Artarium am Sonntag, 11. Mai um 17:00 Uhr – Heute begeben wir uns in ein noch nie zuvor gewagtes Experiment: Wir spielen ein ganzes Album, und zwar “Hit Me Hard and Soft”, das aktuelle Werk von Billie Eilish, das bei uns beiden doch einigermaßen unterschiedliche Gefühlsreaktionen hervorgerufen hat. Und außerdem auf unserer konsumismuskritischen Grundeinstellung ambivalent flirrend herumtanzt wie ein zutiefst liebenswerter Andenkenstandler im allerfürchterlichsten Souvenirshop des Weltmarktwahnsinns. Einigen wir uns auf einen gemeinsamen Blickwinkel: Das popkulturelle Phänomen oder die Kunstperson als schillernde Figur, auf die jeder/jede/jedes auch wirklich jegliches projizieren kann, was möglicherweise kaum erkannt in uns allen schlummert und unbewusst längst feuchtfröhlich in uns umgeht.
Denn die sympathische Seite der globalen Merchandiselerin ist ihre Ab- und Hintergründigkeit, mit der sie den allzu platten Bedeutungs- und Zuordnungsmechanismen in immer neuen Selbsterfindungen entkommt, eine Kunnst, die auch wir nur allzu gern anwenden oder die wir uns immerhin sehnlichst herbei wünschen. Grund genug, unsere unterschiedlichen Gefühle “auf einander los zu lassen” und dabei völlig ungeplant zu erleben, was geschieht … hard and soft …
“She’s the headlights, I’m the deer”
wiedereinmal dieses zaubermächtige gefühl, mit wucht und völlig ungeplant erfasst zu werden, fast schon umgerissen, von musik, von klangkunst, die mich mit jeder neuen wendung weiter in so vertraut-eigensinnliche sphären beamt, dass ich zu schwingen und vibrieren beginne : HIT ME HARD AND SOFT trifft mich hartzart, traumklar, lebhaft-still : nimmt mich in den arm und wirft mich ins weite oder ich sinke hinauf zu den gipfeln der see, in die wolkenschluchten, dort weiß ich dich tanzen, dort sind wir uns nahrung, öffnen wir uns wie türen : wie viele türen im inneren, im zwischen, zwischen uns, zwischen uns und dem schwirrenden glück? sind wildblumenwiesen, wenn wir wollen und gleichgefiedert im freien hall, im heilenden fall ins blau der augen des drachen, in angst und verzweiflung, doch wir scheuen nicht zurück : fühlt sich an wie sterben : fühlt sich wie liebe an : fühle dann nichts mehr oder denke das nur : fühle mich hundertfach im raum und sehe mich hundertfach im raum fühlen, wie ich hundertfach im raum sehe, was ich kaum zu fühlen bereit bin, aber ich vertraue – auf was oder wen? auf dich? mich? unsere liebe? aufs vertrauen? den zufall? auf den ominösen fluss des lebens? fuck it! eh wurscht! egal was mich bei verstand hält oder mir mut gibt weiterzumachen, zuversicht, es quillt aus mir : ich quelle aus mir und verwandle, was auch immer an zerbrochenem, verletztem, abgespaltenem oder eingepflanztem durchs gedärm wuselt : du, schmetterling, du, was kannst du uns von der leere erzählen? liebst du die sonne, so wie ich? und das meer? hinterlässt du abdrücke im sand? lügt der wind, hier, am kap, wo mich jede*r kennt? mein gesicht auf den globus gepinselt als wäre ich mehr als ich weiß, dass ich sein könnte : und größer : das größte ich, das ich sein möchte?
Billie Eilish, in erneuter zusammenarbeit mit ihrem bruder FINNEAS, ist ein herrlich vielseitiges und musikalisch anspruchsvolles album gelungen, das durch die detailverliebte produktion der soundstimmstimmungsschichten besticht, aber mit den texten, die verschiedenste facetten von liebe thematisieren, die wunderschönen, lustvollen und glücklichen, wie auch die abgrundtief schmerzenden, gewaltvollen, übergriffigen, verlogenen und obsessiven seiten, noch dieses eine besondere, etwas andere gewürz beinhaltet, durch das es zu einem herausragenden werk wird :
Billie Eilish ist eine ungewöhnliche persönlichkeit in der pop-maschinerie, die sie gekonnt zu bedienen gelernt hat und gleichzeitig mit ihrer unverstellten, eigenwilligen art fast ad absurdum führt : sie ist und bleibt sie selbst, mit ecken und kanten und dunkelheiten und leerstellen : wie wir alle
Hit Me Hard and Soft (Deutschlandfunkkultur)