Denk mal fairkehrt

-> Download: Artarium vom Sonntag, 22.Juni – LIVE vom fairkehrten Fest in der alten Nonntaler Hauptstraße, daher diesmal auch mit Live-Lesung und Live-Musik aus dem Fundus des etwas anderen Kunnst-Biotops! Außerdem wollen wir die Gelegenheit nutzen, um euch unsere monatliche Perlentaucher-Nachtfahrt ans Herz zu legen. Denn in dieser „musikliterarischen Gefühlsweltreise“ wechseln sich ebenfalls live gelesene Textbeiträge mit vorbereiteten Soundcollagen und Titeln aus dazu passenden Playlisten ab. Und zwar jeweils in spontaner Dramaturgie – rund um das ausgewählte Thema assoziiert. Was läge also näher, als für den Programmschluss des Radiofabrik-Außenstudios den Standort des Geschehens als inhaltliche Inspiration auf uns wirken zu lassen: Ein Kriegerdenkmal, mit den Namen aller im ersten und zweiten Weltkrieg elend zu Tode gekommenen Nonntaler – und mit der Aufschrift „Unseren Helden“…

Christopher SchmallImmer, wenn sich der Hund im Artarium wieder mal in einen Wirbel redet, freut es eine(n) so richtig, diese andere angenehme Stimme zu hören: Christopher Schmall, unentbehrlicher Freund und Coproducer 🙂 sonst seines Zeichens auch Dichter, Musikschaffender und Seelenforscher. Er ist einigen noch als Sänger der Band In Confusion in Erinnerung und war seither schon des öfteren mit seinen Solonummern und SpokenWord-Experimenten im Radio zu hören. Nun wird er zum ersten Mal seit geraumer Zeit wieder live and unplugged vor versammeltem Publikum zu erleben sein – und uns mit zwei zu diesem speziellen Setting passenden Eigenkompositionen – befremden, erfreuen – oder trösten? Wir wissen es nicht – wir können uns nur darauf einlassen! Derlei ist jedenfalls selten genug heutzutage…

Felix Vali SteinhauserEbenso rar und kostbar sind auch jene Momente, in welchen sich Potenzial plötzlich entfaltet – und wir staunenden Auges die im Erschaffen begriffene Welt betreten. So erging es uns erst unlängst, als wir beim gemeinsamen Vorlesen eigener Texte Felix Vali Steinhauser kennenlernten. Und zwar bei Writers On The Storm, einer überaus empfehlenswerten Veranstaltungsreihe des Salzburger Kunstkollektivs Bureau du Grand Mot für alle „Bühnenneulinge, heimliche SchreiberInnen und sich nicht ins RampenlichttrauerInnen“. Offenbar funktioniert diese Anstiftung zur Öffentlichkeit auch irgendwie auf wundersame Weise – denn schon zwei Monate nach unserem ersten Zusammen-Auftreten begrüßen wir ihn als poetischen Mitgestalter zur Lesung seiner Stimmungsbilder im Open-Air-Studio:

„Unbekannt erscheint mir meine Umwelt…“

-> Zur Aufzeichnung unserer Aktion für ein Deserteursdenkmal

 

Become the Media

-> Download: Artarium vom Sonntag, 25. Mai – Unser Beitrag zur Civilmedia14, die heuer vom 29. bis 31. Mai im KunstQuartier in der Bergstraße stattfindet. Wenn es schon um Community-Medien und Zivilgesellschaft geht, dann darf ein Gruß an unsere englischsprachigen Kolleg_innen von der Wortfront wider den Untergeist keinesfalls fehlen! Wir präsentieren ein Spoken-Word-Highlight: „Hellburbia“, die 27-minütige Abrechnung mit der verlogenen Doppelmoral des amerikanischen Highschoolsystems, unwiederholbar hervorgerotzt von Ex-Dead-Kennedys-Sänger Jello Biafra in seiner nunmehrigen Paraderolle als Wortwetzmeister der Patridiotennation. Ausgehend von jener blödsinnigen Pseudoempörung, welche die selbstgeschnitzten Wertewächter immer dann zu überkommen scheint, wenn wieder ein jahrelang zur Verzweiflung gequälter Jugendlicher seine Schule abfackelt und/oder seine Lehrer erschießt…

