Ostereieralbum (Hidden Tracks)

> Sendung: Osterartarium vom Sonntag, 16. April – “Die Eier verstecken, wozu soll das gut sein? Und wie soll das überhaupt gehen?” Des Hasen Wunderhirn weiß auch diesfalls eine Fährte zu legen: Wir basteln uns ein Ostereieralbum aus verschiedenen Fundstücken, allgemein “Hidden Tracks” genannt, die einem beim Durchhören des originalen Tonträgers zumeist überfallsartig ins Ohrwerk geraten. Die Eier sind also von vornherein verborgen, nunmehr gilt es, sie widmungsgemäß wieder zu finden. *Kicher* Doch abgesehen von so eingängigen Osterassoziationen wie Anmalen und Ausblasen steckt hinter der Idee jedweden Versteckspiels ein tieferer Sinn, nämlich unsere Sinne für oft nur scheinbar Verborgenes zu schärfen. Die Kunstwelt steckt sowieso immer voll von derlei Andeutung und Verspieltheit. Im Namen des Hasen!

Arcimboldo zum Ostereieralbum“Every day we walk amongst things that are hidden – concealed from our immediate sensory perception. Things that nestle just along our peripheral edge like a distant buoy floating on the horizon. As human beings, we walk through our days bombarded by stimuli of all natures; our eyes, ears, noses, and mouths do all they can to give us an idea of just what is surrounding us, but a good deal gets lost in translation. So much of this missed detail is not our fault, rather an unavoidable consequence of having more to do than sit in silent absorbance of our environment. And thus, things become hidden. Sometimes putting a spotlight on these minute parts can add depth to our appreciation of the whole. Assuming the role of proverbial spotlight, we decided to comb through the hidden tracks from some Albums…”

Die inhaltliche Einführung dieses Artikels ist schon mal nicht verkehrt, wiewohl uns die Auswahl der Referenzwerke in diesem Artikel hier attraktiver erscheint. So fest steht jedenfalls viel, ähm, soviel steht jedenfalls fest, mein ich latürnich, dass wir (fast) keinen einzigen der da vorgebeteten Titel in unserem Ostereieralbum nachhupfen werden. Außer naturgemäß “Her Majesty” von den Beatles, das als einer der ersten Hidden Tracks der Pop-History gilt (schöner klugscheißen mit Wikipedia). Darüber hinaus ließen sich noch jede Menge eigener Ideen weiter entwickeln, wie etwa das Verstecken eines Gedichts in einem Gedichtband. Viel Spaß beim Eiersuchen und so…

 

Horses

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. AprilZu Gast im Kunnst-Biotop sind diesmal zwei Menschen, die uns unlängst ein Stück Theater dergestalt um die Sinne geworfen haben, dass es immer noch in uns nachbebt. Und so etwas finden wir sehr angenehm! Katharina Shakina und Kilian Bierwirth, derzeit Schauspiel-Studierende am Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum, verschmelzen in Horses, inspiriert von Patti Smith nachgerade mit selbiger sowie mit deren Freund und Projektpartner Robert Mapplethorpe und erzeugen so auch einen unglaublich intensiven Eindruck jener Zeit (die späten 60er und frühen 70er Jahre), in der die zwei Multikünstler zusammenlebten. Wobei “zusammenleben” nur eine höchst unzureichende Beschreibung für das ist, was ihrem wechselseitigen Musentum alltäglich (und allnächtlich!) alles entsprang…

Horses der Anfang“Zwei junge Menschen treffen sich in New York. Sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen und wollen in der Stadt ihrer Träume ein eigenes Leben beginnen.

Sie verbindet sofort eine Seelenverwandtschaft, die alles Denkbare übersteigt. Ihre Liebe und ihr Vertrauen lassen sie zu den Menschen und Künstlern werden, die sie immer sein wollten.”

