Felixwillkommen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. August – Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen. Und unser Studiogast Felix Steinhauser ist ja erst unlängst von seiner Erlebnisfahrt in diverse europäische Städte zurück gekommen. Da wollen wir doch einmal nachspüren, wie sich solches Reisen auf die kreative Gestaltung der Wortkunst auswirken kann, wie sich die Eindrücke zu Ausdrücken verdichten im Nachhall vergehender Zeit. Poesie ist nämlich zuallererst schöpferische Selbstwerdung beim Wahrnehmen der Welt, und erst danach – vielleicht, womöglich – ein Beruf aus Berufung. Dichterwerdung ist kein berechenbares Geschäft mit dem Geldwert des Marktworts – das ist billiges Geklingel, bloßes Kunstmundwerk für kommerzamtliche Literaturverbraucher. Davon zum Glück noch weitgehend unbepatzt, empfehlen wir also eine etwas andere Betrachtungsweise:

FahrtwindWir sind nackt und hilflos
unter einem brennenden Himmel
voller Sternschnuppen
das erste Mal die Einsamkeit verloren
ich hatte sie doch so lange gesucht
du hast sie mir gestohlen
Trickbetrüger
jetzt können wir gehen
meine Reise endet hier
aber unsere hätte erst begonnen

DraussenObiger Text mit dem Titel G entstand nach Felix‘ Rückkehr ins heimatliche Salzburg. Er ist auch auf seinem Blog thereisnocureforhumans zu finden, woselbst viele Wortbildkreationen zur Ausdrucksform seiner Innenwelt werden. Frühere Texte waren bereits in der Sendung Denk mal fairkehrt zu hören. Doch diesmal werden wir ihren Autor noch näher kennenlernen

Fleischlustfleischlust

das blut sei sein blut
das fleisch sei sein leib

ich gebe dir gerne war mir gehört
ich lasse mich gerne ausbeuten
ich lasse mich gerne aussperren
ich lasse mich gerne unterordnen

denn alles was er ist ist gut

diese welt ist unerhört
kein mensch darüber empört

kindergekreisch blutbeschmiert
ikea handtuch
wasser gespritzt
bauch verkümmert

 

Macht macht mobil

> Download: Artarium vom Sonntag, 27. Juli – Vom ersten Weltkrieg zum jährlichen Jedermann. Und nicht nur die Salzburger Festspiele sind die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln, wie eine Analyse der Machtverhältnisse zeigt. Im Verdrängungskampf der heutigen Herrscherhäuser, der Banken und Konzerne, geht es nicht viel anders zu als beim herkömmlichen Menschenschlachten und Kanonenfüttern. Das investierte Kapital fließt als Kriegsgewinn zurück in die Bilanzen der Profiteure – die Zeche zahlen da wie dort die unterbezahlten Fußsoldaten der Umwegrentabilität. Dazwischen hupfen ein paar gut bezahlte Politikdarsteller über die Bühne und erklären den hoffentlichen Mehrheiten, dass dies alles nur zu ihrem Besten geschieht. „Wenn es dem Markt (aha, noch so ein Synonym für Gott, Kaiser, Vaterland) wohl ergeht, dann wird es euch allen Eierkuchen…“

Und wer ist schuld?Wie es vielen der ursprünglich gläubig Begeisterten schon nach wenigen Wochen beim Verteidigen der „Ehre“ und anderer „höherer Werte“ ihrer jeweiligen Heimat“ erging, das lassen uns die Beiträge von Matteo Coletta erahnen, die derzeit in wöchentlichen Folgen als Stimmen aus den Schützengräben von der Radiofabrik gesendet werden. Briefe und Tagebucheinträge sowie Zeitzeugeninterviews von Soldaten des ersten Weltkriegs erwecken dabei die Geschichte wieder zum Leben und ermöglichen so eine anteilnehmende Auseinandersetzung mit den weitgehend bekannten Schreckensbildern. Eine Antwort auf die im heurigen Gedenkjahr grassierenden Spiel- und Dokumentarfilme zum Thema – mit dem Vorzug des Mediums Radio, die Vorstellungskraft der Zuhörenden zu ganz eigenen Bildwelten anzuregen.