Jello Biafra…stellt Biafra hier das gesamte Wertesystem einer Gesellschaft in Frage, die selbst tragischen Eruptionen von Gewalt und Zerstörung wie etwa dem Columbine High School Massaker mit keiner anderen Regung als den üblichen reflexhaften Schuldzuweisungen mehr zu begegnen weiß. Erinnern wir uns doch wieder an die ausführliche Darstellung dieser Begebenheit in Michael Moores sozialkritischem Film „Bowling for Columbine“ – und das berührende Interview mit Marilyn Manson, der als Einziger den vernünftigen Gedanken äußerte, dass den betroffenen Schüler_innenn womöglich einmal jemand ernsthaft zuhören sollte, anstatt dauernd auf sie einzureden, wer sie sein und wie sie sich verhalten müssten. In dem Interview kommt außerdem klar zum Ausdruck, wie (absichtlich!) einseitig die Berichterstattung auch in angeblich noch so unabhängigen Medien wird, sobald einflussreiche politische, religiöse und wirtschaftliche Interessensgruppen hinter den Kulissen ihre Macht entfalten. Wir erleben jetzt gerade Ähnliches, wenn es in Zeitungsartikeln und Rundfunkprogrammen um die Darstellung der aus Überlebensnot in unseren Städten bettelnden Menschen geht – oder um die populistische Stimmungsmache unter Beschwörung der stets behaupteten Bettelmafia. Was herrscht vor?

FREIE Medien – nie waren sie so wertvoll wie heute 😉

 

Die Sendung mit der Wurst

-> Download: Artarium vom Sonntag, 18. Mai – Da haben wir jetzt also den Wurstsalat: Mal ganz abgesehen vom Neurovisions-Songcontest mit seinem musikindustriellen Massenmulm, sitzen wir auf einmal doch mit dieser verstörend betörenden Kunstfigur namens Conchita in einem Topf – und wundern uns. Nicht etwa darüber, dass wirklich jeder Unjedermann (und sei sie noch so Frau) seinihren Senf dazu quatscht. Das sind wir als gelernte Österreicher ja inzwischen gewohnt! Auch nicht so sehr über die interessante Polarisierung, die sich – von frenetischer Feude bis zu hochkochendem Hass – sogar in den Gesprächen von sonst zumeist schweigenden Mehrminderheiten auszubreiten scheint. Nein, eigentlich erstaunt uns das von Tom Neuwirth intelligent ausgedachte Irritationskonzept, mit dem die Vorstellung von gleichrangig vielfältigen Daseinsformen offenbar gerade bis in die allerhintersten Bewusstseinswinkel dringt.

Conchita WurstDa wollen wir diesmal (bei aller sonst gern geübten Kritik am konsumistischen Mainstream) in den Chor der Glückwünsche einstimmen und ein Lied für (nicht von) Conchita Wurst spielen. Wir sind das freie Radio 😉 Von einem der zahlreichen Gratulanten distanzieren wir uns aber gern und gründlich, denn der hat offensichtlich nichts von dem kapiert, was die Wurst vom Würstl gar so angenehm unterscheidet! Der selbstgebackene Retter des gottgefälligen Abendlandes und diensttuende Patriarch der wenig erfreuheitlichen Partei verfolgt ja ganz andere Ziele, wie Alexander Pollak auf derStandard.at genial ausführt: „Strache braucht Nationalismus und viel Opportunismus, um ausnahmsweise die Abweichung von Normen zu goutieren oder zumindest, wie im Falle von Conchita, schweren Herzens und wohl auch nur temporär, zu tolerieren. Doch die Abweichung von althergebrachten Normen ist nicht das, wozu Strache sie macht, sie ist nicht die seltene Ausnahme, sondern sie ist die Regel. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, sieht eine Realität, die mit den Normvorstellungen, die in unseren Köpfen verankert wurden, vielfach nichts gemein hat. Das mag Herausforderungen mit sich bringen. Das mag für manche verwirrend sein. In erster Linie sollte es aber etwas ganz anderes sein, nämlich selbstverständlich, oder, wie es Conchita sagen würde, richtig, wurst.“

