Eine Sendung zum Beispiel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. SeptemberUnerhört! Die Jubiläen fliegen einem nur so um die Ohren. Und erst die Zukünfte. Es darf sich wieder besonnen werden: Die Radiofabrik feiert am 5. Oktober ihr 20-jähriges Bestehen. Wenn das mal kein Grund für einen Anlass ist! Doch der Sender unseres Vertrauens will mehr als einfach nur da sein: Im Rahmen der neuen Lehrredaktion soll eine Infosendung namens „unerhört!“ entwickelt werden. Und wie wir aus gut unterrichteten Kreisen (so nennt man das, glaub ich) erfahren haben, werden die Teilnehmer_innen dieses Projekts auch bestehende Sendungen aufsuchen, um Eindrücke und Erfahrungen zu gewinnen. Da trifft es sich doch famos, dass die Perlentaucher-Nachtfahrt-Reihe gerade 10 Jahre alt geworden ist. Dazu gestalten wir eine Sendung – zum Beispiel.

Zum Beispiel unerhörtInhaltlich versammeln wir diesmal ein “Best of Perlen” aus unseren oft aufwändigen Tauchgängen in die Untiefen des angeschlammten Kulturguts: Etwa Audiocollagen aus Wort, Musik und Atmosphäre, Livelesungen eigener sowie auch angeeigneter Texte, Musikstücke, die uns persönlich berührt haben, zudem selbstredend spontanes Gespräch, kurzum, einen Rundflug durch das, was wir unter “Perlentauchen” verstehen. Unsere an jedem zweiten Freitag im Monat erlebbare “Musikliterarische Gefühlsweltreise mit tiefgründigen Themen” (so der Untertitel) stellt sich derzeit auch beim Radioschorsch-Jingle-Contest vor (da könnt ihr noch bis 1. Oktober mitwählen), vertiefende Informationen dazu nebst den Transkripten sämtlicher Textbeiträge findet ihr zum Beispiel in diesem Artikel mit dem Titel “Der Sender mit dem Schorsch”. Naturgemäß dreht sich bei dieser Werkschau vieles ums Zitat oder besser gesagt, ums Zitieren, ohne dem Publikum dabei allzusehr auf die Nerven zu gehen. Besserwisser, Klugscheißer und professorale Rechthaber sind ja allgemein eher unbeliebt – und das wollen wir auch wieder nicht sein. Wie hieß es noch bei den Nazis? “Es zitieren die morschen Knochen.” Na dann, nein danke!

Vor allem gehts doch darum, WAS man auswählt – und IN WELCHEN KONTEXT man es wiederum stellt. Das ist zum Beispiel die inhaltliche Seite von Medienkompetenz.

Was sagst du?

 

Dichtkunst oder Humor?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. September – Neulich suchte ich in meinem Computer nach alten Tonaufnahmen von Max Goldt – und wähnte diese im Ordner namens Humor. Dort waren sie aber nicht, stattdessen fand ich sie in einem anderen Ordner namens Dichtkunst. Ich glaube zwar nicht, dass dieser Umstand Endgültiges über die Zuordnung von Max Goldts Werken aussagt, aber ein Körnchen Wahrheit wohnt ja in jedem noch so blinden Huhn. So heißt Max Goldt ursprünglich Matthias Ernst und nicht etwa Franz Lustig, was schon mal ein dezenter Hinweis sein könnte. Ganz und gar erschüttert war ich dann allerdings über seinen fast seriösen Auftritt in “Druckfrisch”. Was haben wir uns früher nicht zerpeckt über herrliche Wortgetüme wie Spinnenabdomensalat, Seepockensperma oder Leihmumienanalsex!

