Werbung in eigener Sache

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. August – In unserer nächsten Nachtfahrt werden wir ein Live-Konzert von Peter Gabriel spielen, und zwar in vollster Länge. Dafür – und für jene illustre Sendereihe, die demnächst in ihr 10. Jahr geht – werben wir hier und jetzt einmal so richtig angenehm. Da ist nämlich durchaus ein Unterschied zwischen gepflegter Kundmachung und penetrantem Einidrucken. Einen Eindruck von etwas kann ich mir ja selbst machen, dazu brauch ich keinen Dauerbeschwall von wegen was gerade “in” ist, was “man” heute so hörtund was ich kaufen soll, weil irgendein Oaschlochverein damit sein Geld drucken will. “Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.”  Außer man steht drauf, dass man fortwährend fremderseits eingefickt kriegt, was man denken, fühlen, glauben – was man tun und lassen soll…

Peter GabrielIn Zeiten wie diesen, in denen uns der räudigste Autotunescheiß als ultimatives Live-Erlebnis verkauft wird, in denen die austauschbaren Hupfsackeln uns von oben auf der Bühne herab anschaffen, was wir mit unseren Händen zu tun hätten, in diesen Zeiten der gleichförmigen Grinsklone und profitoptimierten Lächelzombies sehnen wir uns nach dem authentischen Menschen, der einfach seine Musik darbietet, weil sie ihm wichtig ist, weil sie ihn bewegt. “Ich singe, weil ich ein Lied hab, nicht weil ihr es bei mir bestellt…” Dieses Zitat von Konstantin Wecker mag uns als Motto dienen bei der Abgrenzung des Echten vom Scheinbaren. Der seelenleere Industriedreck, der uns massenmedial um die Sinne gehauen wird, kann einfach genau gar nichts. Man wird damit zugestopft und fühlt sich danach noch hungriger als zuvor. Genau darum geht es den Betreibern des Konsumismus oder “Wollt ihr die totale Abhängigkeit?” Doch Schreck beiseite, wir als Bewahrer des Originären stellen den Verdummten dieser Erde sogleich eine Entficklungshilfe für Herz und Hirn zur Verfügung. Und Peter Gabriel, der schon bei seinem Ausstieg aus Genesis das Künstlerische über das Kommerzielle stellte, ist da ein gutes Vorbild.

Wie es dazu kam? Unlängst sah ich Ausschnitte aus seiner Back to Front Tour (25 Jahre nach der erfolgreichen “So” Tornee und wieder in der damaligen Besetzung) Dabei dachte ich: “Was für einen Riesenspaß diese doch schon recht alten Gestalten da offenbar beim Herumhupfen haben. Woran das wohl liegen mag?” Einige mögliche Antworten lassen sich gewiss auch aus dieser Sendung destillieren. So man das mag…

PS. Foto/Lizenz von Jürgen Heegmann (Wikimedia Commons)

 

Das erzählte Mittagessen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. August“Wir sind auf einem überfüllten Planeten, auf dem zurzeit sieben Milliarden – und es sollen noch zehn Milliarden werden – darum kämpfen, einen Platz an der Sonne zu behalten und genügend Wasser zu trinken und genügend Öl zu verpulvern und genügend Strom zu verpulvern. Wir verhalten uns ja, als ob wir noch vier weitere Erden vor uns hätten. Die Sparsamkeit, zu der auf Umweltkonferenzen immer wieder aufgefordert wird, findet ja nirgends statt, die Chinesen und die Inder wollen endlich genauso reich werden wie die Amerikaner, also das ist eine düstere Zukunft.” So formuliert es der rastlose Sprachkritiker Wolf Schneider unlängst in einem Interview auf Deutschlandfunk Kultur. Er prägte auch jenen famosen Titel mit dem erzählten Mittagessen. Höchste Zeit also, selbst wieder eine Insel zu finden.