Blau ist eine warme FarbeWas läge also in dem Zusammenhang näher, als noch ein paar weitere schöne Möglichkeiten auszupacken, mit denen sich die eigenen Normvorstellungen anregend auf den Kopf stellen lassen. Wir wollen euch also von zwei Filmen erzählen und von den Büchern, aus denen heraus sie entwickelt wurden. Zwei verschiedene Geschichten, die aber beide dazu geeignet sind, die Welt des Gewohnten wieder mal anders zu erleben – überraschend, veränderbar, zuversichtlich. Zum einen ist hier die Rede von Jonas Jonassons „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“der jüngst stark gekürzt, doch durchaus sehr unterhaltsam verfilmt wurde. (-> Trailer) Zum anderen vom epischen Liebesfilm „Blau ist eine warme Farbe“, einer dreistündigen Bilderflut frei nach der Graphic Novel von Julie Maroh. Während das Vorstellungswelten sprengende Element in der ersten Erzählung die Aneinanderreihung der aberwitzigsten Wendungen in Geschichte wie Gegenwart des Protagonisten ist, so wird der entsprechende Erfrischungseffekt in der zweiten Story hauptsächlich durch die Darstellung von Sexualität erreicht. Ein Umstand, der bei aller Ästhetik und Intimität nicht unumstritten bleibt, wie dieser Artikel eindrücklich zeigt: “Clem hätte sich auch in mich verliebt, wenn ich ein Junge gewesen wäre.” Und darum scheint es Maroh auch in der Hauptsache zu gehen: Dass Liebe keine Geschlechtergrenzen oder sexuelle Orientierung kennt. “Die Liebe ist etwas so Abstraktes und Unergründliches. Sie hängt von unserer Wahrnehmung und unseren Erfahrungen ab”.

 

Ilija Trojanow – Der überflüssige Mensch

Artarium vom Sonntag, 27. April – Diese DOPPELSTUNDE wird als zwei eigenständige Sendungen veröffentlicht: -> Download: Buchvorstellung mit Leseproben und Studiogespräch -> Download: Autorenportrait mit Interviewauszügen von den Rauriser Literaturtagen 2014. Natürlich fein garniert mit thematisch passenden Musiktiteln und Audiocollagen, wollen wir sowohl der Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ wie auch der Person Ilija Trojanow atmosphärisch näherkommen. Unsere Projektpartner, allesamt Salzburger Studenten, stellen hierbei ihr gesammeltes Material (einer universitären Präsentation) zur Verfügung, unter anderem eineinhalb Stunden Gespräch mit dem Autor zu Themen wie „Dystopische Popkultur“ und „Revolution oder Genozid“. Gemeinsam gestalten wir nun daraus dieses Hörstück zum Mitleben…

der überflüssige menschNachdem wir bereits am 23. März in der Sendung „Überflüssig“ über einige Ideen zum „Trojanow Projekt“ gesprochen haben, wollen wir diesmal detaillierter den Inhalt dieses bemerkenswerten Buches darstellen – und darüber diskutieren, was sich aus den darin entwickelten Thesen für den Umgang mit Gesellschafts- und Weltordnungen ergeben kann. Zur Einstimmung und Vertiefung empfehle ich die Rezension „Würdelos im Spätkapitalismus“ (Deutschlandradio Kultur). Interessanterweise wird die Neuerscheinung des bekennenden Anarchisten sogar in der Politischen Akademie der ÖVP wohlwollend besprochen. Das mag als deutliches Zeichen für deren unleugbare inhaltliche Brisanz gelten:

Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es verstößt gleich mehrfach gegen das Grundgesetz. Erstens gegen Artikel 1, weil es kein menschenwürdiges Leben ermöglicht, und zweitens gegen die freie Berufswahl wie auch gegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil es Menschen zu Sklaven macht, indem es sie zur Annahme von Arbeit zwingt, die sie nicht ausüben wollen.“ Dieses Zitat von Götz Werner, Begründer der Drogeriekette dm, gestandener Kapitalist, aber auch Systemkritiker und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, stellt Trojanow dem Kapitel „Ein Sprungbrett nach unten“ voran.

ilja trojanowUnd schreibt dann selbst: Die Überflüssigen sind keineswegs überflüssig, lässt man den herrschenden Arbeitsbegriff unserer Zeit außer Acht. Sie pflegen einen gebrechlichen Vater, einen dementen Partner oder widmen sich als allein erziehende Mütter ihren Kindern. Sie helfen in der Nachbarschaft, sie engagieren sich, sie beschenken ihre Verwandten mit Selbstgestricktem (um nur einige beliebige Beispiele zu nennen). Wer seinem behinderten Sohn einen Filterkaffee zubereitet, ist eine Null, wer seinem Chef einen Espresso serviert, ist ein Assistent. Die nicht-kommerzielle Fürsorge wird missachtet, gerät ins soziale Abseits.“ (Aus Seite 36 des knapp 90-seitigen, sehr angenehm zu lesenden Werks)

Da hätten wir schon einmal ein paar kritische Gedankengänge beisammen, die jeder für sich lauthals nach revolutionärer Veränderung der Verhältnisse schreien. Oder anders gesagt: „So darf man mit Menschen nicht umgehen!“ Doch was können wir schon tun? Hier erweist sich die ebenso humanistische wie anarchistische Denktradition Trojanows als besonderer Glücksfall, indem sie mit vielen offenen Fragen umgehen und dabei doch sehr konkret werden kann. Meisterlich hat dies der Kollege von Radio Helsinki in einem Interview am 21. 3. 2013 eingefangen. Doch auch wir werden dichten Stoff liefern! 😀

Denn wir sind durchaus ein geiles Institut!