Max Goldt - Dichtkunst UND HumorSelbige finden auch in einer sehr frühen Artarium-Ausgabe statt, in der unser Anstifter Peter.W. 2007 ein paar dadaeske Lesungen von Max Goldt mit Liedern von Funny van Dannen zu einer Art kleiner Hirnfeuerschau montiert hat. Und nun, gut 11 Jahre später, wollen wir dem knallbumsen Frühwerk des einstigen Songschreibers sowie Titanic-Kolumnisten auf ähnliche Weise, jedoch speziell unter dem Aspekt der Dichtkunst, unsere Resonanz erweisen. Dazu schneiden wir Songs seiner legendären Band “Foyer des Arts” ins Programm, vor allem aus dem Album “Ein Kuss in der Irrtumstaverne” von 1988. Dort finden sich Sprachperlen wie zum Beispiel: “Der Islam nervt und meine Hose ist zu eng.” Oder aber: “Zwei Leute heiraten. Die Frau riecht nach Niveacreme und der Mann findet das toll.” Das sind zugegeben nicht die Refraintexte, die damals in Mädchentoiletten gekritzelt wurden und von denen Bettina Dunkel in ihrem persönlichen Statement berichtet. Aber auf jeden Fall Indizien dafür, dass sich im poetischen Gesamtwerk von Max Goldt die Kategorien Humor UND Dichtkunst ganz vortrefflich verbinden.

Und Bettina Dunkel stellt fest: “Nachfolger hat die Band ohne Vorbild nie gefunden. Für mich allerdings wurde sie zum Vorbild in Sachen Selbstständigkeit. Max Goldt, der später als Schriftsteller die Kunst des Abschweifens perfektionierte, ist seitdem mein Zöllner an der Grenze zum guten Geschmack. Und wird es auch immer bleiben.”

 

Das Hazerl kommt

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. August – Sie wurde schon früh wegen ihres Namens “gehazelt”, sagt die 24-jährige Sprachspielerin aus der Schweiz. Auch ihr erstes abendfüllendes Solo- Programm “Hazel Brugger passiert” ist voller detailreich wortverliebter Assoziationen aus dem Ab- und Untergrund allzu menschlichen Seins. Selbst Sigmund Freud hätte dabei seine solche, wenn er nur noch erleben könnt, wie sie souverän von der Bühne herab die Psyche der Pandora auseinander nimmt. Auch in Salzburg passiert so ein “Happening of herself” (am 24. November im Republic), welches Hazels Homepage allerdings bereits jetzt als ausverkauft anpreist. Erfolg hat halt verschiedene Nebenwirkungen. Doch unser Wortspiel mit ihrem Vornamen meint eh mehr jenes Böhse Hazerl, das wir selbst gern sind, ob allein oder zu zweit.

Hazerl Brugger by Ornella CacaceWobei, die Verniedlichung hat hier durchaus eine reale Entsprechung in der Kunstperson. Denn eine der von ihr dargebotenen Facetten ist eben das “liebe, arme, herzige Hascherl” als Gegenpol zur brutalen Direktheit, mit der sie uns die Tatsachen unserer Existenz ins Gemüt prügelt. Und das ist beileibe nur ein Aspekt von vielen – dieses Hazerl verkörpert eine Polyvalenz, die so vielschichtig ist, dass sich öfter sogar das Leben selbst anstrengen muss. Genau deswegen stellen wir euch diese junge Künstlerin auch vor: Wir sind nämlich davon überzeugt, dass Hazel Brugger nicht nur ein Gewinn für die niveauvolle Unterhaltung an sich ist, sondern jedem kreativen Gehirn so einiges an Inspiration fürs Eigene bietet. Eine verbaleruptive Sprachmassage, die sogar Hirnregionen stimuliert, von deren Möglichkeiten man bislang keine Ahnung hatte. Um hier einen Großmeister des Kopftheaters zu bemühen: “Kruzitürken, i woa noch nie in meim eigenen Hirn!” Josef Hader – Privat. Was die sich Ereignende wohl dazu sagen würde? “Kulturveranstaltungen gibt es nur, weil wir uns zwei Stunden lang davon ablenken wollen, dass wir sterben. Und das machen sie gerade hier…” Touché.

Wir wünschen (und haben) viel Vergnügen!