Soweit der Begleittext des facettenreichen, vielschichtigen und immer wieder voll abgedrehten Bühnenstücks Horses, das sich im Gespräch mit Regisseur Tom Müller kaum überraschend als Adaption von Patti Smiths autobiographischem “Just Kids” herausstellt. Unser Lieblingssatz und zugleich der hypnotische Lockruf ans Theater ist jedenfalls: Gemeinsam kämpfen sie gegen die brutale Realität da draußen und bauen sich ihre eigene.” Das kommt uns irgendwie unheimlich bekannt vor. So wie viele der einander jagenden und ineinander überfließenden Szenen für uns ganz großes Kino sind: Aufbruch und Abgrund und ambivalentestes Wiedererkennen. Die Mehrdeutigkeit des eigenen Seins zwischen Selbstheit und Kunstfigur. Und das noch im Schleudergang aus Text, Bild, Film, Tanz, GesangDas volle Drama!

Horses der AbgrundDabei darf man nicht etwa annehmen, es handle sich hier um billiges Bedienen allzu bekannter Prominentenposen oder hektisches Haschen nach erwartbaren Effekten. Das Gegenlicht ist der Fall: Da wirbeln Hell und Dunkel über die Bühne, ringen Über-Ich und Underground um die Seelen dieser “Kids”, feiern Yin und Yang ein existenzialistisches Rasiermesserreiten, dass einem ganz bizarr zumute wird vor lauter offenen Fragen. Pop? Gott? Sexualität? Wir können zwar immerhin nach eineinhalb Stunden wieder nachhause gehen – doch was wartet dort anderes auf uns als die eigene Zerbrechlichkeit angesichts menschenfressender Ideologien?

Baby calm down, better calm down,
On the night, in the eye of the forest
There’s a mare black and shining with yellow hair,
I put my fingers through her silken hair and found a stair,
I didn’t waste time, I just walked right up and saw that
Up there, there is a sea
Up there, there is a sea
Up there, there is a sea
The sea’s the possibility
There is no land but the land (Up there is just a sea of possibilities)
There is no sea but the sea (Up there is a wall of possibilities)
There is no keeper of the key (Up there there are several walls of possibilities)
Except for one who seizes possibilities, one who seizes possibilities. (Up there)
I seize the first possibility, is the sea around me
I was standing there with my legs spread like a sailor
I felt his hand on my knee (On the screen)
And I looked at Johnny and handed him a branch of cold flame (In the heart of man)

Textauszug: Patti Smith – Land (von ihrem Debutalbum Horses 1975)

PS. Zur Entwicklung des Albums Horses aus Pattis frühen Poetry-Performances (nebst Roberts Mitwirken daran) gibts weiterführende Informationen in diesem Artikel.

Die weiteren in der Sendung besprochenen Termine im Theater im Kunstquartier:

Hotel Savoy – Belly of Hell (nach Joseph Roth) in der Regie von Tom Müller, am Donnerstag, 27. 4. um 20 Uhr (Premiere) sowie Dienstag, 2. 5. und Mittwoch, 3. 5. jeweils auch um 20 Uhr.

Horses (in gekürzter Fassung): Montag, 24. 5. sowie Mittwoch, 26. 5. um 20 Uhr.

 

Die wahren Abenteuer sind im Kopf

Artarium am Sonntag, 26. März um 17:06 Uhr (ACHTUNG Sommerzeit)70 Jahre André Heller – und für uns eine gute Gelegenheit, einigen Aspekten seines überaus vielschichtigen Schaffens nachzuspüren. So wiederhallt etwa der titelgebende Satz aus einem seiner bekanntesten Chansons wöchentlich schon seit 8 Jahren in unserer Artarium-Signation: “Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in euren Köpfen, und sind sie nicht in euren Köpfen, dann suchet sie!” Es handelt sich hierbei um den Schluss einer Neu-Interpretation von The Waxolutionists aus dem Dreifachalbum Ruf und Echo, von uns liebevoll garniert mit dem Warnhinweis “Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie die Packungsbeilage und fragen sie ihren Arzt oder Apotheker.” Denn fürwahr, es sind echte Abenteuer in unseren Köpfen, und die sind ebenso bereichernd wie gefährlich.