 

Ton Steine Scherben in Salzburg

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. April – Der etwas andere Konzertbericht aus dem Salzburgradio zum Selberdrehen oder auch Liebesgrüße aus dem Minenfeld ambivalenter Erwartungen. Wenn nämlich Ton Steine Scherben nach jahrzehntelanger Absenz plötzlich wieder auftauchen, und dann noch unter der griffigen Ankündigung „Das Original erstmals seit 1985 auf der Bühne“, dann kommen auch wir aus unseren Zeitlöchern gekrochen – und wollen liebgehabt werden. Doch – wer sind wir? Ein bunt zusammengewürfelter Haufen! Musikanten und Medienkünstler, Jungpunks und Alt-68er, Freiheitsfreaks jedweden Fachgebiets, längst ausgestorben geglaubte Bohème, Kinder, Eltern, Überlebenskünstler – und sogar ein Grateful-Dead-Professor. Genauso verschiedenartig wie dieses Publikum waren auch seine Bedürfnisse, weshalb wir ein „Stimmungsbild aus Spiegelscherben“ zubereiten.

Ton Steine Scherben 2014 im RockhouseZuallererst begegnete mir ein freundlicher Veteran mit schütterem Haupthaar, der stolz seine Erstausgabe des Albums „Warum geht es mir so dreckig“ herum reichte. Ein wenig Museum war da schon im Spiel und mir fiel dazu „lebendige Geschichte“ ein. Deren Stattfindung verkörperte bierselig ein Punk mit bunten Haaren, der allen Umstehenden erklärte, wie augenblicklich er wieder heimgehen würde, sollte seiner Vorstellung von revolutionärer Authentizität etwa nicht entsprochen werden. Ein schon seit Jahren dem Umfeld lauthalser Konzerte entflohen gewesener Kollege aus der Epoche des angewandten Hausbesetzens hatte sich extra wegen der Scherben reaktiviert und freute sich schon wie der Rumpelstilz aufs Heiserwerden vom Mitgröhlen der alten Anarchohymnen. Die leiseren – oder sagen wir – Zwischentöne hörte ich allerdings von einigen eher „untypischen“ Konzertbesuchern. So etwa ein Künstlerpaar, das seine hohen Erwartungen aufgrund des „berühmten Namens“ sorgfältig gegen mögliche Enttäuschungen abwog, die ein Scheitern des generationen-übergreifend angelegten Revival-Projekts mit sich bringen würde. Der verstorbene Rio Reiser sei als Frontman schlichtweg unersetzbar, daher gingen sie eher mit gemischten Gefühlen hinein…

Die jungen Stimmen von Ton Steine Scherben 2014So hätten wir diesen Artikel auch mit „Des Sängers Fluch“ überschreiben können – die gleichnamige Ballade von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814 wäre wohl als Metapher des Ansingens gegen kaltherzige Herrscher geeignet. Doch als Titel ließe solcherlei die Gesamtperformance von Ton Steine Scherben 2014 in einem allzu einseitigen Licht erscheinen – denn so sehr dieser Abend immer auch Besuch der alten Ikonen war, so sehr lebte die junge Generation dabei ihre ganz eigene Spielfreude aus. Herausragend Maxime Praeker am knackpräzisen Schlagzeug, auch Nicolo Rovera überraschte mit Leidenschaft und Stimmpräsenz. Leider ging dagegen der Gesang von Ella Josephine Ebsen im allzu lauten Saalsound fast unter und entzog sich so der weiteren Würdigung. Ein echtes „Project in Progress“ eben, an dem noch einiges zu gestalten ist. Allerdings ein gelungener Auftritt im Sinne von „Macht auf jeden Fall weiter, es macht uns neugierig…“ Und so unfertig, wie auch wir gern bleiben möchten, überlassen wir weitere Ausführungen den Publikumsstimmen, die in dieser Sendung zu hören sind – sowie unseren und euren Assoziationen, wenn wir dazu die etwas anderen musikalischen Scherbenzitate spielen. Unter anderem von Bretterbauer, die einen empfehlenswerten Scherbensound produzieren – oder von the who the what the yeah, die als Support von TSS in Wien ihr spätkapitalistisches Lebensgefühl entfalten konnten. Über alledem jedoch, liebe Gemeinde, vergessen wir eines niemals: Wir sind ein geiles Institut 😀 und Hallelujah!

