Bigottesstaat

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. November – Vorspiegeln falscher Tatsachen im Hinblick auf “eine oberste Direktive” und dadurch immer mehr Macht ausbauen – fertig ist der Bigottesstaat. Den Mitmenschen etwas von Wohlstand und Sicherheit vorschwadronieren, während man in Wirklichkeit dem ökonomischen Diktat obliegt und sehenden Auges auf den Abgrund zusteuert. Hauptsache der Ping-Pong-Index des ungesunden Volksbefindens liefert laufend neue Daten für die Imagepflege. Mit Populist und Tücke nasführen die Geldscheinheiligen ihre Immernochmehrheiten in ein digitales Paradies, vor dem uns besser graust. Denn hinter den Versprechen und dem schönen Schein grinst uns die böse Absicht des Betrugs ins Hirn: Man will uns glauben machen, dass jeder Scheißdreck, wenn er nur verkauft wird, wertvoll sei …

Maskenpflicht im Bigottesstaat“An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen …” Und so schauen wir uns um im zweiten Coronajahr und sehen wenig Fruchtbares bei den “politisch Verantwortlichen”. Die haben wohl alle etwas anderes zu tun als das, wofür wir sie bezahlen. Sie singen uns zwar dauernd die Ohren voll, dass sie zu unserem Besten handeln”, erweisen sich in der Tat jedoch als jeder neuen Entwicklung planlos hinterherhampelnde Reagierung. Zudem entpuppt sich ihr Handeln in erschreckender Widerholung als unzureichend. Im Zustandekommen undurchschaubar, in der Kommunikation unklar und ungenau, im Großen und Ganzen unbefriedigend. Sollten wir uns lieber gleich einen Maulkorb aufsetzen? Vielleicht hilft das ja? Oder wir nehmen uns Brasilien zum Vorbild – die haben einen vollkommen irrlichternden Brandstifter als Präsidenten und trotzdem (oder sagen wir dem zufleiß) in Städten wie São Paulo eine Impfquote von über 90%.

Nicht, dass wir uns da jetzt falsch verstehen, auch hierzulande irrlichtern die “politisch Unverantwortlichen” mit ihren Wurmkuren und Heilsverbrechen durch die asozialen Medien. Facebook ist überhaupt das beste Beispiel für den Bigottesstaat neuen Typs: Vorspiegeln von Gemeinschaft während gefühllose Algorithmen eiskalt selektieren, Behauptung einer “obersten Direktive” (Gemeinschaftsstandards) während in den “Hidden Layers” die “Hidden Agenda” namens Unternehmensgewinn die alleinige Maßgabe bleibt. Et voilá – da ist sie jadie globale Machtstruktur ohne Kontrolle!

Warum nur muss ich plötzlich an Überbevölkerung und die Haltung der katholischen Kirche zur Geburtenkontrolle (Empfängnisverhütung) denken? Bigott – ja, wer hats erfunden?

 

Der Ast, auf dem wir sitzen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. NovemberGibt es noch Hoffnung? Oder haben wir den Ast, auf dem wir sitzen, inzwischen unumkehrbar abgesägt? Ist die menschliche Spezies zum Aussterben verurteilt? Oder können wir (als die gesamte Menschheit) die Folgen der von uns verursachten Umweltschäden noch rechtzeitig in den Griff bekommen? Kann das bei einer Weltbevölkerung von fast 8 Milliarden (und weiter steigend) überhaupt gelingen? Oder sind wir längst über den sprichwörtlichen “Point of no Return” hinaus geraten? Inhaltlich überaus passende Gedanken zum sogenannten “Totensonntag”, doch denken wir dabei einmal nicht nur an diejenigen, die bereits gestorben sind, sondern vor allem auch an die, die noch sterben werden, und an die nach ihrem Tod niemand mehr denken kann, weil es niemand mehr gibt.

Der Ast, auf dem wir sitzenEs war in den späten 70ern, als sich das No-Future-Lebensgefühl auch hierzulande auszubreiten begann und Bands wie Joy Division diesem existenziellen Vorauswissen unser aller Vergänglichkeit musikalischen Ausdruck verliehen – es begab sich also zu jener Zeit, dass im ZDF der Psychiater, Autor und Journalist Hoimar von Ditfurth den Zweiteiler “Der Ast, auf dem wir sitzen”, man muss geradezu sagen, vor die Säue warf. Denn nach wie vor sind “Meinungen”, die etwa den Klimawandel leugnen oder verharmlosen, im öffentlichen Bewusstsein oft prominent vertreten, und das nicht nur bei den üblichen Verschwörungsepileptikern. Die erwähnte Sendung stammt aus dem Jahr 1978 und präsentiert eine Reihe von Erkenntnissen und Überlegungen, die heute noch genauso gültig und bedeutsam sind wie damals vor über 40 Jahren. Sie sind zeitlos und genau deshalb verstörend. Und sie erweisen sich (von heute aus betrachtet) im besten Wortsinn als prophetisch.