Abenteuer StimmenhörenNaturgemäß können (und wollen) wir in einer knappen Stunde kein Portrait dieses hierzuland unübertroffen  genresprengenden Multikünstlers zeichnen, das in irgendeiner Form umfassend oder vollständig wäre. Die Anekdoten und Seelensplitter zu seiner Person sind ja inzwischen nachgerade unzählig. Hingeneigten Enzyklopäden der Lebensspur sei zu diesem Behufe die Biographie Feuerkopf von Christian Seiler an ihr bebend Herz gelegt, sie versammelt in dieser Hinsicht Mannigfaches. Wir hingegen konzentrieren uns auf jene Abenteuer des André Heller, die auch in unseren Köpfen stattfinden. So wie Inspirierendes aus seinen frühen Liedern und Texten, “Goschertes” aus seiner Zeit als Radiomacher, oder geradezu Prophetisches, als er einst im Café Hawelka den Autor_innen der Wiener Gruppe verkündete “Bob Dylan ist der Rimbaud des 20. Jahrhunderts!” So kanns gehen. Und noch einen Berührungspunkt mit Ärzten und Visionen gibt es – das politische Engagement im Sinne einer gesellschaftlichen Entwicklung hin zum Gerechten und Gewaltfreien. Seine Freundschaft mit Bruno Kreisky überdauerte auch ihre zunehmenden inhaltlichen Kontroversen. Als Widmung auf ein gemeinsames Foto schrieb dieser: “Der alte und der junge Rabbi beim Klären”

Dazu auch unsere Sendung “Shades of Red – 100 Jahre Bruno Kreisky” (Jan. 2011)

Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit
trägt wirklich ein Forellenkleid
und dreht sich stumm, und dreht sich stumm
nach anderen Wirklichkeiten um

André Heller – Die wahren Abenteuer sind im Kopf

 

Artariumgeburtstag! 10 Jahre!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 19. MärzAm 11. März vor 10 Jahren ging Peter.W. mit der ersten Ausgabe einer Kunst- und Kultursendung namens Artarium Live On Air. Und sogleich rief ein verstörter Zuhörer an und brachte alle Beteiligten durcheinander, weil er sich zu der Stunde etwas anderes erwartet hatte. Und Peter entgegnete: “Ich kann nichts dafür, beim besten Willen nicht.” Sehr schön geantwortet! Genau 69 Jahre vorher (also auch an einem 11. März) hat ja schon mal einer dauernd angerufen und alle Beteiligten durcheinander gebracht, zwar nicht in der Radiofabrik, sondern in der Republik, und die Folgen waren auch viel gravierender, siehe Anschluss Österreichs. Wir werden uns in historischen Tonaufnahmen ergehen und so diesen Artariumgeburtstag gebührend würdigen. Lobende Worte spricht Angela Merkel

ArtariumgeburtstagArtarium, das etwas andere Kunnst-Biotop im Schatten der Mozartkugel. Wer hätte denn 2007, als ich zur Sendung stieß, gedacht, dass sich ein Satz von den Böhsen Onkelz aus unserer späteren Signation als so hartnäckig prophetisch erweisen würde: “Wir ham noch lange nicht, noch lange nicht genug!” Aber so ist es wohl nach wie vor. “Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie die Packungsbeilage und fragen sie ihren Arzt oder Apotheker.” Und auch wenn das Artarium inzwischen nicht mehr aus Peter, mir und den Buben besteht, sondern seit 2011 aus Chrissobert Schmallnigg, der Festspielpräsidentin sowie den Hasen (also der heiligen Dreifaltigkeit vom Chriss und mir), so gilt doch stets: “Wir sind ein geiles Institut.” Soviel erstmal. Und zum Artariumgeburtstag beleuchten wir gemeinsam mit Peter.W. die Geschichte dieser Sendung, um den roten Faden der Kreativität in ihr sichtbar zu machen. Von ihren Anfängen über die Nachtfahrt-Perlentaucher bis ins Hier und Jetzt. Freut euch also auf spontan-assoziative Beiträge aus dem Schöpfwerk unserer Selbst. Oder wie sagte schon Bernd Begemann anlässlich von Freddy Quinn: “Am besten, man imitiert schwule schwarze Künstler.”