 

Krieg und Frieden – Eine Andeutung

> Download: Artarium vom Sonntag, 9. März – Erste Einstimmung auf das heuer noch öfter wiederkehrende Schwerpunktthema “100 Jahre Erster Weltkrieg” und die damit einhergehenden Fragestellungen: Was ist eigentlich Krieg – und wenn ja, gibt es überhaupt Frieden? Ist nicht gerade der erste Weltkrieg (die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts und zugleich die ursächliche Wegbereitung des Nationalsozialismus) österreichischerseits noch um einiges gründlicher verdrängt als die Mitverantwortung am 3. Reich? Können wir mit unserer Gegenwartssprache die literarischen Zeugnisse von vor 100 Jahren noch direkt verstehen – etwa Die letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus oder die depressiven Gedichte von Georg Trakl? Sein Todestag jährt sich heuer ja auch zum 100. Mal – und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen traumatischen Kriegserlebnissen. Eine Überdosis Grauen wird nach wie vor als verkraftbar angesehen, der Ausweg in den Freitod bleibt ebenfalls skandalisiert …

profil 2014Das Nachrichtenmagazin profil begann im Januar mit einer bemerkenswerten Serie: Woche für Woche werden unter dem speziellen Titel “Countdown zum Krieg” Zeitungsmeldungen und Dokumente von 1914 veröffentlicht, so dass bis zur Berichterstattung über jenen 28. Juni (Attentat in Sarajevo) sowie dem daraus folgenden Beginn des ersten industriellen Kriegs im Juli/August ein atmosphärisches Grundverständnis für die vorherrschenden gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse im damaligen Kaiserreich Österreich-Ungarn entsteht. Eine solche Aufbereitung finden wir höchst anregend, entspricht sie doch unserer eigenen Arbeitsweise, durch Audiocollagen komplexe Stimmungen hervorzurufen und sie dadurch (wieder) erlebbar zu machen:

So wollen wir die Idee eines (wenn auch unregelmäßigen) Countdowns aufgreifen und in dieser Sendung eine assoziative Text- und Musiksammlung zum Thema „Krieg und Frieden“ vorstellen. Wir bedienen uns dabei zweier wesentlicher Sprach- und Vortragskünstler, die in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Schrecken und Absurditäten jedweder militärischer Konfrontation beispielhaft bearbeitet haben: Nämlich erstens Ernst Jandl, der durch seine sprachkreativen Innovationen den emotionalen Gehalt von kriegerischer Denk- und Sprechweise in unmittelbares Erleben zu übersetzen vermochte – und zweitens Helmut Qualtinger, der in seinem unnachahmlich lebhaften Vortragsstil einen der sprachmächtigsten Kritiker des ersten Weltkriegs (eben den genialen Satiriker Karl Kraus) wieder in ein breiteres Österreichbewusstsein beförderte. Zudem lesen wir selbst letzte Gedichte von Georg Trakl und begeben uns auf die Suche nach den “veralteten” Ausdrücken jener Epoche. Alles in allem dient diese Andeutung auch zur Einstimmung auf unsere 3-stündige Perlentaucher-Nachtfahrt am Freitag, 14. März, die gleichfalls dem Thema “Krieg und Frieden” gewidmet sein wird … 😉

 

Käptn Peng – das etwas andere Interview

Nachdem wir euch im Januar die Musik von Käptn Peng & Konsorten in unserer Albumpräsentation-Sendung schmackhaft gemacht haben, wollten wir mehr darüber erfahren, was das für ein Mensch ist, der da hinter diesen abgründig intelligenten poetisch-philosophischen Texten steckt – und wie der so tickt in einem spontanen Gespräch. Dazu haben wir das Konzert von Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi im Salzburger Rockhouse besucht – und sind dem multikreativen Wortwetzmeister Robert Gwisdek vorab im Backstage mit dem Aufnahmegerät zu Geiste gerückt. Was dabei Erstaunliches zustande kam, das veröffentlichen wir nunmehr auf vielfachen Wunsch auch allhier zum gefälligen Download – in drei fein garnierten Portionen:

-> Käptn Peng (1) Einfälle (Spontane Textassoziationen und Sockosophisches)