MittagessenIm Medium Radio dergestalt von Geschmäckern und Gerüchen zu erzählen, dass den Zuhörenden das Wasser im Mund zusammen läuft oder andere körperliche Effekte widerfahren, ist schon eine echte Herausforderung. Genauso ist es wohl auch bei Bildern, Filmen und überhaupt allem, was nicht von sich aus klingelt, scheppert oder tönt. Wie sich dennoch davon erzählen ließe, das wollen wir diesmal ausprobieren, und zwar am nahen Beispiel einiger Filme, die uns speziell begeistern. Nun mag man (oder jederfrau) sich fragen, was eigentlich ein Spielfilm mit dem erwähnten Mittagessen zu tun haben könnte. Und wir verweisen auf den Begriff der Insel, den wir, wenn auch im übertragenen Sinn, gern als zeitweilen Fluchtort vor dem grausen Weltgedümmel wählen. Klartext: Es muss Schutzzonen geben (egal ob zeitlich, räumlich, thematisch, sozial), wohin man sich zurückziehen kann vom Dauerstress immernder Nutzbarkeit, der einen allenthalben förmlich zuscheißt mit … da capo. So können zwei Stunden zum Abtauchen in die Opulenz der Bilderfluten schon äußerst hilfreich sein. Folglich versuchen wir, euch ein paar solcher Inseln zu vermitteln, indem wir von ihnen erzählenund sie (nebst Filmmusik) empfehlen

 

DÖF – Das ganze Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. August – Die Welt ist voller Anekdoten, da wollen wir auch wieder mal ane doktern. Oder ein Sackl. Denn die Perle aus dem Jahr 1983, die wir allhier und jetzt zu Geöhr bringen, hat es diesbezüglich wohl faustdick hinter denselben: Das schlicht DÖF betitelte und von Manfred Deix kongenial illustrierte Debutalbum des Wiener Kunstschmähprojekts Tauchen & Prokopetz (das darobhin als “Deutsch-Österreichisches Feingefühl” bekannt ward) steckt voller idealer Ideen. Und interessanter Referenzen, wenn man sowas mag. Der Hase meint zwar, dass ihn derlei Detailrecherche weniger anspricht, ich hingegen werd bei so Reminiszenzen im Umfeld meiner eigenen frühen Soundbasteleien unweigerlich zum Jäger und Sammler.

DÖFZur Vorgeschichte: Entsprechende Würdigungen der Herren Tauchen und Prokopetz – speziell als Dichter und Darsteller von Hörspielwelten gemeinsam mit Wolfgang Ambros – entnehme man zum Beispiel unseren Sendungen über den Augustin oder das Schaffnerlos. Die bei DÖF als Produzentin firmierende Ex-Ideal-Sängerin Annette Humpe setz ich einfach mal als eh bekannt voraus. Sie ist bloß weder verwandt noch verschwägert mit ähnlichlautender finnischer Musikrichtung. Warum aber, abgesehen von Nostalgiekitsch sowie der eher flachen Genrezuschreibung “Neue Deutsche Welle” (was bedeutet, dass uns auf jeder 80er-Party für nicht mehr ganz Taufrische der damalige Hit Codo in die Ohren gezwängt wird) – warum also ist ausgerechnet dieses Album heutigentags noch/wieder gut zu hören? Da gibt es einige Argumente, die einen neugierig machen könnten: Zuallererst das Soundbild, das jenen Quantensprung in der Audioproduktion wiederspiegelt, als erstmals Digitaltechnik in den führenden Topstudios zur Anwendung kam. Da ist es schon bemerkenswert, dass Richard III. (oder eben Oesterreicher Jr.) zum Abmischen und Finalisieren der von ihm in Wien gemachten Aufnahmen die legendären Hansa-Studios in Berlin auserkor, wo bereits David Bowie (mit Blick auf die Mauer) seine Berlin-Trilogie produziert hatte…

Zudem geben sich schon bei der Entstehung von DÖF einige Studiomusiker die Klinke in die Hand, die man getrost als die sehr erste Riege ihrer Zunft bezeichnen kann, etwa Peter Vieweger, Thomas Rabitsch, Peter (Animal) Koller und Robert Pistracher (der hier seltsamerweise mit weichem B aufscheint – und dessen Links deshalb ins Nichts führen), sie haben unter anderem jahrelang bei Hansi Lang, Drahdiwaberl, Harri Stojka und Falco mitgewirkt. Also auch rein handwerklich eine genussverheißende Auswahl. Und last but not least die inhaltliche Mischung aus Kabarett und Popsong, die einem nach wie vor (also alterslos) ein Kopftheater der Extraklasse verursacht. Gut zuhören! Und wir würdigen but not allerleast Laura, unsere frischgebackene Mädchenfachfrau, mit einer fettfröhlichen Signation und warten seither aufs unvergessene Taxi (Video).

