Große Wellen ?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. JanuarGroße Dinge entstehen ja oft im Kleinen – und ziehen deswegen erst recht weite Kreise. Ein Radiostammtisch, ein Film – und eine Verabschiedung. Das Gleichnis vom Wert der ganz persönlichen Revolution. Wos redt der? Eben. Allein schon der Titel jener Schweizer Kommödie, die wir uns diesmal beim winterlichen Radiotentreff einflößen, bietet genug Anlass zu interpretativen Spekulationen: Les Grandes Ondes (à l’ouest) wurde auf Englisch etwa mit “Longwave” übersetzt, auf Deutsch schon mal mit “Große Wellen”. Was könnte damit also gemeint sein? Das Funksignal eines Senders, die Gedankenübertragung einer Gemeinschaft – oder die Wellen, die ein großes Ereignis sprichwörtlich schlägt? Vielsagend wie sein Titel ist der Film selbst – und nicht ganz leicht zu bekommen.

große wellen innenAnfang der 70er Jahre wird das Reporterteam eines öffentlich-rechtlichen Schweizer Senders nach Portugal abkommandiert, um “patriotische” Reportagen über eidgenössische Entwicklungshilfe zu produzieren. Und zwar, weil so ein Politiker plötzlich zu wissen glaubt, was das Publikum dieses Senders “hören will”. Nämlich mehr Volksmusik – und erwähnt “Patriotisches”. Abgesehen von dieser Karikatur eines Populisten (oder des frühen Formatradiogedankens, den wir uns ja zum Glück auch erspart haben), begegnen uns aber sämtliche Charaktere, die wir aus dem eigenen Radio nur allzugut kennen: eine engagierte Feministin, ein leicht schrulliger Techniker, ein heimlich dementer Starreporter und – last but not least – ein frischg’fangter Praktikant, der dringend zum Übersetzen benötigt wird…

große wellen außenZugleich verabschieden wir uns (schön langsam und in Etappen) von unserer Programmkoordinatorin Eva Schmidhuber, die demnächst im Rahmen ihrer Bildungskarenz nach Bischkek in Kirgistan reist, um dort angehenden Lehrer_innen die deutsche Sprache beizubringen – und wohl noch andere Abenteuer in der entlegenen Bergwelt rund um den Yssyköl zu bestehen. Wie bereits Reinhold Messner bemerkte: “Ich gehe in die Berge, um zu ÜberLeben.” Wir wünschen ihr demnach ein gutes Gelingen ihrer sprach- und kulturvermittelnden Lehrtätigkeit, darüber hinaus alles Glückselige – sowie sonnige Schitouren! Uns wünschen wir ihre wohlbehaltene Rückkehr in alter Frische und mit vielen neuen Ideen, hat sie uns doch stets fein unterstützt und bestens beratenauch nicht nur beim Übersetzen

wie etwa des genialen Sprechstücks Crisi di mercato von Giacomo Sferlazzo

 

Knotzen und rumspielen

> Sendung: Artarium am Sonntag, 8. Januar – Wir gehen das neue Jahr genauso gemütlich an wie zwei irgendwelche Buben, die am letzten Tag der Weihnachtsferien gemeinsam herum knotzen und mit all ihren Neuentdeckungen vor sich hin spielen. Wie ließe sich dieser Tag auch besser verbringen als mit seinem besten Freund, dem man schon längst alles erzählen will, was einem über die Feiertage widerfahren ist? Und so packen wir eins nach dem anderen aus und zeigen einander, was uns in der Zwischenzeit mit uns allein belebt und bewegt hat, ganz in der Art einer klassischen Weihnachtsgeschenkevorführung, nach dem Motto: “Schau amoi, wos i do hob”. Naturgemäß zelebrieren wir dieses Beinondasein in vertrauter Stimmung vor allem mit jenen Fundstückerln, die sich zur hörbaren Zubereitung im Radioraum eignen.

