Artariumgeburtstag! 10 Jahre!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 19. MärzAm 11. März vor 10 Jahren ging Peter.W. mit der ersten Ausgabe einer Kunst- und Kultursendung namens Artarium Live On Air. Und sogleich rief ein verstörter Zuhörer an und brachte alle Beteiligten durcheinander, weil er sich zu der Stunde etwas anderes erwartet hatte. Und Peter entgegnete: “Ich kann nichts dafür, beim besten Willen nicht.” Sehr schön geantwortet! Genau 69 Jahre vorher (also auch an einem 11. März) hat ja schon mal einer dauernd angerufen und alle Beteiligten durcheinander gebracht, zwar nicht in der Radiofabrik, sondern in der Republik, und die Folgen waren auch viel gravierender, siehe Anschluss Österreichs. Wir werden uns in historischen Tonaufnahmen ergehen und so diesen Artariumgeburtstag gebührend würdigen. Lobende Worte spricht Angela Merkel

ArtariumgeburtstagArtarium, das etwas andere Kunnst-Biotop im Schatten der Mozartkugel. Wer hätte denn 2007, als ich zur Sendung stieß, gedacht, dass sich ein Satz von den Böhsen Onkelz aus unserer späteren Signation als so hartnäckig prophetisch erweisen würde: “Wir ham noch lange nicht, noch lange nicht genug!” Aber so ist es wohl nach wie vor. “Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie die Packungsbeilage und fragen sie ihren Arzt oder Apotheker.” Und auch wenn das Artarium inzwischen nicht mehr aus Peter, mir und den Buben besteht, sondern seit 2011 aus Chrissobert Schmallnigg, der Festspielpräsidentin sowie den Hasen (also der heiligen Dreifaltigkeit vom Chriss und mir), so gilt doch stets: “Wir sind ein geiles Institut.” Soviel erstmal. Und zum Artariumgeburtstag beleuchten wir gemeinsam mit Peter.W. die Geschichte dieser Sendung, um den roten Faden der Kreativität in ihr sichtbar zu machen. Von ihren Anfängen über die Nachtfahrt-Perlentaucher bis ins Hier und Jetzt. Freut euch also auf spontan-assoziative Beiträge aus dem Schöpfwerk unserer Selbst. Oder wie sagte schon Bernd Begemann anlässlich von Freddy Quinn: “Am besten, man imitiert schwule schwarze Künstler.”

PS. Verwirrt? Verstört? Verlesen? Kunnst dich auch gern orientieren in unserem Radiofabrik-Sendungsprofil (mit Photostream!) oder in diesem Hör-Kunnst-Biotop

 

DAS LYRISCHE WIR – TENEBRA

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. MärzVor genau 79 Jahren “döppelte der gottelbock mit hünig sprenkem stimmstummel pirsch!” nämlich “von Sa-Atz zu Sa-Atz” und “den weibern ward so pfingstig ums heil zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte” Soweit Ernst Jandl in dem genialen Gedicht wien : heldenplatz, worin er seine an jenem 12. März 1938 als 12-jähriger selbst gesammelten Eindrücke verarbeitet. Es war jener Tag, an welchem der später als Gröfaz bekannte schnauzbärtig deutschdeutsche Hupf- und Brüllkasper aus Braunau pathetisch die Einverleibung seiner “Heimat” vermeldete, während es dabei “im männechensee balzerig würmelte”. Soviel erst einmal zum historischen Bezug dieser Sendung, in der das hervorragende Album TENEBRA aus der Wort- und Klangwerkstatt der so vielseitigen ONchAIR Bros. vorgestellt wird.

tenebra“Mit dem Album starten wir in den Zyklus Das lyrische Wir: Gedichte aus verschiedenen Epochen, inhaltlich einem übergeordneten Thema entsprechend, interpretiert in Stimme und klassischer Musik”. So liest sich die Selbstbeschreibung des ambitionierten Projekts der beiden Styrnol-Brüder aus Lahr im/am Schwarzwald auf ihrer gut durchstrukturierten Homepage. Und es ist nur eines von vielen, neben Filmen wie “Der geflohene Boxer” oder “Winter in Lviv” (Ukraine) gibt es noch allerlei Glossen, Hörspiele und Radioserien wie zum Beispiel die legendären “Momente des Sports”, deretwegen unser länderübergreifendes Zusammenwirken ursprünglich begann. Deutschland ist eben nicht Österreich (oder umgekehrt), doch das kreative Myzel der wechselseitigen Inspiration unterwuchert naturgemäß jede gesetzte Grenze (zwischen Genres, Generationen oder Weltgegenden), so dass auch auf friedlichem Weg ein sprichwörtliches Best of Both Worlds entstehen möge! Vorläufiger Höhepunkt dieser Kunnst-Fertigkeit ist nun TENEBRA, wo nicht nur Texte von Matthias Claudius, Friedrich Nietzsche, Paul Celan und Marie Luise Kaschnitz zu ebenso zeitlosen wie zeitgemäßen Melodramen ver-be-arbeitet wurden, sondern auch “letzter wille” aus dem Gedichtband seelen.splitter von Christopher Schmall:

wir haben uns zu tode verwaltet
und alles brav protokolliert
sind uns am ende selbst im weg gestanden
und erklärten uns zum feind

Geschrieben für und gelesen in “Sarajevo, nicht nur 1914” (ab Min. 22:15 gut zu hören)

Und hier die Liste aller im Album TENEBRA dargestellten Texte (mit Entstehungsjahr):

01 Hiroshima – Marie Luise Kaschnitz 1957
02 Letzter Wille – Christopher Schmall 2014
03 Vereinsamt – Friedrich Nietsche 1887
04 Todesfuge – Paul Celan 1944-45
05 Kriegslied – Matthias Claudius 1778
06 Arabeske zu einer Handzeichnung von Michelangelo – J.P. Jacobsen 1873
07 Der Gefangene – Rainer Maria Rilke 1906
08 Das Lied der Verzweiflung – Pablo Neruda 1924
09 Im Klang der Nacht – Albert Vöhringer 2011
10 Traurigkeit – Hermann Hesse 1944

 

Mir ist der Falco Wurst

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. FebruarMehrdeutiges in der Kunstfigur oder Image essen Seele auf. Vom Pferdefuß der Popkultur sowie einer möglichen Vermeidung, sich selbst damit unsterblich tot zu treten. Bereits am Beispiel eines Sendungstitels lassen sich die Potenziale des Ungefähren aufzeigen. Ob einem etwas oder jemand wurst ist (und was genau bedeutet “is ma wuascht” im diesem Fall?) oder ob damit nicht doch Conchita gemeint sein könnte (immerhin eine weitere “Kunstfigur”), und wie sich eine Bedeutung nach der anderen ins Mehrdeutige eindeuten lässt – davon handelt unser Ausflug ins Unbewussteunter anderem. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Oder doch nicht? Der Markt der Möglichkeiten” ist womöglich ja ganz was anderes als “die totale Vermarktung” jeder künstlerischen Selbstaussage!

santa conchita wurstWir zwei Hasen bewahrheiten hier wieder einmal einen Untertitel der Sendereihe, indem wir Brücken schlagen “zwischen Genres und Generationen”. Während meine Kleinigkeit den Hans Hölzel noch persönlich angetroffen hat im Wien der 1980er, kam unser dichtender Junghase just im Jahr von Falcos legendärem Donauinselkonzert auf die Welt (die nicht wenigen bloß die Bretter bedeutet, in denen sie dann vor sich hin bohren). Woraus sich schlussfolgern lässt, dass an einem von uns das Gesamtwerk der Kunstperson Falco quasi “vorbeigegangen” ist, ohne gröberen Eindruck zu verursachen. Was wohl auch an der kommerzversessenen Musik von damals liegt, die selbst ich für inzwischen nur noch schwer vermittelbar halte. Anders hingegen beim textlichen Nachlass vom Herrn Falcohölzel, den etwa Rudi Dolezals neurecycelte Dokumentation “Falco der Poet” formschön aufbereitet. Das ringelreihernde Leichenfleddern und Posthumverramschen wurde “anlässlich seines 60. Geburtstags” wie gewohnt bis zum Überdruss auf allen Kanälen gepflogen, was uns unweigerlich zur Entdeckung des Monats führt: Tom Neuwirth, der Mann hinter (oder auch in) Conchita Wurst, kündigte unlängst in einem Interview an, er werde die von ihm erschaffene (und gelebte) Kunstfigur “umbringen”. Das ist doch eine Idee

Ich bin es
und ich bin es nicht
geblendet vom grellen
Scheinwerferlicht
seh ich mich selber nicht

 

