You’re Fired

> sendung: Artarium vom Sonntag, 8. November – Amerika ist anders. Allerdings anders anders als Wien. “Schleich di, du Oaschloch!” Im Land der Unbegrenzten heißt das “You’re fired!” There’s no Business like Showbusiness. Für Masochisten hier noch einmal die Zusammenfassung. Dieser Mensch ist eine Dauerbeleidigung für jedwede Regung intelligenten Lebens auf dem gesamten Planeten. Intelligenz ist fürwahr nicht die Fähigkeit, sich listig auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen oder sich hinterfotzig in ein hohes Staatsamt zu schwindeln. Vielmehr Gefühlsintelligenz, das Erkennen von Schönheit und Stimmigkeit, der Respekt vor dem Anderssein der Anderen, das Eintreten für die Bedürfnisse von Schwächeren, kurz gesagt Interesse am Gedeihen der Welt. Wer rücksichtslos Gewalt ausübt, soll sich bitte schleichen.

You're FiredUnd wer andauernd andere aus seinem Umfeld rausschmeißt, der soll endlich zu sich selbst sagen: “You’re fired.” Und sich aus dem Weg räumen, den andere gehen wollen. Die globale Verstopfung durch egoistsches Trotteltum ist dieser Welt nicht länger zuzumuten. Und bitte um Verzeihung, Bernd, dass wir dich hier zur Illustration von “Dumm wie Brot” verwenden, doch bei der Sprachsuche nach Beschreibungen für den unerträglichen Krawattenquader sind wir tatsächlich am Ende unserer Ausdruckskraft angekommen. Auch hier kann uns nur noch die Mundart retten: “Do schloft ma beim Speibn des Gsicht ein.”, soll einst Werner Geier auf Ö3 gesagt haben. Das waren Zeiten! Das war noch Radio! Gute Nacht, Österreich. Keine Realität ohne Realitäter.

Scheiße. Der Machtwechsel als Stoffwechsel. Ein quälend langsamer Prozess wird uns von allen Seiten tagelang live übertragen und dazu noch in Gesprächsrunden redundant kommentiert. Schon klar, wir sind alle froh, dass uns wenigstens irgendwas mal vom Dauerthema Pandemie ablenkt. Aber doch bitte nicht in allen grauslichen Einzelheiten. “Ich wähle Trump, weil Amerika sonst ein kommunistisches Land wird.” Bei dergleichen Schwachsinn mussten wir fortwährend schnappatmen, während wir eigentlich nur erfahren wollten, ob das Bemmerl endlich draußen ist. Ganz Amerika sitzt am weißen Häusel – und die Welt schaut dabei zu. Naturgemäß selten gab es erheiternde Momente wie etwa jene Replik von Gayle Tufts: “Wenn Joe Biden ein Kommunist ist, dann ist Florian Silbereisen der nächste Sänger von Rammstein.”

An dieser Stelle wünschen wir Till Lindemann lieber auch weiterhin alles Gute.

 

Rotweißrot Schwarzweiß

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. Oktober – Ein farbenfrohes Fest zum dräuenden Tag der Fahne – so rotweißrot hieß unser Nationalfeiertag nämlich vor 1965 – vom Schneeweißchen (Lisa Eckhart) übers Rosenrot (Georg Kreisler) bis ins dunkelgraue Schwarz (Ludwig Hirsch) und zum Salzburger Lokalkolorit. “Die Kunst muss manchmal zuspitzen.” Das wusste bereits Claus Peymann, als er in Wien einst den Burgtheaterdirektor gab und zusammen mit Thomas Bernhard den legendären Heldenplatz-Exorzismus veranstaltete: “Das ist das Naziland. Das sind alles Nazis. Die warten ja nur auf den neuen Hitler.” Wollt ihr das totale Schwarzweiß? Ja? Nein? Dann halt vielleicht doch lieber blaun, brün – oder bürkis? “Nein, ich liebe euch!” Was steckt da eigentlich in wem – und wenn ja, wieviel? Und überhaupt – warum?