Ganz abgesehen davon, dass der schöne Begriff Knotzen in unseren Breiten dem breiteren Publikum nur in einer viel schmäleren Bedeutung geläufig sein dürfte, als sich etwa im Wienerischen aus ihm herausholen ließe. So wollen wir durchaus auch dem Volkstum mal wieder auf seine Gedankensprünge helfen – und im Zuge des uns selbst verliehenen Bildungsauftrags einige zusätzliche Assoziationen anbieten. Knotzen ist eben ein wunderbares Wort für alle nur möglichen Gelegenheiten, Jahreszeiten.und sonstigen Zustände. Zur Einstimmung im Einzelnen: Schleim knotzt oft hartnäckig in den Atemwegen, wie sich auch Suchtstoffe im Leben von Menschen festsetzen können. Man kann sich in die Heidelbeeren knotzen, wenn einem das Fanatentum ringsumher zuviel wird. Oder auf eine Bank in der Höllensauna, wenn einen der Teufel nicht mehr hinaus lässt. Reinhold Messner zum Beispiel knotzt vorzugsweise in den Bergen herum, Hasen inzwischen sogar auch in der Stadt – und die Sonne sowieso am Himmel. Weshalb sich allerdings die fidelen Landräuber stets genau dort festfressen, wo die schönsten Schätze im Boden knotzen, dazu hören wir am besten Buffy Sainte-Marie – und/oder machen uns selbst einen Reim drauf

 

Die gute Nachricht

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Dezember – Kommet her zu uns alle, die ihr mühselig belabert seid von immer ähnlicheren Nachrichtenformaten, wir werden euch kräftig erquicken! Denn fürwahr, es gibt sie noch – die gute Nachricht – inmitten von Quotenjagd und Quasselmedien, versteckt zwischen schlagzeiliger Erregung und seichtfasslicher Entertainerei. Zum Beispiel holt ORF Journalist Armin Wolf in einem Interview der Video- und Diskussionsplattform dbate auf die Frage nach der “postfaktischen Gesellschaft” zunächst zu einem klugen Exkurs über Neil Postmans Buch “Wir amüsieren uns zu Tode” aus, bevor er zur aktuellen Politik (Donald Trump) Stellung bezieht – und daraus dann das phantastische Szenario eines Wahlkampfs von Dieter Bohlen gegen Angela Merkel entwirft. Eine echte Perle! Und hier das Video.

Wir freuen uns darüber hinaus über das 20-jährige Jubiläum der zutiefst unabhängigen Nachrichtensendung Democracy Now!, welche tagtäglich gut recherchierte Information aus der amerikanischen Zivilgesellschaft verbreitet und über den Widerstand gegen die scheinbar Allmächtigen berichtet. Why Independent Media? Die ohne jedwede staatliche oder kommerzielle Finanzierung arbeitende Sendung wird derzeit von weltweit über 1.400 Radio- und TV-Stationen ausgestrahlt. Die gute Nachricht für alle Salzbürger_innen: Auch “wir” bieten dieses Qualitätsprodukt jetzt regelmäßig an. Und zwar mindestens einmal wöchentlich auf der Radiofabrik sowie täglich aktuell auf FS1, dem Freien Fernsehen zum selber machen, das inzwischen österreichweit im Kabelnetz von A1 verfügbar ist, siehe A1 TV Plus Senderplatz 436.

Immer auf der Suche nach dem Brauchbaren, Gehaltvollen und Zeitlosen in all dem Treibgut der Informatinsüberflut, entdecken die Artariumhasen und Nachtfahrt-Perlentaucher manch kostbares Kleinod, das geradezu nach seiner Sinnzusammenhangstiftung durch unsere interpretative Verwendung schreit. So wie etwa das wundersame Video der Sami-Gruppe Adjágas, dessen Fund wir der schönen Okto-Sendung Poplastikka verdanken. Dieser Joik-Gesang erinnert stark an die Klangwelt nordamerikanischer Ursassen (Native Americans), womit wir auch schon bei der besten guten Nachricht dieser Sammelsendung angelangt sind: Wesley Clark Jr. (Sohn des früheren Nato-Generals) bittet öffentlich um Vergebung für die vielen Verbrechen der weißen Eroberer: Hier im Democracy Now Video.

Was folgern wir nun daraus? – Es kommt darauf an, was du daraus machst!

Leonard Cohen – Democracy

 

Wir sind das Letzte

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20.November It’s the end of the World as we know it heißt ein legendärer R.E.M. Song, der sogar zur stehenden Redewendung geworden ist. Der aktuelle Spiegel übersetzt diesen Satz für sein Titelbild (mit einem auf die Erde zurasenden Trumpeoriten) völlig dudenkorrekt als: “Das Ende der Welt wie wir sie kennen”. Und Michael Stipe protestiert gegen die fallweise Zerwendung seines 30 Jahre alten R.E.M.-Hits durch Donald, den haltlosen Zitateklaubauf. Ach, wie schön ist doch der Weltuntergang, und wenn er das Letzte ist, was wir erbeben! Rings um uns die Sintflut und dazu längst mitten in uns drin. “Wohlfeil Gegrusel”, sprach die Untenhaltungsindustrie, und schiss eine apokalyptische Dystopie nach der nächsten ins Kollektivbewusstsein des Konsumkasperltheaters – wars das?

