SoundDiary – A Book In My Hand

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Januar – Das komplette brandneue Album der Wiener Band SoundDiary – eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Abenteuerfahrt durch die Glücksgefühle und Gefährdungen des postmodernen Nomadentums auf der Suche nach der Seinsinsel zwischen Sinn und Zusammenhang. Meine Reaktion aufs erste Durchhören dieses akustischen Bewusstseins-Roadmovies erfand sich in folgenden Worten: „Ich kenne zur Zeit keine österreichische Band – Blank Manuskript einmal ausgenommen – die den nötigen Scheißdrauf hat, ein derart authentisches Progressive-Rock-Konzeptalbum herauszubringen, dem man zwar immer anhört, dass es 2014 produziert wurde, von dem man aber meinen möchte, seine Kompositionen stammten aus der Blütezeit von Genesis & Co.“ Allein das schon eine Empfehlung 😉

A Book In My HandDoch es verbirgt sich noch weit mehr hinter der gefälligen Oberfläche eines stimmigen Musikalbums, das auch durch gelungenes Crowd-Funding produziert und im Eigenverlag fairöffentlicht werden konnte:

Philosophische Fragestellungen zum Beispiel – und Reflexionen über das Verhältnis des Individuums zur Welt – in Gestalt einzelner Mitmenschen, gesellschaftlicher Gegebenheiten oder verinnerlichter Moralgebote, die Songtexte sprechen da für sich.

Where You Lead MeIch in Beziehung UND unabhängig – dieser rote Faden ist das Konzept des Albums und zugleich wohl auch programmatisch für die Interessen der Bandmitglieder. Nicht nur, was kommunikative Publikumsberührung in Verbindung mit größtmöglicher künstlerischer Freiheit anbelangt, sondern gewiss auch in persönlich erlebten Versuchen, neue Formen zu entwickeln fürs Zusammensein der Gegensätze – mit einander, in der Welt – und – zwischen sich selbst! Aufbrüche ins Ungewisse…

Obiedient To IIndifferenceEndlich wieder einmal, textlich wie musikalisch, ein Gesamtkunstwerk, dem man die emotionale Echtheit und das individuelle Engagement seiner Schöpfer_innen (!) abnehmen kann, möcht man lauthals aufjubeln. In Zeiten wie diesen, wo fast jede Neuerscheinung allzu affensichtlich aufs Arschloch des Marktes schielt, um sich sogleich in irgendeiner Pose zu verfieberzapferln zwecks ihres besseren Verkaufs. So erbrechenbar wie Fastfood, Fernsehen und jede andere Mainstream-Prostitution. 😛 Hallelujah! Oder so. Jedenfalls wissen wir jetzt wieder, warum wir ein Konzeptalbum wie dieses lieben. Weil es uns auf eine handwerklich gut zubereitete Zauberreise mitnimmt – durch die wechselvollen Zustände und Zwischenwelten unseres Daseins. Weil wir uns in ihm wiederspiegeln, in unserem Kampf um die eigene Sinnstiftung, inmitten von Größenwahn, Niedertracht und Volksverhumpfung. Eben weil es etwas zu sagen hat – und das auch tut. Eine Message (jawohl), die Fragen und Antworten im Zwiegespräch mit sich selber belässt – und die einen so auch zum Selbstdenken der eigenen Welt anregt. Was ließe sich über ein Kunstwerk wohl Schöneres sagen? Lehnen wir uns also zurück in unsere Leben und genießen wir diese Erfahrung: „What counts and what matters can neither be said nor written, composed, performed or played.“

 > Hinweis: Einen Vorgeschmack auf dieses Kunnstwerk (nebst allerlei musikalischen Assoziationen) gibt es in unserer illustren Nachtfahrt-Sendung „Winterschlaftraum“ 😉

 

Schluss mit Schluss!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. DezemberWir sind noch da 😀 und das bleiben wir auch im kommenden Jahr! Also, keine Widerrede – wer nicht hören will, muss eh nicht. Doch wer da kann – soll auch wollen dürfen! Und umgekehrt. Oder möchte jemand das Gegenteil von sich selbst behaupten? Na also. Wir können jedenfalls nichts dafür – wir sind halt einmal so. Schwierig genug in Gezeiten wie diesen, wo allenthalben uns der Dosenmüll umblubbert – und die Häppchenkultur uns zunehmend Abmerksamkeit verlangt. Zwing Zwang Zweck und funktionieren, Zeit ersparen, einsortieren, nichts verstehen, alles glauben, Damenmoden, Daumenschrauben! Um mir immerhin einen Reim auf diese Gegangenheitsverbewaltigung gemacht zu haben. Selbst natürlich, selbstverständlich. Und ihr seid unser Welpenkorb. In Nämlichkeit,