PS. Verwirrt? Verstört? Verlesen? Kunnst dich auch gern orientieren in unserem Radiofabrik-Sendungsprofil (mit Photostream!) oder in diesem Hör-Kunnst-Biotop

 

DAS LYRISCHE WIR – TENEBRA

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. MärzVor genau 79 Jahren “döppelte der gottelbock mit hünig sprenkem stimmstummel pirsch!” nämlich “von Sa-Atz zu Sa-Atz” und “den weibern ward so pfingstig ums heil zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte” Soweit Ernst Jandl in dem genialen Gedicht wien : heldenplatz, worin er seine an jenem 12. März 1938 als 12-jähriger selbst gesammelten Eindrücke verarbeitet. Es war jener Tag, an welchem der später als Gröfaz bekannte schnauzbärtig deutschdeutsche Hupf- und Brüllkasper aus Braunau pathetisch die Einverleibung seiner “Heimat” vermeldete, während es dabei “im männechensee balzerig würmelte”. Soviel erst einmal zum historischen Bezug dieser Sendung, in der das hervorragende Album TENEBRA aus der Wort- und Klangwerkstatt der so vielseitigen ONchAIR Bros. vorgestellt wird.

tenebra“Mit dem Album starten wir in den Zyklus Das lyrische Wir: Gedichte aus verschiedenen Epochen, inhaltlich einem übergeordneten Thema entsprechend, interpretiert in Stimme und klassischer Musik”. So liest sich die Selbstbeschreibung des ambitionierten Projekts der beiden Styrnol-Brüder aus Lahr im/am Schwarzwald auf ihrer gut durchstrukturierten Homepage. Und es ist nur eines von vielen, neben Filmen wie “Der geflohene Boxer” oder “Winter in Lviv” (Ukraine) gibt es noch allerlei Glossen, Hörspiele und Radioserien wie zum Beispiel die legendären “Momente des Sports”, deretwegen unser länderübergreifendes Zusammenwirken ursprünglich begann. Deutschland ist eben nicht Österreich (oder umgekehrt), doch das kreative Myzel der wechselseitigen Inspiration unterwuchert naturgemäß jede gesetzte Grenze (zwischen Genres, Generationen oder Weltgegenden), so dass auch auf friedlichem Weg ein sprichwörtliches Best of Both Worlds entstehen möge! Vorläufiger Höhepunkt dieser Kunnst-Fertigkeit ist nun TENEBRA, wo nicht nur Texte von Matthias Claudius, Friedrich Nietzsche, Paul Celan und Marie Luise Kaschnitz zu ebenso zeitlosen wie zeitgemäßen Melodramen ver-be-arbeitet wurden, sondern auch “letzter wille” aus dem Gedichtband seelen.splitter von Christopher Schmall:

wir haben uns zu tode verwaltet
und alles brav protokolliert
sind uns am ende selbst im weg gestanden
und erklärten uns zum feind

Geschrieben für und gelesen in “Sarajevo, nicht nur 1914” (ab Min. 22:15 gut zu hören)

Und hier die Liste aller im Album TENEBRA dargestellten Texte (mit Entstehungsjahr):

01 Hiroshima – Marie Luise Kaschnitz 1957
02 Letzter Wille – Christopher Schmall 2014
03 Vereinsamt – Friedrich Nietsche 1887
04 Todesfuge – Paul Celan 1944-45
05 Kriegslied – Matthias Claudius 1778
06 Arabeske zu einer Handzeichnung von Michelangelo – J.P. Jacobsen 1873
07 Der Gefangene – Rainer Maria Rilke 1906
08 Das Lied der Verzweiflung – Pablo Neruda 1924
09 Im Klang der Nacht – Albert Vöhringer 2011
10 Traurigkeit – Hermann Hesse 1944

 

Mir ist der Falco Wurst

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. FebruarMehrdeutiges in der Kunstfigur oder Image essen Seele auf. Vom Pferdefuß der Popkultur sowie einer möglichen Vermeidung, sich selbst damit unsterblich tot zu treten. Bereits am Beispiel eines Sendungstitels lassen sich die Potenziale des Ungefähren aufzeigen. Ob einem etwas oder jemand wurst ist (und was genau bedeutet “is ma wuascht” im diesem Fall?) oder ob damit nicht doch Conchita gemeint sein könnte (immerhin eine weitere “Kunstfigur”), und wie sich eine Bedeutung nach der anderen ins Mehrdeutige eindeuten lässt – davon handelt unser Ausflug ins Unbewussteunter anderem. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Oder doch nicht? Der Markt der Möglichkeiten” ist womöglich ja ganz was anderes als “die totale Vermarktung” jeder künstlerischen Selbstaussage!