So ist beispielsweise ihre Vorhersage der Erderwärmung durch Zunahme von CO2 in der Atmosphäre (2°-3° Celsius bis 2050) erstaunlich präzise. Oder legt derlei den Schluss nahe (wie vielerorts im Internet behauptet), dass die “Systemmedien” schon seit den 70ern eine “Klimahysterie” betreiben? Ist das dazugehörige Video auf dem Kanal “Klimaquatsch” ein Webfail des Betreibers oder eine listige Einflößung von Fakten in die “Diskussion” der Schwurbler? Wie dem auch immer sei, den Zorn der Zuspätgeborenen sah von Ditfurth damals jedenfalls schon voraus. How dare you?

Einzig die Überbevölkerung, die er damals als die allen Umweltproblemen zugrunde liegende Ursache heraus arbeitete, scheint seitdem ein Tabuthema geworden zu sein. Ich erinnere mich an das peinlich betretene Schweigen, das am 80. Geburtstag von Arik Brauer in einer ORF-Livesendung ausbrach, als der Jubilar auf die Frage nach dem seiner Meinung nach größten Problem der Menschheit zur Antwort gab: “Dass es immer mehr werden.” Deshalb widme ich diese Sendung auch meinem einstigen Biologielehrer Peter Reischütz, der schon in den 80ern über den Tellerrand dachte.

Gibt es noch Orte, wo wir hin können …

PS. Wo wir heute im Hinblick auf unser Aussterben oder Überleben stehen, könnt ihr euch leicht am Beispiel der weltweiten Wasserkrise (eine ARTE-Doku) ausrechnen. Da kommt richtig Stimmung auf!

 

Palila – Rock’n’Roll Sadness

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. November“Es gibt drei Arten von Musik, die das Rad nicht komplett neu erfindet: die total egale (die klare Mehrheit), die gestrige (Nostalgie!) und die zeitlose (selten). Es ist fürchterlich schwer, die letzten beiden auseinanderzuhalten. Vor allem wenn einen Musik berührt.” So bringt es der Kollege Jochen Schliemann hier über das Debütalbum von Palila zum Ausdruck. Und weiter: “Das hier ist nicht gestrig. Und egal sowieso nicht. Das hier ist JETZT.” Hier und jetzt erleben wir also das soeben bei Kapitän Platte erscheinende Album “Rock’n’Roll Sadness” des Hamburger Triumvirats Palila. Denn, wie wir zu sagen pflegen, der emotionale Nährwert jeglicher Darreichung lässt sich ausschließlich durch eigenes Hinspüren feststellen. Und alles andere wäre Betrug am Hören …

PalilaEine Formulierung aus obigem Artikel fand ich speziell erfrischend, gibt sie doch zugleich Antwort auf eine der letzten Fragen unserer Musikgeschichte: “Und wenn ein ganz alter Sack mich noch fragen würde: „Beatles oder Stones?“ – „Beatles. Es geht um Songs, nicht um Attitüde.“ So hab ich das noch nie einsortiertaber klar war mir das vom Hinspüren her eh schon immer. Und so lässt sich auch die unmittelbare Berührungskraft der Musik von Palila erklären, die dem erwähnten Herrn recht pathetische Worte entströmen lassen: “Bin ich jetzt hoffnungslos subjektiv (und/oder nostalgisch), weil Palila aus Hamburg auf ihrem Debütalbum einfach ihr Herz rausreißen und genauso hochhalten, dass es aussieht wie meines? Es ist jedenfalls wohltuend, auch wieder einmal so hoffnungsvoll subjektiv über Musik zu sprechen, wo uns doch ringsumher fast nur noch das inhaltsleere PR-Gephrasel der Marktalchemisten (die jeden Dreck zu Geld machen, angeblich) umdröhnt. Die aber sicher all unsere Sinne mit wohlfeilem Sondermüll zuscheißen – was sie dann “Kunst und Kultur” nennen.

