Irgendwas mit Poesie

> Podcast: Artarium vom Sonntag, 30. MärzDa war doch was … in unserer letzten Sendung (mit Rupert Madreiter) reisten wir zurück in eine gemeinsam erlebte (und sehr spezielle) “Nacht der Poesie”. Und diesmal wollen wir etwas von dem, was in jener Nacht so eine erstaunliche Macht entfaltete, im Hier und Heute und als drei Dichterfreunde lebendig werden lassen. Denn “Gefühle in Worte fassen” vermag die gewaltigen Energien, die uns beleben, die uns gefährden, die uns entzücken, die uns verwirren oder genauso gut zerstören können, in eine für uns beherrschbare Kraft zu verwandeln und so wieder Ordnung im Gefühlsgestrüpp zu stiften. Vom Chaos zum Kosmos sozusagen, eine zutiefst selbstwirksame Erfahrung, die weit über unser viel zu verschämtes Selbstbild von Einzelwesen ohne Zusammenhang hinaus weist …

Irgendwas mit PoesieNachdem das Wort “Poesie” jedoch schon in vielerlei Weise zudefiniert ist, lohnt es sich unbedingt, sowohl im Etymologischen Wörterbuch als auch im Altgriechischen einmal selbst nachzuforschen. Dort finden sich erstaunlich viele Bedeutungen des Wortstamms ποιέω (von dem ja “alle Poesie ausgeht”, möchte man sagen). Und neben den erwartbaren wie “schichten, aneinanderreihen, bauen, dichten, schaffen, handeln, tun, bewirken” (und so weiter) begegnen wir da auch weniger geläufigen Ableitungen wie “berufen, sich verschaffen, etwas darbringen oder veranstalten, etwas leicht nehmen” und, und, und – noch vielem mehr. Unter anderem dem Wort ποίημα – “das Gemachte”, was zunächst “Machwerk, Metallarbeit, Werkzeug” heißt, und erst dann “Gedicht”. Sich seinen eigenen Kosmos – “Welt, Ordnung, Schönheit” im wahrsten Wortsinn zu erarbeiten, zu erschaffen – ja, zu erdichten – das ist unsere Einladung an uns selbst zusammen mit euch – poetisch zu sein und der Poesie nachzuspüren.

Um dies im Rahmen eines Artarium zu ermöglichen, wollen wir einerseits die Poesie unseres eigenen Dichtens und Denkens im gegenseitigen Vortrag wie im Gespräch zu Gehör bringen. Und andererseits (was immer auch zugleich bedeutet) der Poesie von textlich anspruchsvollen Musikstücken obliegen, die etwas von dem spürbar machen, was wir mit all den poetischen Energien und ihren Auswirkungen erleben. Dazu haben wir Beiträge von Schroeder Roadshow, Nina Hagen, Leonard Cohen, Rio Reiser und Misha Schoeneberg ausgesucht, fürwahr eine recht illustre Runde.

Sprach- und Gefühlskunst vom Feinsten.

 

Living in The Past

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. März – – – Überraschendes von und mit einem Überraschungsgast. Soviel sei vorab verraten: Unlängst manifestierte sich ein jahrzehntelang aus meinem Blickfeld geratener Jugendfreund als wieder öfterer Gesprächspartner und es stellte sich heraus, dass uns viel mehr verbindet als lange Zeit angenommen. Dass wir, jeder für sich, über einzelne Erinnerungsbilder an eine gemeinsam verbrachte intensive Jugendzeit in den 70er Jahren verfügen, die erst in ihrem einander erzählen, untereinander vergleichen und wieder zu einem größeren Ganzen zusammenführen so etwas wie “lebendiges Wissen von dem, was damals wirklich war” erzeugen können. Daher nennen wir diese Sendung selbstironisch und in Bezugnahme auf das gleichnamige Jethro-Tull-Album auch “Living in The Past”.