-> Käptn Peng (2) Gedichte (Begriffsklärungen und Wert des Gedichteschreibens)

-> Käptn Peng (3) Kreativität (Kindliches und Erwachsenes im Produktionsprozess)

käptn_peng_liveDer Natur unseres etwas anderen Kunnst-Biotops gemäß wollten wir sowieso kein weiteres alltägliches 0815-Interview erzeugen, sondern vermittels eigens zubereiteter Textzitate und durch assoziatives Nachfragen dem Wesen hinter all den Masken und Verwandlungen auf die Spur kommen. Chapeau! 😀 Der Käptn erwies sich dabei als kongenial verspielter Gesprächspartner, der voll spontanistischer Denk- und Gestaltungsfreude ein verbales Feuerwerk aus ironischem Wordrap und tiefsinniger Betrachtung entzündete, dass es eine wahre Freude war. Dies sei euch hiermit nicht mehr länger vorenthalten – und zum gedeihlichen Nachhören wie auch zum fröhlichen Weiterverwursten entschiedenst anempfohlen! Denn die letzten Interviewgäste, die uns auf vergleichbarem sprachlichem Niveau soviel (im besten Sinne) Spaß machten, waren der Dramatiker und Festspielintendant Thomas Oberender (Kulturgespräch 2011) sowie die Regie-Abschlussklasse der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ aus Berlin (Gastspiel 4.48 Psychose 2009). Und Niveau ist – wie wir wissen – keine Hautcreme!

Für das feine Live-Foto danke an Ohrenkitsch vom Blog Die Welt ist mein Zuhause

fuchs_sein_fetztZum Schluss verweisen wir noch auf unsere letzte Nachtfahrt-Perlentaucher-Sendung mit dem sinnigen Titel „Zwischen Leben und Überleben“, in der alle drei Interview-Teile erstmals dramaturgisch einverwoben wurden. Und auch auf Robert Gwisdeks am 8. März erscheinenden Debütroman „Der unsichtbare Apfel“, über den man bereits folgendes erfährt: Igor ist ein merkwürdiges Kind. Er berührt Dinge, um sie zu verstehen, malt Kreise auf Hauswände und sortiert Schachteln in Schachteln ein. Während er älter wird, übt er das Schmelzen, entdeckt das Nichts und bezweifelt die Endlichkeit. Er verliebt sich und trägt eine Last, die zu schwer ist, er trifft auf den Tod und versucht schließlich, hundert Tage ohne Licht und Geräusche zu verbringen. Seine Reise führt ihn an die Grenzen der Vernunft und verändert seine Wahrnehmung der Welt für immer.

„…und verstand, mein Gott, ich bin der Fluss nicht das Floß!“ (Käptn Peng)

Gunkl – Ein ganzes Album

-> Download: Artarium vom Sonntag, 16. Februar – „Die großen Kränkungen der Menschheit – auch schon nicht leicht“ heißt das neueste Programm des Kabarettisten, Musikers, Philosophen und leider dann doch nicht Lehrers Günther Paal (Gunkl). Letzterer Umstand hat den versessenen Wissensvermittler allerdings einem viel größeren Publikum zugänglich gemacht, als dies jemals in einem Klassenraum oder Hörsaal möglich gewesen wäre. Gern hätte er ja schon interessierte und mitdenkende Jungmenschen beim eigenständigen Forschen geistig auf Hochtouren gebracht, wie er uns einmal in einem Interview verriet. Doch nebst seinem unleugbaren Drang zur freien Themenwahl stand diesem Lebensweg auch ein Bildungssystem dawider, welches mit „verknöchert“ noch recht euphemistisch umschrieben ist. Daher freut es uns ganz besonders, dass der rastlose Aufklärungsapologet bald auch wieder in Salzburg live zu erleben sein wird – nämlich am 20. März um 20 Uhr in der ARGEkultur. 🙂

GunklWas an Gunkls aktuellem Programm auffällt, ist die Konzentration auf das Vermitteln von Wissen. Diesen Lehrer hätte man sich in allen nur erdenklichen Lerngegenständen gewünscht – eloquent vortragend, eine Assoziation nach der anderen erweckend, dabei jedoch immer nachvollziehbar und der besseren Verständlichkeit halber nachgerade hochmusikalisch pantomim. Seine altbekannten Abschweifungen ins Spaßettlhafte (wie etwa multiple Persönlichkeiten und anderes virtuelles Bühnenpersonal) bleiben hier zur Gänze aus, besser gesagt, sie treten dergestalt in den Hintergrund, dass sie gerade noch erkennbar den Vortrag bebildern, eben so, wie bei einem begnadeten Pädagogen anschauliche Anekdoten und lebensnahe Beispiele den Informationsgehalt mit der Wirklichkeit verbinden können. Ein durchaus empfehlenswerter Abend vor allem für Menschen, die mit Wissensvermittlung in welcher Weise auch immer zu tun haben, denn er ersetzt meines Erachtens eine ganze Reihe von didaktischen und dramaturgischen Lehrveranstaltungen. Praxisnäher wäre da eigentlich nur noch die Gastronomie 😉