Es mag durchaus verschiedene Stilrichtungen geben, genauso wie verschiedene Geschmacksvorlieben. Akustisch oder elektrisch, Synthesizer oder Gitarren oder alles zusammen. Klavierkonzert, Kammermusik, großes Orchester, klassisch oder elektronisch – oder eben Rockband. Und Genre- oder Untergenrezuschreibungen können da auch durchaus sinnvoll sein – zur groben Orientierung. Darauf dauernd herumzureiten jedoch hilft bei der Frage nach persönlicher Berührung generell nicht. “Indie-Rock” etwa wird dem, was Palila in uns auslösen können, keinesfalls gerecht.

Wer die Hörfahrung gern noch etwas roher möchte als im gegenständlichen Album, dem/der sei die Doppel-EP mit dem herausragenden Titel “Tomorrow I’ll come visit you and return your records” herzlich ans Ohr gelegt – und das heißt empfohlen!

Palila – NY Family Plans

 

Lass fahren dahin …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. Oktober“Lass fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn …” Diese Textzeile aus Martin Luthers berühmtem Lied Ein feste Burg fand ich schon in der Pubertät höchst erquieklich, zumal ich sie damals nicht ungern mit fahren gelassenem Darmwind assoziierte. Heute vor 500 Jahren allerdings saß dieser Martin Luther auf der Wartburg – und übersetzte die Bibel auf Deutsch. Das war, bei allen Verdauungsproblemen, die diesen Mann täglich plagten, revolutionär. Und es hätte der Anfang von etwas zutiefst Befreiendem sein können, wenn seine Übersetzung als ein erster Anstoß zum eigenverantwortlichen Interpretieren durch jeden einzelnen Menschen aufgefasst worden wäre. Stattdessen entstand wiederum eine “Volkskirche”, die schon bald in ihren, jetzt halt “reformierten” Ritualen ertrank.

Lass fahren dahinEin fester Schas sozusagen, denn für die Aufgaben, die das globale Leben uns seitdem stellt, ist eine zum Gehorsam gezüchtete, alles Vorgesagte brav nachplappernde Bevölkerung völlig unqualifiziert. Wir hätten 500 Jahre Zeit gehabt, eine andere Menschheit zu werden als diese niederduckmäuserische, konsumverwirrte, überwältigend vermarktbare, die wir inzwischen sind. Ich halte “die Reformation” deshalb auch für gescheitert – und hätte nur allzu gern zu ihrem Jubiläumsfest 2017 “die 95 Prothesen” zu Fuß nach Wittenberg getragen, um dies zu veranschaulichen. Doch viele der Miterfinder dieser zutiefst “protestantischen” Aktion hatten sich über die Jahre verlaufen und “die 95 Prothesen” wären mir allein viel zu schwer gewesen. Ein grandioses Scheitern für eine gescheiterte Reformation? Lass fahren dahin… Der Weg ist der Weg. Das Ziel kennen wir nicht. Es geht ums Übersetzen unserer jeweils eigenen Erfahrung mit dem Lebendigen, mit dem, was hinter allem steckt.

Es geht um “vertikale Resonanz”, wie sie der Leiter des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt, Prof. Hartmut Rosa, in seiner “Soziologie der Weltbeziehung” darstellt. Ein genialer Übersetzer des oft Unbemerkten (für das wir als Menschen nichtsdestoweniger so etwas wie einen Sinn haben) ins allgemein Anschauliche (und das sei hier als unsere Auffassung angemerkt) als eine Einladung zum selbst weiter Denken, Leben und Interpretieren, zum übersetzenden Darleben in immer wieder neuer, eigener Gestalt – um jegliche Erkenntnis stets weiter zu entwickeln.

Und jetzt ist es für mich unvermeidbar, auf einen gewissen Jesus hinzuweisen – und auf Michael Köhlmeier, der mit seinem Erzählalbum “Der Menschensohn” ein wirklich herausragendes Beispiel für ein rundum gelungenes und im obigen Sinn stets weiter wirkendes, also lebendiges, gelingendes Übersetzen vorgelegt hat. Wir hören die bekannte Episode mit der Ehebrecherin, die zwar gesteinigt werden soll, aber aufgrund von Jesus’ legendärem Ausspruch “Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…” gründlich befreit und begnadigt wird. Ich tauche auf.

