Macht macht mobil

> Download: Artarium vom Sonntag, 27. Juli – Vom ersten Weltkrieg zum jährlichen Jedermann. Und nicht nur die Salzburger Festspiele sind die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln, wie eine Analyse der Machtverhältnisse zeigt. Im Verdrängungskampf der heutigen Herrscherhäuser, der Banken und Konzerne, geht es nicht viel anders zu als beim herkömmlichen Menschenschlachten und Kanonenfüttern. Das investierte Kapital fließt als Kriegsgewinn zurück in die Bilanzen der Profiteure – die Zeche zahlen da wie dort die unterbezahlten Fußsoldaten der Umwegrentabilität. Dazwischen hupfen ein paar gut bezahlte Politikdarsteller über die Bühne und erklären den hoffentlichen Mehrheiten, dass dies alles nur zu ihrem Besten geschieht. „Wenn es dem Markt (aha, noch so ein Synonym für Gott, Kaiser, Vaterland) wohl ergeht, dann wird es euch allen Eierkuchen…“

Und wer ist schuld?Wie es vielen der ursprünglich gläubig Begeisterten schon nach wenigen Wochen beim Verteidigen der „Ehre“ und anderer „höherer Werte“ ihrer jeweiligen Heimat“ erging, das lassen uns die Beiträge von Matteo Coletta erahnen, die derzeit in wöchentlichen Folgen als Stimmen aus den Schützengräben von der Radiofabrik gesendet werden. Briefe und Tagebucheinträge sowie Zeitzeugeninterviews von Soldaten des ersten Weltkriegs erwecken dabei die Geschichte wieder zum Leben und ermöglichen so eine anteilnehmende Auseinandersetzung mit den weitgehend bekannten Schreckensbildern. Eine Antwort auf die im heurigen Gedenkjahr grassierenden Spiel- und Dokumentarfilme zum Thema – mit dem Vorzug des Mediums Radio, die Vorstellungskraft der Zuhörenden zu ganz eigenen Bildwelten anzuregen.

Doch um noch einmal auf jedwede Art von Krieg zurück zu kommen, der von Mächtigen auf Kosten von Bedürftigen, von Privilegierten auf Kosten von Abhängigen geführt wird – es ist immer auch ein Krieg der Generäle gegen die eigenen Soldaten, immer ein Krieg der Obrigkeit gegen das eigene Volk. Und auch demokratisch gewählte „Volksvertreter“ meinen eigentlich oft „Untertanen“, wenn sie uns ihre „lieben Freunde“ nennen, oder so. Was das alles mit dem ablasshändlerischen Katharsisjahrmarkt auf dem Salzburger Domplatz zu tun hat, das werden wir mit etwas Ausgeschlafenheit und Glück in dieser Sendung auch noch beleuchten. Nur soviel – die findigen Erfinder der allsommerlichen Fest- und Fetzenspiele wollten damit sofort nach verlorenem Krieg und Untergang der Monarchie wieder eine „Triumphpforte österreichischer Kunst“ aufrichten. Alles klar?

Dass hier „jeder“ ein „reicher Mann“ ist – das glauben eh nur noch die Allerseligsten…

 

Ganz oben – Gar nichts

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. Juli – Die Vorstellung von Hierarchie, Obrigkeit und Gehorsam geht (wenn auch unbewusst) stets davon aus, dass „da ganz oben“ irgend etwas sei. Was aber, wenn nicht? Dann rempeln sich die Hinaufstreber eigentlich ganz ohne Grund gegenseitig von der Karriereleiter. Wollen nur deshalb immer höher und höher, um noch mehr Untergebenen die Eigenschaften von etwas Erfundenem zu erklären – und zwar verbindlich, versteht sich! Ganz oben ist aber gar nichts. Oberhalb der obersten Obrigkeit ist bestenfalls dünne Luft – doch die lässt sich vortrefflich zu Gesetzen zerkauen, solang weiter unten noch Menschen daran glauben. Etwa, dass ihnen von oben herab angeschafft wird, wer oder wie sie zu sein hätten. Willkommen in der wundersamen Welt der -ismen – oder gehts noch -tümer?