Rotweißrot Almduludl

Rotweißrote Kuh von Kurt Tutschek

Das Schwarzweiß ist allerdings auch ein Merkmal von Satire, wie das Bertolt Brecht so zutreffend beschrieben hat: “Die Wirklichkeit entstellen – und zwar bis zu ihrer Kenntlichkeit.” Also Zuspitzung, Überhöhung, Abstraktion und Karrikaturdas Nachzeichnen wesentlicher Eigenschaften mit dem schwarzweißen Strich der pointierten Betrachtung. So wie wir das heute im Hinblick auf das Rotweißrot des Fahnenfests tun wollen. Achtung: Satire! Schwarzweiß gesehen ist der Salzburger Stier inzwischen eine rotweißrote Kuh geworden, Stierwascher hin, Lederhosen her. Kritik ist keine Majestätsbeleidigung, sondern ein Aufzeigen von Unfertigkeiten und Widersprüchen in der Darbietung des/der Kritisierten. Durch Bedachtnahme darauf könnte jedwedes tatsächliche Ergebnis verbessert werden. Wer jedoch seine Kritiker mundtot macht, lässt dadurch erkennen, dass es ihm/ihr gar nicht um ein möglichst gutes Ergebnis geht, sondern vielmehr darum, auch vollkommen grundlos Macht zu besitzen oder sonst irgendein soziopathisches Verhalten auszuüben – naturgemäß auf Kosten anderer. Eins sollte man dabei aber nicht übersehen: Die Anderen – das sind wir!

Dass wir angefühls allzu täglicher Babyelefantenauftriebe und Türkelbärenauslösen noch nicht vollends schwarz sehen, das verdanken wir unter anderem Künstlern wie Nikolaus Habjan oder der Musicbanda Franui, welche das Werk eines viel zu oft im dümmlichen Gunstbetrieb als “Schwarzmaler” verunglimpften “Liedkomponisten, Menschenkenners und Wortakrobaten” dergestalt zeitlos ins Leben spielen, dass es vor lauter Freude weh tut. Ein Aspekt des Gedenkens ist das Aushebeln der Zeit. Und – wie würde Georg Kreisler heute kritisieren?

“Schlagt sie tot!”

 

Where has all the Power gone?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Oktober“This great evil, where’s it come from? How’d it steal into the world? What seed, what root did it grow from? Who’s doing this? Who’s killing us, robbing us of life and light, mocking us with the sight of what we might’ve known? Does our ruin benefit the earth, does it help the grass to grow, the sun to shine? Is this darkness in you, too? Have you passed through this night?” Das fragt sich ein Soldat mitten im Pazifikkrieg 1942 auf der Salomoneninsel Guadalcanal. Ein Zitat aus dem fürwahr etwas anderen Kriegsfilm “The Thin Red Line” (Der schmale Grat) von 1998, das auch als Sample in der Musik der Post-Rock-Band “Explosions in the Sky” auftaucht. Wir spüren zurück in die 90er und fragen uns, was uns um jene einstmals so deutlich erkennbare “Power“ gebracht hat. Wieder so ein Scheißkrieg?

The Power and the GloryDer Verdacht liegt nahe. Eine These besagt, dass durch die Anschläge des 11. September 2001 sowie vor allem durch die kriegerische und geheimdienstliche Reaktion der USA ein internationales Klima des Misstrauens und der Anspannung entstanden ist, das sich bis heute in unseren Köpfen auswirkt: “Pass auf was du sagst. Pass auf, wem du es sagst. Und pass gut auf, wie du es sagst.” Durch solch vorauseilende Selbstzensur erodiert das, was wir noch in den 90ern als “Power” (als Lebenslust, Unbefangenheit und spontane Selbstäußerung in der Kunst) antreffen. Wenn wir heute irgedwas auf die Bühne bringen, das nicht rundum der Erwartung des “Korrekten” entspricht, erleben wir eine seltsam distanzierte Atmosphäre, die sich wie eine Wand aus Ablehnung anfühlt. Und zwar nicht erst seit Corona. Seit dieser zusätzlichen Einschränkung reden wir einfach mehr mit uns selbst und mit den Wänden, die die Welt bedeuten.

