Verdutzend

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. März – Die wortkreative Entsprechung zu Salzteigprothese muss einfach Vollkornschraubenschlüssel sein. Verdutzend? Den Ein- und Ausgeweihten wird schnell bewusst, worum es hier geht: Vor inzwischen zwölf Jahren (in Worten 12) erschuf der nimmermüde Querkünstler Peter.W. die Sendereihe Artarium und somit ist das Dutzend voll. Uns verdutzen seitdem die schöpferischen Spätfolgen dieser Unternehmung aufs vortrefflichste – und immer wieder aufs neue! Zur Würdigung dieses Umstands, liebe Schlagerfreunde, wollen wir diesmal einem ebenso umtriebigen Wortschwurbler und Zusammenhangstifter unser Gehör leihen, nämlich Rainald Grebe, dieser Allroundrampensau zwischen Wahnsinn und Erfolg. Und wir wollen ihm dabei sogar sein abgeschlossenes Studium verzeihen. Kunnst!

Im Verdutzend billigerVolksbildnerischer Exkurs: Verdutzend als titelspendende Wortvermischung aus Dutzend und verdutzt vereint zwei etymologisch nicht verwandte Begriffe zu einer bisher dergestalt noch nicht dagewesenen Bedeutungsebene. Durch die absichtliche Legierung der beiden Wortelemente entsteht ein Kunstsinngehalt, der wiederum zu selbsteigenem Sprachspiel weiter entwickelt werden kann. Womit wir bei den philosophischen Grundfragen angelangt wären: Was ist ein Künstler? Warum gibt es kein bedingungsfreies Grundeinkommen? Und wann gibts endlich Mittagessen? Diese höchst ernsten Probleme der Zivilisation (und der mit ihr verbundenen Müdigkeit) werden wir hier in gewohnt ironischer Weise verhandeln, indem wir die Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit entstellen. Damit sie uns nicht allzusehr verwirrt, die Verwirrklichkeit. Ein Kunstuniversum ist eben keine Hochschulvorlesung übers Reimeschmieden.

Höchst hörenswert ist jedenfalls die bei Freirad in Innsbruck produzierte Sendereihe Ethnoskop – Kultur für die Ohren, die zudem an jedem zweiten Sonntag im Monat um 18 Uhr (also gleich nach dem Artarium) auf den Frequenzen der Radiofabrik gut zu hören ist. Wir freuen uns immer wieder über deren thematische und gestalterische Vielschichtigkeit – und eben auch darüber, dass der von uns so geschätzte Rainald Grebe dortselbst des öfteren zu (meist gesungenem) Wort kommt. Ein vielfaches Hoch also auf die gepflegte Collage aus Strandgut und Kultur. Zur Einstimmung wie auch zur Abrundung ein Amuse Geule zur anregenden Verdauung des 20. Jahrhunderts

 

Soap&Skin

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. März“Es ist schon unglaublich, dass ich nicht vollkommen verrückt geworden bin.” So äußert sich Anja Plaschg im Rückblick auf den überhitzten Hype, der beim Erscheinen ihres Debutalbums “Lovetune for Vacuum” vor rund 10 Jahren um sie entfesselt wurde. Mit was für Prädikaten wurde sie da nicht zugestülpt, “Schmerzensfrau“ etwa, “Popwunderkind” oder “Dunkle Prinzessin”, von einer immer mehr nach der nächsten Verkaufbarkeit geifernden Kuhzunft, die einem jede Zukunft verdreht, bis man schlussendlich schwindlig wird. “Du, ich habe Angst vor dieser Begegnung”, sagt ihr Julia Friese im Musikexpress, “ich habe Angst, weil ich so viele Interviews mit dir gesehen habe, und es immer wirkt, als fändest du es richtig, richtig scheiße interviewt zu werden.” Wir nähern uns an…