Spieglein, SpiegleinEs ist schon so eine Sache mit den immer wiederkehrenden Gedanken, die sich zu roten Fäden und ganzen Themensträngen zusammenzwirbeln lassen – wenn man sie funktional zu einem Antwortende bringen möchte, nur um sie endlich als „erledigt“ zu begreifen, dann entfliehen sie einem sehr schnell – und man ist selbst bald genauso fertig, wie man es mit dem Denken gern gewesen wäre…

Doch diese immer wieder auftauchenden Motive im eigenen wie im gemeinsamen Denken als Fragmente und Teilaspekte eines größeren Gesamtbildes zu verstehen und sie auch immer wieder aufs Neue im eigenen Lebenszusammenhang zu interpretieren, das könnte mit der Zeit zu einer wirklichen Antwort werden, die man nicht bloß so dahermeint, sondern auf die zahllosen Fragen seiner menschlichen Existenz – darlebt. Und so greifen wir wieder einmal eines jener Themen auf, die uns nach wie vor nicht in Frieden lassen, und zwar die leidvolle Erfahrung mit der Machtausübung um der Macht willen (denn ganz oben gibt es ja nichts). Oder anders ausgedrückt – wenn einmal die Herrschaft von Menschen über Menschen beendet ist, dann können wir uns gern auch Gedanken über die Existenz Gottes machen. So rum wird eher ein Schuh draus.

 

Heather Nova – zur Beruhigung

> Download: Artarium am Sonntag, 13. Juli – Fußballbedingt hochkochenden Männerseelen zur finalpräventiven Rundumentkrampfung in beide Gehörgänge geschmeidigt – das ganze Album zum innerlichen Abschluss der Männlichkeits-Waldmeisterschaft im Maracujastadion 😉 Die Notfalls-Gralshüter alles Weiblichen inmitten rundlederner Machoposen und verschwitzter Hupfbrüllerei packen ihren leuchtorangen Letzte-Hilfe-Koffer aus und verabreichen den verdurstenden Gehirnen die fette Ölung! Ein Kontrapunkt zum Fanatentum der Vergeisterten tut allerdings not, und was wäre dazu geeigneter als etwas hocherotische Entschleunigung mittels einiger von Heather Nova bei den 2 Meter Sessies in Holland aufgenommener Akustiktracks?

Engels TrompeteDoch damit die unverhofft einsetzende Wirkung unseres Testosteron-Erlösungs-Cocktails nicht in unkontrolliert unerwünschte Nebenwirkungen hinüberschwappt, haben wir zuvorab noch zwei feine FEMALE. FEEL MALE! – Songs als Einstimmung ausgewählt, die uns in der männlichweiblichen Fanzone gut abholen werden: Nämlich zum einen eine ziemlich rockige Heather Nova Coverversion von Peter Gabriels „I have the touch“ – und zum anderen ihr geniales zweisprachiges Duett mit Bløf „Mooie dag“ 😀 Wunderschön! Und alsdann gibt es die versprochene alphawellen-induzierende Musique. Die Sätze und ihre Bezeichnungen:

01 Walk this world

02 Heal

03 Maybe an angel

04 My fidelity

05 Blessed

06 Heaven sent

07 Virus of the mind

Zu Risiken und sonstigen Gewöhnungseffekten: Wir sind ein geiles Institut…

 

Denk mal fairkehrt

-> Download: Artarium vom Sonntag, 22.Juni – LIVE vom fairkehrten Fest in der alten Nonntaler Hauptstraße, daher diesmal auch mit Live-Lesung und Live-Musik aus dem Fundus des etwas anderen Kunnst-Biotops! Außerdem wollen wir die Gelegenheit nutzen, um euch unsere monatliche Perlentaucher-Nachtfahrt ans Herz zu legen. Denn in dieser „musikliterarischen Gefühlsweltreise“ wechseln sich ebenfalls live gelesene Textbeiträge mit vorbereiteten Soundcollagen und Titeln aus dazu passenden Playlisten ab. Und zwar jeweils in spontaner Dramaturgie – rund um das ausgewählte Thema assoziiert. Was läge also näher, als für den Programmschluss des Radiofabrik-Außenstudios den Standort des Geschehens als inhaltliche Inspiration auf uns wirken zu lassen: Ein Kriegerdenkmal, mit den Namen aller im ersten und zweiten Weltkrieg elend zu Tode gekommenen Nonntaler – und mit der Aufschrift „Unseren Helden“…