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(Foto von Holger Scholl) WILFRIED SCHMICKLER

“Hier aber krankt der vermeintlich gesunde Menschenverstand”, vermerkt der gestandene Politkabarettist Wilfried Schmickler im kurzen Pressetext zu seinem aktuellen Programm Das Letzte, und fährt wie folgt fort: “Denn das Letzte kommt kurz vor dem Ende. Doch ein Ende ist nirgends in Sicht. Es hört einfach nicht auf. Das letze Gefecht war nur der Vorkampf, das letzte Wort nur der Auftakt für die nächste Jahrhundert-Rede und die letzte Sau nur die Vorhut der Herde, die gleich danach durchs globale Dorf getrieben wird.”

Wenn das kein Grund ist, sich zwischen den Präsidentenwahlen mit erregter Gelassenheit zu imprägnieren, dann sind es womöglich die erstaunlich gut produzierten Blues-Nummern mit abgründigen Texten wie: Der kleine Mann und seine kleine Frau. Irgendwie muss ich bei solchen Arrangements geradezu an Element Of Crime denken und mich befällt dabei die Frage, warum Robert Rodriguez die noch nie gecastet hat (so wie die aus- und dreinschauen). Doch ich schweife ab. Nichtsdestoweniger ist Bruder Wilfried ein wortgewaltiger Rheinländer, der hypnotisch zuhören macht, sofern man sich diesseits der Debilität noch Sinn und Verstand zu erhoffen wagt. Und auch das lustvolle Kritisieren (ursprünglich ja “unterscheiden”) zugleich auf politische Entwicklungen und auf den Leipziger Buchpreis angewandt haben will: “Der Giersch, ein schier unausrottbares Unkraut, ich nenn ihn immer den Nazi unter den Doldenblütlern…”

 

Heather Nova – Redbird

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. November – Als Gegenpol zur schwelenden Herbstschwermut entführen wir uns heute in die lichtdurchfluteten Bermudas. Das Album Redbird von Heather Nova vereint in sich so viele Gefühlsnuancen und Stilrichtungen wie das bisherige Lebenswerk der Dichterin, Malerin, Komponistin und Sängerin sonst auch. Dabei ist es stimmig, rund und ausgewogen, wohl das am meisten “wie aus einem Guss” wirkende Studioalbum der Künstlerin. Das hat auch sehr viel mit der Geburt ihres Sohnes Sebastian während der Entstehung der Songs und Arrangements zu tun. “Ich war das Verwundbarste und zugleich das Stärkste, das ich je gewesen bin.” So beschreibt sie ihren Seinszustand beim Songschreiben, wie es die nachfolgende Interviewpassage (auf Englisch halt) wiedergibt:

redbird“It was probably the most difficult album I have ever made because for the first time I had something else besides music (my baby) taking up my time and attention. So instead of having endless days with nothing to do but write, I had 2–3 hours on a good day. And that meant focusing in and working very intensely in a way I hadn’t done before. It was a challenge, but at the same time I was incredibly inspired to write for this album. I had just had a life-altering experience! I felt like my heart had been blown wide open and I was the most vulnerable and yet the strongest I had ever been…”

Insbesondere der dritte Track “Motherland” (den wir in unseren Sendungen ja schon des öfteren verwendet haben) offenbart eine gefühlsambivalente Grundhaltung, die etwas vom Gesündesten darstellt, das in der Popmusik je über die Beziehung von Müttern zu ihren Kleinkindern ausgesagt wurde: Das Heilsame und Kraftvolle dabei ist das erstaunliche Gleichgewicht von zwei gleichzeitig spürbaren Impulsen – sowohl zum Beschützen als auch zum Freilassen. Und wie in diesem Lied verbinden sich Freude UND Schmerz auf dem Album Redbird (und auch im gesamten Schaffen der schönen Frau mit der schönen Stimme) zu einer ganzheitlichen Gefühlswelt, die dem Frieden in der Seele merkbar auf die Sprünge hilft. Dieses Album ist gute Medizin, sagte der Hund, bevor er schließlich noch die Refrainzeilen aus “Motherland” hinzufügte:

The waves roll in, I help you swim
You take my hand
And through the years and through the fears
I’ll be your rock, the motherland

 

Wie wir begehren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Oktober – Die als “Kriegsreporterin” bekannte Carolin Emcke erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, genauer gesagt an diesem Sonntag, zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse und in der dortigen Paulskirche. Da sind wir aber top-aktuell mit unserer Themenwahl – immerhin stellen wir heute ihr 2012 bei Fischer erschienenes Buch “Wie wir begehren” vor, einen feinsinnigen Essay über die subjektive wie die soziale Wahrnehmung von gleichgeschlechtlicher Liebe. “Davon erzählt sie uns durch zahlreiche Zeitsprünge in Gestalt einer kaleidoskopische Collage aus Erlebtem und Erlesenem und verknüpft dabei kunstvoll persönliche Anekdoten mit parallelen gesellschaftlichen Ereignissen.” Dergestalt wurde es bereits für “Mein Bücherschatz” auf Radio B138 beschrieben.

carolin-emckeWofür die Publizistin und Autorin (unlängst ist “Gegen den Hass” erschienen) jetzt genau mit diesem renommierten Preis ausgezeichnet wird, davon quellen die Artikel und Kulturmagazine ja derzeit ohnehin über – wir wollen uns hingegen auf jene Besonderheiten ihrer Person konzentrieren, welche das diesfalls darzustellende Buch so lesens- und erlebenswert machen. “Sie verschmilzt darin sprachliche Präzision mit emotionaler Erschüttertheit zu einem literarischen Ganzen, das ans große Feuilleton der Zwischen- und Nachkriegszeitkriegszeit erinnert (und das im akuten Kommerzhäppchening und Meinungsvielflat so dermaßen “aus der Mode” wirkt, dass es schon wieder Avantgarde sein muss).” Carolin Emcke ragt aus diesem journalistischen Entertainmentsumpf heraus wie ein seltener Glücksfall, der leider längst nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme darstellt. Ein mutiger Mensch mit einer eigenen Meinung, bei dem sich Empathie und Realismus zu einer ganzheitlichen Weltsicht verbinden. Chapeau! Und vor allem – sie scheißt uns nicht zu mit Schachterln und Schubladen, in die wir uns der Reihe nach einsortieren sollten. Nein, sie regt zum eigenständigem Leben an!

Abschließend ein kurzer Textauszug: “Er fremdelte in der Schule, weil ihm nichts von der Materie, die der Unterricht vorsah, über ein Leben erzählte, wie er es sich erträumte. Ihn irritierten die Mitschüler, die schon ihre eigenen Großeltern zu sein schienen. noch bevor sie überhaupt geschlechtsreif waren. Tom hatte etwas Klaustrophobisches, weil er unter jeder Form geistiger oder sexueller Enge litt.”

 

 

Demand the Impossible

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Oktober – Das vorläufig letzte Album der schwedischen Musikerin Jenny Wilson überwindet bescheuerte Zuschreibungen wie “Elektro-Pop-Queen” durch seinen existenziellen Tiefgang. Daran hat vermutlich auch ihre Auseinandersetzung mit der Brustkrebsdiagnose erheblichen Anteil. Fragen in dem Zusammenhang pariert sie aber höchst charmant, so etwa in diesem Interview:

“Would you say you wrote this album as a way of fighting for your life and also against the cancer?” – “Maybe. But most, I guess, because it’s the most natural way to stay alive in general, for me, through creating. And, as a matter of fact, I never had such hunger for kicking ass, for do what ever I wanted in the studio. I never felt so alive and brave while recording an album. I think you can hear that. Demand The Impossible! is a nasty knock!”

demand-the-impossibleMich hat da sogleich das spezielle Artwork des Grafikkünstlers Finsta in seinen Bann gezogen. Es lohnt sich auch, seinen diversen Arbeiten eine nähere Würdigung zukommen zu lassen, die hier auf Finstafari und Finsta Graphics zu sehen sind. Da mischen sich Graffiti, StreetArt und Gebrauchsgrafik mit Einflüssen von Robert Crumb und Keith Haring zu einem unverwechselbar eigenen Stil. Inspirierend, erfrischend, bereichernd und im allerbesten Sinn eigen-artig!