Ginsberg und Gainsbourg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Februar – Warum diese beiden Personen? Wegen der Namensähnlichkeit? Weil Allen Ginsberg und Serge Gainsbourg beide in den 1920er Jahren zur Welt kamen und in den 1990ern starben? Weil sie in ihrem Werk jeweils Grenzen überschritten, Tabus brachen und somit Skandale auslösten? Ach, wie leicht ging das noch in den 50ern und 60ern, nur mit etwas Geheul und Gestöhn brachte man ganze Gerichtssäle zum Zähneknirschen. Doch geht es uns wirklich bloß darum, dass der eine homosexuelle Ausdrücke in die amerikanische Dichtung brachte, der andere das Kindfrau-Musentum und sogar Inzest in die französische Popmusik? Wer uns ein wenig kennt, weiß: Die bloße Empörung ist unsere Story nicht. Denn wir sind nicht von Auflagen abhängig – und können somit unter der Oberfläche stöbern.

Allen Ginsberg HowlDer Künstler schöpft in seiner Phantasie immer auch aus all dem, was er ringsum an der Realität der Gesellschaft aufs gröbste vermisst. Daraus entwirft er Anstöße, wie sich etwa Brücken bauen ließen über die Schlucht der Verzweiflung an Anspruch und Wirklichkeit, oder über den Abgrund zwischen Idee und Gestalt hinweg zum Ganzen. Uns interessiert, wie sich die Arbeit dieser Avantgardisten, Pioniere wie Propheten, im Lauf der Zeit weiter entwickelt hat, im Spiegel anderer Interpret_innen – oder auch in uns selbst. Was vermittelt uns die vortreffliche Verfilmung von Howl – Das Geheul (ausführlicher Trailer auf Deutsch) nebst dem bizarren Gerichtsspektakel rund um dessen angebliche “Obszönität” heute, wo der Wutbürgermeister im Weißen Haus angekommen ist und von dort die Verbreitung des schlechten Geschmacks als sein Programm propagiert? Was wäre Ginsberg dazu eingefallen? Oder Gainsbourg? Von einer heftigen posthumen Rotation dieser beiden ist jedenfalls auszugehen. (Sie drehen sich sozusagen gröber im Grab um). Patti Smith hingegen nicht, genausowenig wie Asia Argento, Brian Molko, The Young Gods oder auch ….. “Verdammt, wir leben noch!”

 

Bettie Serveert – Venus in Furs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Februar“Bettie Serveert plays Venus in Furs and other Velvet Underground Songs” heißt der tatsächliche und auch unsäglich lange Titel des ganzen Albums, welches wir vorzustellen die durchaus erhebliche Freude haben. Denn auf unserer Suche nach besonderen, gelungenen oder sonstwie aus dem Standardsumpf kommerziösen Nachklapperns herausragenden Coverversionen haben wir ja schon jede Menge Scheißdreck nicht angehört (oder halt nur fast). Dabei fällt auch auf, dass die sonst so hyperaktiv hechelnde Zuplärre der üblichen Industrie-Promotoren sich genau dort lauthals ausschweigt, wo unserwelchen außerohrentliche Variationen der interpretativen Genussküche entgegenschwelgen. Soll heißen, dass kaum irgendwo verhandelt wird, was nicht auf die Seichtbahn des Schachterlns passt.

Bettie Serveert ArtworkSo auch im Fall der längst arrivierten und dabei überaus schaffensfrohen Indie-Band Bettie Serveert aus den Niederlanden. Anbei Aufnahmen aus ihrem Video Had2Byou – produziert von Tinca Veerman und Hannelore De Decker. Zum gegenständlichen Cover-Album mit den 1997 live im Paradiso aufgenommenen zehn Velvet-Underground-Songs findet sich kaum ein etwas Substanzielles aussagender Artikel. – Halt, doch, dieser hier auf INK19 sagt sogar etwas höchst Interessantes zum Thema Coverversionen im allgemeinen aus: “…at least I know what it is about these Dutch and Belgian bands I like.Despite a willingness to stick to traditional guitar/bass/drum forms, the bands seem to have a unique melodic character that sets them apart from British and American counterparts, using these tried-and-true formulas as a basis for experimentation, rather than simply parroting what’s cruising up the charts.”Parroting bringts aber sowas von auf den Punkt! Ich übersetze es daher mit “nachpapageien” und es versinnbildlicht mir augenblicks, was ich speziell auch im österreichischen “G’schäft” oft so unsäglich vermisse. Just neulich fiel mir da wieder einmal entsetzlich entgegen, was für schlechte Schauspielchargen die hiesigen Provinzpoptrotteln doch sind. Dann schon lieber was Wesentliches: Bettie Serveert – gut zu hören.