 

Paternosterreich

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Oktober“Österreich ist frei!” Das soll er gesagt haben, der Leopold Figl. Und abends im Zwölf Apostelkeller, da soll er auch schon mal gekifft haben (hat Hans-Georg Behr erzählt). “Wir freuen uns alle …”, hat die Lehrerin in der Volksschule gesagt, und wir “durften” uns rotweißrote Fähnchen basteln für den nationalen Feiertag. Wir lernten “Heimat bist du großer Söhne” singen, die Dichterin der Hymne hat die Töchter natürlich damals schon “mitgemeint”. Der eine oder die andere hat durchaus versucht, hinter die verordnete Volksfreude und Glückseligkeit zu schauen im Land der vielen Vaterunser, diesem Paternosterreich. “Auffe, owe, auffe, owe …” Wer soll sich da noch auskennen? Besinnen wir uns aufs Wesentliche, nämlich aufs Essen. Bereiten wir uns einen festlichen Ohrenschmaus!

PaternosterreichEin mehrgängiges Menü mit Musik, dessen Zutaten immerhin einige der große Söhne und Töchter unserer schon sehr speziellen Weltgegend sind. Als Ohrspeise (amuse geule) ein Pasticcio aus Elfriede Jelinek “Oh du mein Österreich! Da bist du ja wieder!” und Ernst Molden sowie Der Nino aus Wien mit ihrer Würdigung an Wolfgang Ambros “Wie wird des weitergehn?” nebst der bekannten Gewürzmischung aus den üblichen Artarium-Signations, serviert mit etwas Lukas Resetarits.

Um vorab nicht zuviel zu verraten, denn es ist eine hohe Kunst, die jeweiligen Zutaten auszuwählen, ihrem Eigengeschmack entsprechend aufzubereiten, sie zu einander in Beziehung zu bringen und sie sodann in bekömmlicher Aufeinanderfolge auftreten zu lassen, um also vorab nicht allzuviel auszuplaudern, wollen wir hier nur die weiteren Ingredienzien und Spezereyen anführen, aus denen wir dies Festmahl zur Feier des Feierns zubereiten, und die in ihrer Gesamtheit den berühmten “roten Faden” durch das Thema der Sendung ergeben (oder halt auch mehrere) – hören sie genau Hirn:

So der jahrelang in vielen Gassen hansdampfende Musiker, Autor und Filmemacher Peter J. Gnad, dessen Frage “Wie lange noch?” unsere “Insel der Seligen” wieder in den globalen Kontext befördert, in dem sie sich schließlich – ungeachtet jeglicher Mehlspeisromantik – doch befindet. Oder der durchaus berühmte Schriftsteller und Mythenerzähler Michael Köhlmeier, der sein jüngst erschienenes Trumm von einem Roman höchstselbst als über 40-stündiges Hörbuch eingelesen hat, dessen Rolle als “Gewissen der Nation” ihm allerdings weit weniger Ruhm einbringt. Große Söhne…

Große Töchter! Sandra Kreisler, Dreifachstaatsbürgerin (Deutschland, Österreich, USA) und Tochter des großen Sohnes Georg Kreisler (ein Wiener, der seine von den Nazis aberkannte Staatsbürgerschaft nie wieder zurück bekam und, fast möchte man sagen zufleiß, in Salzburg starb). Sie ist engagierte Verfechterin jüdischen Lebens und jüdischer Kultur und stilsichere Interpretin der genialen Lieder ihres Vaters, die wir bekanntlich sehr schätzen. Als Sängerin von Wortfront gibt sie die “Klofrau vom Kanzleramt”. Im Paternosterreich gehts halt auch “auffe, owe, auffe, owe…”

Das obligatorisch Regionale wird bei uns heute verkörpert von Wilfried “Lauf Hase Lauf” sowie von Fritz Messner und den Querschlägern “Da tamische Franz”, denn auch (und vor allem) in der “Heimat” gibt es Gründe genug, seine “Füße in die Hand zu nehmen” und sich “an den äußersten Rand der Mehrheizgesellschaft zu verziehen”. Wir haben immer schon unser besonderes Augenmerk auf all das Verdrängte und Verleugnete rings um uns gerichtet, auf all das in Menschen- wie in Gefühlsgestalt Abgelehnte, Abgewertete, Ausgestoßene. DAS fehlt nämlich zum großen Ganzen.

Aber gehört sich das – ausgerechnet am verordneten Feiertag? Was sagt denn der Sepp Forcher dazu? Ach so – na ja – dann sind wir doch wieder beruhigt …

Und Mahlzeit!