Doch um noch einmal auf jedwede Art von Krieg zurück zu kommen, der von Mächtigen auf Kosten von Bedürftigen, von Privilegierten auf Kosten von Abhängigen geführt wird – es ist immer auch ein Krieg der Generäle gegen die eigenen Soldaten, immer ein Krieg der Obrigkeit gegen das eigene Volk. Und auch demokratisch gewählte „Volksvertreter“ meinen eigentlich oft „Untertanen“, wenn sie uns ihre „lieben Freunde“ nennen, oder so. Was das alles mit dem ablasshändlerischen Katharsisjahrmarkt auf dem Salzburger Domplatz zu tun hat, das werden wir mit etwas Ausgeschlafenheit und Glück in dieser Sendung auch noch beleuchten. Nur soviel – die findigen Erfinder der allsommerlichen Fest- und Fetzenspiele wollten damit sofort nach verlorenem Krieg und Untergang der Monarchie wieder eine „Triumphpforte österreichischer Kunst“ aufrichten. Alles klar?

Dass hier „jeder“ ein „reicher Mann“ ist – das glauben eh nur noch die Allerseligsten…

 

Ganz oben – Gar nichts

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. Juli – Die Vorstellung von Hierarchie, Obrigkeit und Gehorsam geht (wenn auch unbewusst) stets davon aus, dass „da ganz oben“ irgend etwas sei. Was aber, wenn nicht? Dann rempeln sich die Hinaufstreber eigentlich ganz ohne Grund gegenseitig von der Karriereleiter. Wollen nur deshalb immer höher und höher, um noch mehr Untergebenen die Eigenschaften von etwas Erfundenem zu erklären – und zwar verbindlich, versteht sich! Ganz oben ist aber gar nichts. Oberhalb der obersten Obrigkeit ist bestenfalls dünne Luft – doch die lässt sich vortrefflich zu Gesetzen zerkauen, solang weiter unten noch Menschen daran glauben. Etwa, dass ihnen von oben herab angeschafft wird, wer oder wie sie zu sein hätten. Willkommen in der wundersamen Welt der -ismen – oder gehts noch -tümer?

Spieglein, SpiegleinEs ist schon so eine Sache mit den immer wiederkehrenden Gedanken, die sich zu roten Fäden und ganzen Themensträngen zusammenzwirbeln lassen – wenn man sie funktional zu einem Antwortende bringen möchte, nur um sie endlich als „erledigt“ zu begreifen, dann entfliehen sie einem sehr schnell – und man ist selbst bald genauso fertig, wie man es mit dem Denken gern gewesen wäre…

Doch diese immer wieder auftauchenden Motive im eigenen wie im gemeinsamen Denken als Fragmente und Teilaspekte eines größeren Gesamtbildes zu verstehen und sie auch immer wieder aufs Neue im eigenen Lebenszusammenhang zu interpretieren, das könnte mit der Zeit zu einer wirklichen Antwort werden, die man nicht bloß so dahermeint, sondern auf die zahllosen Fragen seiner menschlichen Existenz – darlebt. Und so greifen wir wieder einmal eines jener Themen auf, die uns nach wie vor nicht in Frieden lassen, und zwar die leidvolle Erfahrung mit der Machtausübung um der Macht willen (denn ganz oben gibt es ja nichts). Oder anders ausgedrückt – wenn einmal die Herrschaft von Menschen über Menschen beendet ist, dann können wir uns gern auch Gedanken über die Existenz Gottes machen. So rum wird eher ein Schuh draus.

