Von den Besten lernen

-> Download: Artarium vom Sonntag, 8. Juni – Das Herzstück dieser Sendung bildet eine alte ORF-Aufnahme von Oskar Werner aus dem Jahr 1952, nämlich seine Lesung von Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, zu finden auf der schon seit geraumer Zeit unter verschiedenen Labels kursierenden Poetry-CD „Oskar werner spricht Rainer Maria Rilke“. Sind wir jetzt also vollends literarisch geworden – oder warum tun wir das? Nun, wir sind eben selbst „lyrische Menschen“ (so tragen wir etwa am 18. 6. bei der KulturKeule im Das Kino sowie am 22. 6. beim Fairkehrten Fest im Nonntal aus eigenen Texten vor) und gern auch für jedwederlei generationenübergreifende Begegnung mit Ausdruckskunst zu haben. Allerdings muss derlei auf Augenhöhe geschehen, nicht als ehrfürchtige Belehrung! Denn im Anfang war das Gedicht – und erst viel später wurde daraus ein Geschäft.

DOskar Werner spricht Rainer Maria Rilkeoch wir wären nicht wir, wenn wir es bei der bloßen Vorstellung eines durchaus denkwürdigen Werks, noch dazu in einer schlichtweg einzigartigen Interpretation, bewenden ließen 😉 Dieses Gustostückerl an zeitloser SpokenWord-Intensität ist nicht nur an und für sich inspirierend und stilbildend, es bietet auch noch ein paar spezielle Anregungen für die Weiterentwicklung unserer sozialkritischen Gedanken:

„Es ist eigenartig, dass sich ein Mensch, dessen Existenz von Terror bedroht ist, mit der ihn bedrohenden Instanz identifiziert, mit ihr verschmilzt, seine Identität einer vermeintlichen Rettung wegen aufgibt. Der Dichter Rainer Maria Rilke erfasste diese Tatsache intuitiv in seiner „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“.

Auf einem Feldzug gegen die Heiden wird dieser Cornet Rilke von Feinden umzingelt. Als Selbstschutz erlebt der Held des Gedichts die auf ihn einschlagenden blitzenden Säbel als einen lachenden, auf ihn niederrieselnden Wasserbrunnen. Um den Terror nicht zu registrieren, mit dem wir konfrontiert sind, und um die eigene seelische Einheit zu bewahren, werden wir blind. Anstatt den Realitäten ins Auge zu schauen, halluzinieren wir eine Einheit mit dem uns bedrohenden Anderen und verlieren so die eigene Identität und manchmal sogar das Leben.

Dieser Prozess verursacht und steuert Gewalt, psychische oder körperliche. Die Wurzeln dieses uralten Mechanismus liegen in frühester Kindheit, wenn die versorgenden Eltern versuchen, dem Kind ihren Willen aufzuzwingen. Diese Erfahrung von Gewalt bedroht jedes Kind mit dem Erlöschen seines eigenen, gerade erst im Entstehen begriffenen Selbst. Gerade solche Kinder, deren eigener Wille besonders gewalttätig unterdrückt wurde, entwickeln einen verhängnisvollen Gehorsam und eine pathologische Treue gegenüber der Gewalt. So kommt ein Kreislauf in Gang, in dem Gewalt zur Grundlage des Seins wird.“

Zitate aus: Arno Gruen – Der Kampf um die Demokratie

 

Become the Media

-> Download: Artarium vom Sonntag, 25. Mai – Unser Beitrag zur Civilmedia14, die heuer vom 29. bis 31. Mai im KunstQuartier in der Bergstraße stattfindet. Wenn es schon um Community-Medien und Zivilgesellschaft geht, dann darf ein Gruß an unsere englischsprachigen Kolleg_innen von der Wortfront wider den Untergeist keinesfalls fehlen! Wir präsentieren ein Spoken-Word-Highlight: „Hellburbia“, die 27-minütige Abrechnung mit der verlogenen Doppelmoral des amerikanischen Highschoolsystems, unwiederholbar hervorgerotzt von Ex-Dead-Kennedys-Sänger Jello Biafra in seiner nunmehrigen Paraderolle als Wortwetzmeister der Patridiotennation. Ausgehend von jener blödsinnigen Pseudoempörung, welche die selbstgeschnitzten Wertewächter immer dann zu überkommen scheint, wenn wieder ein jahrelang zur Verzweiflung gequälter Jugendlicher seine Schule abfackelt und/oder seine Lehrer erschießt…