 

Lernens Geschichte

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. OktoberVor 50 Jahren gewann die SPÖ die absolute Mehrheit (am 10. Oktober 1971) und regierte sodann 12 Jahre lang mit Bruno Kreisky “das Labyrinth, in dem sich jeder auskennt” (Helmut Qualtinger). Was seine Kanzlerschaft damals für die Stimmung im Land bewirkte, dem haben wir in einer Sendung zu seinem 100. Geburtstag nachgespürt. Heute wollen wir seinen legendären Ausspruch “Lernens Geschichte” zum Anlass nehmen, etwas über die Hintergründe der aktuellen politischen Situation in Österreich herauszufinden. Die freundliche Einladung, Geschichte zu lernen, verstehen wir nämlich als Anregung, uns selbst ein Bild zu machen, und nicht als Aufforderung, nichts anderes denken zu dürfen als ausschließlich das von den jeweiligen Weltanschauern Vorgefertigte.

Lernens Geschichte (Bruno Kreisky Portrait von Otto Muehl)Vor wenigen Tagen musste Sebastian Kurz wegen Korruptionsvorwürfen als Bundeskanzler zurücktreten. Da ging es um irgendwas mit Zeitungsinseraten, was uns die Herren Christoph & Lollo freundlicherweise in diesem Video hier verständlich aufbereitet haben. Dank an Robert Presslaber für die Inspiration! Mir war das aalglatte Buberl mit seinen Floskeln und Phrasen ja schon immer suspekt. Das wirkte alles so künstlich, hohl und einstudiert. Doch hinter dem “schönen Schein” blitzte auch immer wieder etwas zutiefst Böses auf, etwa seine Verachtung gegenüber Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind (“Wer sich die Miete nicht leisten kann, soll Eigentum erwerben”). Oida, gehts no? Und dann die geballte Geldvernichtung der gesamten Leuchtturm-Partie (“Durch die Zusammenlegung der Gesundheitskassen werden wir eine Milliarde einsparen”). Bisher hat die “großartige” Aktion allerdings nur Millionenverluste eingebracht. Rechenaufgabe: Wieviel depperte Werbung in wieviel depperten Medien braucht es, um ausreichend Menschenleute so deppert zu machen, dass eine (wie auch immer gefärbte) ÖVP den Bundeskanzler stellt? Oder – was können wir aus der Geschichte dieser “staatstragenden” Partei lernen?

Lernens Geschichte (Bruno Kreisky 1935)Die ÖVP ist jedenfalls nicht am 17. April 1945 von irgendeinem “Volk” jungfräulich unbefleckt empfangen worden oder sonstwie “von Gottes Gnaden” auf uns herab … Nein, sie wurde durchaus von Vertretern der einstigen Christlichsozialen Partei erschaffen, um deren konservative und katholische Weltanschauung auch nach dem 2. Weltkrieg weiter zu betreiben. Von Bruno Kreisky ist ja überliefert, dass er mit der ÖVP nie eine Koalition eingehen wollte, weil ihre geistigen Vorfahren ihn wegen Hochverrats verurteilt hatten. Sein “Verbrechen” war es, Funktionär der damals verbotenen “Revolutionären Sozialisten” zu sein. Bei seinem Prozess hielt er als 25-jähriger eine beachtliche Verteidigungsrede, die hier auszugsweise vorliegt. Die Geschichte der ersten Republik ist jedenfalls reich an totalitären Umtrieben und heimlichen Manövern, die man auch als Vorlage für heutiges Verhalten lesen kann.

Lernen wir aus der Vergangenheit – und bleiben wir dabei bloß nicht stehen …

Übrigens, Helene Maimann und Harald Sicheritz sind gerade dabei, das Leben des jungen Kreisky als Spielfilm umzusetzen – mit einem “österreichischen Budget”

 

MC Solaar

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Oktober – Der Mann, der Hip-Hop in Frankreich populär machte: Claude M’Barali wurde quasi unterwegs im Senegal geboren, von wo aus seine Eltern (die eigentlich aus dem Tschad stammten) bald schon nach Frankreich emigrierten. Dort wuchs er, als Kind von Einwanderern, naturgemäß in einem Pariser Vorort auf, woselbst er aber vielfältige Interessen (Vorsicht, Bildung!) verfolgte, speziell Literatur, Film oder Fernsehen, also jederlei Anwendung elaborierter Erzählkunst. Daraus entwickelte er bald eine sehr eigene musikalische Erzählform, inspiriert von der ihn umgenbenden Hip-Hop-Kultur, nur halt viel feinsinniger, vielschichtiger und hintergründiger als der sonst übliche Gangsta-Rap der Banlieue. Seit jener Zeit nennt er sich MC Solaar ….. et voilà!