 

Vom Ende des Zuhörens

> Sendung: Artarium am Sonntag, 29. Juli – Wenn das Ende des Zuhörens gekommen sein wird, erübrigt sich auch die Radiomacherei. 20 Jahre sind genug. Oder war da noch was? Justin Sullivan, unter anderem Sänger von New Model Army, schreibt in einem Nachruf auf den Radiopionier John Peel, wie dieser ihm einst “die Idee des Underground nahebrachte, wo seltsame Menschen erstaunliche Aufnahmen aus rein künstlerischer Motivation herstellten”. John Peel vertrat Zeit seines Lebens Ansichten, “die dem Zeitgeist fundamental entgegen strebten”, so etwa, “dass Musik einfach nur Musik ist, und dass jedweder Celebrity-Kult dafür vollkommen bedeutungslos ist, wie übrigens auch für alles andere”. Der Mann hat die Entwicklung der Medien- und Musikkultur immerhin schon seit den Sixties aktiv mitgestaltet…

Vom Ende des ZuhörensWas soll das allerdings heute, wo die einheimische Piratenszene vor gut 20 Jahren ein legal lizenziertes, kommerzfreies Gemeinwesenradio erstritten hat? Was machen wir hier in postmodernen Zeiten, in denen “das dialogische Prinzip” ja kaum noch von Mensch zu Mensch seine Gültigkeit hat? Wo stattdessen der von Pier Paolo Pasolini prophetisch vorhergesehene Konsumismus um sich greift und alles Individuelle zur massenblöden Mitmacherei niedertrumpelt? Wo es nicht mehr darum geht, dass man bekommt, was man braucht, sondern einem nur noch irgendein Event angedreht wird, der den Eindruck vermittelt, man sei irgendwie “Part of the Game”. Verdummt in alle Ewigkeit! Heilsverbrechen, wohin man schaut. Die Menschheit besteht aber nicht nur aus dem, was sich normieren und social engineeren lässt, sie ist so vielfältig wie das Leben selbst. Der Massengeschmack des Mehrheitsmainstream schädigt nicht bloß den Umgang der Menschen miteinander, er korrumpiert zudem das Selbstwertgefühl jedes Einzelnem, indem er uns alle kommerziell zweckwidmet und in die Nutzbarkeit der Gewinnstreber quetscht. Auweh! Viele Jäger waren schon immer des Hasen Tod. Umso wichtiger sind daher heute Überlebens-Soziotope wie etwa das “Freie Radio”.

Oder der erwähnte “Underground”, wo Menschen einfach etwas machen, weil sie es gut finden, und nicht, weil damit massenkompatibel Gewinn erzielt werden kann. Das Freie Underground Radio, wie wir es verstehen, ist eine Schutzzone zur Erhaltung der Artenvielfalt von Kunst und Kultur. Ein kommerziell nutzfrei gestelltes Gebiet, in dem sich der zwischenmenschliche Ausdruck wieder ungehindert entfalten kann. Feiern wir daher den Fortbestand des Zuhörens mit diesem Zitat von John Peel: “…dass das Radio ein viel mächtigeres Medium als das Fernsehen ist (und auch immer sein wird), weil es die Phantasie des Publikums erblühen (im Sinn von gedeihen) lässt.”

 

Dunkelbunt Sommertag

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Juli – Seit ich zum ersten Mal von ihm erfahren habe, fasziniert mich der Name eines bestimmten österreichischen Künstlers, und zwar Friedensreich Regentag Dunkelbunt Hundertwasser. Vor allem das Wort Dunkelbunt schillert in allen unmöglichen Farben und stiftet so schon ganz von allein unsere Phantasie zum Selbstschaffen an. Dazu gibts noch allerlei Geschichten und Gerüchte, rund um des Meisters Verhältnis zum Abfall an sichhier etwa eine sehr schöne Darstellung seines Manifests “Scheißkultur – die heilige Scheiße”. Das mit der Künstlerkacke “Merda d’artista”, die letzten Endes mehr Wert besitzen sollte als Gold, das war allerdings der italienische Konzeptkünstler Piero Manzoni. Dazu soll ihn sein Vater inspiriert haben, indem er ihm einst vorhielt: “Deine Arbeit ist Scheiße!”