Christopher SchmallImmer, wenn sich der Hund im Artarium wieder mal in einen Wirbel redet, freut es eine(n) so richtig, diese andere angenehme Stimme zu hören: Christopher Schmall, unentbehrlicher Freund und Coproducer 🙂 sonst seines Zeichens auch Dichter, Musikschaffender und Seelenforscher. Er ist einigen noch als Sänger der Band In Confusion in Erinnerung und war seither schon des öfteren mit seinen Solonummern und SpokenWord-Experimenten im Radio zu hören. Nun wird er zum ersten Mal seit geraumer Zeit wieder live and unplugged vor versammeltem Publikum zu erleben sein – und uns mit zwei zu diesem speziellen Setting passenden Eigenkompositionen – befremden, erfreuen – oder trösten? Wir wissen es nicht – wir können uns nur darauf einlassen! Derlei ist jedenfalls selten genug heutzutage…

Felix Vali SteinhauserEbenso rar und kostbar sind auch jene Momente, in welchen sich Potenzial plötzlich entfaltet – und wir staunenden Auges die im Erschaffen begriffene Welt betreten. So erging es uns erst unlängst, als wir beim gemeinsamen Vorlesen eigener Texte Felix Vali Steinhauser kennenlernten. Und zwar bei Writers On The Storm, einer überaus empfehlenswerten Veranstaltungsreihe des Salzburger Kunstkollektivs Bureau du Grand Mot für alle „Bühnenneulinge, heimliche SchreiberInnen und sich nicht ins RampenlichttrauerInnen“. Offenbar funktioniert diese Anstiftung zur Öffentlichkeit auch irgendwie auf wundersame Weise – denn schon zwei Monate nach unserem ersten Zusammen-Auftreten begrüßen wir ihn als poetischen Mitgestalter zur Lesung seiner Stimmungsbilder im Open-Air-Studio:

„Unbekannt erscheint mir meine Umwelt…“

-> Zur Aufzeichnung unserer Aktion für ein Deserteursdenkmal

 

Become the Media

-> Download: Artarium vom Sonntag, 25. Mai – Unser Beitrag zur Civilmedia14, die heuer vom 29. bis 31. Mai im KunstQuartier in der Bergstraße stattfindet. Wenn es schon um Community-Medien und Zivilgesellschaft geht, dann darf ein Gruß an unsere englischsprachigen Kolleg_innen von der Wortfront wider den Untergeist keinesfalls fehlen! Wir präsentieren ein Spoken-Word-Highlight: „Hellburbia“, die 27-minütige Abrechnung mit der verlogenen Doppelmoral des amerikanischen Highschoolsystems, unwiederholbar hervorgerotzt von Ex-Dead-Kennedys-Sänger Jello Biafra in seiner nunmehrigen Paraderolle als Wortwetzmeister der Patridiotennation. Ausgehend von jener blödsinnigen Pseudoempörung, welche die selbstgeschnitzten Wertewächter immer dann zu überkommen scheint, wenn wieder ein jahrelang zur Verzweiflung gequälter Jugendlicher seine Schule abfackelt und/oder seine Lehrer erschießt…