AUFS OHRAmen. Denn wir haben nicht nur (wie immer) noch lange nicht genug – wir hauen euch gerne auch aufs Ohr – und uns dabei nach Möglichkeit weg. Humor ist, wenn man trotz all dem Wahnsinn in der Welt nach Kräften lacht. Ernst ist sowieso fürn August und bis dahin noch eine lange Weile! Die feine Klinge aus Wort und Witz verstehen wir wohl zu unserem Selbstschutz zu gebrauchen, jedoch manch groben Klötzen verlangt es allzusehr nach einem ebensolchen Prügel. Denen darf dann schon mal der Hammer unseres Zorns die Unwucht ihrer Existenz aufzeigen. Wir nehmen wahr, wir drücken aus – wiewohl, nicht ohne zu verdichten. Wir leben immer Eigenes dar in unseren Themen und Geschichten. Und seien wir einmal ganz ehrlich, wo in all dem Medienvielflat gibt es heute noch Originäres, Unorthodoxes, Verqueres und Widerborstiges? Staat dessen macht uns, Code sei Dank, Kommerz an Herz und Seele krank. Aber wir machen nicht mit bei den Gelalldudlern monoklon klingelnden Österreichts. Retzt erst lechz! Die Freien Medien sind für die freien Meinungen da – und nicht fürs imitatorische Nachwappeln von andernorts quotengeil längst bis zum Anspeiben ausgelutschten Einheitsdrecks. Formate Fadessadenverbehübschung…

Mit ohne uns! Wir sind ein geiles Institut 😛

 

Herbergsuche

> Sendung: Artarium vom vierten Adventsonntag, 21. DezemberAsylsuchende und Zivildiener – eine vorweihnachtliche Betrachtung von Gefühlen, Lebenssituationen, Sprachproblemen – und zugleich unser dritter Beitrag zur Grundtvig-Lernpartnerschaft „Memory under Construction: Giving Voice to Forgotten Memories“. Für diese zwei Jahre lang andauernde Kooperation von 12 europäischen Community-Radios haben wir bereits im September die dreistündige Perlentaucher-Nachtfahrt „Auf der Flucht“ sowie die einstündige Zusammenschau zum „Langen Tag der Flucht“ produziert. Ging es dabei thematisch um die alltägliche „Binnenflucht“ von mitten unter uns lebenden Menschen, die aus verschiedensten Gründen in dieser Gesellschaft keine Heimat finden, so wenden wir uns diesmal jenen zu, die auf ihrer Flucht aus anderen Ländern bei uns in Österreich gestrandet sind und hier – oft verzweifelt – Schutz zu finden hoffen…

HerbergsucheZudem auch den weitgehend zwangsverpflichteten jungen Männern, die ihnen als Zivildiener begegnen – in Beratungsstellen und Betreuungseinrichtungen: Gerade die stehen nämlich den Flüchtlingen oft zwischenmenschlich am nächsten – weil sie ebenfalls (in den allermeisten Fällen) nicht freiwillig da sind! Geteiltes Schicksal verbindet: „Die Verletzten sollen die Ärzte sein“ Die eigene emotionale Erfahrung des Fremd- und Ausgeliefertseins kann das Einfühlungsvermögen für Menschen in vergleichbaren Lebenslagen durchaus befördern 😉 Doch leben wir leider (noch) nicht in einer inklusiven Gesellschaft, und so erleben sich viele Zivildienstleistende im Zusammentreffen mit asylwerbenden Klient_innen recht zwiespältig als „hilflose Helfer“. Zwischen der Ohnmacht eines „kleinen Rädchens im Getriebe“ der undurchschaubaren Bürokratie – und der Möglichkeit, ein menschlicher Bezugspunkt und Rettungsanker sein zu können – für einen wichtigen Augenblick. Im Studiogespräch spiegeln sich Geschichten von Geflüchteten in den Gedanken und Gefühlen eines ehemaligen und eines zukünftigen Zivildieners. Und im Interview erzählt Emanuel Hinterbauer von seiner etwas anderen Arbeit beim Verein Ute Bock.