Dunkelbunt SommertagKommen wir nun zum zweiten Begriff in unserem Sendungstitel, dem Sommertag. Der assoziiert ja seit Erfindung der Sommerferien alles Vorstellbare rund um Freibad, Freiheit und Freizügigkeit. Oder lieber Freibier? Was auch immer… Dennoch wohnt dem Sommersein oft nicht nur Schönes und Helles inne, sondern auch Abgründiges. Dann wirds dunkelbunt. Gisbert zu Knyphausen drückt dies in seinem Lied “Sommertag” zum Beispiel ganz vortrefflich aus. Oder aber Volker Strübing, der seinen alten Slamtext “Sommer ist Scheiße” für Kloß & Spinne (feat. Norbert) wieder aufbereitet hat. Ob ironisch überdreht oder dezent angedeutet: Jede Extase trägt immer auch den Absturz in sich, so wie das Bittere auch immer mit dem Süßen vermengt ist. Plattitüdeldüü. Doch was hat das alles mit der Sommersendung” zum kommenden Sonntag zu tun? Schuld ist vor allem wieder einmal der Wetterbericht, der für diesen Stimmungshöhepunkt des Sommergenießens gröbliche Kälte sowie Regen vorhersagt. Wo wir doch eh schon aus dem provisorischen Rumpelkarma der Radiofabrik senden – und zudem an einem erheblichen thematischen Sommerloch laborieren. Was also anfangen mit solch ambivalentem Seinszustand im Zwischen?

Aus der Not eine Tuchent machen (oder wie das heißt) und den Pros and Cons der wortwörtlichen Sommerfrische auf den Grund spüren! Natursache, eine Andeutung. Dunkelbunt, urgemäß.

 

Thomas Bernhard Sprachlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. AprilZur 80sten Niewiederkehr der Salzburger Bücherverbrennung von 1938 (Stichtag ist die Walpurgisnacht) bringen wir heute die SAG-Gruppenlesung “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” vom November 2017 zu Gehör. Gründe dafür gibt es mannigfache. So hat die Salzburger Autorengruppe im Jahr 1987 (damals mit Erich Fried gemeinsam) damit begonnen, das Erinnern an diesen geisttötenden Naziaufmarsch dem Vergessen zu entreißen. Auch wir haben dieses Thema immer wieder in Gestalt von Radiosendungen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, so zum 75. Gedenken durch “Stimmen aus dem Massengrab” oder anlässlich der schier ewigwährenden Mahnmal-Zerplanerei durch unser Double-Feature-Projekt “ERINNERN VERGESSEN” vom April 2016.

Thomas Bernhard LandschaftInzwischen ist der hier jahrelang umtriebige Christopher Schmall zum Obmann der SAG gewählt worden – und in dieser Funktion auch für diverse Themenarbeiten mit verantwortlich, wodurch sich Vergangenes und Zukünftiges im Hier und Jetzt wieder begegnen. Das scheint mir auch die Essenz dieser Gruppenlesung zu sein, in der es ja darum geht, einen “toten Dichter” durch die Beschäftigung mit seinem Werk “ins Leben zu schreiben” und so aus dem erstarrten Erinnern an Thomas Bernhard eine fortwährende Zwiesprache herzustellen. Ganz ähnlich hat dies die SAG bereits in der Literaturhaus-Veranstaltung “Salzburg Seelen” (zum Allerseelentag) verwirklicht, in deren Rahmen Christine Haidegger ihre viel zu früh verstorbene Tochter Meta Merz würdigte. Waren hierbei noch alle möglichen “von uns gegangenen” Wortschöpfer_innen Gegenstand der Verbearbeitung, so legten die “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” (bei den Kritischen Literaturtagen in der ARGEkultur) den Schwerpunkt ausschließlich auf den prominenten Namensgeber und “wie verschieden sie dann sind“. Denn all die mit-schreibenden und -lesenden Autor_innen befassten sich auf ihre jeweils eigene Art und Weise mit demselben…