 

Sarajevo, nicht nur 1914

-> Download: Artarium vom Sonntag, 29. Juni – Zum 100. Jahrestag jenes Attentats, das schließlich den 1. Weltkrieg mit auslöste, erweitern wir den Blick auf Sarajevo um einige Geschichten von Menschen, die da geboren wurden, die da gelebt haben – und die etwas Bleibendes hinterließen, das über Krieg, Tod und Zerstörung hinaus wirksam ist. Diese Stadt ist mehr als die Bilder, die wir kennen, etwa von der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares am 28. Juni 1914 – oder von ihrer Belagerung im Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1996. Sie ist, mehr als Welt- und Kriegsgeschichte, immer auch ein Quell menschlicher Begegnung und künstlerischen Austauschs gewesen und eine multiethnische, multikulturelle Möglichkeit des Zusammenlebens. Davon erzählen unsere für diese Sendung ausgewählten Geschichten zur Zeitgeschichte 😉

Foto: Julian Nitzsche, CC BY-SA 3.0

Zum Beispiel ist mein Großvater in Sarajevo geboren, 1890 als Sohn eines Beamten der k.u.k. Forstverwaltung. Und gerade weil ich in meiner Familie wenig von dieser Zeit erzählt bekam, ist es für mich umso interessanter, einige historische Details über jene ambivalente Epoche am Vorabend des 1. Weltkriegs auszugraben. Auch spannend fand ich (im Zusammenhang mit der soeben stattfindenden und geldpolitisch auf besondere Weise ungustiösen Fußballweltmeisterschaft) die Dokumentation „Rebellen am Ball“ mit Éric Cantona, die unter anderem vom Ex-Jugoslawischen Nationalspieler Predrag Pašić aus Sarajevo berichtet, der während des Bosnienkriegs in seiner Heimatstadt ausharrte und dem Töten zum Trotz eine Fußballschule für Kinder und Jugendliche aller Volksgruppen aufbaute. Hier gibts ein geniales Interview mit ihm darüber!

Oder wer hätte gewusst, dass auch der Gitarrist der amerikanischen Alternative-Rock Band 30 Seconds to Mars, seines Namens Tomislav „Tomo“ Miličević, aus eben dieser Stadt stammt – und seine eigene Schussverletzung besitzt. Wobei er die nicht aus Bosnien hat, sondern aus dem Sozialbürgerkrieg auf U.S.Amerikas Straßen. Ein Grund mehr für klare musikalische Anti-Kriegs-Aussagen 🙂 Kann also Kunnst – in welcher Form immer – uns womöglich doch vor der Ausrottung retten? Der große Sarajevo-Erzähler Dževad Karahasan hat uns als Antwort eine selbst erlebte Geschichte überliefert: In der Zeit der Belagerung bat ihn seine Frau auf dem Weg zum gemeinsamen Abendessen, ihr vorher noch einen tagsüber geschriebenen Text vorzulesen. Sie gingen daher ins Büro – während eine Granate im Esszimmer einschlug – und „nur“ ihre Bibliothek zerstörte.

So kanns gehen! 😀 Abschließend sei hier noch das schräge Video von Placebo „Trigger Happy Hands“ empfohlen, zur Illustration des dem „Krieg“ innewohnenden Irrsinns…

 

Denkmal der Deserteure

-> Download: Nachtfahrt-Mahnmal vom fairkehrten Fest (Live 29:20 min) – Wir widmen ein Kriegerdenkmal kurzfristig um – in einen Ort der Erinnerung an Deserteure und Kriegsverweigerer – am Beispiel der mutigen Männer vom Böndlsee in Goldegg-Weng. Dort hatten sich 1944 einige Wehrmachts-Fahnenflüchtige aus der Region versteckt, um ohne weiteres Blutvergießen das schon absehbare Ende des 2. Weltkriegs zu erwarten. Doch dem Naziregime waren 6 aufrechte Neinsager eine solche Bedrohung, dass über 1000 Mann Waffen-SS und 60 Gestapo-Beamte ausschwärmen mussten, diese „Landplage“ ein für allemal zu beenden. Dies gelang ihnen auch mittels massiver Gewaltanwendung gegen die ansässige Bevölkerung – so wurden etwa Verwandte der Gesuchten gefoltert und in KZs verschleppt oder Unbeteiligte einfach erschossen.