Dieses echt unbockbare Flüchtlingsprojekt verdient jedenfalls unsere Unterstützung!

 

Krampuslauf Disintegration

> Sendung: Artarium vom dritten Adventsonntag, 14. Dezember – Zwei Stunden Sendung zwischen Teufelszauber und dem überlangen Album von The Cure. Eine Spurensuche durch die verhangenen Welten dieser irgendwie magischen Jahreszeit. Schon längst einmal wollten wir Disintegration (inklusive aller Bonustracks) ungekürzt spielen, doch bei dessen Gesamtlänge von fast eineinviertel Stunden können wir das nur im Rahmen einer genauso überlangen Sonderausgabe bewerkstelligen. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, womit wir die übrigen 45 Minuten zubringen möchten. Es sollte ja immerhin zur Stimmung und zum Thema passen, schaurig und schön zugleich, sich rituell geheimnisvoll offenbarend, Kunnst einfach! Da schau her, wir sind in Bildern fündig geworden – und haben den Hersteller dieser Arbeiten ins Studio eingeladen:

S.Koidl2014_ScreamStefan Koidl aus Hallein ist aber nicht nur ein aufregender Zeichner (hier ein Album) mit dem Ziel, sich dem Fotorealismus technisch so weit es geht anzunähern – er ist auch ein inzwischen ziemlich erfolgreicher Krampusmaskenschnitzer (einige davon sind hier zu sehen). Passt doch perfekt zur Jahreszeit! 😈 Zudem führt er seine eigenen Kreationen neuerdings sogar selbst auf – in der von ihm mitbegründeten Krampuspass Schergen des Kronos. Da wollen wir doch einmal hinter der Maskierung nachschauen – und ergründen, was das wohl für ein Mensch ist, der mit solch einer schon an Besessenheit grenzenden Leidenschaft derart düstere Themen bearbeitet. Vor allem interessiert uns, aus welchen Inspirationsquellen sich seine Motive speisen, und was für kreative Prozesse da im Hintergrund ablaufen, während so ein Bild seinen Weg vom Kopf aufs Papier findet (oder so eine Maske eben in die fertige Gestalt). Wie hat das angefangen, wie fühlt sich das an – und wo will es hin? Wir ergehen uns in höllischen Phantasien und nachtkalten Krampusläufen, während wir im warmen Radiostudio gemütlich beisammen sitzen. Dazu gibts die gewohnt geeignete Musik…

DisintegrationAnschließend an unser Gespräch, wie angedroht und versprochen, das ganze Album Disintegration von The Cure in vollster Länge und ohne jedweden Hineinquatsch. Warum just dieses doch 72-minütige Ohrwerk im tiefsten Mittwinter lauthals zu Gehör gebracht wird? Weil es ein Innehalten ist inmitten schleunigen Lärms, ein Inzwischen aus leisen Tönen und dröhnendem Bombast. Weil ihm aufregende Stille ebenso innewohnt wie beruhigender Wahn, weil rauschhaftes Einvernehmen hier so grenzgenial in angepasstes Widerstreiten übergeht, dass Revolution nur noch innerlich stattfinden kann – aber stattfinden muss! Weil es genau die Medizin ist, die wir in den längsten Nächten des Jahres brauchen, eine psychedelische Filmkulisse zum Sterben und Erwachen – mit unserem Selbst als erlebendem Darsteller und handelndem Zuschauer in ein und derselben Person: Ich bin viele – und wir sind eins. Alles klar?„The Cure waren zu dem Zeitpunkt, als Disintegration entstand, keine verzweifelte Depri-Band, genausowenig, wie sie das heute sind. Disintegration ist happy-sad, vielschichtig, manchmal hymnisch und manchmal düster, the best album ever und will in meinen Augen irgendwie nicht mit der ganzen Cure-Klischee-Anhäufung zusammenpassen.“ (Cure-Fan-Replik auf obiges Review)

 