PS. Die Laura ist aber schon immer sehr freundlich am Telefon…

 

Dichterlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. JuliVom Zauber der Dichterlandschaften erzählt Brita Steinwendtner in ihrem neuen Buch “Der Welt entlang”. Dazu besucht sie nicht weniger als 18 höchst unterschiedliche Gestalter_innen von Wortkunst in deren jeweiligen Lebens- und Schaffensräumen. Denn, so eine These dieses schon 2007 mit dem Band “Jeder Ort hat seinen Traum” begonnenen Work in Progress, die vielschichtige Wechselwirkung zwischen den Dichtenden und ihren Landschaften hat immer auch einen wesentlichen Einfluss auf die daraus entstehende Werkwelt. Folgerichtig müsse man die Autor_innen dort aufsuchen, wo sie leben, um so besser verstehen zu lernen, wie sie schreiben. Und genau das glückt Brita Steinwendtner in den 18 feinsinnigen Portraits ihrer Reise durch 18 verschiedene Dichterlandschaften.

DichterlandschaftenDabei herausgekommen ist ein in jeder Hinsicht dichtes Kompendium, das sich der Genrezuschreibung entzieht, weil es sich in Aufbau und Gestaltung, in Bild- und Wortwahl genauso verschieden verhält, wie die darin portraitierten Künstler_innen nun einmal ihrem Wesen nach sind. Es ist die geradezu zeituntypische Stärke dieses Unterfangens, ein so hohes Maß an Intimität zu schaffen und dabei doch nicht aufdringlich, einmischend oder respektlos grenzverletzend zu sein. Zugleich ein Zitatenschatz (sorgfältig mit Quellenangaben hinterlegt), vielfältige Einladung zum weiteren Entdecken, nachhaltig neugierigmachend, im besten Sinn verführererisch, sowohl Steinwendtners Steinbruch als auch Kreativkonglomerat, Dichtung von und mit Dichter_innen wie zum Beispiel Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Friederike Mayröcker, Juri Andruchowytsch, Hubert von Goisern, Ilija Trojanow. Ein idealer Reisebegleiter zum Hineinstaunen in immer neue Welten oder wie es eine Nachbarin ausdrückte: “Jetzt bin ich auf Jahre hinaus mit Anregungen für meine Lektüre versorgt.” Wir haben unsererseits die Brita aufgesucht und sie ins Kunnst-Biotop gebeten, zur wechselseitigen Belebung der Dichterlandschaften

“Seit fünfzehn Jahren hatte ich diese Jandl-Mayröcker’sche Mansardenwohnung nicht mehr gesehen. Es erstaunte mich und doch auch wieder nicht: Sie sah aus wie die Wohnung im vierten Stock. Zugewachsen. Schreibhöhle und Irrgarten. Gefängnis oder Geheimnis? Edith hatte Friederike ein geschmücktes Weihnachtsbäumchen gebracht, schief stand es zwischen den Gebirgen aus Büchern, Zettetlabyrinthen und kleinen bunten Wäschekörben, überquellend mit Papierenem auch sie. Ist die Weit hier ausgeschlossen oder vielmehr hereingeholt in tausendertei gedruckte Tanderei? In den Atem lebensnotwendiger Schrift und Schriften, die sich vermehren wie das Myzel einer tropischen Pflanze? Für Friederike ist diese Verzettelung ein Lebensmuster, sie kann es ironisieren und hat selbst Angst vor den Hurrikanen aus Staub.”

Aus Der Welt entlang” (Besuch bei Friederike Mayröcker)

 

Herabwürgung religiöser Lehren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. JuliEine intelligente Sendung über das, was geht – und das, was nicht geht. Und darüber, wie man es doch machen und dabei auf der sicheren Seite bleiben kann. Es geht natürlich um die sogenannten No-Gos der Programmgestaltung wie etwa Sexismus, Rassismus, Aufrufe zur Gewalt und das elegante Beleidigen von Religionsvertretern sowie sonstigen Oberhäuptern. Ganz offensichtlich (das legt ja schon der Titel nahe) handelt es sich hiernei um einen satirischen Beitrag, der im Brecht’schen Sinn (unter anderem durch Übertreibung) “die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellt“. Oder wie beschrieb einst Karl Kraus den Salzburger Jedermann?“Der aberwitzigste Dreck” – und trat umgehend aus der katholischen Kirche aus. Na also, geht doch. Und jetzt wir: ACHTUNG SATIRE!