Dichter_innen sind nun einmal naturgemäß Zeitreisende, in dem Sinn, dass sie nicht nur Zukünftiges ausdenken, sondern auch Vergangenes erzählen können. Und auch das Wort “Geschichte” hat diese zwei Bedeutungsebenen. Ich behaupte somit, dass “die Geschichte” aus lauter “Geschichten” besteht, andernfalls gäbe es sie gar nicht. Womit wir wiederum bei einer wesentlichen Aufgabe jedweder Dichtkunst angelangt sind: beim Erdenken, Bewahren und Weitergeben von allem, was war, ist und sein könnte, also zusammenfassend – beim Geschichte(n)erzählen! Soviel erstmal dazu.

“Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt.” Karl Kraus

 

COPY RIOT!

 

Wir fordern Frühling!

Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. MärzJetzt! Sofort! Augenblicklich!  Kalendarisch hätte der Frühling eigentlich schon angefangen, auch der Osterhase steht bereits erwartungsfroh vor der Tür – doch wir frieren immer noch an Leib und Seele, dass es nur so scheppert. Höchste Zeit also, einen lyrischen Kosmos gegen Kaltfront und Nachtfrust anzurühren! Einen inwendig warmen Polarluftschutz, aus dem heraus sich die Landschaft um uns wie durch Zauber verwandelt. Ein Wunder der Dichtung gegen die Tristesse der Vernunft. Ein Schlüsselblumenerlebnis gegen das sibirische Eisbärenballett. Lasset uns Frühling machen! Oder, wie ich es dem jüngst mit dem Günther-Anders-Preis für kritisches Denken ausgezeichneten Autor Dietmar Dath in den Mund schöbe: “Lasset uns davon berichten, wie es sein sollte!

Ursprung FrühlingEinmal in der Woche strahlt der Radiosender Ö1 eine Art Collage namens “Du holde Kunst” aus, in der eine Stunde lang Gedichte und instrumentale Musik zu hören sind. Diese Sendung wurde erstmals im Oktober 1945 vom ORF-Vorläufer “Rot-Weiß-Rot” produziert – und läuft seitdem ununterbrochen im öffentlich-rechtlichen Programm. Ihr ursprüngliches Ziel war, “dem vom Krieg und den unmittelbaren Nachkriegswirren zerrütteten Publikum die schönsten und edelsten Schöpfungen von Literatur und Musik nahe zu bringen” und “den Schmutz des Krieges aus den Herzen zu vertreiben.” Zudem sollte ihre “Lyrische Ästhetik eine Art Flucht aus dem harten Alltag vermitteln, aber auch die Sehnsucht nach einer lichteren und schöneren Welt zum Ausdruck bringen.” Ein Anliegen von bleibender Brisanz und – angesichts der Weltlage – auch von erschreckender Aktualität. Die dienstälteste ORF-Sendung erreicht nach wie vor (abgesehen von den Nachrichten) das meiste Zuhören und wurde sogar schon als Forschungsprojekt zur Lyrikvermittlung im Radio gewürdigt. So begegnen sich nun unsere Interessen, das Vermitteln von poetischer Schönheit als Gegenpol zum Weltwetter ist fürwahr auch in unserem Konzept ein roter Faden.