Jello Biafra…stellt Biafra hier das gesamte Wertesystem einer Gesellschaft in Frage, die selbst tragischen Eruptionen von Gewalt und Zerstörung wie etwa dem Columbine High School Massaker mit keiner anderen Regung als den üblichen reflexhaften Schuldzuweisungen mehr zu begegnen weiß. Erinnern wir uns doch wieder an die ausführliche Darstellung dieser Begebenheit in Michael Moores sozialkritischem Film „Bowling for Columbine“ – und das berührende Interview mit Marilyn Manson, der als Einziger den vernünftigen Gedanken äußerte, dass den betroffenen Schüler_innenn womöglich einmal jemand ernsthaft zuhören sollte, anstatt dauernd auf sie einzureden, wer sie sein und wie sie sich verhalten müssten. In dem Interview kommt außerdem klar zum Ausdruck, wie (absichtlich!) einseitig die Berichterstattung auch in angeblich noch so unabhängigen Medien wird, sobald einflussreiche politische, religiöse und wirtschaftliche Interessensgruppen hinter den Kulissen ihre Macht entfalten. Wir erleben jetzt gerade Ähnliches, wenn es in Zeitungsartikeln und Rundfunkprogrammen um die Darstellung der aus Überlebensnot in unseren Städten bettelnden Menschen geht – oder um die populistische Stimmungsmache unter Beschwörung der stets behaupteten Bettelmafia. Was herrscht vor?

FREIE Medien – nie waren sie so wertvoll wie heute 😉

 

Ilija Trojanow – Der überflüssige Mensch

Artarium vom Sonntag, 27. April – Diese DOPPELSTUNDE wird als zwei eigenständige Sendungen veröffentlicht: -> Download: Buchvorstellung mit Leseproben und Studiogespräch -> Download: Autorenportrait mit Interviewauszügen von den Rauriser Literaturtagen 2014. Natürlich fein garniert mit thematisch passenden Musiktiteln und Audiocollagen, wollen wir sowohl der Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ wie auch der Person Ilija Trojanow atmosphärisch näherkommen. Unsere Projektpartner, allesamt Salzburger Studenten, stellen hierbei ihr gesammeltes Material (einer universitären Präsentation) zur Verfügung, unter anderem eineinhalb Stunden Gespräch mit dem Autor zu Themen wie „Dystopische Popkultur“ und „Revolution oder Genozid“. Gemeinsam gestalten wir nun daraus dieses Hörstück zum Mitleben…

der überflüssige menschNachdem wir bereits am 23. März in der Sendung „Überflüssig“ über einige Ideen zum „Trojanow Projekt“ gesprochen haben, wollen wir diesmal detaillierter den Inhalt dieses bemerkenswerten Buches darstellen – und darüber diskutieren, was sich aus den darin entwickelten Thesen für den Umgang mit Gesellschafts- und Weltordnungen ergeben kann. Zur Einstimmung und Vertiefung empfehle ich die Rezension „Würdelos im Spätkapitalismus“ (Deutschlandradio Kultur). Interessanterweise wird die Neuerscheinung des bekennenden Anarchisten sogar in der Politischen Akademie der ÖVP wohlwollend besprochen. Das mag als deutliches Zeichen für deren unleugbare inhaltliche Brisanz gelten:

Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es verstößt gleich mehrfach gegen das Grundgesetz. Erstens gegen Artikel 1, weil es kein menschenwürdiges Leben ermöglicht, und zweitens gegen die freie Berufswahl wie auch gegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil es Menschen zu Sklaven macht, indem es sie zur Annahme von Arbeit zwingt, die sie nicht ausüben wollen.“ Dieses Zitat von Götz Werner, Begründer der Drogeriekette dm, gestandener Kapitalist, aber auch Systemkritiker und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, stellt Trojanow dem Kapitel „Ein Sprungbrett nach unten“ voran.