HerabwürgungRufen wir also zunächst einmal zum Oralverkehr mit einem Gangsta-Rapper sowie zur Tötung eines populären TV-Moderators auf, verhöhnen wir sodann pauschal alle männlichen Journalisten (das ist doch sowas von sexistisch), bevor wir die christliche Religion schmähen und dabei die geistige Gesundheit des Papstes in Frage stellen, Angela Merkel “ficken” sagen lassen – und darüber nachdenken, warum sich Kurz auf Furz reimt. Alles ganz schön gefährlich – doch im geigneten Kontext, in indirekter Rede, als Satire kenntlich gemacht oder einfach nur mit dem richtigen Konjunktiv geht viel mehr, als man glaubt, können zu dürfen. Denn unsere Inhaltsregeln sind nicht dazu da, bestimmte Themenbereiche insgesamt aus dem Programm zu verbannen. Sie dienen vielmehr dazu, bestimmte Haltungen wie Hetze, Kommerz, Propaganda und überhaupt das Fürdummverkaufen der Hörer_innen hintan zu halten. Genau dafür gibt es auch die Programmkommission. Und nicht dafür, dass hier alle so schön sprechen, wie es einige Wichtigkeiten wohl gern hätten, dass wir ihnen Honig ums Maul brunzen.

Herabwürgung WarnhinweisAuf jeden Fall werden wir in dieser Sendung einige Möglichkeiten des Umgangs mit “schwierigen Themen” exemplarisch anleuchten, naturgemäß auf die uns eigene Art der augenzwinkernden Zwischentöne. Denn zwischen Warz und Schweiß existieren ja unzählbare Schattierungen von Gunkel und Heil. Womit wir beim Antisemitismus angelangt wären, einer der zahllosen Varianten des Rassismus (den wir nicht mögen). Und somit bei einem weiteren Grund, weshalb diese Darbietung keine (nach § 188 StGB strafbare) Herabwürdigung religiöser Lehren ist, sondern die Darstellung genau jener Herabwürgung, die viele Menschen guten Willens Tag für Tag so unsäglich schlucken macht, wenn sie versuchen, zu verdauen, was ringsum vorgeht. Die fortwährende Herabwürgung des Brechreizes, den die Hirnblasen der religiösen Leeren bewirken.

Deppert sein sollte man dabei lieber nicht. Aber hört selbst…

 

Querschläger – Schåttseitnkind

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. JuliDie Kultband aus dem Lungau, QUERSCHLÄGER, betreibt die umfangreichste Musikerwebsite Österreichs.” Zumindest laut ihrer Selbstbeschreibung im Suchmaschineneintrag. Wir können ja (Gott und der Tante Jolesch sei Dank) nicht deren sämtliche vergleichend nachmessen. Nichtsdestoweniger endlich einmal ein umfängliches Archiv mit Hintergründen und Hörbeispielen, das einem alle wesentlichen Informationen verabreicht, so dass man nicht stundenlang deppert das halbe Internet durchforsten muss – und sich dabei an aberzig blitzdröhnen Aufdringeln erschöpfendes Hirnbluten einfangt. Chapeau! Wie schon in Schattseitnliacht gesagt: “Deut… nein: Lungauerisch! Dieses Land bietet viel mehr an herauftauchbaren Perlen im Schlamm des Konsumstreams als man glauben mag.”

Querschläger LiveDas Album Schåttseitnkind, das wir in dieser Sendung zur Gänze spielen, ist unter diesen Perlen noch einmal etwas ganz besonderes. Und zwar, weil es derzeit nicht lieferbar ist (wir regen dringend seine Neuauflage an) UND weil es ein rundes, stimmiges Konzeptalbum der Querschläger ist, entstanden aus dem Bühnenprojekt “Die Bettlerhochzeit” (gemeinsam mit der Theatergruppe MOKRIT). Sämtliche Lieder auf diesem Album wurden eigens für das 2004 realisierte Stück entwickelt und erst nachträglich auf CD veröffentlicht. “Ziel der Produktion war es, jenen, die das Stück gesehen haben, einen Anhaltspunkt zur Erinnerung und Wiederentdeckung zu bieten und jenen, die das Stück nicht gesehen haben, einen eigenen Zugang zu ermöglichen.” Letzteres funktioniert beim Zuhören im Kopftheater dergestalt vorzüglich, dass es einem nicht nur alle möglichen Ebenen der Zauberer-Jåggl-Zeit aufklappt, sondern zudem verständlich macht, auf welchem Weg die notorischen Querschläger “der Landesgabi ihre Lieblingsband” geworden sind:

“Da gibt es die historische Ebene des Prozesses von 1688/89, die Ausgrenzung, im wahrsten Sinne des Wortes Verteufelung und Verurteilung einer gesellschaftlichen Randgruppe in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, die aber sofort und unweigerlich eine weitere Ebene öffnet, nämlich die des aktuellen Gegenwartsbezugs. Da gibt es die allgemeine, gesellschaftliche Spannungsfelder wie Machtausübung und Machtmissbrauch, Recht und Gerechtigkeit behandelnde Ebene, die wieder im direkten Zusammenhang mit einer weiteren, nämlich der persönlichen Ebene der Schicksale der einzelnen Charaktere des Stücks steht. Da gibt es die rationale Ebene des täglichen Lebens und Überlebens und die Flucht (davor) in die irrationale Welt von Aberglauben und Hexerei. Die Verknüpfung all dieser Schichten in überleitenden oder unterstützenden Liedern oder Stücken ist eine große Herausforderung, macht aber auch großen Spaß, eben weil es eine so große Palette von Assoziationsmöglichkeiten gibt.” Sänger und Texter Fritz Messner, August 2004

 

Ode an die Freude?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. JuliLudwig van Beethoven, Friedrich Schiller und die Europäische Union. Ich bitt’ sie, gehts nicht eine Nummer kleiner? Doch, wirklich, diese drei gehören mittlerweile untrennbar zusammen. Dabei schrillt ringsumher ein Alarm nach dem anderen: “Zu Hülf’, zu Hülf’, Europa ist in der Krise und das Abendland geht unter!” Die mediale Hirnfräse lässt einem kaum noch Zeit zum Innehalten und Nachdenken, obwohl wir nichts anderes so nötig hätten als dies. Ganz Europa versinkt im Gezwitscher der aufmerksamkeitsgeilen Nachplapperer. Ganz Europa? Nein, denn eine kleine Gemeinschaft von freien Medien hört nicht auf, nach dem Wesentlichen zu fragen – und so dem Einheitsbrei der Aufgeregtheit ihre eigenen Erkenntnisse entgegen zu halten. Die Ode an die Freude aus unserer Sicht:

Ode an die FreudeZwischen verordnetem Hochjubel und reflexhafter Ablehnung muss doch noch Zeit sein für tiefergehende Betrachtungen. Also nehmen wir sie uns einfach! Und beleuchten wir die Entstehung dieser euphorischen Hymne auf das Leben in Freiheit, Frieden und Glückseligkeit, die auf ein Gedicht von Friedrich Schiller zurückgeht, das dann von Ludwig van Beethoven vertont wurde und schließlich seit 1985 als offizielle Europahymne fungiert. Da drängen sich schon einige Fragen auf, wenn man das politische Erscheinungsbild der Europäischen Union mit Schillers Kampf gegen die obrigkeitliche Bevormundung in Einklang bringen möchte oder mit Beethovens Misstrauen gegen die sogenannten Normalbürger. Womöglich helfen uns zwei konträre Verbearbeitungen dieser Ode an die Freude beim Denken: Erstens das gleichnamige Stück von Jazzkantine, zweitens das wunderbar grantige “Olle Menschn san ma zwida” von Kurt Sowinetz. Und Misha Schoeneberg schrieb darob in seinem Beitrag für Kai Sichtermanns Anthologie Kultsongs & Evergreens: 

“So Vieles spricht – trotz aller Widersprüche oder grade ihrer wegen – für die Wahl des Schlusschores der Neunten als Europa-Hymne, dass aber das Arrangement dafür Herbert von Karajan angetragen wurde, kommt einer Kastration des Genialen gleich. Nun ja, Staatsräson. Man möchte mit Beethoven traurig in die geordneten Vorgärten der Anderen schauen, doch hoffen, dass einen die braven Bürger nicht verhaften. Das Leben ist doch nicht gemähter Rasen, Freunde, sondern Jubel! Jubel, Freunde, Rausch und Ekstase!”