Allerdings erweitern wir, bei der Musikauswahl wie bei den Darstellungsformen, den engen bildungsbürgerlichen Kanon in ein experimentelleres Ambiente aus Pop, Jazz, Spokenword und Spontaneität. So feiert sich der totale Frühling, 73 Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs – und 20 Jahre nach dem Fall des Rundfunkmonopols

 

Musas von Natalia Lafourcade

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. MärzDie mexikanische Sängerin macht sich gemeinsam mit dem Duo Los Macorinos auf die Suche nach ihren Inspirationen aus der weiten Welt lateinamerikanischer Klänge, nach ihren Musen sozusagen. So hat sie denn auch ihre zwei jüngsten Alben betitelt, nämlich Musas, deren erstes wir heute voller Freude zu Gehör bringen. Natalia Lafourcade war in den letzten Jahren als innovative Interpretin des Latin-Pop überaus erfolgreich, als solche auch bei der aktuellen Oscarverleihung zu Gast (was wohl nicht jedermanns Mainstream ist). In ihrem “Back to the Roots”-Projekt Musas jedoch spürt sie ernsthaft und feinsinnig all den Einflüssen nach, die sie im Lauf ihres Lebens und ihrer Karriere geprägt haben. Und in der Vermittlung dieser Musikwelt offenbart sie sich als eine echte Künstlerin.

Musas von Natalia Lafourcade„war wohl wieder ein gestrandeter abend, betrunken beraucht, antheringabend in freundes wohnung und ich meine rolle als nachtwächter selbsterfreulich einnehmend, nämlich ein sitzen vor der weltenscheibe mit zunehmender gedankenschwere und weiterer berauschung innerwärts – was die nacht erträglich macht. vor mir des internets abgrundsweite, zuflucht in bekanntem, oftgehörtem, abermals aberwitzigem, dann die suche nach bestimmtem, unbestimmt in der anzahl, unbestimmt auch die ungestümen einfälle im kopf des rauschenden…

und da erschien sie mir : in magenta und trübem blau, mit geschlossenen augen, geflochtenem haar und sang von einsamkeit und dem meer, von bolero und errötendem licht. unendliche sanftmut. stürmende lebenslust. es war echte musik, die schweben blieb im raum, mit dem rauch tanzte, sich mir ins spüren legte, an meine haut schmiegte – versickerte in jeder pompösen pore.

als ich vertraute war zeit ein wort ohne sinn
als wir verschmolzen färbte der himmel sich neu
als ich verstand begann erst mein fragen

in jeder zauberzüngigen zelle –
dort lebt sie nun, diese glühende welt, diese fremde so vertraute landschaft, lebt und wächst, verwebt und wandelt sich, mich.“

 

Grüner wirds nimmer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. FebruarDer langjährige künstlerische Leiter der ARGEkultur (oder Geschäftsführer, wie es hierorts heißt), Markus Grüner-Musil übergibt seine Agenden mit 1. März an den Theatermacher Sebastian Linz. Mit Linz beginnts also (zumindest teilweise) wieder ganz neu, immerhin jedenfalls anders. Und so wird ringsum spekuliert über Inhalte, Schwerpunktsetzung oder Kontinuität, vor allem vom Stottern ist da immer wieder zu hören. Genau die richtige Zeit für uns, Freunde der gelungenen Sprache, dem kommenden Impresario hoffensdick sowie ohne Vorurteil zuzuwinken – und den scheidenden mit einem kleinen Nachwurf (aus seiner eigenen Redekunst) zu bedenken. Politisch scheint beiden vieles gemeinsam zu sein, in der Herangehensweise werden sie sich dann doch wohl unterscheiden

Markus Grüner-MusilNebiges Stimmungsbild stammt von der Vorstellung des ARGEkultur-Programms 2017 im Magnolia-Blog und passt (nicht nur jahreszeitlich) perfekt in unser heutiges Konzept. Besten Dank dafür! Wir haben uns in den letzten 10 Jahren nämlich über so manche Unzulänglichkeit dieses vielgerühmten Gebäudes mokiert, welches uns zugleich auch Heimat und Sendungsstandort ist. Abgrund und Ambivalenz. Wenn wir dabei die Entwicklung der ARGE-Bewegung seit den 70ern betrachten, dann kommt allerdings leicht so etwas wie Trübsinn auf. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im richtigen Leben so auch im falschen, unsere tägliche Institutionalisierung gib uns heute und vergib uns unseren Zwiespalt wie auch wir ihn vergeben uns selbst et cetera und Amen. Das Ringen mit der Macht findet vielleicht statt, nur leider fast nie dort, wo sie herrscht. Stattdessen da, wo sie längst für ihre stillschweigende Duldung bezahlt. Auseinandersetzung ressortiert im Fachbereich Bestuhlung und Diskurswerfen ist eine olympische Disziplin. Quod licet Jovi non olet. Grüner ist immerhin eine Steigerungsform und Musil bestimmt kein Mann ohne Eigenschaften. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Und abermals sage ich: Nach mir die Sinnflut!”