Lauschen wir also einigen Musikschaffenden, die mit ihren Werken den Sound des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Die dabei jene Energie des unverkrampften Aufbegehrens erlebbar machten, die wir als “ganz spezielle Power” heute so schmerzlich vermissen. Bis hin zur Wahrnehmung des neuen Milleniums: “Those who tell the Truth shall die, those who tell the Truth shall live forever”

 

Konstantins Kindheitstraum

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. OktoberKonstantin Wecker hat sich da wohl wirklich einen Kindheitstraum erfüllt: Gemeinsam mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie einen üppigen Überblick seiner eigenen Werke darzutun. In der Konzertreihe “Weltenbrand” sowie auf dem gleichnamigen Live-Doppelalbum orgelt es einem Weckers Welt jetzt also orchestral um die Sinne – und es ist kaum zu fassen, dass der lebensfrohe Sänger, Dichter und Komponist, dem wir da beiwohnen, schon über 70 Jahre alt ist. Immerhin dauert das Programm fast zweieinhalb Stunden und man muss sehr genau hinhören um zu bemerken, dass dazwischen auch einmal ein Päuschen eingelegt wird. Auf jeden Fall stellt dieser Rundflug durch 40 vielseitige Schaffensjahre eine gelungene Auslese im bislang ungekannten Musikgewand dar.

Konstantins KindheitstraumUnd der Kindheitstraum? Oftmals hat “der Wecker” inzwischen davon erzählt, wie der kleine Konstantin daheim zu den Opernplatten seines Vaters singen lernte. Sich als Kind in die Rolle hinein zu phantasieren, auf der Bühne, mit Orchester, das lässt sich einfach nachempfinden – sofern man sich selbst als Kind noch nicht vollends abgeschafft hat. Und heute – im Herbst seines Lebens – singt der große Konstantin seine Lieder live mit Orchester, auf der Bühne – und sogar vor Publikum. Das vergönn‘ ich ihm von Herzen! Mir ist er im Verlauf meines Lebens mehrmals wesentlich geworden – und das hängt wohl mit der unglaublichen Vielfalt seiner Ausdrucksformen zusammen, die eine/n in den verschiedensten Gestimmtheiten innerlich widerspiegeln können. Zuerst war er mir Mentor der Auflehnung (Das sag ich euch…) sowie Lehrer der Zärtlichkeit (Was tat man den Mädchen), danach Wanderführer des politischen Widerstands (Willy) und Verkörperung von Prallheit und Genuss (Genug ist nicht genug). Viel später erst entdeckte ich die Welt seiner Gedichte und Jetzt eine Insel finden wurde mir zum dauernden Weggefährten. Seitdem erachte ich Weckers lyrisches Werk für sträflich unterschätzt. Aber was willst in der kleinkarierten Szenerie, die auf alle und jeden ein Genreschachterl scheißt? Gute Untenhaltung mit Preiszetterl und Diplom…

Dahingegen spielen wir einen Ausschnitt aus Weckers Weltenbrand mit Orchester und überlassen euch dem Leben, das sich bekanntermaßen weder diplomieren noch bepreiszetterln lässt. Das Leben will lebendig sein…

“Die Herren pokern. Ihre Welt schneit unsere Herzen langsam ein. Jetzt kann nur noch die Phantasie die Sterbenden vom Eis befreien.”

 

Volkstrottel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. September Der Volkstrottel – er bietet sich als Steigerungsform des Trottels geradezu an: Trottel, Volltrottel, Volkstrottel. Das liegt sogar sprachgeschichtlich nahe, zumal die Etymologie den Begriff “Volk” von einer indoeuropäischen Wurzel herleitet, die “Menge, Fülle” sowie “(ein)füllen” bedeutet. Von da her riechen Kirtag und Zeltfest sowie die sprichwörtliche “breite Masse” gleich etwas mehr nach Erbrochenem. Wes das Volk voll ist, des geht der Mund über. Eine umfassende Bestimmung aller hier angeführten Begriffe würde allerdings den Rahmen (der Sendung wie auch des Artikels) sprengen. Weshalb wir uns auf den Trottel an sich beschränken wollen, der ohne eigenes Hinterfragen dem jeweils vorherrschenden Trend seines Umfelds nachtrottelt. Eben dem Volkstrottel.