Der von uns neulich vorgestellte Animations-Kurzfilm POILUS stellt das Thema der Europa-Hymne recht schockierend in einen seiner ursächlichen Zusammenhänge. Präsentiert wird die Artarium-Sendung diesmal gemeinsam mit Roman Möseneder.

 

Hasen wie wir

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniJenseits des Osterhasen wäre noch Platz für ganz normale Hasen, wenn die in unserer seltsamen Kultur nicht immer nur als Jagdbeute gesehen würden. Vom Kulturimport Playboybunny einmal abgesehen, ist etwa das notpuderige Erlegen der Schihaserln durchaus wesensverwandt mit der blutrünstigen Mühlviertler Hasenjagd. Was jedoch passiert mit derartigen nur allzu gewohnten Weltbildern, wenn die Hasen einmal tatsächlich den Platz (und die Rolle) der Menschen einnehmen? Dazu können wir beispielsweise den Kurzfilm “Poilus” von ISART DIGITAL auf uns wirken lassen, in dem animierte Hasen die französischen Soldaten des 1. Weltkriegs verkörpern und dadurch die Grausamkeit des Gemetzels erst recht entlarven. Menschen als Schlachtvieh oder Hasen wie wir?

Poilus Hasen BegegnungIn anderen Kulturen wird der Hase als Sonnenschöpfer (First Nations), Spender des Lebenstranks (Japan) oder Begleiter von Gottheiten und zauberkundigen Frauen (keltisch) wahrgenommen. Bei uns nach der Christianisierung als böses Hexentier, das Symbol entfesselter Geilheit… Darob ließ ein gewisser Papst Zacharias im Jahr 751 sogar den Verzehr von Hasenfleisch verbieten, weil er dies als sitten- und moralgefährdend einstufte. Ein “unreines” Tier also. Jössas! Und wie war das mit dem Osterhasen? Achso, ein Überbleibsel der Zwangsbekehrung wie auch die Flurnamen keltischer Kultplätze, auf welche die Religion des Friedens sogleich ihre Wallfahrtskirchen und Maria Dingsbumse gewaltsam obenaufpfropfte. Wir leben in einer Kultur des Eroberns und Beherrschens, ganz nach dem Motto Töte oder stirb. Was für eine Errrungenschaft! Je gläubiger, desto wahnsinnig. Und höchst wahrscheinlich ist ein Grund für die hintergründige Kraft des skandinavischen Kunstschaffens eben die nie so ganz flächendeckende Christianisierung in den Herzen und Hirnen der dort Lebenden…

Poilus Hasen FerdinandDoch zurück zum Hasen an sich. Wie das alles anfing, dass wir zwei zueinander erstmalig Hase sagten, wie wir dieses Wort dann in immer neuen Verbindungen wie Hasenhund, Hasensalat oder Hasenschwall steigerten, sogar bis zu dem inzwischen legendären “Wir sind die Hasen!” Und wie sich daraus fast unbemerkt die Vorstellung entwickelte, in unserem Menschsein einige wesentliche Eigenarten dieses weithin unterschätzten Naturgefährten zu entdecken – und zu erforschen. Vom Wesen des Hasen inspiriert zu einem friedvolleren und gewaltfreieren Menschendasein – auf einer Welt voller Verbrecher und folgsamer Idioten. Da ist es wohl kein Zeitzufall, dass der Hase Ferdinand im wirklich ausgezeichneten Kurzfilm “Poilus” inmitten der Schlachtfelder des 1. Weltkriegs ausgerechnet jenes Thema von Beethovens “Ode an die Freude” spielt, das auch als Hymne des geeinten Europa bekannt ist. Darüber hinaus bietet das Künstlerkollektiv Institut Hasenbart Wissenswertes zum Selbstinterpretieren. Betrachten wir also die Welt aus der Perspektive der Hasen!