“How did the artwork for the album come about? It’s very different to what you have aesthetically done before.” – “I had this artist, Finsta, in mind for many years. He has something very urban to his drawings. So I contacted him long before the album existed. The woman on the cover is this warrior, this street prophet. I love it!”  (selbes Interview)

Auf der Radiofabrik war schon Wilsons Vorgängerwerk Blazing (2011) in der Reihe Hörenswert als Album der Woche vertreten. Damals schrieb der Kollege Nikolaj Fuchs aus der Musikredaktion noch: “Mit Blazing schenkt uns Jenny Wilson ein im besten Sinne vorhersehbares und gänzlich durchhörbares Pop-Album.” Es kann also nur (noch viel) besser werden! – Denn wie heißt es inzwischen auf ihrer Homepage?

“FREEDOM AND POETRY TO THE PEOPLE!”

 

Es war einmal die Musicbox

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. OktoberNachruf auf eine ORF-Sendung, der viele vieles verdanken. Vor genau 49 Jahren entstand die Musicbox mitsamt ihrem dazugehörigen Sender. Vor gut 22 Jahren verschwand sie aus dem Programm von Ö3. Was bleibt, ist Erinnerung. Und Bedeutung für Unzählige, die Popkultur nicht nur konsumieren, sondern erforschen, definieren und so selbst mitgestalten wollten. “Wenn um 15 Uhr, präziser: fünf Minuten nach 15 Uhr, die Signation der Musicbox ertönte, schaltete halb Österreich auf die Regionalwellen um. Die andere Hälfte aber lauschte entweder gebannt oder irritiert dem Wort- und Musikschwall, der da folgte.“ Soweit Ex-Musicbox-Redakteur Walter Gröbchen, zitiert in diesem hilfreichen Artikel des Kulturpool zur Veröffentlichung einiger Cassetten-Mitschnitte aus den 80ern.

musicboxMmmm, “Wort- und Musikschwall”, das gefällt uns eh schon mal gut! Auch wenn man mit derlei nicht mehr die Radionation in zwei Hälften spalten kann (dieses Zeitfenster ist längst wieder zu), so knüpfen wir doch gern immer wieder daran an, diese Art einer “Wall of Sound” entspricht der Gestaltung unseres zweisamen Kopftheaters

Nicht nur eine ganze Kultur des Musikjournalismus hat das längst legendäre Magazin hierzulande befruchtet, auch Kunstschaffende jedweder Richtung und Staatsnähe (oder -ferne) zur fortwährenden Verbearbeitung der Wirklichkeit zwischen allen Genres und Generationen angestiftet. Literaturen entdeckt, Musikstile hinterfragt, politische Entwicklungen verfolgt, Geschmäcker und Gewohnheiten kritisiert, Neues begeistert vorgestellt und Zeitloses wieder hervor gekramt. Was hat diese Sendung in den 27 Jahren ihres Gehörtwerdens eigentlich nicht angefasst, ausgespuckt, oder einfach gegen den Strich gebürstet? Weshalb sollten wir da versuchen, dem recht reichlichen Œvre der Herren Gröbchen (Blog), Blumenau (Blog) oder Ostermayer (Portrait) hier noch Fußnoten hinterher zu schreiben? Sie alle waren ja die Musicbox.

Wollen wir also bei unserem Leisten bleiben und euch eine schöne Andenkensendung schustern. Mit eigenen Anekdoten vom damals durchaus prägenden Hinhören und mit Beispielen dafür, wie dortselbst einst Vorgebrachtes die Zeitgrenzen zur Gegenwart überspringt und – verbearbeitet – weiter wirkt. Unter Beihilfe von Michael Köhlmeier & Reinhold Bilgeri, Bob Dylan, Patti Smith sowie naturgemäß Laibach. Allesamt einst vehement vertreten in und von jenem Höreignis, man frage bloß mal die Archivpiraten!

 

Das Lied von Buch und Serie

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. SeptemberHinter dem weltweiten Hype rund um die Serie Game Of Thrones steckt das intelligente Werk eines Schriftstellers. George R. R. Martin entwickelt in seiner Romanreihe “Das Lied von Eis und Feuer” eine hochkomplexe Welt, die das Genre Fantasy aus dem Verwertungskrampf der Geschwindprodukte wieder auf seine eigentlichen Ursprünge zurück bezieht – auf eine ebenso schwelgerisch ausufernde wie nachfühlbar menschliche Phantasie. Nicht umsonst singt selbst Denis Scheck, unser aller “Streiter für das Gute, Wahre und Schöne”, in der ARD-Büchersendung Druckfrisch das Hohelied auf die literarische Qualität dieses einzigartigen Opus perpetuum. Und nicht umsonst wird dessen Autor ob seines überbordenen Detailreichtums als “Tolkien der Gegenwart” bezeichnet.