Idioten und VolkstrottelDoch Vorsicht! Ein Idiot ist kein Trottel. Und so manches Zitat ist auch nicht von Franz Kafka. Ein hierbei besonders herausragender Satz ist dieser: “Viele falsche Zitate entstehen aus Satiren, die nicht als Satiren erkannt werden.” Derlei ist zumeist dort zu beobachten, wo ein starres und vorgefertigtes Weltbild das selbständige Denken verdrängt und somit auch das Empfinden, das Einfühlenkönnen (also das, was wir Phantasie nennen) zerhindert. Nun ist zwar “Volkstrottel” eine beliebte Bezeichnung für vielerlei Nationalpatridioten bis hin zu jenen völkischen Popolisten, deren Vogel Nazi heißt und seit tausend Jahren ins deutsche Erfolgreich scheißt, doch die Art und Weise, wie Feindbilder hergestellt und Unwillkommene ausgemerzt werden, ist auch in ganz gegenteiligen Gesellschaftskreisen zu bemerken: Da wird aus vermeintlicher Rechtgläubigkeit reflexhaft reagiert, ohne Gefühl und Verstand, werden Menschen zur Unperson erklärt, aus der Wahrnehmung verbannt und aus der Geschichte getilgt. Vorprogrammierte Verhaltensweisen sind allerdings ihrem Wesen nach immer vertrottelt, ganz egal, aus welcher Weltsicht sie herrühren. Der Friede unter den Menschen, Gerechtigkeit und “eine bessere Welt” werden nicht dadurch erreicht, dass man alle vernichtet, die von irgendeiner Norm abweichen.

Und nun, liebe Links- wie Rechtgläubige, verehrtes Volk, liebe Trottel: Wer sich im Dickicht unserer Andeutungen und Assoziationen zu verlaufen droht – oder ein für alle Mal wissen will, worum es in dieser Sendung eigentlich geht, derdiedas möge zur weiteren Vor- und Zubereitung diesen subtilen Kommentar von Prof. Dr. Gernot Hassknecht zu sich nehmen. Wir wünschen guten Appetit.

 

Passagen. Werk für Walter Benjamin (zum 80. Todestag)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. September“Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.” Am 26. September 1940 starb Walter Benjamin auf der Flucht vor den Nazis im spanischen Grenzort Portbou. Wir gestalten aus diesem Anlass einen akustischen Gedenkort für diesen Philosophen, Kulturkritiker und (unter anderem auch) Baudelaire-Übersetzer, dessen komplexe Denkwelten sich der Einsortierung im akademischen Schachterltum nach wie vor naturgemäß widersetzen. Was ist “Geschichte” jenseits ihrer Schreibung? Walter Benjamin wollte nicht weniger, als die kapitalistische Weltherrschaft gründlich zum Einsturz zu bringen. Im Eingedenken mit ihm betreten wir eine andere Wirklichkeit.

“Es handelt sich bei Benjamin um eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten, denen ich je in der Literatur begegnen durfte. Er verkörpert für mich jenseits seiner traurigen Geschichte, aber um sie wissend, die gelungenste Zusammenführung von Poesie und Wissenschaft. Niemand konnte diese zwei Disziplinen so zusammendenken wie Benjamin. Er hat sich nie aus der Wissenschaft herausgedacht. Er hat keinen Unterschied zwischen Form und Inhalt gemacht. Bei jedem wissenschaftlichen Text aus seiner Feder hat man stets das Gefühl, einen Lyriker zu lesen. Ich kenne niemanden, der zärtlicher zur Sprache gewesen ist als Walter Benjamin. Und das, obwohl er gar keine Gedichte geschrieben hat.” Andreas Spechtl

“Wenn ich über die Vergangenheit schreibe, während ich in der Gegenwart verweile, bin ich dann noch in der Echtzeit? Vielleicht gibt es keine Vergangenheit oder Zukunft, nur die immerwährende Gegenwart, die diese Dreieinheit von Gedächtnis enthält.
Ich blickte hinaus auf die Straße und sah, wie sich das Licht veränderte.” Patti Smith