Das Ende ist nah

> Sendung: Artarium vom ersten Adventsonntag, 30. November – Zum nunmehr endgültigen Ende des Kirchenjahres und zur unvermeidlichen Wiedereröffnung des Salzburger Christkindlmarkts tragen auch wir entsprechend Stimmungsvolles bei. Ein weihräucherner Lichterkranz aus bizarren Satiren und böhsen Liedern umschwebt unsere persönlichen Eindrücke vom Glühweinen und Turmbalzen. Ohzipft is! Ehre sei Gott – und die Preise in die Höhe! Und Fernsehen auf Erden und der Geschäftswelt ein Zumwohlbefinden! Der Abwändskalender ist eröffnet und als Hauptgewinn wartet die gelungene Weihnachtsverweigerung. Totaler gehts nicht – zu diesem Zweck haben wir ein paar unanständige Volks- und Andachtslieder des genial grantigen Wiener Urgesteins Richard Weihs mitgebracht. Was? Es wird scho glei dumpfer 😀

Märkte und Mächte„Ich arbeite an der Idee, dass eine faire Verteilung der vorhandenen Ressourcen für alle möglich sein muss, wenn auch in einer Zukunft jenseits dieses konsumistischen Vermarktungszwangs jeglichen wie auch immer definierten Eigentums. Und so soll auch mein geistiges in diesem Sinn als eine Art Vorleistung darauf bezahlfrei bleiben. Auf eine bessere Welt! Pirat statt privat“ 😉 Nach dieser Adventlesung aus dem Evangelium des Antikapitalismus kommen wir nun zum Ende unserer feierlichen Einstimmung – mit den wahren Worten des Propheten: „Eine Wirklichkeit, in der es selbstverständlich ist, die Zuschauer inmitten wesentlicher Erkenntnisse eines Films mit Fernsehwerbung hirnzuficken, wird von mir bestimmt nicht anerkannt. Sie existiert auch überhaupt nicht! Außer als eine verbrecherische Übereinkunft zum Zweck der Beherrschung des Menschen durch die Behauptung.“ Na dann ist es ja gut 😛 The Matrix has you. Unser Schiff ist ein Radiostudio und unsere Waffen sind unsere Worte. Knoch, knock, Neo! Wer die blaue Pille nimmt, wird diese Sendung nie gehört haben. Bedenke, alles was wir dir anbieten, ist die Wahrheit. Deine eigene – entgegen all dem, was du glauben sollst. Wir wünschen besinnliche Einkehr

 

Für immer jung!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 23. November – Das Jahr der Jubiläen hat zugeschlagen – und wir schlagen unerbittlich zurück. Gesundheit! In Würde älter werden heißt eben auch, Freude am Bock zu haben. Oder inmitten all des Verfalls jung zu bleiben an Geist und Seele. Wir zelebrieren daher ein Lebensfest der Künnste, der nie enden wollenden Möglichkeitsformen, der Einheit von Zweiheit und Freiheit in Ewigkeit, Amen 😀 Wenigstens jedoch die fröhliche Versöhnung mit dem Einstweiligen, das wir solange gestaltend bepflanzen, bis es unserem Zutun und Sein endlich entschwimmt. Wie bitte? Danke! Denn die bloße Vorstellung von verfügbarer Unendlichkeit in jedem noch so endlichen Augenblick unseres Schaffens und Erlebens – das hat schon etwas dermaßen Beruhigendes an sich, dass ich mich gleich ganz entspannt zurücklehne. Aber zuerst…

TraumbildBetween the desire
And the spasm
Between the potency
And the existence
Between the essence
And the descent
Falls the Shadow

Life is very long

T. S. Eliot – The Hollow Men

Es gibt allerdings eine spezielle Qualität des Jungseins, die es einem in jedem Alter und in jeder Lebenslage möglich macht, aus den unendlichen Ressourcen der eigenen Innenwelt zu schöpfen. Eine „Weltanschauung“ hat sowieso jede(r) von uns – die Frage ist nur, ob sie auch aus eigener Anschauung, also aus eigenen Empfindungen und aus selbstgemachten Überlegungen erwachsen ist – oder einfach aus vorhandenen Vorschriften zusammengeklaubt, also aus unbekannter Quelle als angeblich eigene Einstellung übernommen wurde. Wie belebend sind junge Männer, die im Einklang mit ihren Emotionen spontan zärtlich sein können und nicht darauf schielen, ob jemand ihr Verhalten als falsch oder richtig bewertet! Wie alt sehen dagegen jene aus, die als junge schon verkrampft versuchen, einer (wessen?) Vorstellung von sich zu entsprechen…

 

