Schatten über Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Oktober – Der Autor, Liedermacher und Kabarettist Peter Blaikner hat jüngst “einen Roman nach einer wahren Begebenheit” mit dem Titel “Schatten über Salzburg” herausgebracht. Der bezieht sich auf eine Besetzung des Petersbrunnhofs durch Neonazis im Jahr 1993 sowie verschiedene damit in Zusammenhang stehende Ereignisse. Nachdem es uns über die Jahre immer wieder beschäftigt hat, wie sich “das nicht Wahrgenommene” in seinem Keller (der unser Unterbewusstsein ist) weiter auswirkt, wollen wir die Themen dieses Romans auch in unserer speziellen Sichtweise wiederspiegeln. Denn “das Weggelassene” wie auch “das Hinzuerfundene” einer im Nachhinein “interpretierten Geschichte” hinterlässt in uns Leerstellen, blinde Flecken, Unklarheiten oder eben Schatten”.

Schatten über SalzburgNicht nur in der “großen Geschichte” (etwa der des ganzen Landes) entstehen solche Leerstellen, die von uns mit Bedeutung versehen und in Zusammenhang gebracht werden wollen – auch in den vielen “kleinen Geschichten” (aus welchen “Geschichte” eigentlich besteht) verlangt das Unbeantwortete nach Antwort. Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, dass es die Wechselwirkung von allgemeingesellschaftlich verdrängten Unangenehmheiten und individuellen Verletzungen (die wiederum unerfüllte Sehnsüchte bewirken) aufzeigt. Peter Blaikner hält die dafür nötige Distanz zum Geschehen, um sowohl das persönliche Schicksal seiner Figuren als auch allerlei politische Machenschaften, in die sie sich verstricken und in die sie zugleich verstrickt werden, zu verdeutlichen. Beim Lesen gerät man so in einen Zustand des gleichzeitigen Mitfühlens wie eben auch Beurteilens …. und im besten Fall hoffentlich Verstehens. Das ist mehr als man von manch sprachfunkensprühender Weltniveauliterur (dazu gehört dieser Roman eher nicht) aufgetischt bekommt. Wiewohl durchaus kicherigmachende Ausdrücke (da zwinkert der theatererfahrene Kabarettist) das Unterhaltenwerdenwollen bedienen, so etwa ein “innerlich schallend lachender Vater”. Ich habe einige der geschilderten Ereignisse selbst miterlebt und befinde, das Buch lädt zum Selbstweiterdenken ein.

Meine Mutter war im Alter von 14 Jahren ein Vorzeigenazi. Noch 1944 (als bereits alle deutschen Fronten in Auflösung begriffen waren) schrieb sie ein “Kriegstagebuch”, in dem sie Tag für Tag fein säuberlich die Siegesmeldungen” der Reichspropaganda wiedergab. Für wen? Wozu? Alles in ihrer verletzten Kinderseele schrie: “Ich will nicht allein sein! Ich will dazu gehören!” Und auch heute noch schreit es in mir: “Ich will diese Angst nicht ertragen müssen!” (Diese Angst vor dem Terror des Ausgestoßenwerdens. Wer schreit da?). Die Frage ist, wie wir in der Gegenwart mit dem Erinnern umgehen.

Memory ist immer under Construction.

Und wo ist dein Schatten?

 

Reclaim the Radio

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. OktoberDer ORF überschlägt sich geradezu in seiner aktuellen “100 Jahre Radio” Selbstlobinszenierungaber unterschlägt dabei unter anderem, dass es Radio in Österreich schon seit 101 Jahren und 6 Monaten gibt. Auch wenn er das einigermaßen vorsichtig formuliert: “Der 1. Oktober 1924 gilt als die Geburtsstunde des Rundfunks in Österreich.” Was immer bei wem auch immer als was auch immer gelten mag – die tatsächliche Geburtsstunde war der 1. April 1923, als der aus privater Initiative entstandene Sender Radio Hekaphon in Betrieb ging. Der hatte zwar noch keine Konzession (Lizenz) und gilt (schon wieder dieses Wort) rückblickend als illegal, die damalige Regierung benötigte 9 Monate, um dafür den Begriff “Grober Unfug” zu gebären.