santa conchita wurstWir zwei Hasen bewahrheiten hier wieder einmal einen Untertitel der Sendereihe, indem wir Brücken schlagen “zwischen Genres und Generationen”. Während meine Kleinigkeit den Hans Hölzel noch persönlich angetroffen hat im Wien der 1980er, kam unser dichtender Junghase just im Jahr von Falcos legendärem Donauinselkonzert auf die Welt (die nicht wenigen bloß die Bretter bedeutet, in denen sie dann vor sich hin bohren). Woraus sich schlussfolgern lässt, dass an einem von uns das Gesamtwerk der Kunstperson Falco quasi “vorbeigegangen” ist, ohne gröberen Eindruck zu verursachen. Was wohl auch an der kommerzversessenen Musik von damals liegt, die selbst ich für inzwischen nur noch schwer vermittelbar halte. Anders hingegen beim textlichen Nachlass vom Herrn Falcohölzel, den etwa Rudi Dolezals neurecycelte Dokumentation “Falco der Poet” formschön aufbereitet. Das ringelreihernde Leichenfleddern und Posthumverramschen wurde “anlässlich seines 60. Geburtstags” wie gewohnt bis zum Überdruss auf allen Kanälen gepflogen, was uns unweigerlich zur Entdeckung des Monats führt: Tom Neuwirth, der Mann hinter (oder auch in) Conchita Wurst, kündigte unlängst in einem Interview an, er werde die von ihm erschaffene (und gelebte) Kunstfigur “umbringen”. Das ist doch eine Idee

Ich bin es
und ich bin es nicht
geblendet vom grellen
Scheinwerferlicht
seh ich mich selber nicht

 

Ginsberg und Gainsbourg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Februar – Warum diese beiden Personen? Wegen der Namensähnlichkeit? Weil Allen Ginsberg und Serge Gainsbourg beide in den 1920er Jahren zur Welt kamen und in den 1990ern starben? Weil sie in ihrem Werk jeweils Grenzen überschritten, Tabus brachen und somit Skandale auslösten? Ach, wie leicht ging das noch in den 50ern und 60ern, nur mit etwas Geheul und Gestöhn brachte man ganze Gerichtssäle zum Zähneknirschen. Doch geht es uns wirklich bloß darum, dass der eine homosexuelle Ausdrücke in die amerikanische Dichtung brachte, der andere das Kindfrau-Musentum und sogar Inzest in die französische Popmusik? Wer uns ein wenig kennt, weiß: Die bloße Empörung ist unsere Story nicht. Denn wir sind nicht von Auflagen abhängig – und können somit unter der Oberfläche stöbern.

Allen Ginsberg HowlDer Künstler schöpft in seiner Phantasie immer auch aus all dem, was er ringsum an der Realität der Gesellschaft aufs gröbste vermisst. Daraus entwirft er Anstöße, wie sich etwa Brücken bauen ließen über die Schlucht der Verzweiflung an Anspruch und Wirklichkeit, oder über den Abgrund zwischen Idee und Gestalt hinweg zum Ganzen. Uns interessiert, wie sich die Arbeit dieser Avantgardisten, Pioniere wie Propheten, im Lauf der Zeit weiter entwickelt hat, im Spiegel anderer Interpret_innen – oder auch in uns selbst. Was vermittelt uns die vortreffliche Verfilmung von Howl – Das Geheul (ausführlicher Trailer auf Deutsch) nebst dem bizarren Gerichtsspektakel rund um dessen angebliche “Obszönität” heute, wo der Wutbürgermeister im Weißen Haus angekommen ist und von dort die Verbreitung des schlechten Geschmacks als sein Programm propagiert? Was wäre Ginsberg dazu eingefallen? Oder Gainsbourg? Von einer heftigen posthumen Rotation dieser beiden ist jedenfalls auszugehen. (Sie drehen sich sozusagen gröber im Grab um). Patti Smith hingegen nicht, genausowenig wie Asia Argento, Brian Molko, The Young Gods oder auch ….. “Verdammt, wir leben noch!”