Jello Biafra…stellt Biafra hier das gesamte Wertesystem einer Gesellschaft in Frage, die selbst tragischen Eruptionen von Gewalt und Zerstörung wie etwa dem Columbine High School Massaker mit keiner anderen Regung als den üblichen reflexhaften Schuldzuweisungen mehr zu begegnen weiß. Erinnern wir uns doch wieder an die ausführliche Darstellung dieser Begebenheit in Michael Moores sozialkritischem Film „Bowling for Columbine“ – und das berührende Interview mit Marilyn Manson, der als Einziger den vernünftigen Gedanken äußerte, dass den betroffenen Schüler_innenn womöglich einmal jemand ernsthaft zuhören sollte, anstatt dauernd auf sie einzureden, wer sie sein und wie sie sich verhalten müssten. In dem Interview kommt außerdem klar zum Ausdruck, wie (absichtlich!) einseitig die Berichterstattung auch in angeblich noch so unabhängigen Medien wird, sobald einflussreiche politische, religiöse und wirtschaftliche Interessensgruppen hinter den Kulissen ihre Macht entfalten. Wir erleben jetzt gerade Ähnliches, wenn es in Zeitungsartikeln und Rundfunkprogrammen um die Darstellung der aus Überlebensnot in unseren Städten bettelnden Menschen geht – oder um die populistische Stimmungsmache unter Beschwörung der stets behaupteten Bettelmafia. Was herrscht vor?

FREIE Medien – nie waren sie so wertvoll wie heute 😉

 

Die Sendung mit der Wurst

-> Download: Artarium vom Sonntag, 18. Mai – Da haben wir jetzt also den Wurstsalat: Mal ganz abgesehen vom Neurovisions-Songcontest mit seinem musikindustriellen Massenmulm, sitzen wir auf einmal doch mit dieser verstörend betörenden Kunstfigur namens Conchita in einem Topf – und wundern uns. Nicht etwa darüber, dass wirklich jeder Unjedermann (und sei sie noch so Frau) seinihren Senf dazu quatscht. Das sind wir als gelernte Österreicher ja inzwischen gewohnt! Auch nicht so sehr über die interessante Polarisierung, die sich – von frenetischer Feude bis zu hochkochendem Hass – sogar in den Gesprächen von sonst zumeist schweigenden Mehrminderheiten auszubreiten scheint. Nein, eigentlich erstaunt uns das von Tom Neuwirth intelligent ausgedachte Irritationskonzept, mit dem die Vorstellung von gleichrangig vielfältigen Daseinsformen offenbar gerade bis in die allerhintersten Bewusstseinswinkel dringt.

Conchita WurstDa wollen wir diesmal (bei aller sonst gern geübten Kritik am konsumistischen Mainstream) in den Chor der Glückwünsche einstimmen und ein Lied für (nicht von) Conchita Wurst spielen. Wir sind das freie Radio 😉 Von einem der zahlreichen Gratulanten distanzieren wir uns aber gern und gründlich, denn der hat offensichtlich nichts von dem kapiert, was die Wurst vom Würstl gar so angenehm unterscheidet! Der selbstgebackene Retter des gottgefälligen Abendlandes und diensttuende Patriarch der wenig erfreuheitlichen Partei verfolgt ja ganz andere Ziele, wie Alexander Pollak auf derStandard.at genial ausführt: „Strache braucht Nationalismus und viel Opportunismus, um ausnahmsweise die Abweichung von Normen zu goutieren oder zumindest, wie im Falle von Conchita, schweren Herzens und wohl auch nur temporär, zu tolerieren. Doch die Abweichung von althergebrachten Normen ist nicht das, wozu Strache sie macht, sie ist nicht die seltene Ausnahme, sondern sie ist die Regel. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, sieht eine Realität, die mit den Normvorstellungen, die in unseren Köpfen verankert wurden, vielfach nichts gemein hat. Das mag Herausforderungen mit sich bringen. Das mag für manche verwirrend sein. In erster Linie sollte es aber etwas ganz anderes sein, nämlich selbstverständlich, oder, wie es Conchita sagen würde, richtig, wurst.“