Doch damit wir hier nicht bloß über zu habende Mahlzeiten schwadronieren, seid herzlichst zum hörenden Vorkosten in unserer Sendung eingeladen! Wir präsentieren ein mehrgängiges Menü, bestehend aus einem Interview-Ausschnitt, zwei Highlights des Programms „Grundsätzliche Betrachtungen“ sowie gut 20 Minuten aus den „Großen Kränkungen“. Den Hauptgang bildet jedenfalls das Finale furioso dieses Bildungswerks, das mit den folgenden Worten beginnt: „Dass wir Religion immer noch brauchen, das kränkt mich. Was mich aber stört, ist, dass das schon wieder so ein Thema ist.“ Dem haben wir jetzt auch wirklich nichts mehr hinzuzufügen. Außer der musikalischen Garnierung, um unsere Verdauung anzuregen.

Bon Appetit!

 

 

Peter Gabriel Live @ Athens 1987

-> Download: Artarium vom Sonntag, 9. Februar – ZWEI STUNDEN LIVE-KONZERT! Von dieser Sendung stellen wir übrigens auch eine eigene Kurzversion (52:48) für die reibungsfreie Sendungsübernahme von der CBA-Plattform zur Verfügung 😉 Doch nun ans Eingemachte – Peter Gabriel war 1987 in vielerlei Hinsicht auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung, sowohl was seine Bühnenperformance wie auch seinen stimmliche Ausdruckskraft betrifft, allerdings auch in Kategorien wie etwa finanziellem Erfolg oder Popularität. Das 1986 erschienene Album „So“ erwies sich über Jahrzehnte als sein Opus magnum, das Musikvideo zum Titel „Sledgehammer“ wurde bald als ebenso innovativ wie stilbildend für das ganze Genre gehandelt. Kurz gesagt – wir erlebten den Durchbruch des Ex-Genesis-Sängers zum anerkannten Solokünstler. Wir erlebten ihn im besten Sinn des Begriffs – LIVE – und stellen euch deshalb dieses Konzert vor:

Peter Gabriel & Youssou N'DourAufgenommen wurde das von uns darzubringende Live-Doppelalbum beim Abschlusskonzert der fast ein Jahr lang dauernden So-Tour am 15. Oktober 1987 in Athen. Inzwischen ist auch das einzigartige Filmmaterial dieser Veranstaltung aufwändig restauriert und als DVD/Blu-Ray veröffentlicht worden. Zur Einstimmung möge hier eine sprachverliebte Rezensionen -(vom wundersamen Blog „Die Nacht der lebenden Texte“) dienen, mit dem schönen Titel „Kolossale Konzertkonserve“ – sowie eine von Peter selbst mitgestaltete Dokumentation, in der er seine ersten Erfahrungen mit Sampling und Soundscaping auf dem Fairlight CMI erzählt. Des weiteren ein Ausschnitt aus dem erwähnten Konzertfilm, in dem sich der musikalische Erzengel endgültig als Meister der Liveperformance erweist, indem er zum Finale grande von „Lay your hands on me“ das Crowd-Surfen als ultimative Verbindung mit dem Publikum zelebriert. Ein elementares Ereignis, von dem noch zu reden sein wird…

Peter Gabriel - Crowd SurfingKnapp einen Monat vor diesem denkwürdigen Tourneeabschluss in Athen hatte ich nämlich selbst in der Wiener Stadthalle die Gelegenheit, einem von Peter Gabriels Auftritten live beizuwohnen. Und seine Konzerte waren damals auf mancherlei Weise geradezu experimentell und von überbordend kreativem Pioniergeist beseelt. Technische Neuerungen wie die erst kurz zuvor entwickelten „Vari-Lite“ Scheinwerfer wurden auf beweglichen Kränen montiert in die Choreografie eingebunden. Durch die Zusammenarbeit mit Youssou N’Dour und der Super Étoile de Dakar (sowohl als Opener wie auch bei den gemeinsamen Zugaben) setzte man noch vor dem „World Music Boom“ deutliche interkulturelle Zeichen. Und – glaubt es oder nicht – die Atmosphäre auf jenem Wiener Konzert war dermaßen außergewöhnlich, dass ich danach noch längere Zeit rücklings in einem Betonblumenbeet liegen blieb – und dabei die Erdrotation spürte! Wobei ich jedoch an dem Abend vollkommen nüchtern war, wohlgemerkt 🙂