Soap&SkinDas im obigen Kontext verlinkte Video (Giermann & Stressemann) ist ein erbrecherischer Tiefpunkt im österreichüblichen Verhältnis von Medien und Kunst. Was nicht in die Verwurstmaschin des Brauchbaren passt, wird solange gequetscht und zerpresst, bis man es doch noch zu Erregungsgeld machen kann, oder halt weggeschmissen und ignoriert. Also was reden und schreiben, wenn man selbst nicht auch noch vollends deppert und gschissen sein mag? Über das aktuelle Album von Soap&Skin mit dem sympathischen Doppeltitel “From Gas to Solid / You are my Friend” KEINE interpretativen Verdeutungen ausschwitzen! Stattdessen etwas aus dem eigenen Erleben erzählen, was “den Abertausenden, wie sie einer sind” nie eingefallen wäre. Ja, genau SIE – mit unseren Hörer_innen sind wir nämlich per DU. Zunächst einmal wachte ich vorgestern erstmals mit einem Ohrwurm auf, der sich nicht etwa durch irgendein bekanntes musikalisches Stilmittel von außen ins Bewusstsein geschlichen, sondern sich in seiner Gesamtstimmung irgendwie von innen herauf im Unterbewussten ausgebreitet hatte: das Gesamtkunstwerk “Heal” aus ebendiesem besonderen Album, das wir euch diesmal vorwürdigen wollen. Ohne Genrezuschreibung, ohne Hineingeheimnis, ohne Interpretation. Einfach Soap&Skin.

 

Zusammenhang

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. FebruarPutin nimmt die Krim, in Nordkorea wohnt der dicke Kim. Die Rohrdommel hockt im Rohr, ich vorm Monitor. Wo ist der Zusammenhang?“ Dieses schöne Lied von Rainald Grebe wollen wir als Motto für eine Sendung verwenden, die alles Mögliche nachliefert, was uns in letzter Zeit aus Zeitgründen einfach nicht mehr möglich (zu senden) war. Ein Sammelsurdium an nicht gemachten Anmerkungen, eingesparten Abschweifungen und unausgegorenen Ideen. Und ein alter Kreisky-Witz, der aber immerhin die Krise der Sozialdemokratie erklärt. Denn in einem Weltkrieg der Wirtschaft gegen den Menschen kann es nicht darum gehen, ein paar Erleichterungen beim Zerquetschtwerden zu etablieren, sondern nur darum, dass er endlich aufhört! Liebe Mit- und Ohneglieder (und -innen), so is des…

Wo ist der ZusammenhangSpiegel geht in Scherben
Scherben bringen Glück
Sammel sie auf, und dann schreib was drauf, und dann hol dir deine Geschichte zurück! Und dann:
Yin und Yang, Kling und Klang,
Sing und Sang: Das Lied vom Zusammenhang.

In diesem reichen wir auch einen Ausschnitt aus dem griechischen Dokumentarfilm “AGORÁ – Von der Demokratie zum Markt” samt deutscher Textübertragung nach, der für unsere letzte Sendung “25 Jahre Studio West” eingeplant war. Genauso wie die Musik des antikapitalistischen Kunstkollektivs SNOG – hier eine frühe Videoarbeit zum sprechenden Titel “Corporate Slave” mit Zitaten aus dem medienkritischen Film “Network”. Schnitt. In einem bei “Serienköpferln aus der Nutzmenschenbatterie” (Uwe Dick) weithin beliebten Musikantenstadl-Deppenaufmarsch erklären Sebastian Moik und sein Vize Hias-Christian den Grundsatz ihres politischen Handelns wie folgt: “Schaug hi, da liegt a toter Fisch im Wasser – den moch ma hin!” Wo da jetzt der eingangs erwähnte Zusammenhang ist, das dürft ihr euch gern selbst beantworten…

Der Koran ist ein krasser Schmöker,
viele nehmen ihn wörtlich.
Ich geh lieber in die Kneipe
und betäube mich örtlich,
und suche den Zusammenhang.
Suche den Zusammenhang

Viel Vergnügen

 