Blau ist eine warme FarbeWas läge also in dem Zusammenhang näher, als noch ein paar weitere schöne Möglichkeiten auszupacken, mit denen sich die eigenen Normvorstellungen anregend auf den Kopf stellen lassen. Wir wollen euch also von zwei Filmen erzählen und von den Büchern, aus denen heraus sie entwickelt wurden. Zwei verschiedene Geschichten, die aber beide dazu geeignet sind, die Welt des Gewohnten wieder mal anders zu erleben – überraschend, veränderbar, zuversichtlich. Zum einen ist hier die Rede von Jonas Jonassons „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“der jüngst stark gekürzt, doch durchaus sehr unterhaltsam verfilmt wurde. (-> Trailer) Zum anderen vom epischen Liebesfilm „Blau ist eine warme Farbe“, einer dreistündigen Bilderflut frei nach der Graphic Novel von Julie Maroh. Während das Vorstellungswelten sprengende Element in der ersten Erzählung die Aneinanderreihung der aberwitzigsten Wendungen in Geschichte wie Gegenwart des Protagonisten ist, so wird der entsprechende Erfrischungseffekt in der zweiten Story hauptsächlich durch die Darstellung von Sexualität erreicht. Ein Umstand, der bei aller Ästhetik und Intimität nicht unumstritten bleibt, wie dieser Artikel eindrücklich zeigt: “Clem hätte sich auch in mich verliebt, wenn ich ein Junge gewesen wäre.” Und darum scheint es Maroh auch in der Hauptsache zu gehen: Dass Liebe keine Geschlechtergrenzen oder sexuelle Orientierung kennt. “Die Liebe ist etwas so Abstraktes und Unergründliches. Sie hängt von unserer Wahrnehmung und unseren Erfahrungen ab”.

 

Ilija Trojanow – Der überflüssige Mensch

Artarium vom Sonntag, 27. April – Diese DOPPELSTUNDE wird als zwei eigenständige Sendungen veröffentlicht: -> Download: Buchvorstellung mit Leseproben und Studiogespräch -> Download: Autorenportrait mit Interviewauszügen von den Rauriser Literaturtagen 2014. Natürlich fein garniert mit thematisch passenden Musiktiteln und Audiocollagen, wollen wir sowohl der Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ wie auch der Person Ilija Trojanow atmosphärisch näherkommen. Unsere Projektpartner, allesamt Salzburger Studenten, stellen hierbei ihr gesammeltes Material (einer universitären Präsentation) zur Verfügung, unter anderem eineinhalb Stunden Gespräch mit dem Autor zu Themen wie „Dystopische Popkultur“ und „Revolution oder Genozid“. Gemeinsam gestalten wir nun daraus dieses Hörstück zum Mitleben…

der überflüssige menschNachdem wir bereits am 23. März in der Sendung „Überflüssig“ über einige Ideen zum „Trojanow Projekt“ gesprochen haben, wollen wir diesmal detaillierter den Inhalt dieses bemerkenswerten Buches darstellen – und darüber diskutieren, was sich aus den darin entwickelten Thesen für den Umgang mit Gesellschafts- und Weltordnungen ergeben kann. Zur Einstimmung und Vertiefung empfehle ich die Rezension „Würdelos im Spätkapitalismus“ (Deutschlandradio Kultur). Interessanterweise wird die Neuerscheinung des bekennenden Anarchisten sogar in der Politischen Akademie der ÖVP wohlwollend besprochen. Das mag als deutliches Zeichen für deren unleugbare inhaltliche Brisanz gelten:

Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es verstößt gleich mehrfach gegen das Grundgesetz. Erstens gegen Artikel 1, weil es kein menschenwürdiges Leben ermöglicht, und zweitens gegen die freie Berufswahl wie auch gegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil es Menschen zu Sklaven macht, indem es sie zur Annahme von Arbeit zwingt, die sie nicht ausüben wollen.“ Dieses Zitat von Götz Werner, Begründer der Drogeriekette dm, gestandener Kapitalist, aber auch Systemkritiker und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, stellt Trojanow dem Kapitel „Ein Sprungbrett nach unten“ voran.

ilja trojanowUnd schreibt dann selbst: Die Überflüssigen sind keineswegs überflüssig, lässt man den herrschenden Arbeitsbegriff unserer Zeit außer Acht. Sie pflegen einen gebrechlichen Vater, einen dementen Partner oder widmen sich als allein erziehende Mütter ihren Kindern. Sie helfen in der Nachbarschaft, sie engagieren sich, sie beschenken ihre Verwandten mit Selbstgestricktem (um nur einige beliebige Beispiele zu nennen). Wer seinem behinderten Sohn einen Filterkaffee zubereitet, ist eine Null, wer seinem Chef einen Espresso serviert, ist ein Assistent. Die nicht-kommerzielle Fürsorge wird missachtet, gerät ins soziale Abseits.“ (Aus Seite 36 des knapp 90-seitigen, sehr angenehm zu lesenden Werks)