ilja trojanowUnd schreibt dann selbst: Die Überflüssigen sind keineswegs überflüssig, lässt man den herrschenden Arbeitsbegriff unserer Zeit außer Acht. Sie pflegen einen gebrechlichen Vater, einen dementen Partner oder widmen sich als allein erziehende Mütter ihren Kindern. Sie helfen in der Nachbarschaft, sie engagieren sich, sie beschenken ihre Verwandten mit Selbstgestricktem (um nur einige beliebige Beispiele zu nennen). Wer seinem behinderten Sohn einen Filterkaffee zubereitet, ist eine Null, wer seinem Chef einen Espresso serviert, ist ein Assistent. Die nicht-kommerzielle Fürsorge wird missachtet, gerät ins soziale Abseits.“ (Aus Seite 36 des knapp 90-seitigen, sehr angenehm zu lesenden Werks)

Da hätten wir schon einmal ein paar kritische Gedankengänge beisammen, die jeder für sich lauthals nach revolutionärer Veränderung der Verhältnisse schreien. Oder anders gesagt: „So darf man mit Menschen nicht umgehen!“ Doch was können wir schon tun? Hier erweist sich die ebenso humanistische wie anarchistische Denktradition Trojanows als besonderer Glücksfall, indem sie mit vielen offenen Fragen umgehen und dabei doch sehr konkret werden kann. Meisterlich hat dies der Kollege von Radio Helsinki in einem Interview am 21. 3. 2013 eingefangen. Doch auch wir werden dichten Stoff liefern! 😀

Denn wir sind durchaus ein geiles Institut!

 

Ton Steine Scherben in Salzburg

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. April – Der etwas andere Konzertbericht aus dem Salzburgradio zum Selberdrehen oder auch Liebesgrüße aus dem Minenfeld ambivalenter Erwartungen. Wenn nämlich Ton Steine Scherben nach jahrzehntelanger Absenz plötzlich wieder auftauchen, und dann noch unter der griffigen Ankündigung „Das Original erstmals seit 1985 auf der Bühne“, dann kommen auch wir aus unseren Zeitlöchern gekrochen – und wollen liebgehabt werden. Doch – wer sind wir? Ein bunt zusammengewürfelter Haufen! Musikanten und Medienkünstler, Jungpunks und Alt-68er, Freiheitsfreaks jedweden Fachgebiets, längst ausgestorben geglaubte Bohème, Kinder, Eltern, Überlebenskünstler – und sogar ein Grateful-Dead-Professor. Genauso verschiedenartig wie dieses Publikum waren auch seine Bedürfnisse, weshalb wir ein „Stimmungsbild aus Spiegelscherben“ zubereiten.

Ton Steine Scherben 2014 im RockhouseZuallererst begegnete mir ein freundlicher Veteran mit schütterem Haupthaar, der stolz seine Erstausgabe des Albums „Warum geht es mir so dreckig“ herum reichte. Ein wenig Museum war da schon im Spiel und mir fiel dazu „lebendige Geschichte“ ein. Deren Stattfindung verkörperte bierselig ein Punk mit bunten Haaren, der allen Umstehenden erklärte, wie augenblicklich er wieder heimgehen würde, sollte seiner Vorstellung von revolutionärer Authentizität etwa nicht entsprochen werden. Ein schon seit Jahren dem Umfeld lauthalser Konzerte entflohen gewesener Kollege aus der Epoche des angewandten Hausbesetzens hatte sich extra wegen der Scherben reaktiviert und freute sich schon wie der Rumpelstilz aufs Heiserwerden vom Mitgröhlen der alten Anarchohymnen. Die leiseren – oder sagen wir – Zwischentöne hörte ich allerdings von einigen eher „untypischen“ Konzertbesuchern. So etwa ein Künstlerpaar, das seine hohen Erwartungen aufgrund des „berühmten Namens“ sorgfältig gegen mögliche Enttäuschungen abwog, die ein Scheitern des generationen-übergreifend angelegten Revival-Projekts mit sich bringen würde. Der verstorbene Rio Reiser sei als Frontman schlichtweg unersetzbar, daher gingen sie eher mit gemischten Gefühlen hinein…