MC SolaarWir spielen heute das für seine Stilvielfalt und Eleganz bekannte Album Mach 6 von 2003, einen ganz und gar ohrschmiegsam abgemischten Kunstschmaus, in dem sich anspruchsvolle Texte, wortakrobatische Darbietung, eigenständige (nämlich selbst entwickelte und nicht aus irgend einem fernanderen Kulturkontext zusammengeglaubte und schlicht nachgeahmte) Beats, sinn- und gefühlvolle Musikzitate sowie sozialkritische Aussagen zum sprichwörtlichen “Film im Kopf” verbinden, oh wie wohl ist mir nach so einem französischen Abendessen. Es hört sich einfach gut an, ist ein Film, eine Reise, ein Abenteuer, ein Eintauchen in die unendlichen Weiten. Das Paradoxon funktioniert, wenn sowohl das Vertraute wie das Unbekannte bekömmlich ausbalanciert sind. Und im Ausbalancieren ist der inzwischen ja auch schon über 50-jährige Musiker fürwahr ein Haubenkoch. Ihre Ohren werden nicht nur Augen machen – sie werden sich auch die Lippen lecken!

An dieser Stelle muss ich der globalen Fast-Food-Industrie noch einmal gründlich auf die Lanze brechen: Eure mit Millionenmarketing in den Massenmarkt gehypten “Hits” sind nichts als akustischer Sondermüll, der den kommenden Generationen auch noch den letzten Anflug gesunden Geschmacks verkleben wird. Gehts doch scheißen mitsamt eurem billigen Trottelpop, glitschigen Teflonrock und unsagbar unechten Poser-Rap. Die Behauptung einer Gebärde – eine Schändung der Musik.

Wer möchte, kann das natürlich noch wissenschaftlich vertiefen (RAP heißt Rhythm And Poetry), wer es lieber satirisch mag, kann auch Pjotrek Popolski beim Erfindung der gesamte Raps-Musik (mit die Hips und die Hops) beiwohnen.

Bon appétit

 

„Too Old to Rock’n’Roll …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. September … Too Young to Die! Dieser inzwischen geradezu Kult gewordene Satz begleitet mich nunmehr auch schon seit fast 50 Jahren. Immer hin ist das gleichnamige Konzeptalbum von Jethro Tull in jenen “seligen 70er Jahren” erschienen, als Zukunft noch nach Möglichkeit klang – und Bruno Kreisky anfing, Österreich zu “modernisieren”. Kennengelernt habe ich dieses epische Musikwerk dann auch in jenen “Zeiten des Aufbruchs”, als ich bei meiner Cousine Elke Mader in der legendären Porzellangasse meine sehr eigene Auffassung von “Rock’n’Roll” ausbrütete. Denn wiewohl sich Ian Anderson auf die Jugendkultur der 50er bezieht, so bleibt die Bedeutung des Begriffs “Rock’n’Roll” doch für jede/n und zu jeder Zeit etwas zutiefst persönlichesalso sehr eigenes.

Jethro Tull - Too Old to Rock'n'Roll, Too Young to Die!Egal, was uns die Marktstandler mit den gegelten Haaren im Fernsehen vorhupfen, die Leistungskasperln und Propagandaklone. Ja, natürlich wollen sie uns ihre Bedeutungen in unsere Wortwelt schwindeln, bis in unser Intimstes, unser Selbstbild, und sogar unsere Träume – damit wir genau so funktionieren, wie wir nach ihrem jeweiligen “Weltbild” auch funktionieren sollten… Doch war Rock’n’Roll nicht auch einmal rebellisches Aufbegehren gegen die Weltordnung der Altvorderen? Zumindest, bis das kommerzielle Internet ihn aufgefressen und als brave Handelsware wieder ausgespuckt hat, als zahnlosen Zombie seiner selbst? Dann doch lieber eine eigene “Weltanschauung”, selbst erlebt und erschaffen aus dem Chaosmos der unendlichen Möglichkeitsform – anstatt des herrschenden Mitmachzwangs der Funktionalisierer, dessen dummes “Schneller, Höher und vor allem Weiter so” offenbar zu unser aller Untergang führt. “Wieso, Mr. Anderson?” Das Unvermeidliche ist die eigene Endlichkeit. Und dann?