ICH MAHN MAL DU DENK MALUnd während Österreich mit den Namen zahlloser gefallener Soldaten in Form von Denkmälern für „Unsere Helden“ übersät ist – so fehlen bis heute die Namen der Menschen, die gegen Unrecht, Krieg und Terror aufstanden, indem sie sich der „Pflicht zum Gehorsam“ entzogen. Und dies auch oft mit dem eigenen Leben bezahlten! Deren Einstellung sollte uns allen zum Vorbild gereichen, möchte man meinen, speziell der heutigen Jugend, die wir zu mündigen Bürger_innen zu erziehen behaupten. Doch weit gefehlt! Nicht nur, dass sich die Republik Österreich erst im Jahr 2009 (-> 64 Jahre nach Kriegsende) dazu durchringen kann, die Desertions-Urteile der NS-Militärgerichte aufzuheben. Was im Klartext heißt, dass jeder Kriegsheimkehrer, der wegen Desertion verurteilt worden war, bis 2009 als vorbestraft galt. Nein, jetzt kommt auch unser aller langjähriger Landesgrüner als Obmann des Goldegger Kulturvereins daher und meint, dass die Zeit immer noch nicht reif sei für ein Denkmal der Deserteure, solange es nicht „von der (mehrheitlichen) Bevölkerung mitgetragen wird“. (Beitrag SN-Debatte)

Unseren Helden?Wir fassen es nicht! Und geben daher den Namen der 6 Männer hier erst recht einen Gedenkort:

Karl Rupitsch

Peter Ottino

Gustl Egger

Georg Kössner

                                                                                     Richard Pfeiffenberger

sowie Franz Unterkirchner, der als Einziger und mit sehr viel Glück den „Sturm vom Böndlsee“ am 2. Juli 1944 überlebte, sich noch bis Kriegsende erfolgreich versteckte und erst 1972 eines natürlichen Todes starb. Er hätte uns aus erster Hand erzählen können, was ihn und seine Kameraden bewegte, worüber sie in ihren Verstecken so sprachen, und was jeder von ihnen als ganz persönlichen Grund für seine Flucht vor dem System genannt hätte. Von Karl Rupitsch ist immerhin dieser Satz überliefert: „Warum soll ich jemanden erschießen, der mir nichts getan hat?“ Das macht durchaus Sinn, ebenso wie die Forderung nach einem Ort des Andenkens mit den Namen der Widerständler. Auch wenn das nicht mehrheitsfähig ist – es wäre jedenfalls gerecht!

-> Gespräch mit Brigitte Höfert, Tochter von Karl Rupitsch, auf talktogether.org 😉

 

Denk mal fairkehrt

-> Download: Artarium vom Sonntag, 22.Juni – LIVE vom fairkehrten Fest in der alten Nonntaler Hauptstraße, daher diesmal auch mit Live-Lesung und Live-Musik aus dem Fundus des etwas anderen Kunnst-Biotops! Außerdem wollen wir die Gelegenheit nutzen, um euch unsere monatliche Perlentaucher-Nachtfahrt ans Herz zu legen. Denn in dieser „musikliterarischen Gefühlsweltreise“ wechseln sich ebenfalls live gelesene Textbeiträge mit vorbereiteten Soundcollagen und Titeln aus dazu passenden Playlisten ab. Und zwar jeweils in spontaner Dramaturgie – rund um das ausgewählte Thema assoziiert. Was läge also näher, als für den Programmschluss des Radiofabrik-Außenstudios den Standort des Geschehens als inhaltliche Inspiration auf uns wirken zu lassen: Ein Kriegerdenkmal, mit den Namen aller im ersten und zweiten Weltkrieg elend zu Tode gekommenen Nonntaler – und mit der Aufschrift „Unseren Helden“…