Die jungen Stimmen von Ton Steine Scherben 2014So hätten wir diesen Artikel auch mit „Des Sängers Fluch“ überschreiben können – die gleichnamige Ballade von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814 wäre wohl als Metapher des Ansingens gegen kaltherzige Herrscher geeignet. Doch als Titel ließe solcherlei die Gesamtperformance von Ton Steine Scherben 2014 in einem allzu einseitigen Licht erscheinen – denn so sehr dieser Abend immer auch Besuch der alten Ikonen war, so sehr lebte die junge Generation dabei ihre ganz eigene Spielfreude aus. Herausragend Maxime Praeker am knackpräzisen Schlagzeug, auch Nicolo Rovera überraschte mit Leidenschaft und Stimmpräsenz. Leider ging dagegen der Gesang von Ella Josephine Ebsen im allzu lauten Saalsound fast unter und entzog sich so der weiteren Würdigung. Ein echtes „Project in Progress“ eben, an dem noch einiges zu gestalten ist. Allerdings ein gelungener Auftritt im Sinne von „Macht auf jeden Fall weiter, es macht uns neugierig…“ Und so unfertig, wie auch wir gern bleiben möchten, überlassen wir weitere Ausführungen den Publikumsstimmen, die in dieser Sendung zu hören sind – sowie unseren und euren Assoziationen, wenn wir dazu die etwas anderen musikalischen Scherbenzitate spielen. Unter anderem von Bretterbauer, die einen empfehlenswerten Scherbensound produzieren – oder von the who the what the yeah, die als Support von TSS in Wien ihr spätkapitalistisches Lebensgefühl entfalten konnten. Über alledem jedoch, liebe Gemeinde, vergessen wir eines niemals: Wir sind ein geiles Institut 😀 und Hallelujah!

 

Laibach – Opus Dei

-> Download: Artarium vom Sonntag, 13. April – Willkommen zur etwas anderen Slowenien-Woche auf der Radiofabrik unseres Vertrauens! Radio Študent aus Ljubljana (gegründet 1969 und somit einer der ältesten freien Sender in Europa) ist im Rahmen einer Projektvisite zu Gast in Salzburg. Wir nutzen diese Gelegenheit, um selbst einige Programmschwerpunkte zu setzen: So wird bereits am Donnerstag Abend im Rahmen des Stammtischs der Freien Medien (Beginn 19 Uhr, ARGEkultur 1. Stock) ein Gespräch über das Kunstkonzept der Gruppe Laibach stattfinden, das zum Teil auch live aus dem Sendestudio übertragen wird. In der Nachtfahrtsendung am Freitag, 11. April zum Thema „Heimat under construction“ werden wir diese Unterhaltung mit unseren Gästen (von 22 bis 00 Uhr) weiter vertiefen können. Und zu guter Letzt spielen wir auf mehrfache Anregung noch ein frühes Laibach-Album in voller Länge!

laibach - opus dei (front)Und dieses Opus Dei von Laibach von anno 1987 vermag exemplarisch zu verdeutlichen, was uns am Konzept dieser Band und dem mit ihr verflochtenen Kunstkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst) derart interessiert. Slavoj Žižek, der weithin bekannte Kulturphilosoph aus Slowenien, hat dies in einem wunderbaren Video „What the hell is Laibach all about?“ auf den Punkt gebracht. Noch Fragen? 😀 Kurz skizziert – das herrschende System im künstlerischen Ausdruck noch ernster zu nehmen als es sich selbst jemals ernst nimmt, das führt zur Entlarvung der totalitären Mechanismen und ist somit zutiefst subversiv. Ein Konformist wäre somit jemand, der dem System gegenüber in ironischer Distanz lebt – ein Revolutionär dagegen eher so eine Art Übertreibungskünstler. Womit wir auch der Erforschung des Skandals einen großen Schritt näher gekommen sind. Hallo, Thomas Bernhard! Was darüber hinaus die kontroverse Kritik anbelangt, mit der Laibach wegen ihrer rauschhaften Verwendung (Entwendung/Verfremdung) von eklektisch zusammengeglaubten Herrschaftssymbolen immer wieder konfrontiert wurden, dazu wollen wir in unseren aktuellen Sendungen einiges an Anhörungsmaterial beisteuern. Zur Einführung in dieses Thema empfehlen wir die Videos „Geburt einer Nation“ sowie „Opus Dei“ vom gegenständlichen Album!