 

Ursonate (Excellent Birds)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuniKurt Schwitters‘ Ursonate ist beileibe kein Nonsens. Und das Orff-Institut für Elementare Musik- und Tanzpädagogik (Ernst Jandl hätte es nicht besser betitelen können) ist auch kein Ort für schwere Nöte. Dortselbst fand nämlich am Dienstag, 13. Juni eine Aufführung (von Ausschnitten) derselben statt, über welche wir hierselbst berichten. Alles MERZ, oder selbst? Eben. Denn dem genial schrägen Vogel war seinerzeit selbst Dada viel zu definiert, und so schuf er sich mit dem Kunstbegriff MERZ einen “absolut individuellen Hut, der nur auf einen einzigen Kopf passte” – nämlich seinen eigenen. Der Urdadaist und Wegbereiter beinah jeder späteren “konkreten” oder “Lautpoesie” von Ernst Jandl bis Christian Ide Hintze war also ein Individualanarchist, der sich nie einfügte. Sehr sympathisch!

UrsonateNoch sympathischer finden wir die Urheberrechtsgroteske rund um den Berliner Subkulturforscher Wolfgang Müller, der 1997 auf der norwegischen Insel Hjertøya eine ehemalige Strandhütte Schwitters‘ untersuchte und dabei die Stare (genau, die Amseldrosselfinkund- Vögel) Motive aus der Ursonate singen hörte. Er nahm sie auf und veröffentlichte ihren Gesang – zwar als “Naturgeräusch” deklariert – nichtsdestotrotz brach der üblich-läppische Copy-Riot über ihn herein, samt Erbenstiftung und Verleger. Heiliger Thomas Burnout, bitt für uns arme Künstler!” Und so war auch die überaus anregende Vorstellung der Ursonate im Gunild-Keetman-Saal von solcher Vogelperspektive inspiriert, was in den Kostümen (auf dem Foto vom Schlussapplaus) kenntlich wird. Überhaupt haben die Studierenden hier eine sehr vielschichtige Interpretation der Urpartitur entwickelt, die Bewegung, Stimme und soziale Emotionsdramaturgie mit Elementen der Naturbeobachtung dergestalt verflicht, dass einem da regelrecht die Sinne aufgehen. Eine Aufgabe von Kunst besteht wohl darin, uns empfindungsfähiger zu machen für all das, was wir im beschleunigten Alltagsvollzug fast gar nicht mehr wahrzunehmen imstande sind …

Vor allem eben uns selbst (ein herzliches Prost auf den Kiepenheuer Bühnenverlag!)

In diesem Sinnlichen:

böwörötääzää Uu pöggiff

fümmsböwötääzää Uu pöggiff

fümms bö wö tää zää Uu, pöggiff,

kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee.

kwiieee!!!

 

Fever Ray

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Juni Karin Dreijer Andersson ist eben anders – und macht seit jeher auch solche Musik. Ganz besonders anders ist das gleichnamige Debutalbum ihres Soloprojekts Fever Ray, das wir mit Ausnahme des Schlusstracks Coconut (hier zu genießen) in dieser Sendung vorstellen. Sozusagen fast ein ganzes Album, aus Gründen, die alle irgendwie etwas mit Zeit zu tun haben. Jenseits von Zeit und Raum hingegen scheint sich die eigenartige Musikwelt von Fever Ray aufzutun, die sich im besten Sinn mit geheimnisvoll, hypnotisierend und mehr noch als vielschichtig beschreiben ließe. “Wenn Terror ins Vertrauen kippt” oder die gepflegte Verstörung. Von da ist es auch zum Meister des Mehrdeutigen nicht mehr weit – zu Peter Gabriel nämlich und den Fourteen Black Paintings.

Fever Ray AlbumFrom the pain come the dream
From the dream come the vision
From the vision come the people
From the people come the power
From this power come the change

Völlig folgerichtig hat Fever Ray einen Gabriel-Klassiker aus den 80ern in einer Art und Weise gecovert, dass einem die liebe Gänsehaut besonders wohltuend über den Rücken rinnt. Nämlich Mercy Street, das auch in unserer Signation verstörensvoll anklingt.

Und so klingt auch die eine oder andere Stimmung ihres Albums im folgenden Gedicht nach, welches ein etwas anderer Musikredakteur aus unserem etwas anderen Kunnst-Biotop wohl noch unter dem Eindruck desselben verfasst hat:

deine hand weiß
die nackten nächte
am strand am rand
des walds unter sternen
die suchen nach dunkel
im dämmern im glühen
tropfender worte einer
noch zu erdenkenden welt