 

Bettie Serveert – Venus in Furs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Februar“Bettie Serveert plays Venus in Furs and other Velvet Underground Songs” heißt der tatsächliche und auch unsäglich lange Titel des ganzen Albums, welches wir vorzustellen die durchaus erhebliche Freude haben. Denn auf unserer Suche nach besonderen, gelungenen oder sonstwie aus dem Standardsumpf kommerziösen Nachklapperns herausragenden Coverversionen haben wir ja schon jede Menge Scheißdreck nicht angehört (oder halt nur fast). Dabei fällt auch auf, dass die sonst so hyperaktiv hechelnde Zuplärre der üblichen Industrie-Promotoren sich genau dort lauthals ausschweigt, wo unserwelchen außerohrentliche Variationen der interpretativen Genussküche entgegenschwelgen. Soll heißen, dass kaum irgendwo verhandelt wird, was nicht auf die Seichtbahn des Schachterlns passt.

Bettie Serveert ArtworkSo auch im Fall der längst arrivierten und dabei überaus schaffensfrohen Indie-Band Bettie Serveert aus den Niederlanden. Anbei Aufnahmen aus ihrem Video Had2Byou – produziert von Tinca Veerman und Hannelore De Decker. Zum gegenständlichen Cover-Album mit den 1997 live im Paradiso aufgenommenen zehn Velvet-Underground-Songs findet sich kaum ein etwas Substanzielles aussagender Artikel. – Halt, doch, dieser hier auf INK19 sagt sogar etwas höchst Interessantes zum Thema Coverversionen im allgemeinen aus: “…at least I know what it is about these Dutch and Belgian bands I like.Despite a willingness to stick to traditional guitar/bass/drum forms, the bands seem to have a unique melodic character that sets them apart from British and American counterparts, using these tried-and-true formulas as a basis for experimentation, rather than simply parroting what’s cruising up the charts.”Parroting bringts aber sowas von auf den Punkt! Ich übersetze es daher mit “nachpapageien” und es versinnbildlicht mir augenblicks, was ich speziell auch im österreichischen “G’schäft” oft so unsäglich vermisse. Just neulich fiel mir da wieder einmal entsetzlich entgegen, was für schlechte Schauspielchargen die hiesigen Provinzpoptrotteln doch sind. Dann schon lieber was Wesentliches: Bettie Serveert – gut zu hören.

 

Befremdliche Begegnungen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. JanuarBefremdliche Begegnungen, mit bizarren Bildwelten, seltsamen Szenarien, schrägen Sounds, manchmal auch mit verwirrenden Wirklichkeiten. Wir nehmen euch mit ins Grenzgebiet jenseits des Normalen, wo sich das Unübliche ereignet – und genau deshalb noch Inspiration zu finden ist. Willkommen in der Waschtrommel des Bewusstseins oder eben unter! Garantiert Unangepasstes gibts diesmal zu erleben, ausgehend von Virginia Woolfs experimentellem Roman The Waves (Die Wellen), welcher zu ihren Lebzeiten als ebenso überspannt wie unbefriedigend verteufelt wurde. Wohlgemerkt von überaus angepasst lebenden Kritikern, die vielleicht einmal während ihrer Pubertät einen Anflug psychischer Exzentrik verspürt hatten, vor dem sie sich forthin fürchteten.

Befremdliche BildlizenzDoch keine Angst (vor wem oder was auch immer), wir stellen hier, quasi auf der Suche nach dem neuen Wirklichkeitsbegriff, ein paar gelungene Arbeiten aus dem Zaubergarten des Collagenhaften zur gefälligen freien Verfügung. Von einem Grafikmarkt im Mozarteum über Conor Oberst (Bright Eyes), Brian Eno (mit André Heller) oder den üblichen Verdächtigen Amon Düül (Psychedelic Underground 1969) bis hin zu den frühen Warhol-Darlings The Velvet Underground und ihrem seltsamen Song über das einst verbotene Buch von Leopold von Sacher-Masoch. Da möchte man einigen hierzulandenen Rotz’N’Roll-Möchtegerns gleich fröhlich erregt zurufen: “Lass stecken, Wanda – ich heiß gar nicht Severin!” Es war mir ein Bedürfnis. Bleibt die Frage, was dann überhaupt als “normal” angesehen werden kann? Dazu der Psychologe: “Die bloße Vorstellung von so etwas wie einem normalen Menschen ist schon das erste Symptom des Psychopathischen.” Befremdliche Begegnungen, wohin das Auge riecht oder das Ohr schmeckt. Wenn Rot schwerer ist als Frosch, geht es noch tiefer als Österreich.