Living in The PastWobei die Betonung auf “Living” liegt. Wir wollen hier definitiv keine sentimentale Ü-60 Nostalgie zum alleinigen Zweck besoffenen Schwelgens im “damals war alles schöner” ausrufen. Vielmehr sollen unsere Anekdoten jene Zeit dahingehend wieder lebendig werden lassen, dass erkennbar wird, welche Umstände unsere ganze “Generation von Kriegsenkeln” geprägt haben – und was für Gegebenheiten für unser Leben und unsere Entwicklung damals bedeutsam waren. Dabei ist naturgemäß ein absoluter Fixpunkt unseres Aufbruchs in die Gemeinschaft der Gleichaltrigen zu nennen, das inzwischen legendäre Mark (Markusheim) am Franz-Josefs-Kai. Die dort regelmäßig am Wochenende stattfindenden Musik- und Tanzpartys (dabei wurde Progressive-Rock vom feinsten zelebriert) waren für uns “unverzichtbare Gelegenheiten zur sicheren Zwischenlandung auf unseren riskanten Expeditionen in die uns umgebende wie die uns innewohnende Welt. Ein überaus wertvoller, kaum zu unterschätzender Beitrag zur Bewältigung der Unendlichkeit für uns als 15- bis 18-jährige.” Anders als die wohl der gesellschaftlichen Akzeptanz wie dem Wohlwollen potentieller Geldgeber geschuldete Darstellung als sozialarbeiterischer Interventionsraum

… haben wir diese Einrichtung als Probebühne des Selbstausdrucks, als Freiraum für unsere Versuche von Annäherung und Abgrenzung (außerhalb von Schule und Familie) sowie als Experimentierlabor für noch nicht definierte Möglichkeitsformen erlebt. Inwieweit die “politische Großwetterlage” Mitte bis Ende der 70er Jahre dazu beigetragen hat, eine positive Entwicklung jugendlicher Selbsterforschung in die gesamtgesellschaftliche Integration zu begünstigen – und was dabei (und wodurch manches) auf der Strecke geblieben ist – darüber machen wir uns eben Gedanken.

Wie wir zusammen zu einem gleichzeitig erlebten Moment des Einsseins mit dem Universum (und zwar nach einer gemeinsam durchdichteten Nacht ohne Alkohol oder sonstige Drogen) gelangten, auf welchem Weg das damals für uns eine bedeutsame Rolle spielende Album “Spartacus” von Triumvirat an unser Gehör (und in unsere Gehirne) gekommen ist, worin wir uns bei unseren ersten Versuchen, Sexualität mit Beziehung in Einklang zu bringen, gut widergespiegelt fanden und, was derartige Erfahrungen im Kontext damaliger Musikstile ins Heute übertragen sein könnten

 

Living in The Past!

 

Scheiterhaufen – O.K.! (Album)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. MärzWir sind Perlentaucher. Und manchmal stellt sich die Frage, wo so ein im Strom der Gezeiten angefundenes Kleinod (die wir in unseren Radiobiotopen gern vorstellen) ursprünglich herkommt. Höchste Zeit für eine Berichtigung. Die Rede ist von dem sehr besonderen Album “O. K.!” von Scheiterhaufen, das auch wir immer wieder fälschlicherweise einem gleichnamigen DJ-Kollektiv aus dem Salzburger Innergebirg zugeordnet haben. Nachdem wir uns unlängst entschieden hatten, dieses fürwahr außergewöhnliche Werk endlich einmal in seiner ganzen Gesamtheit zu spielen, machten wir uns auf die Suche nach den eigentlichen Urhebern desselben. Und – wir sind wirklich fündig gewordenim benachbarten Deutschlandin der Zeit der Jahrtausendwende

Scheiterhaufen OK (Cover)Dort und damals entschlossen sich zwei Freunde, die sich für selbst geschriebene und vorgetragene Texte begeisterten, damit etwas ganz eigenes zu machen. Sie waren einerseits fasziniert von all den Ausdrucksmöglichkeiten, die das in jener Zeit aufkommende HipHop-Genre mit sich brachte, andererseits aber zutiefst abgestoßen von dem, was sich daraufhin als zunehmend populär werdender Deutschrap” oder eben deutscher HipHop in ihre und unsere Gehirne drängen sollte. In dieser Situation schufen sie ein (in unseren Ohren) Meisterwerk der Sprachkunst, das noch dazu aufgrund seiner alle gängigen Klischees des kommerziellen HipHop ad absurdum führenden Beats so etwas wie “genresprengend” wurde. Einer von den beiden, Kamal Nicholas, kann sich an den Entstehungsprozess und die ersten Aufnahmesessions dieses Albums erinnern und erzählt dabei Erstaunliches: Zwei Freunde texten (jeder für sich) zu einem jeweils gemeinsamen Thema und verbinden ihre Beiträge sodann in spontanen One-Take-Aufnahmen zu den einzelnen Tracks.