“In dem historischen Augenblick, da der Kapitalismus – in Form des von ihm hervorgebrachten Faschismus – eine Gefahr apokalyptischen Ausmaßes in die Welt befördert hat, nimmt er nochmals den Beginn der kapitalistischen Epoche ganz genau in den Blick, und zwar in atmosphärischen Details, die dem Marxismus (zu dem sich Benjamin in dieser Phase seines Lebens ausdrücklich bekennt) in seinen orthodoxeren Ausprägungen völlig nebensächlich erschienen wären. Als könnte sich durch das Herausgreifen dieser Details, wenn man sie nur genau genug anschaut, der versteckte Schlüssel zum Verständnis des Kapitalismus finden, die Sollbruchstelle, von der her man ihn im letzten Augenblick – bevor der Faschismus auf ganzer Linie siegt – zum Explodieren bringen kann.” Gerald Fiebig über Walter Benjamins “Passagen-Werk” (Fragment), das auch dem hier titelgebend zu spielenden Hörstück zugrunde liegt.

Es erscheint uns ohnehin der geeignetere Zugang zum übervollen Universum des rastlosen Bilddenkmenschen zu sein, in Gestalt einer inneren Erlebnisreise etwas davon zu erspüren. Wie wenn man den etwas sehr anderen Dokumentarfilm “Who killed Walter Benjamin?” eben nicht verschwörungsesoterisch, sondern ganz und gar “benjaminisch” auffasst: Die Geschichte erzählt sich ihren Anwendern von selbst.

 

Razelli RMX – Jedermann

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. September – Kaum ist das letzte Echo über dem Domplatz verhallt, schieben wir eine weitere Jedermann-Interpretation hintnach, die wir für äußerst hörenswert erachten. Es handelt sich dabei um die neueste Fassung von Philipp Hochmairs Jedermann-Monolog, diesmal dramaturgisch gestrafft und in die Musik von Kurt Razelli eingebettet. Kurt wer? Razelli, weithin bekannt als Mash-Up-Artist, der oft prominente Wortspenden zu vielschichtig schillernden Songs/Videos verbearbeitet. Ein rastlos kreativer Freibeuter, der aus dem allgegenwärtigen Treibgut der Sprache wiederum neue, ureigene Kunstwerke herstellt, überraschend, kratzig, hintersinnig, lärmend und schön. Zum Beispiel sein Peter Handke Song – da kommt einem die Weltliteratur derart unerhört entgegen – dass die Ohren Augen machen!

Razelli RMX JedermannDieses “aneignende Darstellen” enspricht auch der Arbeitsweise von Philipp Hochmair, der sein “Jedermann-Reloaded-Projekt” immer als ein Work-In-Progress und als Erforschen und Ausloten der Möglichkeitsformen eines oft als unbefriedigend erlebten Texts begreift. Dem Post-Rock-Album mit der Elektrohand Gottes haben wir im letzten Herbst zwei Sendungen gewidmet. Diesmal bringen wir das aktuelle Album von Kurt Razelli zu Gehör, das die verdichtete Version des Jedermann-Monologs mehr in filmepischen Klangflächen und dramatischen Sounscapes aufbereitet. Durch diese Umsetzung erreicht das einst museal muffige Stück eine bislang ungekannte Dynamik und Eindringlichkeit. Und die beiden Berserker, die hier gemeinsam gewirkt haben, erstbesteigen einen neuen Höhepunkt ihres bisherigen Schaffens, der sich rundum gelungen anfühlt – und anhört. Vertrauen sie uns, wir spielen immer nur das, was uns taugt. Das ist das Vermächtnis des Freien Radios in einer Medienlandschaft voller Quoten und Idioten: Der unerträglichen Vermarktstandelung von Jedermannsdorf das Kreative in seinem Werden zu entgegnen, weil es Kunst und Lust – und gut ist.

Kommt Jesus zum Psychiater und sagt: “Herr Doktor, ich halt das alles nicht mehr aus. Die einen laufen mir nach, die anderen wollen mich umbringen. Und ich hab immer das Gefühl, ich muss alle retten. Ich bin total verzweifelt. Sagen sie mir, was ich tun soll!” Darauf der Psychiater: “Nu – bin ich Gott?”