Da hätten wir schon einmal ein paar kritische Gedankengänge beisammen, die jeder für sich lauthals nach revolutionärer Veränderung der Verhältnisse schreien. Oder anders gesagt: „So darf man mit Menschen nicht umgehen!“ Doch was können wir schon tun? Hier erweist sich die ebenso humanistische wie anarchistische Denktradition Trojanows als besonderer Glücksfall, indem sie mit vielen offenen Fragen umgehen und dabei doch sehr konkret werden kann. Meisterlich hat dies der Kollege von Radio Helsinki in einem Interview am 21. 3. 2013 eingefangen. Doch auch wir werden dichten Stoff liefern! 😀

Denn wir sind durchaus ein geiles Institut!

 

Ton Steine Scherben in Salzburg

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. April – Der etwas andere Konzertbericht aus dem Salzburgradio zum Selberdrehen oder auch Liebesgrüße aus dem Minenfeld ambivalenter Erwartungen. Wenn nämlich Ton Steine Scherben nach jahrzehntelanger Absenz plötzlich wieder auftauchen, und dann noch unter der griffigen Ankündigung „Das Original erstmals seit 1985 auf der Bühne“, dann kommen auch wir aus unseren Zeitlöchern gekrochen – und wollen liebgehabt werden. Doch – wer sind wir? Ein bunt zusammengewürfelter Haufen! Musikanten und Medienkünstler, Jungpunks und Alt-68er, Freiheitsfreaks jedweden Fachgebiets, längst ausgestorben geglaubte Bohème, Kinder, Eltern, Überlebenskünstler – und sogar ein Grateful-Dead-Professor. Genauso verschiedenartig wie dieses Publikum waren auch seine Bedürfnisse, weshalb wir ein „Stimmungsbild aus Spiegelscherben“ zubereiten.

Ton Steine Scherben 2014 im RockhouseZuallererst begegnete mir ein freundlicher Veteran mit schütterem Haupthaar, der stolz seine Erstausgabe des Albums „Warum geht es mir so dreckig“ herum reichte. Ein wenig Museum war da schon im Spiel und mir fiel dazu „lebendige Geschichte“ ein. Deren Stattfindung verkörperte bierselig ein Punk mit bunten Haaren, der allen Umstehenden erklärte, wie augenblicklich er wieder heimgehen würde, sollte seiner Vorstellung von revolutionärer Authentizität etwa nicht entsprochen werden. Ein schon seit Jahren dem Umfeld lauthalser Konzerte entflohen gewesener Kollege aus der Epoche des angewandten Hausbesetzens hatte sich extra wegen der Scherben reaktiviert und freute sich schon wie der Rumpelstilz aufs Heiserwerden vom Mitgröhlen der alten Anarchohymnen. Die leiseren – oder sagen wir – Zwischentöne hörte ich allerdings von einigen eher „untypischen“ Konzertbesuchern. So etwa ein Künstlerpaar, das seine hohen Erwartungen aufgrund des „berühmten Namens“ sorgfältig gegen mögliche Enttäuschungen abwog, die ein Scheitern des generationen-übergreifend angelegten Revival-Projekts mit sich bringen würde. Der verstorbene Rio Reiser sei als Frontman schlichtweg unersetzbar, daher gingen sie eher mit gemischten Gefühlen hinein…