 

Sprache stehlen

-> Download: Artarium vom Sonntag, 30. März – Kann man das wirklich, eine Sprache stehlen? Oder eine Ausdrucksart, Sprechweise, Wörterwelt? Gibt es einen Tatbestand des Sprachdiebstahls – etwa im Urheberrechtsgesetz? Wie dachte und dichtete denn darüber Ernst Jandl, unser aller Großmeister des Nehmens und zerlegt Wiedergebens: „ich sein mein sprach, mein deutsch sprach, mein schön deutsch sprach, du wundern mein schön deutsch sprach?“ – so etwa im uns zu dieser Sendung inspiriert habenden Einakter „die humanisten“ (entstanden 1975) und dortselbst weiter: „den deutschen sprach mir heilig sein, sein mein muttersprach, sein mein und dein muttersprach, muttersprach heilig sein, mir heilig sein“ 😀 Also, da haben wirs! „Muttersprache“ eignet sich jedes Kind durch Ausprobieren an, durch Nachahmen und Herumspielen. Womit eins klargestellt wäre – wir sind alle Diebe – wir Strandpiraten der Sprache!

flammarionDaher sind die üblichen Vorwürfe, oft gegenüber sich in Sprachweisen just einübenden Menschen geäußert, man klinge wie der oder die, kupfere also ab und gehe mit deren Schmäh hausieren, ebenso sinn- wie substanzlos. Wer auch immer ein neues Ausdrucksmittel erlernt, wird dabei phasenweise um das Nachahmen seiner Lehrer und Vorbilder nicht herumkommen. Fad wirds bestenfalls, wenn jemand im lernenden Liebesrausch stecken bleibt und forthin nur mehr nach Kinski klingt. Oder nach Tolkien. Oder nach Hermann Hesse. 😛 Egal. Würde man derlei pingelige Kritik denn bei Komponisten und Musikern (natürlich immer auch _innen) anwenden, dann könnte man gleich 80% der Salzburger Bandszene wegen nachhaltigem Plagiatismus heimschicken. Bei jungen und in ihrer Entwicklung befindlichen Autor_innen und Vortragenden wird aber gleich gemeckert. Selbstredend heimlich und hintenrum, wir leben ja in einem nazikatholischen Friedhof der Phantasien. Welch ungeheuerliche Anmaßung ist das denn, wenn ein Mensch sich eine vorhandene Sprache einfach nimmt – und dann daraus etwas Eigenes macht? „Ketzerei!“ schreien sogleich die Verwalter der bisherigen Sprachmacht, und das war auch schon bei Martin Luther nicht anders! Das darf uns immerhin zu denken geben…

In dieser Sendung wollen wir alle Schreibenden und Sprechenden dazu ermutigen, ihre jeweilige Sprachwelt möglichst kreativ zu erweitern. Und sich alle dazu notwendigen „Sprachen“ (Text, Wortschatz, Vortragsstil) einfach anzueignen – ohne Rücksicht auf die allgemeinen Ehrwürdens ihrer eigenen Einteilungen. Denn Sprache lebt – in uns allen!

 

Überflüssig

-> Download: Artarium vom Sonntag, 23. März – Wir stellen diesmal ein Projekt rund um Ilija Trojanows aktuelle Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ vor und begrüßen dazu im Studio die Gestalter dieses soeben entstehenden Work in Progress, unter ihnen Wolfgang Posch und Thomas Mulitzer vom Akustik-Punk-Duo TWO ON GLUE. Wir halten das für eine vortreffliche Idee, gerade den aktuellen Literaturbetrieb systemkritisch gegen den Strich zu bürsten und auch die Aussagen seiner Lieblinge auf persönliche Anwendbarkeit hin abzuklopfen. Diesem Ansinnen wollen wir uns gern anschließen und gegebenenfalls die gemeinsame Gestaltung eines Radiofeatures zum Thema „Überflüssigkeit“ oder „Entbehrlichkeit“ in Angriff nehmen. Zu unserem heurigen Themenschwerpunkt „100 Jahre Erster Weltkrieg“ passt derlei ohnehin wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Siehe (oder höre) dazu die Sendungen „Krieg und Frieden – Eine Andeutung“ (Artarium) und/oder „Krieg und Frieden“ (Nachtfahrt) 😉