Doch höret selbst – und staunet! Wenn auch das Medium Radio beim Vermitteln von Livestimmung an gewisse Grenzen stößt, so wünschen wir euch doch allen ein paar ähnlich berührende Momente der Entrückung. Wir sind ein geiles Institut…

Um eine Peter-Gabriel-Sendung waren wir nie verlegen. Diese gibts ja auch noch:

-> Peter Gabriel – Art Of Inspiration (Juni 2011)

-> New Blood – Das halbe Album (Oktober 2011)

-> Life is Live – 3 Stunden Special (Dezember 2012)

 

100x NIEWIEDER für Marko Feingold

-> Download: Artarium vom Sonntag, 26. Januar – Auf Bernhard Jennys Blog findet sich seit Marko Feingolds 100. Geburtstag folgende Beschreibung: “100xNIEWIEDER ist eine aktion, bei der 100 menschen uns ihr persönliches kurzstatement schenken, in dem sie ihren persönlichen zugang zum NIE WIEDER formulieren. die aktion startet am 28.5.2013 und dauert 100 tage, jeden tag kommt eine aussage zu wort. zum abschluss der aktion werden wir dann die 100 statements gesammelt an marko m. feingold übergeben. mit der aktion 100xNIEWIEDER wollen wir ein zeichen setzen, dass uns die überlebensgeschichte von marko m. feingold und seine unbändige energie, mit der er sich von der ersten nachkriegsstunde an bis heute für das NIE WIEDER einsetzt, ein auftrag ist, dem wir uns verpflichtet fühlen.”

100xniewiederlogoDie persönliche Überreichung der 100 Statements findet sodann am Dienstag, 28. Januar 2014 um 19 Uhr im Literaturhaus Salzburg als eine „multimediale performative Veranstaltung“ statt. Wir haben Bernhard Jenny, den Initator der Aktion, zu uns eingeladen. Mit ihm wollen wir über die Entstehung dieses Projekts sprechen sowie einige Erfahrungen damit austauschen, zumal es sich dabei ja doch um hochaktuelle Fragen nach menschlichem Miteinander in unserer heutigen und zukünftigen Gesellschaft handelt. Auf jeden Fall war es spannend zu beobachten, wie viele unterschiedliche Anregungen so nach und nach zusammen kamen – und aufregend, zuletzt auch noch einen eigenen Gedanken dazu beizutragen. Es lohnt sich bestimmt, das 100xNIEWIEDER auf Bernhards Blog (noch) einmal durchzublättern und sich davon zu einem ganz persönlichen Statement inspirieren zu lassen. Daher werden wir in der Sendung auch einige jener Aussagen vorstellen, die uns besonders angesprochen und zum Mitdenken bewegt haben:

4. 6. 2013 – NIE WIEDER: Dazu haben wir die Pflicht, niemals einen Unterschied zu machen zwischen Menschen verschiedener Herkunft. Niemals Kategorien zuzulassen, die manchen die Existenzberechtigung in diesem Land absprechen. Und immer vehement aufzuschreien, wenn Menschen verhaftet und deportiert werden, nur weil ihre Pässe die falschen Stempel tragen. corinna milborn, autorin, journalistin und moderatorin

17. 6. 2013 – mit dem nie mehr wieder bin ich aufgewachsen. ob ich aber auch damit meine tage beenden werde, wer weiß. das unmenschliche wechselt nur gewand und opfer. livia klingl, journalistin und autorin

9. 7. 2013 – Schreien, sprechen, rufen, tanzen, spielen. Provozieren, argumentieren. Erinnern, Verbindungen herstellen. Erkennen, diskutieren, aufmerksam machen – share. Nicht schweigen, nicht still sein. Riskieren. We are not alone. Also für mich: politisches Tanztheater machen und junge Leute zu beeinflussen versuchen. editta braun, choreographin

17. 8. 2013 – Vergiss nie: der andere ist MENSCH.  daniela krammer, jazzmusikerin

 

Weitere Artikel zum Thema gibts auch hier: Artarium – Das Marko Feingold Projekt