Reclaiming RadiowavesUm immerhin dem Freien Radioder dritten Säule des Rundfunks in Österreich – einen gebührenden Platz an der Jubiläumssonne des sonst so selbstbezogenen ORF einzuräumen, lässt die Regisseurin Heidi Neuburger-Dumancic ihren Dokumentarfilm Wellen der Zeit” auch in die Produktionswelt der Radiofabrik eintauchen. Der Film wird am Montag, 21. Oktober um 23:15 Uhr auf ORF 2 (gleich nach dem kulturMontag) zu sehen sein. Wir sind gespannt, inwieweit unsere Rolle für die Entwicklung einer vielfältigen Medienlandschaft (diesseits des unkontrollierten Geschwallers in Sozialen Medien und jenseits des marktschreierischen Gehupes der profitorientierten Sender) zur Geltung kommt. In diesem Zusammenhang ist “gelten” ein überaus interessantes Wort. Zwischen “es gilt als” und “zur Geltung kommen” tut sich ein breites Spektrum an Bedeutungen auf, von extrem passiv wie “Du giltst nichts” bis zur Selbstermächtigung von “Ich verschaffe mir Geltung”

Wie entstehen weit verbreitete oder als allgemein anerkannt geltende Vorstellungen davon, wie sich etwas zugetragen hat und was für eine Bedeutung es für uns heute hätte? Muss dafür die sprichwörtliche “Geschichtsschreibung der Sieger” sämtliche von ihrer Interpretation der Geschehnisse abweichenden Erinnerungen wie mit dem Dampfhammer ausmerzen? Oder genügt es (und das wäre ein viel subtilerer Weg, der nicht leicht zu erkennenen ist), das eine oder andere vielleicht störende Ereignis in der Erzählung wegzulassen und diese neue Version einfach oft genug zu wiederholen?

Wir wollen uns das am eingangs erwähnten Beispiel einmal genauer anschauen.

PS. Zur legendären Sendung “Dylaneske Wortbilder” aus unserem zeitlosen Archiv.

 

Still Corners – Strange Pleasures

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. OktoberImmer wieder anders … Sonst würd es uns auch langweilig werden. Also spielen wir das Album “Strange Pleasures” aus dem etwas anderen Musikbiotop “Still Corners”. Ich übersetz mir das in etwa so: Setzen wir uns in den einen oder anderen “ruhigen Winkel” des Weltgetriebes – und hören wir einfach nur zu, dem Gras beim Wachsen, der Luft beim Aufsteigen oder der Sonne beim Untergehen. Natürlich haben wir dabei alle möglichen Gefühle, eigene und auch fremde, vergangene, gegenwärtige – womöglich zukünftige? Ist das nicht ein “besonderes Vergnügen”, die Welt in uns und um uns herum von so einem “ruhigen Ort” aus zu betrachten? Und wenn es erst mehrere sind, Winkel wie Vergnügungen, dabei könnten uns die folgenden Miniaturen oder der Klang des Albums begleiten:

Still Corners - Strange Pleasuressommers letztes aufwallen : fliehen in die weite : fahrtwindsrausch : frei so frei : für kaum eine zeit und doch irgendwie ewig : so flüchtig dies gefühl so leicht in der schwere der dämmerung : nirgends ankommen wollen : reisend bleiben

einander die kehle geschnürt : unwissentlich : wir erblauen : uns bleibt nicht viel zeit

das bett zerrinnt nach allen seiten, doch mich schwemmt’s nicht davon : ich muss hier bleiben und wachen über alle nächte in denen du fern von mir bist : kein trost : jeder traum dreht sich um sich selbst

deine stimme knistert : am horizont explodiert ein wunsch

feuerfliegen sind leuchtkäfer sind glühwürmchen : wir irrlichtern zwischen ihnen : sehnen uns nach endloser nacht in der wir tanzen inmitten der flammen : gleiten, funkenbeflügelt

graue stadt voll bunter vibrationen : wir gehen ohne ziel, lassen uns ziehen, denken nicht nach oder vor : shiver and flow

meerwärts will das herz und sich der brandung entgegen werfen, ungebeugt und kühn : will untergehen, ein wenig untergehen, ein bisschen schweben bleiben nur

seltsam zurückgekehrt zu sein : kenne häuser, straßennamen, manch gesicht, doch wie in einem halbvergessenen traum : so fremd das vertraute : bin ich anders geworden, sehe also mit anderem blick das noch vorhandene damals oder veränderte sich alles andere ganz anders als geahnt?

im lichterflackern seh ich dich lachen : bässe lösen verkalkte gefühle : wir sind musik : jede faser will tanzen : wir wagen uns tiefer hinein in den rausch der nacht : was passieren wird wissen nicht mal die sterne

magnetischer moment : lichtstreifen wabern im augenwinkel : dicht gewebtes schwarz durch welches wir wege bahnen : wir sind still : wir sind still verloren : brauchen keinen retter : sind selig in der ungewissheit : wir genügen uns

den mondschein getötet : die sterne gelöscht : dem himmel die tiefe genommen : was ist wird werbung : ich glaube nicht an wunder aber an die macht der phantasie : noch gibt es so etwas wie hoffnung

sinken also in den äther : um uns tost die schöpfung : wirbelt, rast, zerbirst : wie im zeitraffer : wie in zeitlupe fallen wir hinauf, hindurch, hinweg : hinter den lidern blühende wüsten, ströme aus licht

wir erinnern uns an die zukunft : sie rauscht und flirrt