Der österreichische Mittagstisch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. JanuarWas genau ist ein Nazi? Und warum finden wir ihn immer in der Suppe – wie das längst sprichwörtliche Haar? Was will uns Thomas Bernhard (der Dichter) damit sagen, wenn unser Hausvater entnervt in den Suppenteller drischt und dabei “Nazisuppe! Nazisuppe!” schreit? Unter dem Titel “Der deutsche Mittagstisch” versammeln sich sieben Dramolette (Kurz- und Kürzestdramen), die allesamt das unterschwellige Weiterbestehen von nationalsozialistischer Geisteshaltung in der bundesdeutschen Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Wir erlauben uns, das titelgebende Stück daraus in einer neuen Österreich-Version vorzstellen. Ganz im Sinne seines Autors, der uns bei jedem Mittagstisch auch den braunen Sumpf unserer nazikatholischen Heimat vorsetzt.

Die Nazisuppe für den MittagstischZumal die als Wiener Rindsuppe bekannte klare Brühe, welche das Grundrezept für die hier erwähnte Nudelsuppe ist, allgemein als die österreichische Nationalsuppe schlechthin bezeichnet wird. Von dieser ist es nur noch ein kleiner Schritt zur besagten Nazisuppe. Und die, im alpenkatholischen Weihnachtsgebräuch verbreitete Würstelsuppe als eine Steigerung der Nudelsuppe, in der die kleinen Wiaschtln herum schwimmen, bildet erst recht eine zutiefst Bernhard’sche Metapher für den abgründigen Brodeltopf des deutschösterreichischen Geisteszustands… Während einem da von der Oberfläche die offiziellen Fettaugen freundlich entgegen schmunzeln, wallt und wabert darunter im Trüben gefährlich der heimliche Untergrund. Suppe und Schund, Masse und Matsch, die tatsächliche Beschaffenheit ungaren Menschenteigs: mitläuferisch, obrigkeitshörig und fügsam. Genau da müssen wir das Dargestellte abstrahieren, wenn wir es in die Gegenwart übersetzen wollen, ins zeitlos Bleibende nichtausgestopften Lebens. Was also ist ein Nazi? Was macht die Geisteshaltung einer Gesellschaft aus, die gegen jegliche von der jeweiligen Norm abweichende Eigenart mit der dumpfen Absicht zu deren Ausmerzung vorgeht?

Dazu Thomas Bernhard (Die Ursache): “Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht in dem entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden zugrunde.”

 

Der erste Einidruck

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Januar – Die flächendeckende Zerdepperung alles Menschlichen schreitet schier unaufhaltbar voran. Es ist mittlerweile egal, ob etwas sinnvoll ist – Haupsache, viele bunte Lichtlein und Tschinderassabums. Hat nicht Pier Paolo Pasolini schon in den 70ern voraus gewusst, wie ein weltumspannender Konsumismus jedwede Kultur zielstrebig zersetzt und so die Bevölkerung zum fügsamen Massengatsch fürs Marketing zurecht züchtet? Hat nicht Uwe Dick (auch schon in den 70ern) hellgesehen, wie “Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien” die einschläfernde Volksverödung nach den heimlichen Interessen der Machthaberer betreiben? “Wählen sie uns, wir werden ihnen … Trullala.” Was also macht gute Kunst aus?

Ein EinidruckSich selbst einen Eindruck machen können – und eben nicht sich einen Einidruck machen lassen. Das wäre schon mal eine brauchbare Geisteshaltung. Doch in Zeiten zunehmender marktschreierischer Beplärrung einer jeden noch so sinnfreien Produktblähung wird es immer schwieriger, den Kurs seiner eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu halten. Sich als Künstler in etwas hinein versetzen – und das dann dergestalt darstellen können, dass es beim Publikum hypnotisch wirkt, also einen Sog erzeugt. Jedoch nicht mit den Waffen der Werbepsychologie dem Publikum argtückisch und heimlistig etwas hinein vorsetzen, das die zu diesem Zweck künstlich erregten Gefühle und Bedürfnisse befriedigt. Dieses ganze Market-Ding ist nichts weiter als äußerer Druck, der so hinterfotzig ausgeübt wird, dass die meisten Patienten ihn als inneren Sog empfinden. Einen solchen “Einidruck” bezeichneten wir früher zutreffenderweise als “einidruckerisches Verhalten” (“Wos wüst ma do leicht scho wieda einidruckn?”). Personen mit dieser Eigenschaft empfanden wir als unsympathische, schleimige Kriechwesen, vor denen zu fliehen ein guter Rat und auch nicht teuer war. Heutigen Tags aber ist genau diese zutiefst ungute, ihre eigentlichen Absichten versteckende Herangehensweise ein gesetzlich geschützter Standard in unserer Marktwirtschaft. “Jo homs eich denn olle ins Hirn gschissn?” Diese rhetorische Frage muss man mit “JA” beantworten. Dazu Goethe: “So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.”