Dub Side of the Moon

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. NovemberDem abgründigen Humor der wundersamen Easy Star All-Stars sei es getrommelt und gepfiffen, dass wir diesmal ein ganzes Album aus dem Jamaikanischen Geräuschegarten rund um den Roots-Reggae und seine diversen ekletifizierten Absprösslinge (wie Dub, Dubstep, Trip Hop etc.) spielen. Oder auch dem Umstand, dass Pink Floyds jüngstes Werk The Endless River in deren Musikschaffen zwar jetzt den Schlusspunkt, keinesfalls jedoch den Höhepunkt darstellt. Somit greifen wir zurück auf ein ungemein kreatives und inspirierendes Tribute-Album, welches 2003 zum 30-jährigen Erscheinungs-Jubiläum von Pink Floyds Meilenstein The Dark Side of the Moon vom erwähnten Dub-Reggea-Kollektiv des All Star Labels eingespielt wurde – das schön schamlose Rework namens Dub Side of the Moon 😉

ja wir wollen lustig sein

Das Cover eines weiteren Easy Star Reworks: „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“

„If you’ve ever, via hallucinogens, expanded your mind to Dark Side Of The Moon, all you need to do is change your drug of choice and Dub Side… might easily sound like the best thing you’ve heard, if you inhale deeply enough. Even without a spliff, it still sounds pretty fine as a bunch of rastas take a voluptuous dubbed-up trip around the Floyd’s psychedelic masterpiece. Highlights include Ranking Joe’s toast on „Money“ and Kirsty Rock’s bonged-out yodelling on „The Great Gig In The Sky“. It fits so perfectly you wonder why it took 30 years for someone to think of it.“ >UNCUT

Es mag mit allerhand immergleich wiederkehrenden und quasireligiösen Ritualen einer verschworenen Subkultur zusammenhängen, dass das erweiterte Reggaetum bei uns eher selten zu hören ist. Oder auch mit einem allzu bierernsten, muss hier heißen weihrauchschwangeren Selbstverständnis, das mehr nach Glaubensgemeinschaft als nach Freiheitsbewegung schmeckt. Oder wie war das mit „Emancipate yourself from mental slavery…“ ursprünglich gemeint? Unser Zugang zu allen Kunstformen ist immer der kreative, der des selbstbestimmten Gestaltens und nicht der des Normnachhupfens. Deshalb lassen wir uns auch gern vom fröhlichen Plünderertum der Easy Star All-Stars anstecken, liebgewordene Hörgewohnheiten wieder einmal völlig neu zu interpretieren. Und empfehlen zur weiteren Neugierde dieses Interview zu ihrer Arbeit auf pop-break.

 

Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. NovemberZum 100. Todestag von Georg Trakl suchen wir heuer ein letztes Mal die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs auf. Denn wir verstehen jenen verzweifelten Freitod des Salzburger Extremlyrikers am 3. November 1914 durchaus als eine direkte Auswirkung der schrecklichen Ereignisse, die er im September selbigen Jahres als hilfloser Helfer inmitten von todwund zerfetzten Soldaten erlebte, erlitt – und schließlich auch nicht mehr ertrug. Ob dieser dünnhäutige, dauerdepressive und schon seit früher Jugend schwer drogensüchtige Mensch allerdings von vorn herein zum Scheitern an sich selbst und unter allen Umständen zum Untergang verurteilt war – diese Frage muss offen bleiben. Dass seine düstere Dichtung einen aber auch zur Wahrnehmung unterdrückter Emotionen verführen – und im besten Fall zu deren sprachlichem Ausdruck befähigen kann – das darf als gesichert gelten

TraklgedenkenTrakls Wortwelt entzieht sich weitestgehend eindeutiger Interpretation und klarer Zuordnung, wohl auch weil seine Person dabei stets eine geheimnisvolle geblieben ist. Die Symbole und Stimmungen in seinem Werk erschließen sich immer nur individuell, subjektiv. Das jedoch heftig, wie es wohl auch die Zustände waren, in denen sie entstanden sind. Manche(n) mag dies befremden oder gar verstören – die eigene Vorstellungskraft wird dabei jedenfalls zwingend in Gang gesetzt. Und so entfaltet sich eine ganz ähnliche Wirkung wie in der surrealen Malerei, der psychedelischen Musik oder beim Verzehr von bewusstseinsverändernden …… Das überlassen wir aber jetzt eurer Phantasie! 😀

Geduckte Hütten, Pfade wirr verstreut,
In Gärten Durcheinander und Bewegung,
Bisweilen schwillt Geheul aus dumpfer Regung,
In einer Kinderschar fliegt rot ein Kleid.

Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor.
In Körben tragen Frauen Eingeweide,
Ein ekelhafter Zug voll Schmutz und Räude,
Kommen sie aus der Dämmerung hervor.

Vorstadt im FöhnAn einigen Plätzen in der Stadt Salzburg sind Gedichte von Georg Trakl in der Gestalt von Steintafeln angebracht, so wie das hier zitierte „Vorstadt im Föhn“ neben dem Fernheizwerk bei der Lehener Brücke, wo sich einstmals der städtische Schlachthof befand. Doch weshalb würdigt man ausgerechnet in dieser Hochburg angepassten Funktionierens einen Dichter, dem jedwede fröhlich geschwätzige Normalität zutiefst zuwider war? Sind seine prophetischen Gesichte vor die Säue geworfene Perlen, der Allgemeinheit halt in die Sicht geschraubt, damit selbst der Umweg kunstsinniger Genießer und Individualtouristen noch rentabel ist? Bizarr…

Trakls im Spiegel seiner Seele bis zur eigenen Vernichtung verkörperten Vorhaltungen an eine ihn abweisende Spießgesellschaft sind hier prominent platziert nachzuvollziehen. Dass dieses von der eigenen Bedeutung bis zum Anschlag besoffene Wichtigtum, das menschlich nicht mehr imstande war, auch nur einen einzigen Außenseiter aufzunehmen, kurz darauf halb Europa mit Krieg überzog und in Schutt und Asche legte, das sollte uns gerade heute wieder zu denken geben! Das Unaussprechbare, das Trakl allerdings verklausuliert aufschrieb, bedarf nämlich einer Antwort an den Lebenden, soll es ihn nicht auf Dauer kränken, isolieren – und schließlich umbringen. Ob Dichtung in der Depression zum Ausweg wird – oder zum Untergang – das liegt schon am Du.

> Erfrischend Unblödes zu Trakls Biographie in diesem SPIEGEL Artikel von 1957 😉

> Lyrik für alle von Lutz Görner (sehr empfehlenswert!) – Georg Trakl (Video)

 

Aufmarsch der Zipfelmänner

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Oktober – Zum heurigen Nationalmusiktag mit Programmschwerpunkt Szenenwechsel – Lokale Sounds aus den Freien Radios wollen wir nicht hintanhalten, den gesamtaustriakischen Alpenpop in einem satirischen Aufwasch zu erwürdigen. Denn nichts scheint uns an diesem volkstumsschwangeren Nationalfahnenfest zur Beibehaltung der geistigen Individualgesundheit so wertvoll zu sein wie eine ordentliche Portion Blasphemie in der Blasmusik. In diesem Sinne also: Willkommen bei unserer herzerfrischenden Herabwürdigung von allesamt fraglichen Heimatsymbolen. Kommet zu Hauf – und nehmet ganz unerschrocken Marschmusik, Mundartgesang oder Volksschauspiel je nach Lust und Laune auseinander, bis dass es euch freut! Oder – um es gleich auch als passendes Motto für die freie Radioarbeit zu verwursten: WIR sind das Volk – und wir spielen UNSERE Musik 😀 Aufmarsch!

lyapis trubetskoy feat. noize mc - bolt (video)Jössasmarandjosef, die Welt geht unter und das Bundesheer löst sich auch zunehmend auf. Nicht einmal flächendeckenden Schraubenschutz kann unsere Luftraumüberwachung garantieren, wenn die Trümmer aus schrottreifen Eurofightern regnen. Und was wird aus der Militärmusik?

lyapis trubetskoy feat. noize mc - bolt (video)Sollen sich die „Jungschwanz“ (so werden sie intern ja wirklich genannt) etwa pudelnackert zur Angelobung aufstellen, weil es an Uniformen fehlt? Vorm neuen Vereidigungsminister, der so heißt, weil hier ein Buchstabe eingespart werden kann. Erst das T und dann auch noch das Tätärätä?

lyapis trubetskoy feat. noize mc - bolt (video)Gemach, gemach – noch gibt es immerhin Fahne, Vogel und Staat. Und beim Auftreten von plötzlichen unerwünschten Nebelwirkungen fragen sie ihren Arzt oder Apotheker, also uns 😛 Wir begleiten euch gern durch den Wust der Zeit ans Ziel – einstweilig selbst sein, hier und jetzt

gleich zur Entspannung anschaun: Lyapis Trubetskoy feat. Noize MC – Bolt (Vimeo)