 

Befremdliche Begegnungen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. JanuarBefremdliche Begegnungen, mit bizarren Bildwelten, seltsamen Szenarien, schrägen Sounds, manchmal auch mit verwirrenden Wirklichkeiten. Wir nehmen euch mit ins Grenzgebiet jenseits des Normalen, wo sich das Unübliche ereignet – und genau deshalb noch Inspiration zu finden ist. Willkommen in der Waschtrommel des Bewusstseins oder eben unter! Garantiert Unangepasstes gibts diesmal zu erleben, ausgehend von Virginia Woolfs experimentellem Roman The Waves (Die Wellen), welcher zu ihren Lebzeiten als ebenso überspannt wie unbefriedigend verteufelt wurde. Wohlgemerkt von überaus angepasst lebenden Kritikern, die vielleicht einmal während ihrer Pubertät einen Anflug psychischer Exzentrik verspürt hatten, vor dem sie sich forthin fürchteten.

Befremdliche BildlizenzDoch keine Angst (vor wem oder was auch immer), wir stellen hier, quasi auf der Suche nach dem neuen Wirklichkeitsbegriff, ein paar gelungene Arbeiten aus dem Zaubergarten des Collagenhaften zur gefälligen freien Verfügung. Von einem Grafikmarkt im Mozarteum über Conor Oberst (Bright Eyes), Brian Eno (mit André Heller) oder den üblichen Verdächtigen Amon Düül (Psychedelic Underground 1969) bis hin zu den frühen Warhol-Darlings The Velvet Underground und ihrem seltsamen Song über das einst verbotene Buch von Leopold von Sacher-Masoch. Da möchte man einigen hierzulandenen Rotz’N’Roll-Möchtegerns gleich fröhlich erregt zurufen: “Lass stecken, Wanda – ich heiß gar nicht Severin!” Es war mir ein Bedürfnis. Bleibt die Frage, was dann überhaupt als “normal” angesehen werden kann? Dazu der Psychologe: “Die bloße Vorstellung von so etwas wie einem normalen Menschen ist schon das erste Symptom des Psychopathischen.” Befremdliche Begegnungen, wohin das Auge riecht oder das Ohr schmeckt. Wenn Rot schwerer ist als Frosch, geht es noch tiefer als Österreich.

Hierbei sei auf die legendäre Weihnachtssendung des Jahres 2010 mit dem Titel Weine Frohnachten verwiesen – und aus dem dazu passenden Artikel zitiert: “Wenn uns das Lachen erst im nimmersatten Hals zwischen Bank-Barock und Medien-Mumps stecken geblieben sein wird, haben wir zum Zerzweifeln unser selbst immer noch Zeit. Zeigen wir lieber dem Zeitgespenst des Zweckdienlichen die Zunge! Scheißen wir seinen Schreckbetrügern einen vollen Schüssel unkontrollierbaren Schmarrn zwischen die Zahnräder! Alles schläft, einsam lacht: die Parodie der beherrschenden Verhältnisse. Charakter kommt eben von Karikatur.”

 

Große Wellen ?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. JanuarGroße Dinge entstehen ja oft im Kleinen – und ziehen deswegen erst recht weite Kreise. Ein Radiostammtisch, ein Film – und eine Verabschiedung. Das Gleichnis vom Wert der ganz persönlichen Revolution. Wos redt der? Eben. Allein schon der Titel jener Schweizer Kommödie, die wir uns diesmal beim winterlichen Radiotentreff einflößen, bietet genug Anlass zu interpretativen Spekulationen: Les Grandes Ondes (à l’ouest) wurde auf Englisch etwa mit “Longwave” übersetzt, auf Deutsch schon mal mit “Große Wellen”. Was könnte damit also gemeint sein? Das Funksignal eines Senders, die Gedankenübertragung einer Gemeinschaft – oder die Wellen, die ein großes Ereignis sprichwörtlich schlägt? Vielsagend wie sein Titel ist der Film selbst – und nicht ganz leicht zu bekommen.