Christopher SchmallImmer, wenn sich der Hund im Artarium wieder mal in einen Wirbel redet, freut es eine(n) so richtig, diese andere angenehme Stimme zu hören: Christopher Schmall, unentbehrlicher Freund und Coproducer 🙂 sonst seines Zeichens auch Dichter, Musikschaffender und Seelenforscher. Er ist einigen noch als Sänger der Band In Confusion in Erinnerung und war seither schon des öfteren mit seinen Solonummern und SpokenWord-Experimenten im Radio zu hören. Nun wird er zum ersten Mal seit geraumer Zeit wieder live and unplugged vor versammeltem Publikum zu erleben sein – und uns mit zwei zu diesem speziellen Setting passenden Eigenkompositionen – befremden, erfreuen – oder trösten? Wir wissen es nicht – wir können uns nur darauf einlassen! Derlei ist jedenfalls selten genug heutzutage…

Felix Vali SteinhauserEbenso rar und kostbar sind auch jene Momente, in welchen sich Potenzial plötzlich entfaltet – und wir staunenden Auges die im Erschaffen begriffene Welt betreten. So erging es uns erst unlängst, als wir beim gemeinsamen Vorlesen eigener Texte Felix Vali Steinhauser kennenlernten. Und zwar bei Writers On The Storm, einer überaus empfehlenswerten Veranstaltungsreihe des Salzburger Kunstkollektivs Bureau du Grand Mot für alle „Bühnenneulinge, heimliche SchreiberInnen und sich nicht ins RampenlichttrauerInnen“. Offenbar funktioniert diese Anstiftung zur Öffentlichkeit auch irgendwie auf wundersame Weise – denn schon zwei Monate nach unserem ersten Zusammen-Auftreten begrüßen wir ihn als poetischen Mitgestalter zur Lesung seiner Stimmungsbilder im Open-Air-Studio:

„Unbekannt erscheint mir meine Umwelt…“

-> Zur Aufzeichnung unserer Aktion für ein Deserteursdenkmal

 

Von den Besten lernen

-> Download: Artarium vom Sonntag, 8. Juni – Das Herzstück dieser Sendung bildet eine alte ORF-Aufnahme von Oskar Werner aus dem Jahr 1952, nämlich seine Lesung von Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, zu finden auf der schon seit geraumer Zeit unter verschiedenen Labels kursierenden Poetry-CD „Oskar werner spricht Rainer Maria Rilke“. Sind wir jetzt also vollends literarisch geworden – oder warum tun wir das? Nun, wir sind eben selbst „lyrische Menschen“ (so tragen wir etwa am 18. 6. bei der KulturKeule im Das Kino sowie am 22. 6. beim Fairkehrten Fest im Nonntal aus eigenen Texten vor) und gern auch für jedwederlei generationenübergreifende Begegnung mit Ausdruckskunst zu haben. Allerdings muss derlei auf Augenhöhe geschehen, nicht als ehrfürchtige Belehrung! Denn im Anfang war das Gedicht – und erst viel später wurde daraus ein Geschäft.

DOskar Werner spricht Rainer Maria Rilkeoch wir wären nicht wir, wenn wir es bei der bloßen Vorstellung eines durchaus denkwürdigen Werks, noch dazu in einer schlichtweg einzigartigen Interpretation, bewenden ließen 😉 Dieses Gustostückerl an zeitloser SpokenWord-Intensität ist nicht nur an und für sich inspirierend und stilbildend, es bietet auch noch ein paar spezielle Anregungen für die Weiterentwicklung unserer sozialkritischen Gedanken:

„Es ist eigenartig, dass sich ein Mensch, dessen Existenz von Terror bedroht ist, mit der ihn bedrohenden Instanz identifiziert, mit ihr verschmilzt, seine Identität einer vermeintlichen Rettung wegen aufgibt. Der Dichter Rainer Maria Rilke erfasste diese Tatsache intuitiv in seiner „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“.

Auf einem Feldzug gegen die Heiden wird dieser Cornet Rilke von Feinden umzingelt. Als Selbstschutz erlebt der Held des Gedichts die auf ihn einschlagenden blitzenden Säbel als einen lachenden, auf ihn niederrieselnden Wasserbrunnen. Um den Terror nicht zu registrieren, mit dem wir konfrontiert sind, und um die eigene seelische Einheit zu bewahren, werden wir blind. Anstatt den Realitäten ins Auge zu schauen, halluzinieren wir eine Einheit mit dem uns bedrohenden Anderen und verlieren so die eigene Identität und manchmal sogar das Leben.