Die jungen Stimmen von Ton Steine Scherben 2014So hätten wir diesen Artikel auch mit „Des Sängers Fluch“ überschreiben können – die gleichnamige Ballade von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814 wäre wohl als Metapher des Ansingens gegen kaltherzige Herrscher geeignet. Doch als Titel ließe solcherlei die Gesamtperformance von Ton Steine Scherben 2014 in einem allzu einseitigen Licht erscheinen – denn so sehr dieser Abend immer auch Besuch der alten Ikonen war, so sehr lebte die junge Generation dabei ihre ganz eigene Spielfreude aus. Herausragend Maxime Praeker am knackpräzisen Schlagzeug, auch Nicolo Rovera überraschte mit Leidenschaft und Stimmpräsenz. Leider ging dagegen der Gesang von Ella Josephine Ebsen im allzu lauten Saalsound fast unter und entzog sich so der weiteren Würdigung. Ein echtes „Project in Progress“ eben, an dem noch einiges zu gestalten ist. Allerdings ein gelungener Auftritt im Sinne von „Macht auf jeden Fall weiter, es macht uns neugierig…“ Und so unfertig, wie auch wir gern bleiben möchten, überlassen wir weitere Ausführungen den Publikumsstimmen, die in dieser Sendung zu hören sind – sowie unseren und euren Assoziationen, wenn wir dazu die etwas anderen musikalischen Scherbenzitate spielen. Unter anderem von Bretterbauer, die einen empfehlenswerten Scherbensound produzieren – oder von the who the what the yeah, die als Support von TSS in Wien ihr spätkapitalistisches Lebensgefühl entfalten konnten. Über alledem jedoch, liebe Gemeinde, vergessen wir eines niemals: Wir sind ein geiles Institut 😀 und Hallelujah!

 

Krieg und Frieden – Eine Andeutung

> Download: Artarium vom Sonntag, 9. März – Erste Einstimmung auf das heuer noch öfter wiederkehrende Schwerpunktthema “100 Jahre Erster Weltkrieg” und die damit einhergehenden Fragestellungen: Was ist eigentlich Krieg – und wenn ja, gibt es überhaupt Frieden? Ist nicht gerade der erste Weltkrieg (die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts und zugleich die ursächliche Wegbereitung des Nationalsozialismus) österreichischerseits noch um einiges gründlicher verdrängt als die Mitverantwortung am 3. Reich? Können wir mit unserer Gegenwartssprache die literarischen Zeugnisse von vor 100 Jahren noch direkt verstehen – etwa Die letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus oder die depressiven Gedichte von Georg Trakl? Sein Todestag jährt sich heuer ja auch zum 100. Mal – und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen traumatischen Kriegserlebnissen. Eine Überdosis Grauen wird nach wie vor als verkraftbar angesehen, der Ausweg in den Freitod bleibt ebenfalls skandalisiert …

profil 2014Das Nachrichtenmagazin profil begann im Januar mit einer bemerkenswerten Serie: Woche für Woche werden unter dem speziellen Titel “Countdown zum Krieg” Zeitungsmeldungen und Dokumente von 1914 veröffentlicht, so dass bis zur Berichterstattung über jenen 28. Juni (Attentat in Sarajevo) sowie dem daraus folgenden Beginn des ersten industriellen Kriegs im Juli/August ein atmosphärisches Grundverständnis für die vorherrschenden gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse im damaligen Kaiserreich Österreich-Ungarn entsteht. Eine solche Aufbereitung finden wir höchst anregend, entspricht sie doch unserer eigenen Arbeitsweise, durch Audiocollagen komplexe Stimmungen hervorzurufen und sie dadurch (wieder) erlebbar zu machen:

So wollen wir die Idee eines (wenn auch unregelmäßigen) Countdowns aufgreifen und in dieser Sendung eine assoziative Text- und Musiksammlung zum Thema „Krieg und Frieden“ vorstellen. Wir bedienen uns dabei zweier wesentlicher Sprach- und Vortragskünstler, die in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Schrecken und Absurditäten jedweder militärischer Konfrontation beispielhaft bearbeitet haben: Nämlich erstens Ernst Jandl, der durch seine sprachkreativen Innovationen den emotionalen Gehalt von kriegerischer Denk- und Sprechweise in unmittelbares Erleben zu übersetzen vermochte – und zweitens Helmut Qualtinger, der in seinem unnachahmlich lebhaften Vortragsstil einen der sprachmächtigsten Kritiker des ersten Weltkriegs (eben den genialen Satiriker Karl Kraus) wieder in ein breiteres Österreichbewusstsein beförderte. Zudem lesen wir selbst letzte Gedichte von Georg Trakl und begeben uns auf die Suche nach den “veralteten” Ausdrücken jener Epoche. Alles in allem dient diese Andeutung auch zur Einstimmung auf unsere 3-stündige Perlentaucher-Nachtfahrt am Freitag, 14. März, die gleichfalls dem Thema “Krieg und Frieden” gewidmet sein wird … 😉