große wellen innenAnfang der 70er Jahre wird das Reporterteam eines öffentlich-rechtlichen Schweizer Senders nach Portugal abkommandiert, um “patriotische” Reportagen über eidgenössische Entwicklungshilfe zu produzieren. Und zwar, weil so ein Politiker plötzlich zu wissen glaubt, was das Publikum dieses Senders “hören will”. Nämlich mehr Volksmusik – und erwähnt “Patriotisches”. Abgesehen von dieser Karikatur eines Populisten (oder des frühen Formatradiogedankens, den wir uns ja zum Glück auch erspart haben), begegnen uns aber sämtliche Charaktere, die wir aus dem eigenen Radio nur allzugut kennen: eine engagierte Feministin, ein leicht schrulliger Techniker, ein heimlich dementer Starreporter und – last but not least – ein frischg’fangter Praktikant, der dringend zum Übersetzen benötigt wird…

große wellen außenZugleich verabschieden wir uns (schön langsam und in Etappen) von unserer Programmkoordinatorin Eva Schmidhuber, die demnächst im Rahmen ihrer Bildungskarenz nach Bischkek in Kirgistan reist, um dort angehenden Lehrer_innen die deutsche Sprache beizubringen – und wohl noch andere Abenteuer in der entlegenen Bergwelt rund um den Yssyköl zu bestehen. Wie bereits Reinhold Messner bemerkte: “Ich gehe in die Berge, um zu ÜberLeben.” Wir wünschen ihr demnach ein gutes Gelingen ihrer sprach- und kulturvermittelnden Lehrtätigkeit, darüber hinaus alles Glückselige – sowie sonnige Schitouren! Uns wünschen wir ihre wohlbehaltene Rückkehr in alter Frische und mit vielen neuen Ideen, hat sie uns doch stets fein unterstützt und bestens beratenauch nicht nur beim Übersetzen

wie etwa des genialen Sprechstücks Crisi di mercato von Giacomo Sferlazzo

 

Sebastian Hackel Tageszeitenkurier

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Januar – Es begann damit, dass der Chriss unlängst bei einer Freundin ein Lied von Sebastian Hackel entdeckte, das tatsächlich mit den Worten “Und ich hab Hasen gesehn” anfängt. Es war “Warum sie lacht”, von dem zwei schöne Videoversionen unterwegs sind, nämlich eine offizielle mit Band sowie ein herbstfarbener Acoustic-Clip (bitte auswählen oder einfach nur genießen). Nachdem wir den melancholisch lebensbejahenden Song schon im letzten Artarium gespielt haben, waren wir uns sehr schnell einig, das ganze Album Tageszeitenkurier unserem (mehr oder weniger) breiten Publikum nahebringen zu wollen. Handelt es sich doch bei Sebastian Hackel um einen Künstler “der sich das Erwachsenwerden verboten hat” und “der am liebsten dann seine Lieder schreibt, wenn es dunkel ist.” – Mögen wir!

TageszeitenkurierZudem sind die Miniaturen, die der Songwriter hier erstmals mit seiner Band arrangiert, von solch still leuchtender Qualität, dass sich auch der Flowerpornoes-Altbarde Tom Liwa davon beeindruckt zeigt. Und unter anderem über ihn sagt: “In einem Genre der waidwunden Selbstdarsteller schafft er es, tief emotional und zugleich frei von Selbstmitleid zu dichten – zu wundervoll einfachen Melodien und Gitarrenbegleitungen.” Darüber hinaus haben die Stücke allesamt etwas zutiefst Paradoxes (einen gewissen Witz) an sich, weil sie zunächst nicht zusammen zu passen scheinende Elemente miteinander in Verbindung bringen. Man spürt augenblicklich die unendliche Kraft ruhiger Betrachtung, einfacher Worte – oder des Barfußgehens. Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann gewaltiger sein als alle Militärmacht des Monsters Mensch. Ein Witz? Oder ein Zauberspruch. Wir sind es gewohnt, das Vorgegebene zu glauben. Das Wagnis schöpferischer Phantasie ist durchaus nichts Unvernünftiges. Oder wie es der Tageszeitenkurier selbst ausdrückt: “Das kindliche Wesen ist gefährdet – und zu sehr Zukunft, als dass es in vager Erinnerung verloren gehen darf.” – Mögen wir sehr!