Was aber können wir tun, um der allgemein anerkannten (“Jo des is hoid heit a so.”) globalisierten Prostitution (sich für Geld pimpern lassen) gehörig gegen den Strich und somit am Arsch zu gehen? Etwas Echtes im Sinn der guten Kunst vorbringen, Texte von Peter Gabriel zum Beispiel oder ätzende Satire auf politische Korrektheit von Lisa Eckhart: “Die heilige Kuh hat BSE.”

PS. Antithese zur normativen Kraft des Fuckigen: Kein sinnvolles Produkt braucht ständig einidruckerische Promotion, keine ordentliche Politik braucht nervtötende künstliche Beklatschung. Je mehr für etwas fortwährend die Werbetrommel gerührt wird, desto unbrauchbarer und unnötiger ist es. Schon Schön Färberei ist Betrug

 

Jesus H. Christ

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Dezember – Unsere Adventcollage für alle mit eigenem Gedankengut Begnadeten: Wir spielen das im Jahre des Hirrn 1992 NIE (offiziell) ERSCHIENENE Album nämlichen Namens des anarchoiden Kunnst- und Musikkollektivs Chumbawamba. Abgesehen vom vorweihnachtliche Assoziationen weckenden Albumtitel tun wir dies im Bewusstsein um die gemeinsamen Wurzeln, aus denen sowohl Radiopirat_innen wie viele andere sich herrschaftskritisch jeder Bevormundung widersetzende Gestaltungsformen entsprungen sind. Wir erinnern immer wieder einmal daran, so in diversen Aktionen und Radiostatements wie etwa unserer COPY RIOT “Verformance” von 2015. Das Urheberrecht. Eine Andeutung. Doch erzählen wir dem Jesus schlicht und begreifend eine kleine Adventgeschichte:

Jesus H. Christ - Vinyl CoverNext we’ll be hearing the true story of an American housewife who claims to have taken mid-air photographs of Jesus Christ in the skies of Indiana:

High above the streets and houses Misses Meta Battle
With one hand on the Valium and one hand on the bottle
Somewhere over Indiana, eight miles high
Meta Battle sees the good Lord wandering cross the sky

Have your fun whilst your alive
You won’t get nothing when you die
Have a good time all the time
Because you won’t get nothing when you die

Look! No strings! Just paper, glue, and card
Hark! The angels sing “Paste the Lord”

Meta Battle shot her Lord and watched Him tumble down
And now there’s people out with Polaroids all around town
And who knows, that Jesus on the church near your house
Could well be the original, kiss it as you pass

Hey, you, get off my cloud
Hey, you, get off my cloud
Hey, you, get off my cloud

Don’t hang around cause two is a crowd

Susej em kcuf ho
Susej em kcuf ho
Susej em kcuf ho

Was immer das bedeuten mag…

Jesus H. Christ - All SamplesWegen erheblicher Klagsdrohungen auf Verletzung des Urheberrechts (Hureber rächts?) durfte das Album damals nicht veröffentlicht werden. Es wurde daraufhin in wesentlichen Teilen umgearbeitet – und erschien kurze Zeit später unter dem Titel “Shhh” als ein Statement gegen Zensur. Irgendwer (danke!) hat es dann doch noch gepresst, und so findet es allen Verhinderungsversuchen zum Trotz seinen Weg in eure Radiohren.