Scheiterhaufen - OK (Album)Das ist eine Herangehensweise, die unserem eigenen “Workflow” beim Radiomachen und unserem Umgang beim spontan-assoziativen “sich zusammenfinden lassen” von Musik- und Textstimmungen sehr nahe kommt. Auch deshalb ist uns derart zustande Gekommenes in seiner endgültigen Gestalt (was immer wieder nur eine Momentaufnahme sein kann) so sympathisch. Wenn wir eine Themensendung wie “Triptychon zur Traurigkeit” erschaffen, dann ereignen sich dabei sowohl im Vorfeld als auch Live On Air ganz ähnliche Prozesse wie beim heute mit Freude vorzustellenden Scheiterhaufen. Und dass wir deren bemerkenswertes Mund- und Klangkunstwerk in sendetauglicher Qualität mit euch teilen können, verdanken wir Klaus Donarski, der als DJ Zapotek an der Produktion einer im nachinein herausgekommenen CD-Version beteiligt war.

Weiterführende Links:

Kamal Nicholas aka Soda auf Bandcamp

Mnemotrauma – Der Audiopath (von Klaus Donarski)

Homepage von subversive*rec (offbeaters)

Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Mozartkugeln scheiß …

 

Like A Complete Unknown

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. März“Kommst du mit ins Kino?”, frug ich den Hasen – und schon waren wir mittendrin in der Diskussion unserer inzwischen recht verschiedenen Zugangsweisen: “Ich ertrage keine Synchronfassungen mehr, weil ich mir Filme und Serien seit Jahren nur noch in ihrer Originalsprache anschaue.”, erklärte er. “Für mich stellen Übersetzung und Synchronisation eine eigene Kunstform dar, die ich zusätzlich zum Film an sich genieße.”, erwiderte ich. Dabei läuft “Like A Complete Unknown” im Filmkulturzentrum DAS KINO sowieso in der Originalversion mit deutschen Untertiteln. Und ist aufgrund seiner “etwas anderen” Erzählweise auch in dieser Gestalt überaus zugänglich, weil er die Entwicklung des jungen Bob Dylan vom akustischen Folk zum elektrifizierten Rock in vielen seiner Songs live zeigt.

Like A Complete UnknownUnd seine Songs sind eben genau so bekannt, wie His Bobness (oder wie immer er genannt werden mag) sie selbst singt, auf Englisch. Ich habe mich also in das Original mit Untertiteln hinein begeben und war einigermaßen erstaunt, wie ein über zweistündiger Film die Geschichte einer zunehmenden Deutungsverweigerung in 23 Songs sowie Ausprobiersituationenen erzählt, gefühlt über die Hälfte der gesamten Zeit. Und dabei durch die Dialoge dazwischen, die aufeinanderfolgenden Ereignisse rund um die immer enigmatischeren Aussagen einen insgesamt glaubhaften, nachvollziehbaren Entwicklungsweg zeichnet. Ich bin aus dem Film wieder aufgetaucht und war – ja, waszufrieden. Wie nach einem guten Essen, wo nichts zwickt, drückt oder übrigbleibt. Like A Complete Unknown – man kann die Geschichte des Rätselhaften erzählen. Ohne zu versuchen, sie aufzulösen. Ein offenes Ende, das sich nicht nervig anfühlt und keine losen Fäden herumhängen lässt. Chapeau! Timothée Chalamet, der sich die Person von Bob Dylan derart anverwandelt, als wäre es keine Rolle und er auch kein Schauspieler, sondern alles zusammen, der Film, die Geschichte und auch er selbst eine fortwährende Verwandlung, wächst dabei geradezu über sich hinaus.

Im Vorfeld der Veröffentlichung dieses eigenwilligen Filmprojekts war viel darüber zu erfahren, wie er sich mit Techniken des Method Acting über einen Zeitraum von 5 Jahren in den großen Unbekannten oder eben in der Originalversion “A Complete Unknown” einlebte, um ihn möglichst selbstverständlich verkörpern zu können. Wir haben jenen Artikel des Rolling Stone Magazine gefunden, auf den sich die meisten dieser Berichte beziehen. Und wir haben ein Salzburger Musikprojekt entdeckt, das sich als “Madagascar – A Bob Dylan Phantasmagoria Bootleg Series” bezeichnet.

Das Rätselraten geht also weiter. Und die Antwort auf alle Fragen (it’s blowing in the wind, you know) sind wir selbst. Fragen, auf die wiederum Fragen antworten …