Zu Risiken und Nebenwirkungen essen sie die Packungsbeilage …

 

Der Tod

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. August“Grüß Gott, ich bin der Tod.” Dergestalt stellt sich der Sensenmann in einem feinen Kunstlied der EAV vor, und das naturgemäß mit einigem Salzburg- und Jedermannbezug. Dass diesem (fast) alljährlichen Mysterienspiel wegen seiner zentralen Thematisierung des Tods (in einem erzkatholischen Umfeld) schon einmal Mut und Fortschrittlichkeit attestiert wurden, das war uns bisher unbekannt. Wenn man allerdings bedenkt, wie sehr Tod und Sterben in unserer Gesellschaft ausgeblendet, verdrängt und wegritualisiert werden, dann scheint da durchaus etwas dran zu sein. Karl Kraus störte sich wohl eher an der allzu flotten Entschuldung des eiskalten Profiteurs Jedermann kurz nach dem Millionentod des ersten Weltkriegs mit all dem “katholischen Bumsti”

Andreas Vitásek - Der TodDer Tod und das mit ihm einher gehende Memento mori sind ein wesentliches Thema bei diesen Salzburger Festspielen, die für manche die Welt bedeuten – für manche auch nur die Bretter, die sie so gern vor dem Kopf haben, nur damit sie nicht weiter denken müssen als bis zum Rand ihrer wohlgefüllten Suppenschüssel. Dort endet ihre Welt und dort endet auch ihr Theater. Alles hat ein Ende – auch die Reichen und Schönen. Und sssippe sssappe! Womit wir bei Andreas Vitásek und bei seiner Personifikation des Todes angekommen wären. Eine Unterhaltung mit der eigenen Vorstellung vom Tod ganz in der Tradition “sich darüber lustig zu machen”, nicht ohne auch den Todernst aufblitzen zu lassen… Offenbar ist dem Tod in unserer Kultur am besten indirekt beizukommen, allegorisch, ironisch, surreal. Bei einem Gespräch über die Verdrängung des Sterbensthemas meinte der Hase, dass dadurch den einzelnen Menschen “das Werkzeug fehle”, um mit ihrem eigenen Ende klarzukommen. Ich wunderte mich zunächst über die Wortwahl, begriff jedoch dann ihre Bedeutung: Das Werkzeug, das man benötigt, um die eigene Endlichkeit überhaupt zu “bearbeiten” sowie das eigene Sterben, den eigenen Tod irgendwie friedlich, versöhnt und in Würde zu vollziehen – was könnte das sein?

Die grenzgeniale Orgel-Improvisation über den Bach-Choral “Komm o Tod, du Schlafes Bruder”, die mir immer als Orgel-Orgasmus (le petit mort) und logischer Höhepunkt der Filmhandlung erschien, sie heißt bei ihrem Komponisten Norbert J. Schneider “Der letzte Wille des Elias Alder” und trägt dessen baldigen Tod bereits machtvoll in sich. Dazu empfehlen wir nachdrücklich das zugrundeliegende Buch Schlafes Bruder von Robert Schneider. Und, über die Grenzen der Grausamkeit hinaus selbst Fragen zu stellen …

 

Salzburger Domkapital

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. August – Vom Memento mori zur Kapitalismuskritik. Barock’N’Roll in einer Stadt, die oft nur als Bühnenbild fürs Geschäftemachen gesehen wird. Für viele sind daher die Bretter vor ihrem Kopf die, die die Welt bedeuten. Aber das ist nicht die unsere. Inwieweit sind die derzeitigen Salzburger unser aller Festspiele? Damit auch wirklich alle, die etwa den Jedermann kritisieren, verstehen, worum es dabei geht, haben wir die 10-Minuten-Fassung von Michael Sommer aus seiner genialen Reihe “Weltliteratur to go” vorbereitet. (In der CBA-Version unserer Sendung sind an der Stelle Philipp Hochmair, Die Elektrohand Gottes sowie Kurt Razelli zu hören). Beim “Sterben des reichen Mannes” geht es um Macht und Geld. Wobei – für uns alle geht es letztendlich um Leben und Tod