Getreu dem fast schon Motto der Band “Pass it along”

Oder eben auch zensurkritisch “Pass it along”

Frohe Ostern, ihr Christbäume!

 

Der Fall Hagenbuch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Oktober – – – Hanns Dieter Hüsch ist schlechterdings eine Ikone unter den deutschsprachigen Humoristen. Überhaupst unter den “sprachigen”. Denn die feinsinnige Musikalität seines in Jahrzehnten hervorgebrachten Wortreichs bleibt beispielgebend, auch über seinen Tod hinaus. Dem entsprechend haben sich so unterschiedliche Künstlerkollegen wie etwa Reinhard Mey, Konstantin Wecker oder Blumfeld im unerschöpflichen Fundus des rastlosen Weltenerfinders mit Inspirationen versorgt. So stolperte auch ich vor kurzem über eins seiner figurenvollen Kopftheater aus den frühen 80ern. Beim Anhören von “Der Fall Hagenbuch” musste ich immer wieder an die frühen Texte von Thomas Bernhard denken, zum Beispiel den rundum schrägen “Ein eigenwilliger Autor”

Abendlied Hüsch HagenbuchSchon in den 60ern war Hanns Dieter Hüschs Stimme omnipräsent, einerseits in Slapstick-TV-Serien wie Väter der Klamotte, Dick und Doof oder Männer ohne Nerven, andrerseits beim Quartett 67, einer schon etwas extremeren Politsatire. Später dann trug er seine eigenen Programme gern gestenreich aus Büchern vor, als welche dieselben auch oftmals erschienen. Worob er sogar als “Vorlese-Opa” verhöhnt wurde, was an seiner Performance allerdings gröblich vorbei schrammt. Uns geht es hier in erster Linie um seine gefühlvolle und nuancenreiche Wortkunst, auf die man frei nach Ernst Jandl (ich dir zitieren einen gedichten) nur mit einem ehrfurchtsvollen “was für ein sprach!” antworten kann. Und naturgemäß auch um sein weitläufiges Themenspektrum, das uns stets aufs neue überrascht – und erheitert. Speziell beim “Fall Hagenbuch” handelt es sich um eine Hochform des literarischen Kabaretts, in dem ganz und gar nicht auf tagesaktuellem Politikgeschehen herumgeritten wird, sondern die bedenklichen (Un)zustände unserer Gesellschaft zu Tage treten, wie sie sich in den Gedankengängen der im “Haus Geistesnot” befindlichen Patient_innen widerspiegeln. Und – sind wir nicht alle oft mehr oder weniger “seitlich umgeknickt”?

Wenn Hagenbuch am Höhepunkt seiner Erregung mit dem Tambourin in die Suppe haut – sofort springt mir die finale Szene aus Bernhards “Der deutsche Mittagstisch” vor mein inneres Auge: “Nazisuppe! Nazisuppe!” Dass die Fetzen fliegen…

 

Je Geld desto Oasch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. September – Eine kleine Einführung in die Welt des Mammonismus. Wenn es “über einen gewissen Punkt hinaus” nur noch ums Geld geht, dann sind die Auswirkungen dieser Grundhaltung für alle Beteiligten (mit Ausnahme der wenigen Gewinnler), wie wir hierorts zu sagen pflegen, oasch. Der genauen Herleitung dieses mundartlichen Ausdrucks entschlagen wir uns jetzt aber – und verweisen darauf, dass man derlei einfach “eh” spüren kann. Es geht dabei nicht unbedingt um Geld an sich (und dass es sich oasch anfühlt, wenn man gar keins hat), sondern um die Vermehrung desselben – zum Zweck seiner immer noch weiteren Vermehrung. Oder das Anhäufen von Geld – zum Zweck seiner Anhäufung. Auch die Querschläger bemerken: “Weil da Teife, weil da Teife scheißt en greaßan Haufn.”