Dieser Prozess verursacht und steuert Gewalt, psychische oder körperliche. Die Wurzeln dieses uralten Mechanismus liegen in frühester Kindheit, wenn die versorgenden Eltern versuchen, dem Kind ihren Willen aufzuzwingen. Diese Erfahrung von Gewalt bedroht jedes Kind mit dem Erlöschen seines eigenen, gerade erst im Entstehen begriffenen Selbst. Gerade solche Kinder, deren eigener Wille besonders gewalttätig unterdrückt wurde, entwickeln einen verhängnisvollen Gehorsam und eine pathologische Treue gegenüber der Gewalt. So kommt ein Kreislauf in Gang, in dem Gewalt zur Grundlage des Seins wird.“

Zitate aus: Arno Gruen – Der Kampf um die Demokratie

 

Become the Media

-> Download: Artarium vom Sonntag, 25. Mai – Unser Beitrag zur Civilmedia14, die heuer vom 29. bis 31. Mai im KunstQuartier in der Bergstraße stattfindet. Wenn es schon um Community-Medien und Zivilgesellschaft geht, dann darf ein Gruß an unsere englischsprachigen Kolleg_innen von der Wortfront wider den Untergeist keinesfalls fehlen! Wir präsentieren ein Spoken-Word-Highlight: „Hellburbia“, die 27-minütige Abrechnung mit der verlogenen Doppelmoral des amerikanischen Highschoolsystems, unwiederholbar hervorgerotzt von Ex-Dead-Kennedys-Sänger Jello Biafra in seiner nunmehrigen Paraderolle als Wortwetzmeister der Patridiotennation. Ausgehend von jener blödsinnigen Pseudoempörung, welche die selbstgeschnitzten Wertewächter immer dann zu überkommen scheint, wenn wieder ein jahrelang zur Verzweiflung gequälter Jugendlicher seine Schule abfackelt und/oder seine Lehrer erschießt…

Jello Biafra…stellt Biafra hier das gesamte Wertesystem einer Gesellschaft in Frage, die selbst tragischen Eruptionen von Gewalt und Zerstörung wie etwa dem Columbine High School Massaker mit keiner anderen Regung als den üblichen reflexhaften Schuldzuweisungen mehr zu begegnen weiß. Erinnern wir uns doch wieder an die ausführliche Darstellung dieser Begebenheit in Michael Moores sozialkritischem Film „Bowling for Columbine“ – und das berührende Interview mit Marilyn Manson, der als Einziger den vernünftigen Gedanken äußerte, dass den betroffenen Schüler_innenn womöglich einmal jemand ernsthaft zuhören sollte, anstatt dauernd auf sie einzureden, wer sie sein und wie sie sich verhalten müssten. In dem Interview kommt außerdem klar zum Ausdruck, wie (absichtlich!) einseitig die Berichterstattung auch in angeblich noch so unabhängigen Medien wird, sobald einflussreiche politische, religiöse und wirtschaftliche Interessensgruppen hinter den Kulissen ihre Macht entfalten. Wir erleben jetzt gerade Ähnliches, wenn es in Zeitungsartikeln und Rundfunkprogrammen um die Darstellung der aus Überlebensnot in unseren Städten bettelnden Menschen geht – oder um die populistische Stimmungsmache unter Beschwörung der stets behaupteten Bettelmafia. Was herrscht vor?

