inmitten von all dem, woran wir uns erinnern und all dem, was wir (warum auch immer) vergessen, sind wir selbst vergänglich. Wir erinnern uns vielleicht daran, was wir in unserem Leben gern noch entdeckt hätten und was aufgrund der Umstände nicht möglich war. Irgendwann stellen wir fest, dass das auch in diesem Leben nicht mehr möglich sein wird. Wie wir dann im Bewusstsein unserer Vergänglichkeit mit uns selbst im Frieden leben können, das ist es, was da bewältigt werden will

Gut, wenn man dabei nicht allein ist.

Anmerkung: Der vorletzte Satz dieses Artikels müsste eigentlich heißen: “Irgendwann stellen wir fest, dass einiges davon auch in diesem Leben nicht mehr in der Form, wie es damals hätte sein sollen, verwirklicht werden kann.” (Es ginge sich schlicht nicht mehr aus). Vieles davon kann allerdings, auch anders als erwartet, Gestalt annehmen – doch das ist wiederum eine andere Geschichte, die noch zu erzählen sein wird …

 

Schöner sterben

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. NovemberZwischen Allerseelen und Totensonntag, während sich die Natur um uns her in den großen Winterschlaf hüllt, steigt die Ahnung der Endlichkeit aus den Nebeln des Nichtwissenwollens. Und sie macht sich bewusst bemerkbar: Wir werden alle sterben, soviel steht fest. Fragt sich nur, wie … Schon seit der Antike verfolgten Philosophen die Frage nach einem guten Tod auf höchst unterschiedliche Weise, und manche kamen dabei zu der Ansicht, der beste Tod sei ein plötzlicher – der einen unerwartet und jäh aus dem Leben reißt. Schwuppdiwupp sozusagen. Die Vorstellung hat durchaus etwas sympathisches, wie einige unserer Geschichten zeigen werden. Sterben als ein Hoppala sozusagen – ausrutschen, hinfallen, tot sein. “Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.”

Schöner sterbenSo etwa ist Thomas Bernhard immer wieder zitiert worden. Und er ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich das alltägliche Innesein des eigenen Todes im Leben auswirken kann. Es interessiert uns nämlich, wie eine Kultur des selbstverständlichen Miteinbeziehens von Sterblichkeit und Tod in all das, was wir als “unser Leben” begreifen, gelingen könnte. Denn zur Zeit “leben” wir in einer Kultur der größtmöglichen Trennung von Leben und Sterben. Der Tod wurde aus unserem Leben verbannt und findet nur noch hinter Mauern und Zäunen, in Krankenhäusern, im Hospiz oder auf dem Friedhof statt. Demnächst wird er einen Antrag stellen müssen, wenn er in unser Bewusstsein einreisen und uns begegnen möchte. Hallo? Der Tod ist doch von vorn herein Teil unseres Lebens oder haben wir das völlig falsch verstanden? “Mein Herz schlägt mich innerlich tot” singt das trojanische Pferd und fängt auch schon an, in genau dem Rhythmus zu tanzen, der das Leben bewirkt und zugleich das Sterben einzählt. Wir stellen den Kontrast von Licht und Schatten wieder her – in einer kleinen Collage aus plötzlichen Abgängen und jüdischem Humor. Wenn zwei verschiedene Dimensionen einander unerwartet begegnen, dann ist es ein Witz.

Wie etwa der gar nicht unspektakuläre und nichtsdestoweniger tragische Abgang von René Goscinny, der bei einer kardiologischen Untersuchung einen Herzinfarkt hatte und dabei quasi tot vom Ergometer fiel. Eine für einen jüdischen Humoristen nicht unwitzige Schlusspointe. Die Kultreihe Asterix war jedoch nach Ansicht einiger Zeitgenossen danach nie mehr so witzig, so dicht und so prophetisch wie zu seinen Lebzeiten. Uns bleiben seine genialen Einfälle: “Ich hab nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier.”

Ich bin Spartacus

 

Steve Howe – Beginnings

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. November – Wir spielen heute das Album “Beginnings” von Steve Howe, das er 1975 nach mehrjährigem Mitwirken bei Yes als sein erstes Soloalbum herausgebracht hat. Und zwar, wie das in unserer Reihe “Das ganze Album” üblich ist, ohne jedwede Unterbrechung. Dabei enthalten wir uns zudem sämtlicher seit den 70er Jahren herumgeisternder Gscheitscheißereien, die das hier zu hörende Klangwerk in irgendwelche Kasterln und Kategorien einsortieren. Sondern vertrauen darauf, dass unser unsichtbares Publikum genauso eigenartig ist wie wir uns das wünschen – ein etwas anderes KUNNSTbiotop. Erinnern wir uns an das legendäre “And You And I” vom Montreux Jazz Festival 2003, seit dem wir den virtuos klangmalenden Gitarristen mit dem Beinamen Mäusegroßvater” versehen.

Steve Howe BeginningsWenn es darum geht, Eindrücke aus “anderen Welten” wiederzugeben, die sich uns oft nur in sehr speziellen Seinszuständen zeigen, dann reicht es nicht, Sprachmechaniker oder Instrumentenwettbewerbsfudler zu sein. Dann ist es unerheblich, ob wer ein Doktorat, ein Diplom oder was auch immer besitzt, allgemein anerkannt ist als dies oder jenes, berühmt ist, erfolg- oder einfach nur reich. Dann stehen wir alle vor dem Ungesagten, dem “noch nie zum Ausdruck gebrachten” und vor der unentrinnbaren Aufgabe, dem, was wir da erleben, doch irgendwie Ausdruck zu verleihen. Und da tut es gut, wenn wir anderen Seinsreisenden und ihren diesbezüglichen Versuchen begegnen, uns von ihnen und ihren Erfahrungen inspirieren lassen, auch aus dem Fundus ihrer Gestaltungsformen die eine oder andere Anleihe für unsere eigenen Schöpfungen nehmen können. Kurz gesagt, wenn wir aus dem, wie sie die Welt beschrieben haben, Anregungen für unsere eigene Darstellung beziehen. Auf dieser Ebene funktioniert “Beginnings” als reichhaltiges Bergwerk der Beispiele – nicht nur für Gitarristen

Are we up, are we down?
Twirling round and round
Spectral spaces found
Leaves enjoy their Autumn
Do you like the fall?
Suppose yourself above it all
In our self-made worlds

Steve Howe – Lost Symphony

PS. Wunderbar auch dieses akustische Solo (Live in Montreux 2003)