Too Old to Rock'n'Roll - Cover ArtworkDie in der Hochblüte des gern die Genres verschmelzenden Prog-Rock entstandene und ursprünglich als Bühnenstück oder Rock-Oper angelegte Erzählung handelt von einem alternden Rock’n’Roller und seiner Kultur, die scheinbar völlig “aus der Mode gekommen” ist, von Irrungen und Wirrungen mit Sex & Drugs, von einem Selbstmordversuch, den er naturgemäß überlebt – und von den glücklichen Fügungen, die ihm hernach ein erneu(er)tes Leben voller Lust und Freude ermöglichen. Das darob vielschichtige wie auch weitläufige Werk war als Schallplatte in einem buchähnlichen Cover mit sämtlichen Songtexten enthalten, zudem jedoch mit einem der Handlung folgenden Comic (siehe Bild) als Begleitlektüre versehen. Das war damals schon einzigartig.

Was uns zu einer weiteren, dereinst verbreiteten Erweiterung der Kopfdramaturgie führen kann: Das Mitlesen der Songtexte. Während ich mich noch wundere, was genau zu meinem Gesamteindruck beim Hören dieses von Meister Steven Wilson hervorragend neu abgemischten Albums beiträgt, zu diesem eigentümlichen Gefühl des einverstandenen Gelassenseins im Umgang mit der Vergänglichkeit an sich, währenddessen also lese ich diese poetischen Zeilen der Schlussnummer:

The disc brakes drag, the chequered flag sweeps across the oil-slick track.
The young man’s home; dry as a bone. His helmet off, he waves: the crowd waves back.
One lap victory roll. Gladiator soul.
The taker of the day in winning has to say
Isn’t it grand to be playing to the stand, dead or alive.

The sunlight streaks through the curtain cracks
Touches the old man where he sleeps.
The nurse brings up a cup of tea – two biscuits and the morning paper mystery.
The hard road’s end, the white God’s send is nearer everyday, in dying the old man says
Isn’t it grand to be playing to the stand, dead or alive.

The still-born child can’t feel the rain as the chequered flag falls once again.
The deaf composer completes his final score. He’ll never hear his sweet encore.
The chequered flag, the bull’s red rag
The lemming-hearted hordes running ever-faster to the shore singing,
Isn’t it grand to be playing to the stand, dead or alive.

Auf dieser Seite (unten) sind sämtliche Songtexte des Albums zu finden.

 

Erinnerung an Elke Mader

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. September – Nicht nur Martin Blumenau und Caspar Einem sind unlängst verstorben (was ohnehin schon Löcher in unserem Geistesleben hinterlässt) – nun ist auch Elke Mader von uns gegangen, die unsere Radioarbeiten immer wieder konkret inspiriert und gefördert hat. Sie war nicht nur Professorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, sondern darüber hinaus eine mit Hingabe neugierige, forschende, an Entwicklung interessierte und so den Wissenschaftsvermittlungsbetrieb stark belebende Frau – überhaupt die erste Frau, die sich in ihrem Fachbereich in Wien habilitiert hat. Ha! Nachzulesen im Nachruf des Instituts. Vor allem aber war Elke Mader mir als meine Cousine verbunden – und so soll die persönliche Erinnerung an sie hier aufleben.

Erinnerung an Elke MaderNicht nur Musik, die sie in ihren Vorlesungen verwendete, wie das legendäre No No Keshagesh von Buffy Sainte-Marie, sondern auch Musik, die sie mir in früheren Zeiten zugänglich machte, Frank Zappas Sofa No 2 und auch Peter Gabriels Walk Through The Fire soll dabei erklingen – oder überhaupt Musik, auf die wir uns geeinigt hätten, wie People Have The Power von Patti Smith. Nein – Kreatives Erzählen von all dem, was beim Verlust eines lieben Menschen als Wellen der Erinnerung ins Bewusstsein drängt – naturgemäß dramaturgisch strukturiert in 3 Themenbereichen – das wollen wir hier in aller Unfertigkeit darleben. Wie Leben an sich, auch über den Tod hinaus, ewig unfertig bleibt. Die einstweilige Verfügung unserer Zwischenbilanz. Eine Momentaufnahme der Entwicklung vom vom zum zum – und wieder zurück:

1) Die legendäre Porzellangasse. Ich hatte das große Vergnügen, in den seligen 70er Jahren öfters in jener Wohngemeinschaft zu Gast zu sein, in der Elke Mader und Richard Gippelhauser damals lebten und in der Geistesgrößen wie Christoph Ransmayr oder Konrad Paul Liessmann umgingen. Von wo man zu Vernissagen aufbrach, bei denen sich noch die Tische bogen und also Hunger und Durst gestillt werden konnten. Wo man noch Feste feierte, die man heute so gar nicht mehr

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

3) Freundin und Förderin. Betrachten wir die Beziehung von uns zwei Radiohasen zueinander wie auch zu unseren Sendungen und Projekten als eine eigene Kultur (wie “das etwas andere Kunnst-Biotop” ja auch gemeint ist) – dann war Elke in ihrem ersten Begegnen wie in ihrem weiteren Mitleben mit unserer eigenartigen Seinsform ganz und gar Kulturforscherin und hat sofort verstanden, was uns das Artarium und die Nachtfahrt bedeuten. Und immer, wenn diese für uns “höchsten Werte” gefährdet waren und es in ihrer Macht stand, hat sie uns freimütig geholfen. Dafür danken wir!