Salzburger DomkapitalDoch was hat eine von Macht- und Geldinteressen gestaltete Welt mit menschlichen Bedürfnissen zu tun? Und mit “Bedürfnissen” meine ich jetzt nicht die vom bauernschlauen Marketing künstlich erzeugten und uns in fortwährender Wiederholung als unsere eigenen eingepflanzten. Ich meine die tatsächlichen, immer schon für unser gedeihliches Leben (und Sterben) unerlässlichen – wie etwa nach Frieden, Gerechtigkeit und Vertrauen zueinander. In was für angeblich alternativlose Gesetzmäßigkeiten einer brutalen Marktwirtschaft werden wir stattdessen alle hineingezwungen? “Ist der Mensch ein Homo Oeconomicus?“ fragt man sich hier auch im Hinblick auf den Salzburger Jedermann, dieses Kapital des Domkapitels. Die deutsche Philosophin Ariadne von Schirach bringt das Wesen des Menschen im ständigen Wechselspiel mit den Gegebenheiten auch in ihren klugen Büchern auf den springenden Punkt. Zuletzt erschien “Die psychotische Welt” und davor “Du sollst nicht funktionieren”. Ihre Vortragskunst ist außergewöhnlich, Atemrhythmus, Sprache wie Stimmelodie. Ihre gesamte Haltung versinnbildlicht, wie ein verletzbares Menschentier auf leisen Sohlen laut denkt. Chapeau! Doch Moment, war da nicht was mit dem Nachnamen?

Zu dessen “Angebräuntheit” hat ihr Cousin Ferdinand von Schirach, der weithin geläufige Strafverteidiger und Schriftsteller (und Festspielredner), einmal Vorläufig Endgültiges ausgesagt. Und damit wollen auch wir es bewenden lassen …

 

Heather Nova – Pearl

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. August – Liebe Musikfreunde (und *innen naturgemäß ebenfalls), es ist uns ein zutiefstes Bedürfnis, dem unlängst erschienenen Album Pearl von Heather Nova über die gewöhnliche Wahrnehmung hinaus zu Gehör zu verhelfen. Es ist nämlich an einem besonderen Punkt in ihrem Leben entstanden, an dem ihre langjährige künstlerische Erfahrung und ihre ursprüngliche Einstellung (zum Leben, zum Gefühl, zur Musik) kostbar kraftvoll zu neuer Gestalt verschmelzen. Mehr dazu auf ihrer Homepage unter Bio > Show More – “Eine Perle ist idealerweise das, was sich nach all den Jahren in einer Auster bildet.” So beschreibt Heather Nova nicht nur den äußeren Anknüpfungspunkt (zu ihrem Album Oyster von 1994), sondern auch das innere Geheimnis der Entwicklung eines Kleinods aus etwas Lebendigem.

Heather Nova - PearlEinst haben wir euch ihre Musik zur Entspannung vom feuchten Fußball kredenzt. Auch das Album Redbird, das von ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihres Sohns Sebastian geprägt war, kam bei uns schon vor. Und in der Nachtfahrt zum Thema female. feel male. veranschaulichte ihre Performance (mit Berit Fridahl an der Gitarre) das Zusammenspiel weiblicher und männlicher Energien, weit jenseits von Zuschreibungen oder Rollenklischees. Sie begleitet uns also seit geraumer Zeit und hat uns dabei immer wieder angerührt, erstaunt, überrascht – sei es nun unplugged mit Cello, als Lyrikerin (The Sorrowjoy), beim Interview im Gibson Room Amsterdam, als Sendungsthema bei den Kolleg*innen vom Deutschlandfunk oder als verträumt verliebtes Gutelaunekind (London Rain) für die planlosen Nebeltage der Sehnsucht. Es ist diese ausgehaltene Spannung in vielerlei Gestalt, die uns an ihrem Schaffen nach wie vor fasziniert, diese Gratwanderung zwischen den Gegensätzen festhalten und freilassen, Freude und Verzweiflung, Rastlosigkeit und bei sich sein, dieses bedingungslose Auskosten eines weit ausgespannten Gefühlsspektrums. Einfach unverfälscht leben – und das alles mitnehmen: “A pearl is hopefully what forms inside an Oyster after all the years, the accumulation of experience, the saltwater, the sand…”

Sister all the ways I adore you
Why can’t you see yourself?
Why can’t you see yourself?
Sister shine a light on your grace and beauty
Why can’t you see yourself?
Why can’t you?
You were just a child holding tight
In those ocean swells
Why can’t you see yourself?

You think everybody else has got it made
But can’t you see we’re all in pieces

Cause when you’re broken then you’re open
When you’re open then you’re living
When you’re living you are light
And it’s alright, and it’s alright, and it’s alright

See Yourself