Individuelle TextanfertigungInteressanterweise ist der „überflüssige Mensch“ ein verbreiteter Archetyp in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts, und zwar meist ein gebildeter Nutznießer herrschender Verhältnisse, der die ihn umgebende Dummheit und Ungerechtigkeit erkennt, ihr aber handlungslos als gelangweilter Zuschauer begegnet. Kommt uns da nicht einiges erschreckend bekannt vor, wenn wir uns selbst inmitten des gegenwärtig konsumoptimierten Wirtschaftszaubers wahrnehmen? Das ist sicher eines der Motive, denen Trojanow folgt, wenn er die Frage aufwirft, wieso wohl jenseits von flüchtigen Empörungen keinerlei wesentliche Veränderung der Verhältnisse abzusehen ist. Noch interessanter fand ich allerdings den Umstand, dass der Archetyp des „überflüssigen Menschen“ in der Literatur auf den „Byronic Hero“ (-> Lord Byron) zurückgeht, einer Art einzelgängerisch weltabgewandten Antihelden, der seine persönliche Einmaligkeit in dauernder Rebellion gegen die Gepflogenheiten der Gesellschaft stellt. Sein Charisma besteht in der Ambivalenz zwischen Abscheu und Anziehung. Populäre Vertreter dieses Typs, mit dem wir uns nicht ungern identifizieren, wären etwa Batman, Severus Snape oder Dr. House. 😀 Kommt jetzt endlich die dicke Moralkeule, mit der Trojanow dem schlechten Gewissen unserer „Du solltest endlich etwas tun“-Spaßgesellschaft den Rest gibt? Oder stecken in der Botschaft dieses Beobachters noch viel tiefere Abgründe?

Anders gefragt, wenn ein angewiderter Außenseiter als unbeteiligter Zuschauer ein Gedicht über sein Erleben dieser Welt schreibt – wie „überflüssig“ kann das sein?

 

Krieg und Frieden – Eine Andeutung

> Download: Artarium vom Sonntag, 9. März – Erste Einstimmung auf das heuer noch öfter wiederkehrende Schwerpunktthema “100 Jahre Erster Weltkrieg” und die damit einhergehenden Fragestellungen: Was ist eigentlich Krieg – und wenn ja, gibt es überhaupt Frieden? Ist nicht gerade der erste Weltkrieg (die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts und zugleich die ursächliche Wegbereitung des Nationalsozialismus) österreichischerseits noch um einiges gründlicher verdrängt als die Mitverantwortung am 3. Reich? Können wir mit unserer Gegenwartssprache die literarischen Zeugnisse von vor 100 Jahren noch direkt verstehen – etwa Die letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus oder die depressiven Gedichte von Georg Trakl? Sein Todestag jährt sich heuer ja auch zum 100. Mal – und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen traumatischen Kriegserlebnissen. Eine Überdosis Grauen wird nach wie vor als verkraftbar angesehen, der Ausweg in den Freitod bleibt ebenfalls skandalisiert …

profil 2014Das Nachrichtenmagazin profil begann im Januar mit einer bemerkenswerten Serie: Woche für Woche werden unter dem speziellen Titel “Countdown zum Krieg” Zeitungsmeldungen und Dokumente von 1914 veröffentlicht, so dass bis zur Berichterstattung über jenen 28. Juni (Attentat in Sarajevo) sowie dem daraus folgenden Beginn des ersten industriellen Kriegs im Juli/August ein atmosphärisches Grundverständnis für die vorherrschenden gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse im damaligen Kaiserreich Österreich-Ungarn entsteht. Eine solche Aufbereitung finden wir höchst anregend, entspricht sie doch unserer eigenen Arbeitsweise, durch Audiocollagen komplexe Stimmungen hervorzurufen und sie dadurch (wieder) erlebbar zu machen:

So wollen wir die Idee eines (wenn auch unregelmäßigen) Countdowns aufgreifen und in dieser Sendung eine assoziative Text- und Musiksammlung zum Thema „Krieg und Frieden“ vorstellen. Wir bedienen uns dabei zweier wesentlicher Sprach- und Vortragskünstler, die in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Schrecken und Absurditäten jedweder militärischer Konfrontation beispielhaft bearbeitet haben: Nämlich erstens Ernst Jandl, der durch seine sprachkreativen Innovationen den emotionalen Gehalt von kriegerischer Denk- und Sprechweise in unmittelbares Erleben zu übersetzen vermochte – und zweitens Helmut Qualtinger, der in seinem unnachahmlich lebhaften Vortragsstil einen der sprachmächtigsten Kritiker des ersten Weltkriegs (eben den genialen Satiriker Karl Kraus) wieder in ein breiteres Österreichbewusstsein beförderte. Zudem lesen wir selbst letzte Gedichte von Georg Trakl und begeben uns auf die Suche nach den “veralteten” Ausdrücken jener Epoche. Alles in allem dient diese Andeutung auch zur Einstimmung auf unsere 3-stündige Perlentaucher-Nachtfahrt am Freitag, 14. März, die gleichfalls dem Thema “Krieg und Frieden” gewidmet sein wird … 😉

 

Another Brick In The Wall

-> Download: Artarium vom Sonntag, 23. Februar – Unlängst war in der befreundeten Radiosendung Hallo Punkerland und PunkerInnenland 😉 ein ganz ungewöhnliches Musikstück zu hören. Was denn, Pink Floyd mit deutschem Anarchotext? Eine kurze Nachforschung förderte sogleich das dazu gehörige Musikvideo zu Tage, „Another Stein in The Wall“ oder so ähnlich – ein vom aktuellen Slime-Schlagzeuger Alex Schwers inszeniertes Cover/Mashup aus deren Uralttext „Bullenschweine“ und der Musik von Pink Floyds „Another Brick In The Wall“ – unglaublich ironisch und voll abgedreht! Immerhin entstanden beide Titel so um 1979 herum, also vor ungefähr 35 Jahren – doch gibt es dahinter nicht vielleicht noch andere inhaltliche Zusammenhänge? Da holen wir doch gleich mal die vom Ton-Steine-Scherben-Mitbegründer Kai Sichtermann herausgegebene Musikanthologie „Kultsongs & Evergreens“ hervor, für die der hier schon öfter zitierte Autor und Leonard-Cohen-Übersetzer Misha Schoeneberg den Artikel „Das radikalste Schülerlied“ zur eingangs erwähnten Pink-Floyd-Nummer verfasst hat – und lesen wir…

pink_floyd_the_wall…darin Folgendes:

„Es ist alles irgendwie schief gelaufen. Von Anfang an, darüber war man sich einig, damals, Mitte oder Ende der 70er. Man stritt nur darüber, ob das Elend mit dem Verlassen der Bäume, dem Beginn des Ackerbaus oder dem Aufkommen der katholischen Kirche begonnen hatte. In dieser Zeit las Roger Waters Wilhelm Reich, wie so viele in jenen Jahren. „Den Kindern der Zukunft“ widmete Reich sein wohl größtes Werk „Christus Mord“. Er spricht dort von „Panzerungen“ (Angst vor Liebe und Zärtlichkeit), die den Kindern durch die Eltern in Form restriktiver Erziehung verpasst werden. Die Eltern litten unter den gleichen Ängsten, die sie von ihren Eltern eingebläut bekamen, und diese wiederum von ihren Eltern usw. Dass wir uns so weit vom eigentlichen Menschsein entfernt haben, das ist die tatsächliche „Erbsünde“ nach Reich. Und gegen diese Panzerung, in der wir stecken, als wären wir lebendig eingemauert, hilft nur der Weg zurück; ein auf Generationen angelegtes Projekt: Die Kinder müssen sich wieder eigenständig und frei entfalten dürfen.“