 

Käptn Peng – das etwas andere Interview

Nachdem wir euch im Januar die Musik von Käptn Peng & Konsorten in unserer Albumpräsentation-Sendung schmackhaft gemacht haben, wollten wir mehr darüber erfahren, was das für ein Mensch ist, der da hinter diesen abgründig intelligenten poetisch-philosophischen Texten steckt – und wie der so tickt in einem spontanen Gespräch. Dazu haben wir das Konzert von Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi im Salzburger Rockhouse besucht – und sind dem multikreativen Wortwetzmeister Robert Gwisdek vorab im Backstage mit dem Aufnahmegerät zu Geiste gerückt. Was dabei Erstaunliches zustande kam, das veröffentlichen wir nunmehr auf vielfachen Wunsch auch allhier zum gefälligen Download – in drei fein garnierten Portionen:

-> Käptn Peng (1) Einfälle (Spontane Textassoziationen und Sockosophisches)

-> Käptn Peng (2) Gedichte (Begriffsklärungen und Wert des Gedichteschreibens)

-> Käptn Peng (3) Kreativität (Kindliches und Erwachsenes im Produktionsprozess)

käptn_peng_liveDer Natur unseres etwas anderen Kunnst-Biotops gemäß wollten wir sowieso kein weiteres alltägliches 0815-Interview erzeugen, sondern vermittels eigens zubereiteter Textzitate und durch assoziatives Nachfragen dem Wesen hinter all den Masken und Verwandlungen auf die Spur kommen. Chapeau! 😀 Der Käptn erwies sich dabei als kongenial verspielter Gesprächspartner, der voll spontanistischer Denk- und Gestaltungsfreude ein verbales Feuerwerk aus ironischem Wordrap und tiefsinniger Betrachtung entzündete, dass es eine wahre Freude war. Dies sei euch hiermit nicht mehr länger vorenthalten – und zum gedeihlichen Nachhören wie auch zum fröhlichen Weiterverwursten entschiedenst anempfohlen! Denn die letzten Interviewgäste, die uns auf vergleichbarem sprachlichem Niveau soviel (im besten Sinne) Spaß machten, waren der Dramatiker und Festspielintendant Thomas Oberender (Kulturgespräch 2011) sowie die Regie-Abschlussklasse der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ aus Berlin (Gastspiel 4.48 Psychose 2009). Und Niveau ist – wie wir wissen – keine Hautcreme!

Für das feine Live-Foto danke an Ohrenkitsch vom Blog Die Welt ist mein Zuhause

fuchs_sein_fetztZum Schluss verweisen wir noch auf unsere letzte Nachtfahrt-Perlentaucher-Sendung mit dem sinnigen Titel „Zwischen Leben und Überleben“, in der alle drei Interview-Teile erstmals dramaturgisch einverwoben wurden. Und auch auf Robert Gwisdeks am 8. März erscheinenden Debütroman „Der unsichtbare Apfel“, über den man bereits folgendes erfährt: Igor ist ein merkwürdiges Kind. Er berührt Dinge, um sie zu verstehen, malt Kreise auf Hauswände und sortiert Schachteln in Schachteln ein. Während er älter wird, übt er das Schmelzen, entdeckt das Nichts und bezweifelt die Endlichkeit. Er verliebt sich und trägt eine Last, die zu schwer ist, er trifft auf den Tod und versucht schließlich, hundert Tage ohne Licht und Geräusche zu verbringen. Seine Reise führt ihn an die Grenzen der Vernunft und verändert seine Wahrnehmung der Welt für immer.

„…und verstand, mein Gott, ich bin der Fluss nicht das Floß!“ (Käptn Peng)