thron-der-serieDoch erstmal genug der globalen Informationen, ist doch das halbe Internet voll von Klugscheißenden, die einander ihre Theorien über den möglichen weiteren Verlauf dieses Endlos-Epos um die Ohren bröseln. Wenden wir uns lieber den Aspekten unseres eigenen Erlebens zu, wie der nachhaltig süchtigmachenden Serie, der dazugehörigen Filmmusik von Ramin Djawadi, der Beziehung zwischen Romanvorlage und TV-Adaption – oder der allgemeinen Frage, weshalb auch denkende Menschen oft lieber in Phantasiewelten leben als im Realitäterbüro ihres Arbeitsallerleis. Man muss durchaus kein flachgetrottelter Nachzuckzombie sein, um hier dem Charme einer niveauvollen Fantasy anheimzufallen. Und es liegt wohl an der eminent durchdachten Geschichte, die sich der Herr Martin über die Jahre erarbeitet hat, dass sogar in der kritischen Kulturwissenschaft das Mainstream-Erfolgs-Produkt des Pay-TV-Anbieters HBO als “eine Serie von beachtlicher künstlerischer Qualität, jedenfalls für u.s.-amerikanische Privatfernseh-Verhältnisse” gilt. Zur Erörterung solcher und ähnlicher Umstände haben wir zwei ausgewiesene Expertinnen eingeladen, die sowohl mit der Materie vertraut als auch in der Welt der Phantasie heimisch sind…

 

Let Yourself Be Huge

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. SeptemberGewaltig endet der Sommer, gewaltig geistern die Arme des Herbstes, komm zu mir liebes Kätzchen, ich nehm‘ dir die Furcht, die alte, die gräßliche; fühle mich manchmal als Teschek, indes singen Blätter und Zweige von Tausch und Täuschung, wer pflückt dereinst die Gaben? Wir glätten die Wellen, nein, lass es uns lassen, was mir halt so ein- und zufällt, zufällig auf Zufälle vertrauend, und ihre verwegene Braue, das Herz der Harpyie frisch gebraten, ein Baby im Schlaf, es schmelzen Gesichter unscheinbar, grau melierte Kinder in Armani-Anzügen die hektisch ihre Smartphones betouchen; darf ich mich aufsprengen?

cloudkickerWelch viskoser Fall, mir scheint alles träge und dämmrig, es zirkuliert = heil(ig)e Welt! Schwalbentanz, ein Blick in die Wolken, weit fort zu gehen, oh Lady of Shalott, dein Leib, dein Lied, stets Schatten im Spiegel / Gemütsaquarelle, schleichende Färbung, der gesichelte Mond gleitet aus Baumkronentrichtern, scheue Laternen, das Finster ruft mit wächsernen Stimmen, so seidene Stimmchen : gekrauste Sturm= orchidee. Theodizee zwischen Tür und Engel, oder der Blutakt weicher Uhren, indes nachmittägliche Ausflüchte, umgeben von einem Rauschen unbekannter Art, mehr Holundersaft aus der Bierflasche … Collagenleben und Splitterkunst, unzähmbarer Sanftmut; ich werde gewaltig.

Wie aus alldem unschwer zu erkennen ist, präsentieren wir diesmal das ganze Album “Let Yourself Be Huge” von Cloudkicker, einem One-Man-Projekt von Ben Sharp, der seine mittlerweile 8 Alben und 4 EPs nach wie vor im Eigenvertrieb anbietet. Auf diesem speziellen Album gewährt der sonst im Progressive-Metal beheimatete Musiker allerdings durch diverse Themenskizzen einen geradezu intimen Einblick in das Entstehen seiner komplex geschichteten Klangwelt, was zudem vom Artwork (oben die vergriffene Pink-Vinyl-Version) kongenial begleitet wird. Auch der längste uns bekannte Songtitel vom Album Subsume stammt aus seiner Denkstatt. Es ist ein Zitat aus dem Roman 1Q84 von Haruki Murakami. Dazu fällt mir ja sofort DIE Löffler ein…

„He would be riding on the subway or writing formulas on the blackboard or having a meal or (as now) sitting and talking to someone across a table, and it would envelop him like a soundless tsunami.“