Zur Erinnerung: The Chequered Flag (Dead or Alive)

 

Lorde – Solar Power

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. September – Und kaum, dass er richtig begonnen hat, ist der Sommer schon wieder vorbei. Oder halt fast. Doch bevor wir wieder im Lichtmangel des Winterhalbjahres verschwinden, wollen wir noch einmal die Kraft der Sonne um uns spüren. Wärme und Wohlsein und unverstellt leben in nackter Natur. Die Zeiten sind im Fluss und wir leben als U-Boote. Der Widerstand geht weltweit ins Exilmitten ins Geschiebe und Getriebe der Zuvielisation. Und so ist noch nicht alles verdorben, was uns die Untenhaltungsindustrie beschert, auch wenn “Pop ist tot” eine ebenso wahre Aussage dazu darstellt. Die neuseeländische Sängerin Ella Marija Lani Yelich-O’Connor, besser bekannt als Lorde, unterläuft mit ihrer Musik das Massenblah des Weltmarkts – zugleich arbeitet und lebt sie in ihm.

Lorde - Solar Power Das soeben erst erschienene Album Solar Power zelebriert ein zutiefst  weibliches Wahrnehmen jedweden sonnentrunkenen Weltvergnügens, nicht ohne die ihm innewohnende Sexyness gehaltvoll zu ironisieren und dem ringsumher brandenden Meinungsvielflat die sprachreiche Stirn zu bieten. Inhalt mit Haltung sozusagen, ein Gesamtkunstwerk unterschwelliger Gegenströmung in den Gezeiten gezielt gemachten Geschmacks. Ein Detail davon das Coverfoto des Albums, das wir den global gackernden Sittenwachteln aus Bigottistan hiermit gern zum Fraß vorwerfen. Mögen sie doch bitte endlich daran ersticken! Viel interessanter ist doch die Frage, warum das aufmüpfige Mädchen aus dem Club der Dichtertöchter (eigentlich Dichterinnentöchter, zumal ihre Mutter eine Lyrikerin ist), also – warum Lorde schon mit 17 Jahren einen ersten Welthit namens “Royals” hervorbrachte, der zudem die etablierten Standards der Popindustrie über den Haufen warf. Auf der Suche nach Antwort (auf das ewige Warum) schlägt dieses Video nachgerade Schneisen ins Gebüsch: “A voice with substance among what Dave Grohl considers Stripper-Pop…” Echt sexy – among what we consider Künstlichkeit.

LordeTake me to some kinda place (anywhere)
Watch the sun set, look back on my life (take me to some kinda)
I just wanna know, will it be alright? (Take me to some kinda)
Take me to some kinda place (anywhere)

Die Natur als Reflektionsort, Sehnsuchtsquell, Rück(be)zugskraftplatz, als Insel der Ruhe inmitten der Stürme von Jetzt-Sofort und Überall-Gleichzeitig, als Er-Innerungs-Strömen und poetischer Gegenpol zum superschnellen, inhaltsleeren Abziehleben, das superdeep, superstylish und super authenthisch wirbt. Nicht viele Mainstream-Künstler thematisieren die Dichotomie von Pop-Super-Star-Jet-Set-Photo-Shoot-High-Life und dem genügsamen Leben mit Garten und Hund (die Ambivalenz von Öffentlichem und Privatem), doch Lorde verzeichnet mit wenigen, ehrlichen Worten wo sie steht, was sie liebt, vermisst und gerne hinter sich lässt; schreibt von Albträumen voll Kamerablitzen, von giftigen Pfeilen, kalten Händen im Genick oder gefallen Früchten auf denen getanzt wird. Mal sitzt sie bekifft im Nagelstudio, dann schwimmt sie im Ozean oder ist gefangen in der komplexen Scheidung der Jahreszeiten – sie nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch eine eigensinnliche Klang- und Textwelt voll Zikaden, goldenen Dämmerungen, Meeresmärchen, Sonnengeständnissen und einem ungetrübten Vertrauen in die Ströme des Lebens.

Cause all the times
they will change,
it’ll all come around