Je Geld desto Oasch - Szenenfoto aus Jedermann (stirbt)Womit wir beim Jedermann wären, dieser unvermeidlichen Cash-Cow  der Salzburger Festspiele. Oder auch beim informellen EU-Gipfel, bei dem die Oberhauptdarsteller der Geldmachtwerte im hübschen Bühnenbild ein paar Blasen heißer Luft zerkauen. Danach gehen alle wieder zur Tages(un)ordnung übel, und passt. Der Bundeshutständer schweigt wortreich in die Kameras und verströmt Zuversicht – fragt sich bloß, für wen? Es lebe die gepflegte Koinzidenz! Just zur selben Zeit (wie diese Sendung) findet am Burgtheater eine Aufführung der dramatischen Übertragung “Jedermann (stirbt)” von Ferdinand Schmalz statt. Dieser löblichen Bemühung verdanken wir das passende Szenenfoto. Etwas ähnliches hat Felix Mitterer schon 1991 mit dem Bühnenstück “Ein Jedermann” unternommen. Das wissen aber offenbar nur noch die wenigsten Theaterkritiker. Weils halt nicht mehr im Gespräch ist, und damit nicht mehr aktuell, und damit nicht mehr profitabel, rentabel, Telekabel. Weil es den Quadratkasperln nicht darum geht, was für die Menschen (für die sie doch schreiben, oder?) von Gewinn ist, sondern was Quote bringt, also was den Investoren Profit verschafft. Das ist Mammonismus – und genau das ist oasch!

Schön zusammengefasst. Was das jetzt alles mit dem Außengrenzschutz sowie den politischen Interventionen der EU in Afrika zu tun hat, darüber informiert etwa die hervorragende Dokumentation “Türsteher Europas”ein Zitat daraus: “Mittlerweile sterben wohl mehr Menschen in der Wüste als im Mittelmeer.” Und wie die Zunahme (nicht der Tsunami) des Rechtspopulismus zumeist mit Banken- und Finanzkrisen zusammenhängt, darüber lässt sich in dieser SPIEGEL-Kolumne näheres erfahren.

Wir wünschen euch guten Appetit. Und einen gesunden Saumagen

 

Der Watzmann ruft

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. September – Jetzt ist schon wieder was passiert. Der Bua ist tot. Weil der Berg, der hot koa Einsehn nit. Und schuld an dem ganzen ist die Gailtalerin, das weiß doch jeder, die tragt auch feuerrote Unterröck. Seit den frühen 70ern begleitet uns “Der Watzmann ruft” nun schon durch das eher spezielle Verhältnis des allgemeinen Österreichers zu seiner ländlichen Volkskultur. Ein vielschichtiges Stück Musiktheater, an dem jede Genrezuordnung zerplatzt, wie sich mit erheblichem Lustgewinn feststellen lässt, wenn man diverse Doktorarbeiten zum Thema besucht. Von einem “Definitionsmoloch” ist da die Rede, und nicht ein Wissensgschaftler kann endgültig sagen, worum es sich dabei genau handelt. Ist es ein Hörspiel, ein Konzeptalbum, ein Popmusical oder eher eine Dialekt-Rockoper?

Der Watzmann ruftDa verrenken sich die lieben Kolleg_innen aber den Hirnarsch beim Schachterlscheißen. Lassen wir doch einen der Hervorbringer dieses über Generationen hinfort wirkenden Kunst-Stücks zu Wort kommen! Herr Ambros, was genau ist denn “Der Watzmann ruft”? “Ein ganz ein eigenes Format. Man kann ja net amoi sogn a Musical, sondern es is a Musiktheater oder ein Theaterstück mit erklärendem Bänkelgesang oder wos a immer. Auf jeden Foi ka richtigs Musical. Es gibt nix Vergleichbares. Und i denk, des hod natürlich a sein Grund.” Aha. Und wie ist das alles zustande gekommen? “Wir haben ein Jahr lang so gredt (“Wie schallts von der Höh? Hollorödulliöö!”), sind dann sogar Bergsteigen gangen und sind total auf den Karl-Heinrich Waggerl und den Luis Trenker abgfahren. Wir haben schon an echten Huscher ghabt. “Der Watzmann ruft”, das ist von einem winzigen Kern ausgangen, von einem Hund namens Watzmann, und dieses Ur-Gerippe hat sich weiter entwickelt zur Plattenversion und zur Bühnenfassung.” Das klingt doch einigermaßen lustig! “Die Geschichte unserer eingrauchten Nächte seit 1972.” (Sämtliche Zitate aus Worte, Bilder, Dokumente von 1987). Was uns die 3 Herren Ambros, Tauchen, Prokopetz hier hinterlassen haben, ist mehr als einfach nur ein “Rustical”. Wir spielen daher die aufgefrischte Original-Version dieses hypnotischen Hörweltspiels.