FREIE Medien – nie waren sie so wertvoll wie heute 😉

 

Ilija Trojanow – Der überflüssige Mensch

Artarium vom Sonntag, 27. April – Diese DOPPELSTUNDE wird als zwei eigenständige Sendungen veröffentlicht: -> Download: Buchvorstellung mit Leseproben und Studiogespräch -> Download: Autorenportrait mit Interviewauszügen von den Rauriser Literaturtagen 2014. Natürlich fein garniert mit thematisch passenden Musiktiteln und Audiocollagen, wollen wir sowohl der Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ wie auch der Person Ilija Trojanow atmosphärisch näherkommen. Unsere Projektpartner, allesamt Salzburger Studenten, stellen hierbei ihr gesammeltes Material (einer universitären Präsentation) zur Verfügung, unter anderem eineinhalb Stunden Gespräch mit dem Autor zu Themen wie „Dystopische Popkultur“ und „Revolution oder Genozid“. Gemeinsam gestalten wir nun daraus dieses Hörstück zum Mitleben…

der überflüssige menschNachdem wir bereits am 23. März in der Sendung „Überflüssig“ über einige Ideen zum „Trojanow Projekt“ gesprochen haben, wollen wir diesmal detaillierter den Inhalt dieses bemerkenswerten Buches darstellen – und darüber diskutieren, was sich aus den darin entwickelten Thesen für den Umgang mit Gesellschafts- und Weltordnungen ergeben kann. Zur Einstimmung und Vertiefung empfehle ich die Rezension „Würdelos im Spätkapitalismus“ (Deutschlandradio Kultur). Interessanterweise wird die Neuerscheinung des bekennenden Anarchisten sogar in der Politischen Akademie der ÖVP wohlwollend besprochen. Das mag als deutliches Zeichen für deren unleugbare inhaltliche Brisanz gelten:

Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es verstößt gleich mehrfach gegen das Grundgesetz. Erstens gegen Artikel 1, weil es kein menschenwürdiges Leben ermöglicht, und zweitens gegen die freie Berufswahl wie auch gegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil es Menschen zu Sklaven macht, indem es sie zur Annahme von Arbeit zwingt, die sie nicht ausüben wollen.“ Dieses Zitat von Götz Werner, Begründer der Drogeriekette dm, gestandener Kapitalist, aber auch Systemkritiker und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, stellt Trojanow dem Kapitel „Ein Sprungbrett nach unten“ voran.

ilja trojanowUnd schreibt dann selbst: Die Überflüssigen sind keineswegs überflüssig, lässt man den herrschenden Arbeitsbegriff unserer Zeit außer Acht. Sie pflegen einen gebrechlichen Vater, einen dementen Partner oder widmen sich als allein erziehende Mütter ihren Kindern. Sie helfen in der Nachbarschaft, sie engagieren sich, sie beschenken ihre Verwandten mit Selbstgestricktem (um nur einige beliebige Beispiele zu nennen). Wer seinem behinderten Sohn einen Filterkaffee zubereitet, ist eine Null, wer seinem Chef einen Espresso serviert, ist ein Assistent. Die nicht-kommerzielle Fürsorge wird missachtet, gerät ins soziale Abseits.“ (Aus Seite 36 des knapp 90-seitigen, sehr angenehm zu lesenden Werks)

Da hätten wir schon einmal ein paar kritische Gedankengänge beisammen, die jeder für sich lauthals nach revolutionärer Veränderung der Verhältnisse schreien. Oder anders gesagt: „So darf man mit Menschen nicht umgehen!“ Doch was können wir schon tun? Hier erweist sich die ebenso humanistische wie anarchistische Denktradition Trojanows als besonderer Glücksfall, indem sie mit vielen offenen Fragen umgehen und dabei doch sehr konkret werden kann. Meisterlich hat dies der Kollege von Radio Helsinki in einem Interview am 21. 3. 2013 eingefangen. Doch auch wir werden dichten Stoff liefern! 😀

Denn wir sind durchaus ein geiles Institut!