Dem haben wir nichts hinzuzufügen! In der Sendung gibt es davon allerdings einiges mehr zu hören – nebst unserer assoziativ-dramaturgischen Musikauswahl rund um den inzwischen 70-jährigen Roger Waters und sein epochemachendes Hauptwerk The Wall. Schauen wir einmal, was wir so einem unverwüstlichen Spürsinn für die Auswüchse des Alltagsfaschismus darüber hinaus noch abgewinnen können. Wir freuen uns… 😀

 

Käptn Peng – das etwas andere Interview

Nachdem wir euch im Januar die Musik von Käptn Peng & Konsorten in unserer Albumpräsentation-Sendung schmackhaft gemacht haben, wollten wir mehr darüber erfahren, was das für ein Mensch ist, der da hinter diesen abgründig intelligenten poetisch-philosophischen Texten steckt – und wie der so tickt in einem spontanen Gespräch. Dazu haben wir das Konzert von Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi im Salzburger Rockhouse besucht – und sind dem multikreativen Wortwetzmeister Robert Gwisdek vorab im Backstage mit dem Aufnahmegerät zu Geiste gerückt. Was dabei Erstaunliches zustande kam, das veröffentlichen wir nunmehr auf vielfachen Wunsch auch allhier zum gefälligen Download – in drei fein garnierten Portionen:

-> Käptn Peng (1) Einfälle (Spontane Textassoziationen und Sockosophisches)

-> Käptn Peng (2) Gedichte (Begriffsklärungen und Wert des Gedichteschreibens)

-> Käptn Peng (3) Kreativität (Kindliches und Erwachsenes im Produktionsprozess)

käptn_peng_liveDer Natur unseres etwas anderen Kunnst-Biotops gemäß wollten wir sowieso kein weiteres alltägliches 0815-Interview erzeugen, sondern vermittels eigens zubereiteter Textzitate und durch assoziatives Nachfragen dem Wesen hinter all den Masken und Verwandlungen auf die Spur kommen. Chapeau! 😀 Der Käptn erwies sich dabei als kongenial verspielter Gesprächspartner, der voll spontanistischer Denk- und Gestaltungsfreude ein verbales Feuerwerk aus ironischem Wordrap und tiefsinniger Betrachtung entzündete, dass es eine wahre Freude war. Dies sei euch hiermit nicht mehr länger vorenthalten – und zum gedeihlichen Nachhören wie auch zum fröhlichen Weiterverwursten entschiedenst anempfohlen! Denn die letzten Interviewgäste, die uns auf vergleichbarem sprachlichem Niveau soviel (im besten Sinne) Spaß machten, waren der Dramatiker und Festspielintendant Thomas Oberender (Kulturgespräch 2011) sowie die Regie-Abschlussklasse der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ aus Berlin (Gastspiel 4.48 Psychose 2009). Und Niveau ist – wie wir wissen – keine Hautcreme!

Für das feine Live-Foto danke an Ohrenkitsch vom Blog Die Welt ist mein Zuhause

fuchs_sein_fetztZum Schluss verweisen wir noch auf unsere letzte Nachtfahrt-Perlentaucher-Sendung mit dem sinnigen Titel „Zwischen Leben und Überleben“, in der alle drei Interview-Teile erstmals dramaturgisch einverwoben wurden. Und auch auf Robert Gwisdeks am 8. März erscheinenden Debütroman „Der unsichtbare Apfel“, über den man bereits folgendes erfährt: Igor ist ein merkwürdiges Kind. Er berührt Dinge, um sie zu verstehen, malt Kreise auf Hauswände und sortiert Schachteln in Schachteln ein. Während er älter wird, übt er das Schmelzen, entdeckt das Nichts und bezweifelt die Endlichkeit. Er verliebt sich und trägt eine Last, die zu schwer ist, er trifft auf den Tod und versucht schließlich, hundert Tage ohne Licht und Geräusche zu verbringen. Seine Reise führt ihn an die Grenzen der Vernunft und verändert seine Wahrnehmung der Welt für immer.

„…und verstand, mein Gott, ich bin der Fluss nicht das Floß!“ (Käptn Peng)