Hierbei sei auf die legendäre Weihnachtssendung des Jahres 2010 mit dem Titel Weine Frohnachten verwiesen – und aus dem dazu passenden Artikel zitiert: “Wenn uns das Lachen erst im nimmersatten Hals zwischen Bank-Barock und Medien-Mumps stecken geblieben sein wird, haben wir zum Zerzweifeln unser selbst immer noch Zeit. Zeigen wir lieber dem Zeitgespenst des Zweckdienlichen die Zunge! Scheißen wir seinen Schreckbetrügern einen vollen Schüssel unkontrollierbaren Schmarrn zwischen die Zahnräder! Alles schläft, einsam lacht: die Parodie der beherrschenden Verhältnisse. Charakter kommt eben von Karikatur.”

 

Große Wellen ?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. JanuarGroße Dinge entstehen ja oft im Kleinen – und ziehen deswegen erst recht weite Kreise. Ein Radiostammtisch, ein Film – und eine Verabschiedung. Das Gleichnis vom Wert der ganz persönlichen Revolution. Wos redt der? Eben. Allein schon der Titel jener Schweizer Kommödie, die wir uns diesmal beim winterlichen Radiotentreff einflößen, bietet genug Anlass zu interpretativen Spekulationen: Les Grandes Ondes (à l’ouest) wurde auf Englisch etwa mit “Longwave” übersetzt, auf Deutsch schon mal mit “Große Wellen”. Was könnte damit also gemeint sein? Das Funksignal eines Senders, die Gedankenübertragung einer Gemeinschaft – oder die Wellen, die ein großes Ereignis sprichwörtlich schlägt? Vielsagend wie sein Titel ist der Film selbst – und nicht ganz leicht zu bekommen.

große wellen innenAnfang der 70er Jahre wird das Reporterteam eines öffentlich-rechtlichen Schweizer Senders nach Portugal abkommandiert, um “patriotische” Reportagen über eidgenössische Entwicklungshilfe zu produzieren. Und zwar, weil so ein Politiker plötzlich zu wissen glaubt, was das Publikum dieses Senders “hören will”. Nämlich mehr Volksmusik – und erwähnt “Patriotisches”. Abgesehen von dieser Karikatur eines Populisten (oder des frühen Formatradiogedankens, den wir uns ja zum Glück auch erspart haben), begegnen uns aber sämtliche Charaktere, die wir aus dem eigenen Radio nur allzugut kennen: eine engagierte Feministin, ein leicht schrulliger Techniker, ein heimlich dementer Starreporter und – last but not least – ein frischg’fangter Praktikant, der dringend zum Übersetzen benötigt wird…

große wellen außenZugleich verabschieden wir uns (schön langsam und in Etappen) von unserer Programmkoordinatorin Eva Schmidhuber, die demnächst im Rahmen ihrer Bildungskarenz nach Bischkek in Kirgistan reist, um dort angehenden Lehrer_innen die deutsche Sprache beizubringen – und wohl noch andere Abenteuer in der entlegenen Bergwelt rund um den Yssyköl zu bestehen. Wie bereits Reinhold Messner bemerkte: “Ich gehe in die Berge, um zu ÜberLeben.” Wir wünschen ihr demnach ein gutes Gelingen ihrer sprach- und kulturvermittelnden Lehrtätigkeit, darüber hinaus alles Glückselige – sowie sonnige Schitouren! Uns wünschen wir ihre wohlbehaltene Rückkehr in alter Frische und mit vielen neuen Ideen, hat sie uns doch stets fein unterstützt und bestens beratenauch nicht nur beim Übersetzen

wie etwa des genialen Sprechstücks Crisi di mercato von Giacomo Sferlazzo