Von den Mühen der Institution, vom Germteig des kritischen Empfindens, von der Idiotie des Kommerziellen, von der Kunst einer gescheiten Tonaufnahme – und nicht zuletzt vom Denkzettel eines umtriebigen Kulturarbeiters. All dies (und noch mehr) rundet sich erst zum Erlebnis, wenn auch unsere Sendung euer Gehör findet.

 

In einem fort pflanzen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Januar – Wieder so ein Wortwitz, ein doppeldeutiger. Für die Postmodernde. Juhuu! Doch was soll sich da eigentlich fortpflanzen, über die Generationen hinweg – oder wollen die uns bloß in einem fort pflanzen, die Ehestandswahrer vom ewiggestrigen Familienbimbam? Diese fürwahren Fortpflanzerl. “Die Familie ist die Geheimzelle des Staates.” Und in dieser Black Site des Herrschtums verendet das Lebendigsein unzähliger Kinder. Ich habe mich auch in der Jugendarbeit immer dagegen gewehrt, an Menschen nachzubessern, damit sie vielleicht geschmeidiger in den Fleischwolf der Gesellschaft rutschen. Gerade heute sind an allen Ecken und Enden die Funktionalisierer unterwegs, und wer sich nicht frohgemut und brauchbar verwerten lässt, wird aus “der Gemeinschaft” entfernt

väter söhne pflanzenDagegen gilt es, mit all seiner Lebenskraft, anzugehen, anzustinken – und anzuschreien. Und sich nicht aufhalten oder gar pflanzen zu lassen von irgendwelchen Altvorderen und ihren Ideologien. Es heißt ja, die Pubertät sei so etwas wie eine generelle hormonbedingte Anpassungsstörung. Schon mal in Betracht gezogen, dass die Erwachsenenwelt, in die es sich da einzufügen gilt, ein vollkommener Schwachsinn sein könnte? Ein schwindlich machendes Kettenkarussell voller Dummheit und Niedertracht, das im Begriff ist, den Ast, auf dem wir alle sitzen, endgültig abzusägen? Wer also Schwierigkeiten hat, sich an so ein Idiotenkompott anzubiedern, ist keineswegs gestört – höchstens beim Gesundsein gestört worden! Die Störung beim Pubertier ist dann allenfalls Syptom einer zutiefst verstörten und zerstörerischen Weltordnung, an die sich anzupassen ohnehin nur mittels heftiger Hirnamputation möglich wäre. Dass es der überwältigten Mehrheit letztendlich doch gelingt, soll uns jedenfalls nicht am Denken hindern. Gerade weil wir die Sendungen oft aus Befindlichkeiten heraus gestalten, wie die hierzu passende Nachtfahrt “Aus dem Tod eine Jugend machen”, bei der uns die nicht eben unschräge Musik von Knorkator begegnet ist: Und ging. Deren unendlicher Ideenscheißer Alf Ator hat ja auch schon des öfteren seinen Sohn Tim Tom (als der noch ein Kind war) zum Singen angestiftet, etwa auf Arschgesicht.

Inzwischen hat Tim Tom (der auf dem Foto) seine eigene Band Black Monster Truck und die ist (wie das nächste Lied) ziemlich cool: Am Horizont (live). Von derartigen Übergängen lassen wir uns diesmal inspirieren, wenn es um die Vermächtnisse von entlegenen Ursassen geht. Pflanzerl und Pflanzungen, wir sind ein geiles Institut.