 

Knotzen und rumspielen

> Sendung: Artarium am Sonntag, 8. Januar – Wir gehen das neue Jahr genauso gemütlich an wie zwei irgendwelche Buben, die am letzten Tag der Weihnachtsferien gemeinsam herum knotzen und mit all ihren Neuentdeckungen vor sich hin spielen. Wie ließe sich dieser Tag auch besser verbringen als mit seinem besten Freund, dem man schon längst alles erzählen will, was einem über die Feiertage widerfahren ist? Und so packen wir eins nach dem anderen aus und zeigen einander, was uns in der Zwischenzeit mit uns allein belebt und bewegt hat, ganz in der Art einer klassischen Weihnachtsgeschenkevorführung, nach dem Motto: “Schau amoi, wos i do hob”. Naturgemäß zelebrieren wir dieses Beinondasein in vertrauter Stimmung vor allem mit jenen Fundstückerln, die sich zur hörbaren Zubereitung im Radioraum eignen.

Ganz abgesehen davon, dass der schöne Begriff Knotzen in unseren Breiten dem breiteren Publikum nur in einer viel schmäleren Bedeutung geläufig sein dürfte, als sich etwa im Wienerischen aus ihm herausholen ließe. So wollen wir durchaus auch dem Volkstum mal wieder auf seine Gedankensprünge helfen – und im Zuge des uns selbst verliehenen Bildungsauftrags einige zusätzliche Assoziationen anbieten. Knotzen ist eben ein wunderbares Wort für alle nur möglichen Gelegenheiten, Jahreszeiten.und sonstigen Zustände. Zur Einstimmung im Einzelnen: Schleim knotzt oft hartnäckig in den Atemwegen, wie sich auch Suchtstoffe im Leben von Menschen festsetzen können. Man kann sich in die Heidelbeeren knotzen, wenn einem das Fanatentum ringsumher zuviel wird. Oder auf eine Bank in der Höllensauna, wenn einen der Teufel nicht mehr hinaus lässt. Reinhold Messner zum Beispiel knotzt vorzugsweise in den Bergen herum, Hasen inzwischen sogar auch in der Stadt – und die Sonne sowieso am Himmel. Weshalb sich allerdings die fidelen Landräuber stets genau dort festfressen, wo die schönsten Schätze im Boden knotzen, dazu hören wir am besten Buffy Sainte-Marie – und/oder machen uns selbst einen Reim drauf

 

Farewell Leonard

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. DezemberKein Nachruf auf Leonard Cohen, der im November dieses Jahres von uns gegangen ist, wer weiß, wohin. Und der uns noch kurz vor seinem Abschied mit “You Want It Darker” ein großes, geistreiches und wie immer auch geheimnisvolles Alterswerk überlassen hat. Wir begeben uns auf die Suche nach Spuren, die den zumeist viel zu einseitig als Dichter des Düsteren aufgefassten Sänger und Schriftsteller deutlicher erscheinen lassen, speziell in den Arbeiten anderer Zeitgenossen. Der Umweg ist ja oft der direktere Zugang. Wie rezensierte etwa die New York Times Cohens erstes Album: Auf einer Skala der Entfremdung rangiere er “irgendwo zwischen Bob Dylan und Schopenhauer, zwei weiteren prominenten Poeten des Pessimismus.” Soviel zu normalen Menschen…

Farewell LeonardAls ich dieses Album mit 15 zum ersten Mal hörte, da war es genau jenes fühlbare Fremdsein in der vorgeblich viereckigen Welt, die uns von all den Realitätern der Öffnungszeit von 8 bis 18 Uhr vorbetoniert war, das mich aus dem Nichtverstandensein heraus riss – und mir die Gemeinschaft anderer sympathischer Sonderlinge als neue Möglichkeitsform eröffnete. Ein warmes, ein versöhnliches, ein endlich heimkommendes Gefühl jenseits der Vernormtrottelung.

Vor zwei Jahren hatten wir bereits einen der vielen Reisegefährten zu Gast, in dessen Lebenswerk sich die Spuren von Leonard Cohens Lyrik seit Jahrzehnten wiederfinden: Misha Schoeneberg, der in einer Perlentaucher-Spezialausgabe über die Arbeit an den Texten für das Tribute-Album “Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache” sowie dessen Entstehen erzählt: “Anfang der 90er ist die Idee entstanden. Damals kam grade The Future” heraus, die Poesie eines bösen, dunklen, wütenden und empörten alten Mannes. Das ist ein Meisterwerk für mich! So etwas ins Deutsche zu übertragen ist sicher einmal etwas Missionarisches, dass man möchte, dass er verstanden wird. Aber auch etwas Literarisches, weil ja alle Klassiker in alle Sprachen übersetzt worden sind, und das heißt: Cohen-Gedichte müssen auch ins Deutsche übersetzt werden.”

Für das Leonard-Cohen-Portrait von 2008 danken wir Rama@Wikimedia Commons