PS. Einen wohl noch schicksalsträchtigeren Gipfelsturm gibts demnächst in Salzburg zu besichtigen, wenn sich die EU-Staatsoberhäuptlinge zum Thema Migration treffen. Das Thomas Bernhard Institut setzt schon am Mittwoch, 19. September eine Nacht der Künste dagegen. Näheres dazu erfahrt ihr auch in diesem Nachtfahrtblogartikel.

 

Dichtkunst oder Humor?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. September – Neulich suchte ich in meinem Computer nach alten Tonaufnahmen von Max Goldt – und wähnte diese im Ordner namens Humor. Dort waren sie aber nicht, stattdessen fand ich sie in einem anderen Ordner namens Dichtkunst. Ich glaube zwar nicht, dass dieser Umstand Endgültiges über die Zuordnung von Max Goldts Werken aussagt, aber ein Körnchen Wahrheit wohnt ja in jedem noch so blinden Huhn. So heißt Max Goldt ursprünglich Matthias Ernst und nicht etwa Franz Lustig, was schon mal ein dezenter Hinweis sein könnte. Ganz und gar erschüttert war ich dann allerdings über seinen fast seriösen Auftritt in “Druckfrisch”. Was haben wir uns früher nicht zerpeckt über herrliche Wortgetüme wie Spinnenabdomensalat, Seepockensperma oder Leihmumienanalsex!

Max Goldt - Dichtkunst UND HumorSelbige finden auch in einer sehr frühen Artarium-Ausgabe statt, in der unser Anstifter Peter.W. 2007 ein paar dadaeske Lesungen von Max Goldt mit Liedern von Funny van Dannen zu einer Art kleiner Hirnfeuerschau montiert hat. Und nun, gut 11 Jahre später, wollen wir dem knallbumsen Frühwerk des einstigen Songschreibers sowie Titanic-Kolumnisten auf ähnliche Weise, jedoch speziell unter dem Aspekt der Dichtkunst, unsere Resonanz erweisen. Dazu schneiden wir Songs seiner legendären Band “Foyer des Arts” ins Programm, vor allem aus dem Album “Ein Kuss in der Irrtumstaverne” von 1988. Dort finden sich Sprachperlen wie zum Beispiel: “Der Islam nervt und meine Hose ist zu eng.” Oder aber: “Zwei Leute heiraten. Die Frau riecht nach Niveacreme und der Mann findet das toll.” Das sind zugegeben nicht die Refraintexte, die damals in Mädchentoiletten gekritzelt wurden und von denen Bettina Dunkel in ihrem persönlichen Statement berichtet. Aber auf jeden Fall Indizien dafür, dass sich im poetischen Gesamtwerk von Max Goldt die Kategorien Humor UND Dichtkunst ganz vortrefflich verbinden.

Und Bettina Dunkel stellt fest: “Nachfolger hat die Band ohne Vorbild nie gefunden. Für mich allerdings wurde sie zum Vorbild in Sachen Selbstständigkeit. Max Goldt, der später als Schriftsteller die Kunst des Abschweifens perfektionierte, ist seitdem mein Zöllner an der Grenze zum guten Geschmack. Und wird es auch immer bleiben.”