 

Ton Steine Scherben in Salzburg

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. April – Der etwas andere Konzertbericht aus dem Salzburgradio zum Selberdrehen oder auch Liebesgrüße aus dem Minenfeld ambivalenter Erwartungen. Wenn nämlich Ton Steine Scherben nach jahrzehntelanger Absenz plötzlich wieder auftauchen, und dann noch unter der griffigen Ankündigung „Das Original erstmals seit 1985 auf der Bühne“, dann kommen auch wir aus unseren Zeitlöchern gekrochen – und wollen liebgehabt werden. Doch – wer sind wir? Ein bunt zusammengewürfelter Haufen! Musikanten und Medienkünstler, Jungpunks und Alt-68er, Freiheitsfreaks jedweden Fachgebiets, längst ausgestorben geglaubte Bohème, Kinder, Eltern, Überlebenskünstler – und sogar ein Grateful-Dead-Professor. Genauso verschiedenartig wie dieses Publikum waren auch seine Bedürfnisse, weshalb wir ein „Stimmungsbild aus Spiegelscherben“ zubereiten.

Ton Steine Scherben 2014 im RockhouseZuallererst begegnete mir ein freundlicher Veteran mit schütterem Haupthaar, der stolz seine Erstausgabe des Albums „Warum geht es mir so dreckig“ herum reichte. Ein wenig Museum war da schon im Spiel und mir fiel dazu „lebendige Geschichte“ ein. Deren Stattfindung verkörperte bierselig ein Punk mit bunten Haaren, der allen Umstehenden erklärte, wie augenblicklich er wieder heimgehen würde, sollte seiner Vorstellung von revolutionärer Authentizität etwa nicht entsprochen werden. Ein schon seit Jahren dem Umfeld lauthalser Konzerte entflohen gewesener Kollege aus der Epoche des angewandten Hausbesetzens hatte sich extra wegen der Scherben reaktiviert und freute sich schon wie der Rumpelstilz aufs Heiserwerden vom Mitgröhlen der alten Anarchohymnen. Die leiseren – oder sagen wir – Zwischentöne hörte ich allerdings von einigen eher „untypischen“ Konzertbesuchern. So etwa ein Künstlerpaar, das seine hohen Erwartungen aufgrund des „berühmten Namens“ sorgfältig gegen mögliche Enttäuschungen abwog, die ein Scheitern des generationen-übergreifend angelegten Revival-Projekts mit sich bringen würde. Der verstorbene Rio Reiser sei als Frontman schlichtweg unersetzbar, daher gingen sie eher mit gemischten Gefühlen hinein…

Die jungen Stimmen von Ton Steine Scherben 2014So hätten wir diesen Artikel auch mit „Des Sängers Fluch“ überschreiben können – die gleichnamige Ballade von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814 wäre wohl als Metapher des Ansingens gegen kaltherzige Herrscher geeignet. Doch als Titel ließe solcherlei die Gesamtperformance von Ton Steine Scherben 2014 in einem allzu einseitigen Licht erscheinen – denn so sehr dieser Abend immer auch Besuch der alten Ikonen war, so sehr lebte die junge Generation dabei ihre ganz eigene Spielfreude aus. Herausragend Maxime Praeker am knackpräzisen Schlagzeug, auch Nicolo Rovera überraschte mit Leidenschaft und Stimmpräsenz. Leider ging dagegen der Gesang von Ella Josephine Ebsen im allzu lauten Saalsound fast unter und entzog sich so der weiteren Würdigung. Ein echtes „Project in Progress“ eben, an dem noch einiges zu gestalten ist. Allerdings ein gelungener Auftritt im Sinne von „Macht auf jeden Fall weiter, es macht uns neugierig…“ Und so unfertig, wie auch wir gern bleiben möchten, überlassen wir weitere Ausführungen den Publikumsstimmen, die in dieser Sendung zu hören sind – sowie unseren und euren Assoziationen, wenn wir dazu die etwas anderen musikalischen Scherbenzitate spielen. Unter anderem von Bretterbauer, die einen empfehlenswerten Scherbensound produzieren – oder von the who the what the yeah, die als Support von TSS in Wien ihr spätkapitalistisches Lebensgefühl entfalten konnten. Über alledem jedoch, liebe Gemeinde, vergessen wir eines niemals: Wir sind ein geiles Institut 😀 und Hallelujah!