 

Thomas Bernhard hätte…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Oktober…geschossen! 😀 So lautet jedenfalls der Titel des vorletzten Solo-Programms für mehrere Persönlichkeiten von Georg Schramm. Der aus eher niveauvolleren TV-Sendungen wie Scheibenwischer (mit Dieter Hildebrandt) und Neues aus der Anstalt bekannte Erregungskünstler ist auch einer der letzten noch lebenden Vertreter der inzwischen beinah ausgestorbenen Gattung des politischen Kabarettisten. Mit seiner eigenen Agenda jenseits von Publikumsdynamik und Humorbedienerei stritt er für eine gerechte Gesellschaft und wider den verordneten Stumpfsinn, speziell gegen den der fortwährend für blöd verkauften Wählerschaft. Dass man in einem solch absurden Theater schon mal auf die Idee kommt, das (Wahl)Volk zu erschießen, führt uns zurück zum Titelgeber der Sendung – zu Thomas Bernhard 😉

Oberstleutnant Sanftleben„Schramm schlüpft während seines Auftrittes in immer wieder andere Rollen, wechselt diese von einer Sekunde auf die andere und hält sogar alleine auf der Bühne Dialoge zwischen den einzelnen Charakteren. Jede dieser Figuren ist ein gut beobachtetes Bild von Teilen unserer Gesellschaft. Ob es nun der revolutionäre Rentner Lothar Dombrowski ist, den Schramm rigoros die Wahrheit gegen unser System aussprechen lässt und der so eine Art extremeres und cholerischeres Alter Ego zum Kabarettisten selbst bildet, oder der abgehackt sprechende Oberstleutnant Sanftleben, der die Maske des Militärs enttarnt, Schramm beherrscht sie meisterlich.

Was nützt aber all diese Genialität im Angesicht des hergebrachten Kabarettpublikums? Lehrer, Ärzte, sogar ein Politiker waren da. Alle gut situiert und jenseits jeglicher Kritik. Sie wollen das System nicht hinterfragen. Sie wollen anscheinend nicht nachdenken. Sie gehen dorthin, weil es Kultur ist, weil man seine letzten Vorräte an Gold mal wieder ausführen kann. Sie wollen den letzten Rest ihres Alt-68er-Gewissens, das irgendwo zwischen Kommerz, Konsum und Profit noch in ihnen ruft, besänftigen, damit sie sich zuhause noch ein schönes Gläschen Wein in ihrem Einfamilienhaus gönnen und dann alles, was Schramm gesagt hat schnell vergessen.

Thomas BernhardIn der Pause habe ich ein paar Leute belauscht. Wir waren hoch motiviert, haben uns nach Schreiben, nach Austausch über mögliche Ansätze zur Weltverbesserung gefühlt (Hochgefühl und Inspiration pur). Und um uns herum standen nur Menschen, die über seine Outfits, seinen nachgemachten Dialekt oder seine Kalauer gesprochen haben. Wörtliches Zitat: “Also dieser Rentner, den er da spielt, der ist ist mir immer etwas zu krass.”

Und Schramm sieht sein Publikum, ist vorher schon darüber verzweifelt, hört wie es bei Kalauern lacht, wie es sich bei billigen Witzen wegschmeißt, mit denen er eigentlich die Dummheit der Leute zeigen wollte. Und was macht er? Nach dem Applaus, kurz bevor alle saturiert nach Hause gehen wollen und ihr Restgewissen zum Schweigen gebracht haben, lässt er einen Text von Thomas Bernhard einspielen (von Dieter Hildebrandt gelesen): „Ein eigenwilliger Autor“

Nun ist auch klar auf wen Thomas Bernhard geschossen hätte. Nicht nur auf die blöden Avatare da oben an der Macht, sondern auch auf uns, weil wir uns berieseln lassen und ständig in Kämpfen untereinander Gesagtes wieder- und wiederkäuen. Schramm ist radikal, Schramm sagt die Wahrheit! Auch, wenn ihr sie nicht hören wollt. Er ist nicht zynisch, die Realität ist zynisch. In seinem Humor fasst er unser ganzes krankes Gefüge zusammen.“

> Thomas Bernhard hätte geschossen – Georg Schramm hätte schießen sollen